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2025 | Buch

Handbuch Digitalisierung in Staat und Verwaltung

herausgegeben von: Tanja Klenk, Frank Nullmeier, Göttrik Wewer

Verlag: Springer Fachmedien Wiesbaden

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Über dieses Buch

Digitalisierung prägt nicht nur die Marktökonomie, sie gestaltet auch den öffentlichen Sektor neu. Das Handbuch liefert auch in der 2. Auflage einen wissenschaftlichen Überblick zum Stand der Digitalisierung in Staat und Verwaltung. Die 95 Beiträge erläutern Leitprinzipien einer digitalen Staatsentwicklung, Instrumente einer digitalisierten Verwaltung und Anwendungen digitaler Steuerung in einzelnen Politikfeldern. Das Handbuch liefert zudem den aktuellen Diskussionsstand zu Grundfragen der Sicherung von Freiheit und Privatheit, sozialer Gerechtigkeit und Demokratie unter Bedingungen der Digitalisierung und wurde nach den Entwicklungen der Corona-Krise 2020/2021 grundlegend aktualisiert und erweitert.

Inhaltsverzeichnis

Frontmatter

Einführung

Frontmatter
Digitale Transformation von Staat und Verwaltung – die Pandemie als Beschleunigerin?
Einführung in die Neuausgabe

Die Corona-Pandemie, in der persönliche Kontakte drastisch eingeschränkt werden mussten, werde die Digitalisierung von Staat und Verwaltung in Deutschland massiv beschleunigen, haben nicht wenige gehofft. Eine erste Bilanz nach Abflauen der Pandemie ergibt einen gemischten Eindruck: In manchen Punkten sind Fortschritte erkennbar, auf anderen Feldern aber nahezu Stillstand; auf manche Themen hat sich die Pandemie praktisch gar nicht ausgewirkt und bisweilen deuten sich sogar Rückschritte gegenüber Arbeitsweisen an, die zuvor schon praktiziert worden waren. Alles in allem hat der Virus nicht den erhofften Schub ausgelöst, sondern eher wie ein Brennglas die Schwachstellen bei der Digitalisierung hierzulande ausgeleuchtet. Das wirft die Frage auf, warum sie in Deutschland so schleppend verläuft, während andere Länder schneller vorangekommen sind, und an welchen Stellschrauben der Bund, die Länder und die Gemeinden drehen müssten, um zusammen im internationalen Vergleich vordere Plätze zu erreichen. Da es auf solche Fragen bisher kaum gesicherte Antworten gibt, sind Wissenschaft und Forschung besonders gefordert, ihren Beitrag zu leisten. Die erweiterte Neuausgabe dieses Handbuchs bietet dafür eine gute Grundlage.

Tanja Klenk, Frank Nullmeier, Göttrik Wewer

Spielarten der Digitalisierung

Frontmatter
Daten, Metadaten, Interoperabilität

Häufig ist von Daten die Rede, ohne dass der Terminus definiert wird. Es macht jedoch einen großen Unterschied, ob damit quantitative Angaben oder maschinenlesbare Zeichen gemeint sind. Auch wird meist nicht näher darauf eingegangen, dass der Umgang mit Daten im Wesentlichen auf Metadaten beruht und für den Austausch und die Zusammenführung unterschiedlicher Datenbestände Interoperabilität hergestellt werden muss. Dieser Artikel versucht, entsprechende Grundlagen zu schaffen. Zunächst werden die unterschiedlichen Daten-Begriffe gegenübergestellt. Dann wird auf den Modellcharakter und die Kontextabhängigkeit von Daten eingegangen, bevor Grundlagen der Interoperabilität und die Bedeutung von Metadaten in verschiedenen Anwendungsbereichen dargestellt werden. Abschließend wird kurz auf die wohl größte Herausforderung in diesem Zusammenhang eingegangen: auf die Qualität von Daten.

