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Open Access 2023 | OriginalPaper | Buchkapitel

Grundlagenbeitrag: Qualitative Befragungen im Kontext von Wissenschaftskommunikation

verfasst von : Julia Metag, Andreas M. Scheu

Erschienen in: Evaluationsmethoden der Wissenschaftskommunikation

Verlag: Springer Fachmedien Wiesbaden

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Zusammenfassung

Der Beitrag beleuchtet das Potenzial qualitativer Befragungen zur Evaluation von Wissenschaftskommunikation. Qualitative Befragungen bieten sich immer dann an, wenn möglichst offen die Perspektiven, Bewertungen und Einschätzungen bestimmter Zielgruppen erhoben werden sollen. Insbesondere bei der Entwicklung neuer Formate und Formen von Wissenschaftskommunikation bieten sich narrative Befragungsformate zur Evaluation an. In der Forschung zeigt sich, dass halbstandardisierte Leitfadeninterviews sowie Fokusgruppen-Interviews sehr verbreitet sind. Qualitative Befragungen werden eingesetzt, um Expert:innen bzw. Wissenschaftler:innen, Bürger:innen und Vertreter:innen der Zivilgesellschaft sowie praktische Wissenschaftskommunikator:innen und Wissenschaftsjournalist:innen zu befragen. Qualitative Befragungen werden sowohl als primäre Forschungsmethode als auch in Kombination mit bzw. als Ergänzung zu standardisierten Methoden eingesetzt.

