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30.05.2023 | Halbleiter | Schwerpunkt | Online-Artikel

Was die Autoindustrie aus der Halbleiterkrise lernen kann

verfasst von: Christiane Köllner

5 Min. Lesedauer

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Der Chipmangel hat lange die Autoindustrie belastet. Um für solche Krisen künftig besser gerüstet zu sein, gibt das ISF München der Autobranche Leitlinien für eine optimierte Halbleiterstrategie an die Hand. Die sechs Maßnahmen im Überblick. 

Der Mangel an Halbleiterchips hat die Automobilindustrie in den letzten Jahren in Atem gehalten. An vielen Produktionsstandorten müssen wegen Chipknappheit Schichten gestrichen, Baureihen ausgesetzt, Werke temporär geschlossen und Beschäftigte wiederholt in Kurzarbeit geschickt werden. Welche Erkenntnisse und Lehren hat die Automobilbranche aus der Chipkrise gezogen? Am ISF München – Institut für Sozialwissenschaftliche Forschung wurden nun in einer Expertise im Rahmen des BMBF-Projekts HyValue die Hintergründe und Lessons Learned aus dieser Krise untersucht. Die Analyse zeigt, dass ein "Weiter so wie bisher" für die Unternehmen der Autoindustrie keine Option mehr ist. 

Auf den ersten Blick scheint die Ursache für die Chipkrise in den Lieferketten für Halbleiter zu liegen – und zwar in einem "klassischen Bullwhip-Effekt […], bei dem Nachfrageschwankungen sich zu gewaltigen Dissonanzen aufgeschaukelt haben", wie es in der industriesoziologischen Studie des ISF München heißt. Doch das wäre zu kurz gegriffen, wie die Autoren weiter herausarbeiten. Mit dem Phänomen der Chipkrise in der Autoindustrie sei mehr als eine Lieferkettenproblematik verbunden. Die Entwicklungen ließen sich auf Dauer auch nicht allein mit den klassischen Maßnahmen des Supply Chain Managements in den Griff bekommen. Vielmehr sei in der Krise "eine Entwicklungsdynamik offen zutage getreten, die ihre Wurzeln in tieferliegenden strukturellen Veränderungen der Kernprodukte der Automobilindustrie und der Rolle von Halbleitern in Fahrzeugen hat", so die Studie. 

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Elektrifizierung und Software verändern Rolle von Halbleitern

Halbleiter haben sich zu strategischen Bausteinen entwickelt. "Mit der Elektrifizierung und Softwareisierung der Fahrzeuge, welche die gegenwärtige Transformation der Branche prägen, verändert sich vielmehr die Rolle des Halbleitereinsatzes in den Fahrzeugen grundlegend", so Dr. Alexander Ziegler, der die Erstellung der Expertise am ISF München geleitet hat. Es werden nicht nur zahlenmäßig immer mehr Chips benötigt, sondern sie avancieren als Leistungselektronik und Hochleistungscomputer zu strategischen Komponenten im softwaredefinierten Elektrofahrzeug.

Zusammen mit der Chipkrise markiert das einen Wendepunkt für den Halbleitereinsatz in der Automobilindustrie. "Die übergeordnete Bedeutung der Chip-Krise liegt vor allem darin, dass sie diesen Wendepunkt für den Halbleitereinsatz in der Autoindustrie und die damit einhergehenden Herausforderungen für die Unternehmen ins Blickfeld gerückt hat", unterstreicht der Wissenschaftler. Erforderlich sei eine weitreichende Neufassung ihrer Halbleiterstrategien und der Zusammenarbeit mit den Unternehmen der Halbleiterbranche. 

Neufassung der Halbleiterstrategien erforderlich

In ihrer Analyse haben die Münchener Wissenschaftler dazu sechs Gestaltungsfelder identifiziert, die in den Unternehmen der Automobilindustrie vorrangig zu bearbeiten seien. Daraus sollen sich erste Überlegungen ableiten lassen, wie die Unternehmen künftig sowohl besser mit disruptiven Ereignissen in der Wertschöpfungskette umgehen als auch ihre Halbleiterstrategien vor dem Hintergrund der Transformation der Automobilbranche zukunftsfähig aufstellen können.