Herbert Kubicek, Andreas Breiter, Juliane Jarke
Staatliche Regulierung durch Big Data und Algorithmen

Beim Einsatz von big data und Algorithmen für Regulierung in Staat und Verwaltung ist zwischen unterschiedlichen Aspekten der technischen Instrumente und verschiedenen Dimensionen von Regulierung zu unterscheiden. Auf dieser Grundlage lässt sich feststellen, wo bereits Veränderungen und Wirkungen sichtbar werden und welche Reichweite diese Veränderungen haben. Die am weitesten reichenden Veränderungen staatlicher Regulierung durch big data und Algorithmen zeigen sich bisher außerhalb Europas, doch auch in deutschsprachigen Ländern gibt es zahlreiche Beispiele.Anhand der Diskussion verschiedener Anwendungsfälle ist festzustellen, dass big data von staatlichen Organisationen bisher weitgehend dafür eingesetzt wird, um konkrete Regeln zu setzen und zu implementieren und im Rahmen algorithmischer Regulierung im staatlichen Bereich Regeln stärker nach Zielgruppen zu differenzieren. Weitergehende Programme, die eine big data-basierte Regulierung vielfältiger Lebensbereiche zum Ziel haben, existieren bisher in demokratischen Staaten noch nicht.

Sebastian Haunss, Lena Ulbricht
Künstliche Intelligenz

Künstliche Intelligenz steht für eine Forschungsfrage, die auf die selbstständige Lösung von Problemen durch technische Systeme abzielt. Ein Forschungszweig der Informatik setzt sich schwerpunktmäßig mit dieser Frage auseinander und hat im Laufe der Zeit verschiedene Lösungsansätze erarbeitet. In der öffentlichen Verwaltung im deutschsprachigen Raum werden bereits einige KI-Anwendungen eingesetzt. Schon heute zeichnet sich ein großes Potenzial für staatliches Handeln und für die Modernisierung der Verwaltung durch diese Technologien ab. Wie eine KI-gestützte Verwaltung aussieht, wird jedoch nicht durch die Technologie determiniert, sondern hängt von ihrer Gestaltung in den kommenden Jahren ab.

Christian Djeffal
Blockchain in der öffentlichen Verwaltung

Die Blockchain ist eine neuartige Kombination altbewährter Technologien, die spezifische konzeptionelle und technische Merkmale aufweist. Sie besteht aus einer sicheren Datenstruktur, den Blöcken, die in einer kontinuierlichen Liste gespeichert und in einem dezentralen Netz von Knoten verarbeitet werden. Eine digitale Zeichenfolge bildet eindeutige Eigentumsrechte ab. Diese Rechte werden digital übertragen und einem neuen Besitzer zugeordnet. Eine gleichzeitige Übertragung an einen zweiten Empfänger ist ausgeschlossen (Double-Spending-Problem). Auch die öffentliche Verwaltung gewährt, verändert, dokumentiert und überträgt Rechte. Diese werden in Registern verwaltet und sind ebenso eindeutig zugeordnet. Bescheinigungen, Nachweise und Beglaubigungen werden im Geschäftsleben benötigt und verursachen Transaktionskosten. Diese können durch eine Nutzung der Blockchain reduziert werden. Die digitale Identität (Self-Souvereign-Identity SSI) bekommt für die öffentliche Verwaltung in diesem Kontext einen besonderen Stellenwert.

Dieter Rehfeld
Offene Daten (Open Data)

Als Open Data, auch Open Government Data (OGD), bezeichnet man die tendenziell unentgeltliche Bereitstellung von Daten der öffentlichen Verwaltungen im Internet zur beliebigen Weiterverarbeitung unter freien Lizenzen. Die Forderung stammt von zivilgesellschaftlichen Organisationen und Unternehmen und wird mit unterschiedlichen Nutzenerwartungen verbunden, insbesondere Wirtschaftswachstum, Transparenz und Partizipation sowie neuen bürgerrelevanten digitalen Verwaltungsdiensten. Politik und Verwaltung reagieren überwiegend positiv und bekennen sich zu diesen Zielen. Die Umsetzung ist jedoch sehr unterschiedlich und überwiegend zögerlich. Einer der Gründe dürfte darin liegen, dass die Umsetzung sowohl auf der Ebene der einzelnen Verwaltungen und mehr noch bei den geforderten behördenübergreifenden Portalen sehr komplex und aufwändig ist und bisher der Nachweis für die erhofften positiven Wirkungen nicht ausreichend erbracht wurde. Eine kritische Prüfung zeigt, dass die bisher vorgetragenen Begründungen für die umfassende proaktive Bereitstellung aller vorhandenen Daten (Open by default) nicht haltbar sind und die Ziele auch mit einer Überlassung auf Anfrage (Open by demand) zu niedrigeren Kosten erreichbar sind.