1 Methode der qualitativen Befragung im Kontext der Evaluationsforschung

Die Stärken von qualitativen Befragungen liegen vor allem darin, Sinnzusammenhänge, Einschätzungen, Bewertungen oder Motive von Befragten zu erheben und zu verstehen. Damit bieten qualitative Befragungen auch große Potenziale für Evaluationen, zum Beispiel bei der Entwicklung neuer oder zur Weiterentwicklung bereits eingeführter Wissenschaftskommunikationsformate (siehe auch Hedder et al. in diesem Band). Grundsätzlich kommen dabei unterschiedliche Arten qualitativer Befragungen zum Einsatz, zum Beispiel offene Fragen in schriftlichen Fragebögen, mündliche Interviews (Helfferich 2014; Loosen 2016) bzw. Expert:inneninterviews (Blöbaum et al. 2016), Gruppendiskussionen (Lüthje 2016; Vogl 2014) oder auch DELPHI-Befragungen1 (Häder und Häder 2014), die sich an unterschiedliche Zielgruppen richten können, zum Beispiel an Expert:innen, Kommunikator:innen oder Rezipierende im Bereich Wissenschaftskommunikation. Qualitative Befragungen werden sowohl als primäre Forschungsmethode als auch im Sinne einer Triangulation von Methoden in Kombination mit bzw. als Ergänzung zu standardisierten Methoden wie quantitativen Befragungen eingesetzt, um zum Beispiel Erkenntnisse aus repräsentativen Umfragen weiter vertiefen zu können (Koch et al. 2020; Koso 2021).
Dabei unterscheiden sich qualitative Befragungen im Grad der Standardisierung. Das Spektrum reicht hierbei von stärker strukturierten, teilstandardisierten Befragungsformen bis hin zu offenen, narrativen Formaten (Scholl 2009). Teilstandardisierte mündliche Befragungsformen nutzen mehr oder weniger ausführliche Leitfäden, die Schwerpunkte, Themen, den groben Gesprächsverlauf sowie Fragen und zum Teil auch Rückfragen strukturieren. So wird sowohl die Vergleichbarkeit der Interviews erhöht als auch sichergestellt, dass unterschiedliche Interviewende oder Moderator:innen von Gruppendiskussionen dieselben Inhalte ansprechen. Offene Befragungen, bei denen zum Beispiel nur eine Einstiegsfrage vorgegeben oder zu Beginn ein Stimulus gesetzt wird, haben den Vorteil, dass die Befragten selbst bestimmen, welche Themen im Gespräch vertieft werden (Küsters 2014). Individuelle Schwerpunktsetzungen können dann genauso wie die jeweilige Strukturierung des Gesprächs von den Forschenden ausgewertet werden. So sind beispielsweise Rückschlüsse auf Relevanzzuschreibungen und Deutungen der Befragten möglich.
Je nach Zielsetzung der jeweiligen Evaluationsstudie bieten sowohl teilstandardisierte leitfadengestützte als auch narrative Befragungen besondere Stärken und Schwächen, die bei der Planung der Evaluation abgewogen werden sollten. Je wichtiger die Vergleichbarkeit sowohl zwischen den durchgeführten Befragungen und gegebenenfalls auch zwischen unterschiedlichen Untersuchungszeitpunkten ist, desto sinnvoller erscheint es, den Standardisierungsgrad zu erhöhen. Das ist beispielsweise dann der Fall, wenn bestimmte Kommunikationsformate bereits eingeführt wurden und im Zeitverlauf optimiert werden sollen. Wenn Kommunikationsformate neu entwickelt werden, können offene Befragungen wertvolle Anregungen und Perspektiven eröffnen. Hierbei spielt auch das verfügbare Vorwissen eine Rolle. Grundsätzlich bieten sich deduktive Vorgehensweisen – z. B. Konstruktion von analytischen Kategorien und Interviewleitfäden auf Basis des Forschungsstandes (Löblich 2016) – dann an, wenn bereits Erkenntnisse vorliegen und vertieft bzw. erweitert werden sollen. Je geringer das verfügbare Vorwissen ist, desto naheliegender ist der Einsatz offener, induktiver Zugänge zum Gegenstand, zum Beispiel in der Tradition der Grounded Theory (Scheu 2016).
Unabhängig davon, welche Art der qualitativen Befragung bei der Evaluation von Wissenschaftskommunikation eingesetzt wird, müssen spezifische, der Art der Befragung angemessene Qualitätskriterien beachtet und eingehalten werden. In der qualitativen Forschung sind die klassischen Gütekriterien empirischer Sozialforschung (Reliabilität, Validität und Repräsentativität; vgl. Wirth und Fleischer in diesem Band) zum Teil umstritten (Flick 2007, S. 499 f.). Uns erscheint die Bezugnahme auf diese Kriterien allerdings durchaus sinnvoll, allein schon, um die Aussagekraft der Evaluation und die davon abzuleitenden Konsequenzen zu legitimieren. Dabei müssen die Kriterien allerdings an die Logiken qualitativer Forschungsdesigns angepasst werden. Evaluationen, die qualitative Befragungen nutzen, wollen so den evaluierten Gegenstand, zum Beispiel ein Wissenschaftskommunikationsformat, weiterentwickeln. Dazu sind reliable, valide und dem Gegenstandsbereich angemessene Ergebnisse notwendig. Die Prüfung von Reliabilität und Validität steht in der qualitativen Forschung aber nicht am Ende des Forschungsprozesses. Zentrale Verfahrensweisen der qualitativen Befragung sollen helfen, reliable und valide Ergebnisse zu produzieren. Dazu gehört beispielsweise die kommunikative Validierung von Interpretationsschritten in Teams, oder im Gespräch mit den Interviewpartner:innen, die nachvollziehbare und transparente Dokumentation von Entscheidungen und Schlussfolgerungen sowie die Reflexion der eigenen Schlussfolgerungen während des gesamten Forschungs- bzw. Evaluationsprozesses. Repräsentativität in Bezug auf qualitative Befragungen bezieht sich auf die bewusste Auswahl von Interviewpartner:innen (Theoretical Sampling). „Konzeptionelle Repräsentativität“ (Strübing 2008, S. 82) entsteht auch bei Evaluationen aus der wechselseitigen Bezugnahme von Schlussfolgerungen auf die erhobenen Daten und umgekehrt. Schlussfolgerungen von Evaluationen, die sich auf qualitative Befragungen berufen, haben also keinen probabilistischen Geltungsanspruch.
Die Stärken und der Mehrwert qualitativer Befragungen im Kontext von Evaluationen liegen stattdessen gerade in der Offenheit und damit verbunden der Möglichkeit, neue Perspektiven zu entdecken – dazu zählen auch unerwartete Rückmeldungen zu Aspekten, die in der Anlage der Evaluation eventuell überhaupt nicht berücksichtigt waren. Qualitative Befragungen können in Evaluationen eingesetzt werden, um die Sichtweisen, Deutungen und Bewertungen unterschiedlicher Zielgruppen zu rekonstruieren und zu verstehen und so einen besseren Zugang zum Objekt der Evaluation selbst zu bekommen.

