„Gute Besserung!“ – und wie man diese erreichen könnte. Erfahrungen aus drei Jahren Qualitätsmonitoring Medizinjournalismus auf medien-doktor.de und Konsequenzen für die journalistische Praxis, Ausbildung sowie Wissenschafts-PR
Wenn der Schweizer Künstler Ursus Wehrli ein Werk betrachtet, eröffnet sich ein neuer Blick: Wehrli räumt Bilder anderer Künstler auf (www.kunstaufraeumen.ch). Ein Kandinsky, zuvor eine undurchsichtige Komposition verschiedenster Farben und Formen, wird so sortiert, dass deutlich wird, aus welchen Anteilen blau, rot, schwarz etc. er komponiert ist. Doch lässt sich aus dieser Zerlegung in einzelne (Farb-)Aspekte ableiten, was ein gutes Werk ausmacht? Da manche Journalisten ihre Beiträge durchaus als eine Art Gesamtkunstwerk auffassen, liefert Wehrlis „Kunst, aufzuräumen“ eine interessante Analogie, inwieweit man die Qualität eines (medizin-)journalistischen Werks in einzelne Aspekte (Kriterien) zerlegen kann, um es zu bewerten. Am Beispiel des Projekts medien-doktor.de werden Erfahrungen aus einer kontinuierlichen Qualitätsbewertung der Medizinberichterstattung auf der Basis solcher Einzelkriterien dargestellt. Nach einer Auswertung von 170 Begutachtungen sollen erste Tendenzen aufgezeigt werden, welche typischen Qualitätsmängel bereits identifiziert werden können, wie diese im internationalen Vergleich zu bewerten sind und welche Charakteristika sich für unterschiedliche Medien (z. B. Regional- vs. überregionale Zeitungen; Printmedien vs. Hörfunk/TV) andeuten. Auf dieser Basis werden Konsequenzen zur Verbesserung für die journalistische Praxis und Ausbildung diskutiert sowie die künftige Rolle und Qualität des Medizinjournalismus in einer sich wandelnden Medienwelt und im Kontrast zur Qualität anderer Quellen aus Medizin und Wissenschafts-PR hinterfragt.
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So schreibt der ehemalige Ressortleiter Martin Kunz (2006, S. 86): „Eine Besonderheit des Wissenschaftsressorts waren von Anfang an die Listen und Rankings. Schon während der Vorbereitungszeit 1992 fingen wir an, die erste Ärzteliste zu recherchieren. Markwort hatte den festen Plan, gleich nach der Markteinführung so eine Serie zu beginnen. Die Reihe ‚Die 500 besten Ärzte‘ war maßgeblich am Anfangserfolg beteiligt.“
So wurden beispielsweise bei Literaturrecherchen für ein neues Projekt zur Qualitätsbewertung der Berichterstattung über Umweltthemen international keine vergleichbaren Vorbilder gefunden.
Zu unterstreichen ist auch, dass der erste Impuls zur Übertragung von media doctor und healthnewsreview auf Deutschland aus dem Kreis der Journalisten selbst kam, wobei die Medizinjournalisten Christian Weymayr, Klaus Koch und Volker Stollorz hervorzuheben sind. Somit handelt es sich bei medien-doktor.de nicht um ein „top down“-Projekt, sondern zunächst eher um eine „grassroot“-Bewegung.
Bei Hornbostel wird eine solche Aushandlung von Bewertungsmaßstäben im „sozialen Diskursprozess“ mit den betreffenden Experten (peers) als legitime Maßnahme zur Kriterienfindung genannt. Interessanterweise wurde im konkreten Fall z. B. „Aktualität“, ein im nachrichtenorientierten Journalismus anerkanntes Kriterium, von den medizinjournalistischen Gutachtern kontrovers diskutiert.
Das ursprüngliche Ziel einer möglichst täglichen Begutachtung musste aus Kapazitätsgründen auf zwei bis drei begutachtete Beiträge wöchentlich reduziert werden.