Herbert Kubicek, Juliane Jarke
Data mining für responsive Politikgestaltung

Data mining ist ein Verfahren der Sozialforschung, das die automatisierte Extraktion von Informationen aus digitalen Spurendaten umfasst. Mit einem Einsatz in Staat und Verwaltung ist die Hoffnung verbunden, sich ein besseres Bild der Bevölkerung machen und Politik responsiver gestalten zu können. Dort, wo bereits mit solchen Verfahren gearbeitet wird, scheint Politik jedoch eher technokratischer zu werden. Anders als in den USA oder Großbritannien wird data mining in Deutschland nur selten durch staatliche Akteure eingesetzt und einer Ausweitung stehen zahlreiche Hindernisse entgegen.

Lena Ulbricht
Digitale Geodaten

Geodaten sind Grundlage vieler Verwaltungsanwendungen. Standardisierungen und Regelungen zielen auf eine einfache Nutzung von digitalen Geodaten aus unterschiedlichen Quellen. Über Geodateninfrastrukturen werden digitale Geodaten publiziert, ausgetauscht und in Form von web-basierten Informationsdiensten zur direkten Nutzung durch Dritte bereitgestellt. Heute sind in dieser Form viele Geodaten verfügbar und werden beispielsweise im Rahmen von behördlichen Informationssystemen und Planungsverfahren für elektronisches Regieren und Verwalten genutzt. Aktuelle Entwicklungen zur Bereitstellung und Nutzung hochaktueller Beobachtungsdaten aus online-Sensorsystemen, zum Aufbau digitaler Stadtmodelle und der automatisierten Datenintegration und -analyse zeigen das Potenzial für die verbesserte Inwertsetzung dieser Daten etwa für das urbane Ressourcenmanagement.

Lars Bernard, Stephan Mäs
Agent-based Modeling und Politikberatung

Die Computersimulationsmethode der agentenbasierten Modellierung ist ein neuartiges Analyseinstrument, das vermehrt auch in der Beratung politischen Handelns eingesetzt wird und sich durch seinen Umgang mit Komplexität, seine Experimentalität und seinen Formalitätsgrad auszeichnet. In der praktischen Anwendung, etwa in der Gestaltung von Infrastruktur-, Gesundheits- oder Wirtschaftssystemen, befindet es sich in einem Spannungsfeld zwischen wissenschaftlicher Problemlösung und politischer Legitimierung. Trotz Risiken und Begrenzungen kann in Zukunft mit einem vermehrten Einsatz gerechnet werden.

Florian Eyert
Digitale Verhaltenspolitik

Verhaltenspolitik bezeichnet alle politischen Maßnahmen, die auf Verhaltensänderungen zielen und zu diesem Zweck auf Erkenntnisse der Verhaltenswissenschaften und Psychologie zurückgreifen. In digitalisierter Form basiert Verhaltenspolitik auf der automatisierten Generierung und Auswertungen großer Mengen unterschiedlicher Verhaltensdaten. In Staat und Verwaltung kann sie Tendenzen einer Mikrofokussierung von Politik verstärken. Ihre inter- und transnationale Verbreitung hängt von den jeweiligen Verwaltungs-, Politikberatungs- und Regulierungskulturen ab. Mehr denn je wirft die Debatte um die Verhaltenspolitik die Frage nach den legitimen Formen von Regulierung und Repräsentation unter den Bedingungen der Digitalisierung auf.