  1. Transparenz über Halbleiterbedarfe herstellen: Durchgängige Informationssysteme aufbauen
    Laut Studie hätte in vielen Unternehmen der Automobilindustrie bislang keine vollständige Transparenz darüber bestanden, welche Halbleiter in den Fahrzeugen verbaut werden, welche Unternehmen sie herstellen und wie sie in das Endprodukt gelangen. Daher bestehe ein zentrales Gestaltungsfeld darin, "die in vielen Taskforces begonnenen Arbeiten zum Aufbau durchgängiger, einfach zu bedienender Informationssysteme über den gesamten Wertschöpfungsprozess fortzuführen und in den Organisationen auf Dauer zu stellen", heißt es.
  2. Halbleiterrisiken aktiv bearbeiten: NextGen-Risikomanagement etablieren
    Zudem gelte es, ein umfassendes Risikomanagement der nächsten Generation zu entwickeln, und zwar ein datengetriebenes. Damit sollen sich einerseits reaktiv disruptive Ereignisse und deren potenzielle Auswirkungen unmittelbar erkennen und andererseits Maßnahmen entwickeln lassen, um Risiken präventiv zu minimieren. Zu den Präventionsmaßnahmen gehören zum Beispiel der Aufbau dauerhafter Kommunikationskanäle entlang der Lieferkette, die Erschließung alternativer Lieferanten, die Identifikation und Vorratshaltung einzelner strategischer Halbleiterkomponenten und die Reduktion der Varianz der verwendeten Halbleiter.
  3. Halbleiter als Kernkomponenten: Ganzheitliche Chip-Strategien für Fahrzeuge entwickeln 
    Die Strategien für den Halbleitereinsatz in den Unternehmen der Automobilindustrie greifen laut Studie zu kurz und werden der qualitativen Bedeutungszuwachses von Halbleitern nicht gerecht. Halbleiterstrategien sollten nicht "in die Silo-Perspektive einzelner Abteilungen und Bauteilverantwortlicher" delegiert werden, wie es heißt. Stattdessen sollte eine ganzheitliche Strategie für den Halbleitereinsatz in Fahrzeugen entwickeln und umgesetzt werden. "Zentrale Elemente reichen von der Neuausrichtung des Halbleitereinsatzes um leistungsfähige SoC und der Reduktion der Zahl der verwendeten ECU in zentralisierten Software- und Elektronikarchitekturen über Standardisierungen und Vereinheitlichungen bei den verwendeten Chips", so die Studie.
  4. Kollaborative Wertschöpfungsarchitekturen schaffen: Partnerschaften mit Chip-Herstellern aufbauen
    Die Beziehungen zwischen den Unternehmen der Automobil- und der Halbleiterindustrie seien bisher wesentlich von einem transaktionalen Charakter geprägt, so die Wissenschaftler. "Die Chip-Krise hat den Blick dafür geschärft, dass eine solche Form der Zusammenarbeit nicht mehr zielführend ist", so die Studie. Ein zentrales Gestaltungsfeld bestehe daher darin, langfristig orientierte, partnerschaftliche Beziehungen zu den Unternehmen der Halbleiterindustrie aufzubauen und eine verbesserte Langfristplanung über die gesamte Wertschöpfungskette zu etablieren.
  5. Halbleiterkompetenz in der Automobilindustrie stärken
    Laut Studie hat die Chipkrise offenbart, dass in vielen Unternehmen der Automobilindustrie ein Bedarf für den Aufbau von Kompetenz über die Halbleiterindustrie und ihre Erzeugnisse besteht. Dies betreffe neben spezialisiertem technologischem Know-how zum Design, der Herstellung und dem Einsatz von Halbleitern auch Kenntnisse über wesentliche Charakteristika der Branche, die Organisation ihrer Wertschöpfungsprozesse und das Erfahrungswissen. Daher sollten künftig neben Software- auch Halbleiterkompetenzen auf eine breitere Basis gestellt werden. Nötig sei zum einen die Ausbildung und Förderung von Spezialisten in den Bereichen Chip-Design oder Prozess- und Prüftechnik, zum anderen breit angelegte Qualifizierungs- und Weiterbildungsmaßnahmen.
  6. Kreislaufwirtschaft aufbauen: Recycling-Strategien für Halbleiter implementieren
    Genauso wie bei Batterien sollten der Studie zufolge auch Recycling-Strategien für die Rückgewinnung der in Steuergeräten und Sensoren verwendeten Rohstoffe implementiert werden. Diese würden dann im Rahmen einer Kreislaufwirtschaft für die Produktion neuer Chips zur Verfügung stehen. Wichtige Elemente einer nachhaltigen Gestaltung der Wertstoffströme könnten, neben einer Verlängerung der Produktlebenszyklen der Fahrzeuge und ihrer Halbleiter, die Verbesserung der Aufbereitungsverfahren zur Steigerung der Rückgewinnungsquoten und die Entwicklung effizienter Demontageprozesse bilden. 
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