Die automatische Stichwortsuche ist so angelegt, dass möglichst kein in Frage kommender Beitrag übersehen wird, was jedoch automatisch zu einer großen Zahl „falsch positiver“ Treffer führt (z. B. reine Vortragsankündigungen, Beitrag zur medizinischen Grundlagenforschung an Tieren etc.). Hieraus ergibt sich die Notwendigkeit einer redaktionellen Endauswahl durch den leitenden Redakteur.
Dies würdigte auch die Jury des Grimme Online Award 2011: „(…) einheitliche Bewertungsraster und ein Gutachter-Pool, dem viele erfahrene Journalisten angehören, unterscheiden den Medien-Doktor von der sonst üblichen Medienkritik.“
Versuchsweise haben wir eine solche Bewertung u. a. für die Spiegel-Titelgeschichte „Die Heilkraft des Fastens“ (Spiegel Nr. 13/28.2.2011) durchgeführt, bei der verschiedene Formen des Fastens für eine ganze Palette von Indikationen beschrieben wurde. In der Summe konnte diese Form der Berichterstattung (nach dem Motto: „Unsere Mittel gegen alles“) nur als unbefriedigend angesehen werden. Da die Qualität der Aussagen, Belege und Experten zu verschiedenen Teilaspekten jedoch sehr unterschiedlich (mal „erfüllt“, mal deutlich „nicht erfüllt“) war, ließ sich der Beitrag als Ganzes mit dem Kriterienraster nicht konsistent bewerten.
Als Kompromiss einigten sich die Gutachter für Deutschland darauf, das Kriterium um die Frage „Therapie-/Diagnose-Verfahren wird von Krankenkasse übernommen“ zu erweitern.
Studien im Gesundheitswesen zeigen, dass Rückmeldungen (insbesondere von Berufskollegen), die ein Abweichen von professionellen Standards andeuten, die Qualität verbessern können (Ivers et al. 2012).
Selbst im eigenen Hause galten Wissenschaftsredakteure lange Zeit als „Exoten“, deren Einfluss auf die Berichterstattung eher gering war. Wissenschaftliche Methodenkritik an einer in der Berichterstattung aufgegriffenen Studie erfordert jedoch ein Mindestmaß an Verständnis (natur-)wissenschaftlicher Methoden.
Dies entspricht in gewisser Weise dem Vorschlag von Weischenberg (2006), bei Qualitätsdiskussionen im Journalismus auch den strukturellen und organisatorischen Produktionskontext in Betracht zu ziehen.
Der zunehmende „direct-to-consumer“-Ansatz wurde zum Beispiel im Vorfeld einer im Jahr 2011 am Dortmunder Lehrstuhl betreuten Evaluation des idw kommuniziert.
„(…) I have a horrible feeling that if we took the worst newspaper headlines and traced back their origins – we may find the press release was to blame in far more cases than any of us would care to admit.“
vgl. Kuriya et al. 2008: „No standard format to evaluate press releases exists.“ Einen Minimalansatz liefert der Deutsche Kommunikationskodex (www.kommunikationskodex.de/). Der Informationsdienst Wissenschaft (idw) lobt einen Preis für die beste Wissenschaftspressemitteilung eines Jahres aus.
Exemplarisch sei hier Christina Beck zitiert, stellv. Pressesprecherin und Leiterin Wissenschaftskommunikation der Max-Planck-Gesellschaft, die auf einem Podium zum Abschluss der Initiative Wissenschaftsjournalismus am 5.10.2011 in Dortmund explizit sagte, ihre Pressestelle betreibe Wissenschaftsjournalismus.
„Gute Besserung!“ – und wie man diese erreichen könnte. Erfahrungen aus drei Jahren Qualitätsmonitoring Medizinjournalismus auf medien-doktor.de und Konsequenzen für die journalistische Praxis, Ausbildung sowie Wissenschafts-PR