Holger Straßheim

Leitbilder und normative Grundfragen

Frontmatter
Agile Verwaltung

Die Flutkatastrophe (2021), die „Flüchtlingskrise“ (2015/2016) oder die Corona-Pandemie haben beispielhaft gezeigt, dass unerwartete Ereignisse die öffentliche Verwaltung in Deutschland (über-)fordern. Diese Ereignisse sind kaum voraussehbar und damit auch in ihrer Bewältigung nur teilweise planbar. Neben dem plötzlichen Auftreten und der schlechten Planbarkeit, sind diese auch durch eine umfassende Komplexität gekennzeichnet. Diese Kombination führt wiederum dazu, dass diese Ereignisse kaum mehr mit der klassischen Arbeitsweise der Verwaltung bearbeitet werden können. Das Konzept der „agilen Verwaltung“ kann ein vielversprechendes Konzept sein, solche Ergebnisse zu bearbeiten, weil agile Verwaltung in hohem Maße flexibel, lösungsorientiert und ohne hierarchische Entscheidungsprozesse arbeitet. In diesem Beitrag werden die Kennzeichen der agilen Verwaltung erläutert und deren Rolle bei der Digitalisierung erörtert. Der Beitrag gibt Antworten auf die Fragen, was Verwaltung aus den Erfahrungen krisenhafter Ereignisse lernen kann und wie umsetzbar und zukunftsfähig eine agile Verwaltung ist.

Daniel Rölle
Digitale Kommunikationsinfrastrukturen

Infrastrukturen sind räumliche und zeitliche Integrationsmaschinen, die zur Expansion neigen. Durch die Normalisierung von Leistungen und Nutzungsweisen tragen sie in unsichtbarer Weise maßgeblich zur Stabilität gesellschaftlicher Ordnung bei. Je umfassender Infrastrukturen das öffentliche und private Leben koordinieren und optimieren, desto größer wird die Anfälligkeit gegenüber Zusammenbrüchen. Die Digitalisierung steigert das Verhältnis zwischen Wohlfahrtsgewinn und Verletzlichkeit, indem sie die Integration der Infrastrukturen vorantreibt und neue Machtstrukturen ermöglicht.

Jeanette Hofmann
Digitale Transparenz

Transparenz ist kein neuer Begriff, sondern im Zusammenhang mit Rechtsstaatlichkeit, Gewaltenteilung oder Demokratie schon lange Gegenstand politischer Theorie und Praxis. Transparenz bedeutet, dass etwa Verwaltungsbehörden relevante Informationen und Daten über ihre Entscheidungsprozesse, Funktionsweisen und Performanz offenlegen. Moderne Informations- und Kommunikationstechnologien machen Transparenzschaffung einfacher, kostengünstiger und schneller und können so zu neuen Formen und einer neuen Qualität von Transparenz in Politik und Verwaltung führen. Open-Data-Portale, Dashboards oder Statusanzeigen sind praktische Beispiele für digitale Transparenz. Zugleich kann insbesondere datenbasierte Transparenz auch als Grundlage und Katalysator für die weitergehende Digitalisierung von Staat und Verwaltung dienen. Dabei geht digitale Transparenz für Staat und Verwaltung, deren Mitarbeiter*innen sowie für Dritte, wie etwa Bürger*innen, auch mit verschiedenen Barrieren und Herausforderungen einher, welche überfordernd wirken und zu Ineffizienzen führen können. Ob und für wen digitale Transparenz tatsächlich einen Gewinn darstellen kann, ist immer auch eine Frage der Perspektive.

Caroline Fischer, Sascha Kraus
Informationsfreiheits- und Transparenzgesetze

Seit Beginn des 21. Jahrhunderts haben Bund und Länder per Gesetz den Zugang zu amtlichen Informationen grundlegend geändert. Mussten zuvor die Bürgerinnen und Bürger begründen, warum sie bestimmte Informationen einsehen wollten, muss nun die verpflichtete Behörde begründen, warum sie ein Zugangsbegehren ablehnt. In allgemeiner Form regeln dies Informationsfreiheitsgesetze (IFG) und Transparenzgesetze (TG). Daneben gibt es bereichsspezifische Gesetze, insbesondere zum Umwelt- und Verbraucherschutz, die auch regulatorische Ziele verfolgen. Der Zugang erfolgt auf Antrag oder per Veröffentlichungspflicht über zentrale Register oder Portale im Internet. In Evaluationsstudien wurde zwar für mehrere Gesetze untersucht, inwieweit, von wem und wozu die Zugangsrechte genutzt werden, am umfassendsten in einer Evaluation des Hamburgischen Transparenzgesetzes. Danach überwiegen private vor politischen Interessen der Nutzerinnen und Nutzer. Inwieweit die als Gesetzeszweck genannten gesellschaftlichen Effekte wie Transparenz und Beteiligung tatsächlich erreicht werden, kann wegen grundsätzlicher methodischer Schwierigkeiten der Gesetzesfolgenabschätzung nicht ermittelt werden. Fehlende empirische Nachweise können ein Grund sein, warum vier Bundesländer noch kein IFG verabschiedet haben.