2 Qualitative Befragungen im Kontext von Wissenschaftskommunikation

In der Wissenschaftskommunikationsforschung generell, nicht nur zur Evaluation von Wissenschaftskommunikationsmaßnahmen oder -formaten, werden qualitative Befragungen eingesetzt, um verschiedene Akteur:innen der Wissenschaftskommunikation und deren Einstellungen zu untersuchen. Das Sampling der Befragten funktioniert meist über ein konkretes Projekt oder einen konkreten Anlass (z. B. Almeida und Vaz Bevilaqua 2021) bzw. ein spezifisches wissenschaftliches Thema (Sharon und Baram-Tsabari 2020) oder auch über Listen von entsprechenden Wissenschaftsorganisationen oder Organisationen der praktischen Wissenschaftskommunikation. Es handelt sich vielfach also um gezielte Auswahlverfahren (Hassan et al. 2020; Samuel et al. 2021). Diese Sampling-Strategien werden häufig durch das Schneeballsystem ergänzt (Dudo et al. 2021).
In den meisten Fällen wird das halbstandardisierte Interview als Methode eingesetzt, d. h. es gibt einen vorbereiteten Interviewleitfaden, der allerdings flexibel an die Befragungssituation angepasst werden kann (z. B. Almeida und Vaz Bevilaqua 2021; Dudo et al. 2021). Die Anzahl der Befragten ist unterschiedlich, sie liegt häufig zwischen etwa 10 und 30 Personen (z. B. Almeida und Vaz Bevilaqua 2021; Dudo et al. 2021; Llorente et al. 2021; Mahl et al. 2020; Sharon und Baram-Tsabari 2020), selten gibt es Studien wie die von Jones et al. (2020), in der 123 Personen qualitativ interviewt werden. Ein Interview dauert normalerweise zwischen 30 min und bis zu zwei Stunden (Almeida und Vaz Bevilaqua 2021; Dudo et al. 2021; Koso 2021; Sarathchandra und Haltinner 2020).
Darüber hinaus werden in der Wissenschaftskommunikationsforschung Fokusgruppen-Diskussionen eingesetzt, um durch die Gruppendynamik zu verstehen, wie sich Wissen und Ideen zu einem bestimmten Gegenstand oder Thema entwickeln, was auch gerade bei wissenschaftlichen Themen relevant sein kann (Asplund 2020; Hassan et al. 2020). Die Anzahl an Personen bei Fokusgruppen ist eher geringer, es handelt sich z. B. um fünf bis zehn Personen (Hassan et al. 2020).
Unter den durch qualitative Befragungen in der Wissenschaftskommunikation untersuchten Akteur:innen lassen sich verschiedene Gruppen identifizieren: Expert:innen bzw. Wissenschaftler:innen, Bürger:innen und Vertreter:innen der Zivilgesellschaft sowie praktische Wissenschaftskommunikator:innen und Wissenschaftsjournalist:innen. Auf spezielle Ergebnisse zum Einsatz qualitativer Befragungen bei diesen Gruppen wird im Folgenden eingegangen.

2.1 Qualitative Befragungen von Expert:innen/Wissenschaftler:innen

Eines der Hauptziele, für das qualitative Befragungen wie Leitfadeninterviews oder Fokusgruppen-Diskussionen in der Evaluation von und Forschung zu Wissenschaftskommunikation eingesetzt werden, ist, zu verstehen, welche Kommunikationskanäle Wissenschaftler:innen nutzen. Es interessiert dabei häufig auch, wie Wissenschaftler:innen selbst ihre Wissenschaftskommunikation, z. B. auch über Social Media, einschätzen und reflektieren und welche Motive dahinter liegen (Olesk 2021; Scheu und Schedifka 2018; Sharon und Baram-Tsabari 2020). Hierzu können Dokumente, wie zum Beispiel Screenshots von Social-Media-Threads, eingesetzt werden, um die Erinnerung zu stimulieren und bestimmte Situationen zu rekonstruieren (Sharon und Baram-Tsabari 2020). Auch die Wahrnehmung der eigenen Forschungsthemen in der wissenschaftlichen Forschung im Vergleich zu deren Darstellung in den Medien wird durch qualitative Interviews untersucht (Samuel et al. 2021). Darüber hinaus werden in Studien Leitfadeninterviews von Wissenschaftler:innen kombiniert mit Leitfadeninterviews von Bürger:innen oder verschiedenen Akteur:innen der Wissenschaft und Wissenschaftspolitik, um unterschiedliche Wahrnehmungen von und Einstellungen zu wissenschaftlichen Themen (Manyweathers et al. 2020) und auch Einschätzungen der Wissenschaftskommunikation selbst (Scheu 2019) herauszuarbeiten.
Auch zur Frage, wie Wissenschaftler:innen bestimmte wissenschaftliche Themen kommunikativ konstruieren, werden qualitative Methoden eingesetzt. Lüthje und Thiele (2018) untersuchen mittels offener Gruppendiskussionen, wie innerhalb der Wissenschaft das Thema und der Begriff Nachhaltigkeit konstruiert und eingeschätzt wird. Mittels Fokus-Gruppendiskussionen wird auch der Frage nachgegangen, wie Wissenschaftler:innen unterschiedlicher fachlicher Disziplinen ihr öffentliches, kommunikatives Engagement einschätzen (Ho et al. 2020).
Als Expert:innen für ein Thema sind aber nicht immer nur Wissenschaftler:innen selbst gefragt, sondern auch Expert:innen in der praktischen Anwendung von wissenschaftlichen Erkenntnissen. So hat Asplund (2020) mittels Fokusgruppen untersucht, wie Landwirt:innen und Vertreter:innen von landwirtschaftlichen NGOs ein Online-Spiel zum Thema Landwirtschaft und Klimawandel evaluieren.

2.2 Qualitative Befragungen von Bürger:innen und der Zivilgesellschaft

Ein weiteres Feld der Wissenschaftskommunikationsforschung, in dem qualitative Befragungen eingesetzt werden, befasst sich mit der Frage, wie Bürger:innen Wissenschaft oder bestimmte wissenschaftliche Themen wahrnehmen, was die dahinterliegenden Gründe sind und zu welchen Handlungen dies führt. So untersuchen zum Beispiel Carmichael et al. (2020) mittels Tiefeninterviews, inwieweit tradierte Narrative die Wahrnehmung von extremen Überflutungen beeinflussen können. Auch in der Forschung zur Klimawandelkommunikation werden qualitative Leitfadeninterviews häufig eingesetzt, um die Wahrnehmungen und Einstellungen zum Klimawandel in verschiedenen Bevölkerungsgruppen und unterschiedlichen Ländern zu verstehen (Mahl et al. 2020; Sarathchandra und Haltinner 2020). Nicht mit einzelnen Bürger:innen, sondern mit Vertreter:innen von zivilgesellschaftlichen Organisationen beschäftigen sich Llorente et al. (2021), die mithilfe von halbstandardisierten Interviews untersuchen, wie diese Organisationen ihren Einbezug in wissenschaftliche Forschung einschätzen.
Zur Analyse der Wahrnehmung von und Einstellung zu wissenschaftlichen Themen werden auch Fokus-Gruppen-Interviews als Form der qualitativen Befragung eingesetzt (Hassan et al. 2020). Gruppendiskussionen kommen ebenso zum Einsatz, wenn es um die Evaluation von bestimmten Formen der Wissenschaftskommunikation selbst durch Bürger:innen geht, wie zum Beispiel von Cititzen Science-Projekten (Rögener und Wormer 2020).
Außerdem lassen sich bei der Analyse der Wahrnehmung von Wissenschaft durch Bürger:innen qualitative Befragungen nicht nur als ergänzende Vertiefung von repräsentativen, standardisierten Befragungen einsetzen (Critchley et al. 2020), sondern auch in Kombinationen mit anderen qualitativen Erhebungsmethoden. So kombinieren Koch et al. (2020) halbstandardisierte Leitfadeninterviews mit der qualitativen Tagebuchmethoden, um herauszufinden, wo Bürger:innen im Alltag Wissenschaft begegnet und wie sie dies einordnen und bewerten.