Herbert Kubicek
Datenschutz

Der Schutz der Persönlichkeit und der Privatsphäre ist im digitalen Zeitalter, wo wir gewollt oder ungewollt überall Datenspuren hinterlassen, wichtiger denn je, aber es ist unklar, mit welchem der verschiedenen Rechtsregime, die in den westlichen Demokratien etabliert worden sind, diese Ziele am besten erreicht werden können. Welcher Ansatz als erfolgreicher einzuschätzen ist, hängt unter anderem von den Kriterien ab, die bei der Analyse angelegt werden. Formal haben wir in Deutschland und Europa die höchsten Standards der Welt, aber ob personenbezogene Daten hierzulande materiell tatsächlich besser geschützt sind als anderswo, ist zumindest fraglich. Insgesamt leidet die Debatte darunter, dass immer wieder über abstrakte Prinzipien gestritten wird, aber empirische Kenntnisse, was diese tatsächlich bewirken, weitgehend fehlen.

Göttrik Wewer
Kritische Infrastrukturen (KRITIS)

Ausgebaute Infrastrukturen sind ein Merkmal eines modernen Staates. Das gilt nicht nur für Straßen, Häfen, Flughäfen und Netze für Versorgung und Entsorgung sowie für Kommunikation, sondern auch für Kindergärten, Schulen, Hochschulen, Krankenhäuser und Altenheime. Jede Infrastruktur ist wichtig, aber nicht alle Infrastrukturen sind kritisch. Als Kritische Infrastrukturen gelten alle privaten und öffentlichen Einrichtungen, bei denen die Versorgung der Bevölkerung und die Innere Sicherheit gefährdet wären, wenn sie ausfallen oder stark beschädigt würden, oder andere dramatische Folgen zu erwarten wären. Ähnlich wie andere Länder hat die Bundesrepublik Deutschland eine Nationale Strategie zum Schutz Kritischer Infrastrukturen (KRITIS-Strategie) formuliert und daraus seit 2009 weitere Maßnahmen abgeleitet, die immer wieder aktualisiert und ergänzt wurden. Informationstechnik und Telekommunikation gehören zu den Sektoren, die allgemein als kritisch im Krisenfall betrachtet werden, während das für Medien und Kultur, also für Rundfunk und Fernsehen, und für Staat und Verwaltung unterschiedlich gesehen wird.

Göttrik Wewer
Cybersicherheit

Die Sicherheit informationstechnischer Systeme zu gewährleisten, ist eine wesentliche Herausforderung moderner Verwaltung unter den Bedingungen der Digitalisierung. Cybersicherheit geht über das technische Kernverständnis von IT-Sicherheit hinaus und schließt Cyberkriminalität ebenso ein wie die internationale Konfliktdimension. Im Überblick über die theoretischen Stränge der aktuellen Debatte wird insbesondere der Ansatz der Versicherheitlichung (Sekuritisierung) vorgestellt, wonach politische Maßnahmen auf dem Feld der Cybersicherheit als Reaktionen auf sozial konstruierte Bedrohungswahrnehmungen zu verstehen sind, die über objektiv existente Risiken der IT-Sicherheit hinausgehen können. Mit Blick auf die internationale Ebene wird zudem beobachtet, dass sich die meisten Staaten bei der Austragung von Cyberkonflikten eher zurückhalten, was nicht nur mit dem chronischen Attributionsproblem zusammenhängt, sondern auch mit sogenannten Proxy-Akteuren, die sich nicht eindeutig staatlichen Stellen zuordnen lassen.

Wolf J. Schünemann
Die datengesteuerte Verwaltung

Neue Datentechnologien wie Big Data Analytics, Künstliche Intelligenz und das Internet der Dinge erlauben Datenerhebung und -auswertung in ungekannter Qualität und Dichte, mit neuen Möglichkeiten der Feingranularität, „Vermaschung“ von Datenquellen und Mustererkennung durch Maschinenlernen. Dadurch eröffnen sich der öffentlichen Verwaltung fortgeschrittene Möglichkeiten zur umfassenden Beobachtung, Analyse, Vorhersage und Automatisierung von Verwaltungshandeln. Die globale Debatte, die sowohl in der Verwaltungspraxis als in der Wissenschaft geführt wird, ist von weitreichenden Versprechen und vehementer Kritik geprägt. Die datengesteuerte Verwaltung kann jedoch je nach gesellschaftspolitischer Orientierung unterschiedlich gestaltet werden.

Basanta E. P. Thapa
Digitale Ungleichheiten und digitale Spaltung

Als digitale Spaltung werden ungleiche individuelle und gruppenspezifische Zugangschancen zu digitalen Informations- und Kommunikationstechnologien verstanden. Digitale Spaltung umfasst neben internationalen Unterschieden bezüglich des Digitalisierungsniveau auch regionale und lokale Ungleichheiten. Der Zugang zu digitaler Infrastruktur ist in Deutschland zum Teil noch rückständig, was sowohl temporär (bei stärkerer Nutzung) als auch regional (auf dem Land) deutlich wird. Insbesondere die Covid-Pandemie, in der Präsenzveranstaltungen durch Videokonferenzen ersetzt werden mussten, zeigte die Notwenigkeit schneller leistungsfähiger Netzanbindung und die Schwächen in der Versorgung mit schnellen Gasfaseranschlüssen in Deutschland. Neben den Zugangsmöglichkeiten als erstem Level der digitalen Spaltung sind als zweites Level die Kenntnisse und Kompetenzen der Bürger∗innen relevant. Diesbezügliche Disparitäten zeigen sich beim Vergleich zwischen Bevölkerungsgruppen wie Jugendlichen und Senioren, Männern und Frauen (Gender Gap), aber auch bei marginalisierter armer Bevölkerung, Gruppen mit Migrationshintergrund oder Menschen mit Behinderungen. Digitale Spaltung überlappt und verstärkt bestehende soziale und partizipative Ungleichheiten. Lösungsvorschläge stellen neben der Anerkennung der digitalen Infrastrukturzugänge als Teil staatlicher Daseinsvorsorge die digitale Gleichheit (Netzneutralität) in den Vordergrund. Zum anderen sollen gemischte (blended) Partizipations- und Bildungsangebote die notwendigen Kennnisse vermitteln.

Norbert Kersting
Digitale Ethik

Die Grundfragen der Moralphilosophie bleiben im digitalen Zeitalter die gleichen wie vorher, aber ein anderer Kontext, die Digitalisierung aller Lebensbereiche, erfordert womöglich neue Antworten darauf. Eine Digitale Ethik soll nicht nur Auswege aus moralischen Dilemmata aufzeigen, vor denen Programmierer oder Internetnutzer stehen können, sondern auch vernünftige Lösungen für Situationen anbieten, in denen Fahrzeuge autonom funktionieren oder Maschinen miteinander kommunizieren. Da immer und überall auch moralische Fragen beantwortet werden müssen, eröffnet die Digitalisierung aller Lebensbereiche für eine Digitale Ethik nahezu unendliche Anwendungsfelder. Da sie noch in den Anfängen steckt, kann Digitale Ethik noch nicht Antworten auf alle Fragen geben, die durch Big Data und Data Analytics, Künstliche Intelligenz und maschinelles Lernen aufgeworfen werden. Wie sich die moralischen Maximen, an denen wir uns orientieren, und die sozialen Normen, was wir von anderen erwarten, aber auch die gesetzlichen Regelungen entwickeln, die daraus abgeleitet werden, ist durchaus offen.

Göttrik Wewer
Digitaler Nachlass

Im digitalen Zeitalter werden die Lebensläufe, Äußerungen und Datenspuren der Menschen, die ständig online sind, nahezu lückenlos dokumentiert. Das hat nicht nur Debatten über ein „Recht auf Vergessen“ ausgelöst, sondern wirft auch die Frage auf, was mit diesen Daten geschieht, wenn der Mensch stirbt, der sie wissentlich oder unwissentlich produziert hat. Dieser digitale Nachlass unterliegt zwar dem allgemeinen Erbrecht, aber nicht alle praktischen Probleme, vor denen Erben von Daten, Konten und Verträgen von Online-Diensten stehen können, sind schon hinreichend gelöst. Der Gesetzgeber hält sich bei diesem Thema derzeit zurück, da die Zahl der Konflikte um einen digitalen Nachlass noch überschaubar ist. Eine proaktive Politik könnte vorsorglich Spielregeln aufstellen, die bei der ausgeprägten Machtasymmetrie, die im Internet herrscht, für einen fairen Ausgleich der Interessen sorgen.