2.3 Qualitative Befragungen von praktischen Wissenschaftskommunikator:innen und Journalist:innen

Qualitative Befragungen werden in der Forschung auch eingesetzt, um zu eruieren, wie Wissenschaftskommunikator:innen Wissenschaftskommunikation evaluieren (Navarro und McKinnon 2020), warum sich Wissenschaftskommunikator:innen für ein Projekt oder Format der Wissenschaftskommunikation engagieren und wie sie das Ergebnis des Projekts oder des Events bewerten (Almeida und Vaz Bevilaqua 2021). Auch hier werden häufig halbstrukturierte Interviews eingesetzt. So wird unter anderem untersucht, wie die Zusammenarbeit zwischen Wissenschaftler:innen und Künstler:innen bei einem Theaterstück in einem Science Museum funktioniert (Almeida und Vaz Bevilaqua 2021), wie der Wirkungskreis von Wissenschaftskommunikationstrainer:innen aussieht (Dudo et al. 2021) oder warum Universitäten Pressemitteilungen an lokale Presseklubs senden (Koso 2021).
Auch zur Erforschung der aktuellen Praktiken im Wissenschaftsjournalismus und von Einschätzungen von Wissenschaftsjournalist:innen werden qualitative Befragungen genutzt (Burch 2021). So lässt sich beispielsweise analysieren, wie Wissenschaftsjournalist:innen die Wissenschaftsberichterstattung evaluieren und speziell die Präsentation von Unsicherheit von wissenschaftlichen Ergebnissen in den Medien wahrnehmen (Guenther et al. 2015) oder wie sie die Zusammenarbeit mit Wissenschaftler:innen bei bestimmten Formaten der Wissenschaftskommunikation bewerten (MacGregor und Cooper Amanda 2020).
Im Feld der strategischen Kommunikation werden qualitative Befragungen eingesetzt, um die strategische Kommunikation von Organisationen im Bereich Wissenschaft bzw. deren Vertreter:innen zu analysieren (Scheu 2019; VanDyke und King 2020).
Insgesamt zeigt sich, dass qualitative Befragungen in der Wissenschaftskommunikationsforschung durchaus verbreitet sind. Es werden vor allem halbstandardisierte Leitfadeninterviews sowie Fokusgruppen-Interviews mit Wissenschaftler:innen selbst, Bürger:innen, Wissenschafskommunikator:innen und Wissenschaftsjournalist:innen durchgeführt. Qualitative Befragungen dieser Personengruppen können ein tiefergehendes Verständnis hervorbringen, wie diese Personen Wissenschaft sowie spezielle Formen und Formate der Wissenschaftskommunikation wahrnehmen und bewerten. Damit sind qualitative Befragungen eine fruchtbare Methode zur Evaluation von Wissenschaftskommunikation.

3 Fazit: Potenziale qualitativer Befragungen im Kontext der Evaluation von Wissenschaftskommunikation

In diesem Beitrag haben wir eingangs auf methodologischer Ebene verschiedene Formen der qualitativen Befragung vorgestellt, die im Kontext von Evaluationen eingesetzt werden können. Anhand von Beispielen aus der Wissenschaftskommunikationsforschung wurden die Einsatzfelder qualitativer Befragungen in diesem Forschungsfeld aufgezeigt, und wir haben veranschaulicht, wie und mit welchen Zielen das methodische Instrument praktisch eingesetzt wird. Aus den methodologischen Überlegungen und dem Überblick über das Forschungsfeld lassen sich Potenziale für die Evaluationsforschung im Bereich Wissenschaftskommunikation ableiten.
Qualitative Befragungen bieten sich immer dann an, wenn es wichtig erscheint, möglichst offen die Perspektiven, Bewertungen und Einschätzungen bestimmter Zielgruppen zu erheben. Insbesondere bei der Entwicklung neuer Formate von Wissenschaftskommunikation bieten sich daher narrative Befragungen an, zum Beispiel als Einzelinterviews oder in Fokusgruppen. Zur Weiterentwicklung und begleitenden Evaluation bestimmter Wissenschaftskommunikationsformate über die Zeit schlagen wir stärker strukturierte Varianten der qualitativen Befragung vor. Insbesondere Leitfadeninterviews mit Rezipierenden oder Expert:inneninterviews mit spezifischen Stakeholder:innen (z. B. Akteur:innen aus der Hochschulkommunikation, Journalist:innen, Forscher:innen) erscheinen uns hierbei vielversprechend. Denkbar sind außerdem DELPHI-Studien, mit deren Hilfe Trends und zukünftige Herausforderungen strukturiert und erfasst werden können. Die stärker strukturierten Interviewformate ermöglichen die Vergleichbarkeit im Zeitverlauf und damit auch die Beobachtung von erwünschten und unerwünschten Entwicklungen sowie von Auswirkungen implementierter Veränderungen. Hierbei bieten qualitative Verfahren über die bewusste Auswahl von Befragten (Theoretical Sampling) die Möglichkeit, Sichtweisen unterschiedlicher Akteur:innengruppen zu erfassen und zu vergleichen. So können widersprüchliche Erwartungen, unterschiedliche Interessen und Ansprüche differenziert betrachtet und Wissenschaftskommunikationsformate entsprechend weiterentwickelt werden.
Darüber hinaus sehen wir für die Evaluation bereits etablierter Formate der Wissenschaftskommunikation qualitative Befragungen als sinnvolle Ergänzung oder auch Fundierung von quantitativen Erhebungen. Qualitative Befragungen können dazu dienen, quantitative Evaluationsmethoden zu konstruieren und diese so empirisch fundieren. Sie können aber auch dazu dienen, geschlossene quantitative Formate qualitativ zu öffnen und statische Evaluationsmethoden auf diese Weise dynamischer zu gestalten. Schließlich besteht ein weiterer Mehrwert darin, im Anschluss an quantitative Evaluationsverfahren unerwartete Antworten, Auffälligkeiten oder Widersprüche im Datenmaterial gezielt und vertiefend zu bearbeiten.
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Fußnoten
1
Hierbei handelt es sich meist um einen Mix aus qualitativen und quantitativen Befragungen, die wiederholt durchgeführt werden. Befragt werden Gruppen von Expert:innen zu Themen, Problemen und Sachverhalten, über die unsicheres und unvollständiges Wissen vorliegt. DELPHI-Befragungen werden beispielsweise eingesetzt, um Ideen zu generieren, Expert:innenwissen zu bündeln und zu bewerten oder auch um Prognosen zu erstellen.
 
Literatur
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Metadaten
Titel
Grundlagenbeitrag: Qualitative Befragungen im Kontext von Wissenschaftskommunikation
verfasst von
Julia Metag
Andreas M. Scheu
Copyright-Jahr
2023
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-658-39582-7_7