Göttrik Wewer
Digitale Souveränität

Die Forderung nach „digitaler Souveränität“ entspricht dem Wunsch nach Selbstbestimmung im digitalen Zeitalter – des Staates, von Unternehmen und von Bürger*innen. In der aktuellen Debatte wird der Begriff jedoch meist einseitig ausgelegt und seine verschiedenen Dimensionen – die staatliche, die wirtschaftliche und die individuelle – werden nur unscharf voneinander abgegrenzt. Die Unschärfe des Konzepts und die Unsicherheit über die Aufgaben, die Staat und Verwaltung beim Streben nach digitaler Souveränität übernehmen sollen, verhindern eine kohärente Strategie, wie individuelle, ökonomische und staatliche Selbstbestimmung im digitalen Zeitalter bewahrt werden kann.

Julia Pohle
Dateneigentum und Datenbesitz, Datenzugang und Datennutzung

Angesichts der Bedeutung von Daten für die aktuelle und zukünftige Marktentwicklung wäre zu erwarten, dass Daten heute einen rechtlich geklärten Status besitzen. Das ist aber nicht der Fall: Datenschutz bezieht sich nur auf personenbezogene Daten. Einem besonderen Schutz unterliegen auch Ergebnisse schöpferischer Aktivitäten, die unter dem Begriff „Geistiges Eigentum“ gefasst und über Urheberrechte geschützt werden. Aber das klassische Rechtsinstitut, das Eigentumsrecht, greift bei Daten gerade nicht. Denn Eigentum bezieht sich nur auf „Sachen“ und Sachen müssen Körperlichkeit besitzen, eine Eigenschaft, die zwar Datenträgern, aber nicht Daten zugeschrieben werden kann. Angesichts der gegenwärtigen Rechtslage wird in Wissenschaft und Politik diskutiert, ob es in Zukunft ein Dateneigentum („data ownership“) geben sollte. Unter Dateneigentum wird dabei eine gesetzliche Regelung verstanden, die die vollständige Kontrolle (einschließlich des Erwerbs, der Nutzung: Erstellung, Bearbeitung, Modifikation, Auswertung, sowie des Teilens, der Zugriffsbeschränkung, der Überlassung an Dritte) über ein einzelnes Datenelement oder einen Datensatz einem Rechtssubjekt zuschreibt. Die Mehrheit der Diskussionsbeiträge tendiert aktuell dazu, ein solches Dateneigentum nicht als Förderung, sondern als gravierendes Hindernis der wirtschaftlichen Entfaltung einer datenbasierten Ökonomie zu verstehen. Besonders viele Daten werden in Zukunft beim autonomen Fahren anfallen. In der Debatte über diese neue Form der Mobilität wird deutlich, dass Haftungsfragen und die Konkurrenz der beteiligten Unternehmen rechtliche Regelungen ähnlich einem Dateneigentum verlangen könnten.

Frank Nullmeier
Digitalisierung und Nachhaltigkeit

Digitalisierung, Migration und Klimawandel sind die Megathemen unserer Zeit. Sie wurden meist unabhängig voneinander diskutiert, so als hätten sie nichts miteinander zu tun. Erst seit einiger Zeit wird versucht, die Themenfelder Nachhaltigkeit und Digitalisierung aufeinander zu beziehen und in ihrer Wechselwirkung zu betrachten. Dabei geht es im Kern um zwei Fragen, nämlich wie eine intensivierte Digitalisierung die Energiewende und die Verzögerung des Klimawandels unterstützen könnte und wie die digitale Transformation von Wirtschaft, Gesellschaft und Staat selbst nachhaltiger gestaltet werden kann. Die Debatte ist noch im Fluss, deutet aber auf eine gewisse Janusköpfigkeit der Digitalisierung hin: sie kann sich in bestimmten Punkten positiv auswirken, braucht aber andererseits so viele Ressourcen und Energie, dass ihr Gesamtnutzen fraglich erscheint.

Göttrik Wewer

Demokratisches Regieren

Frontmatter
E-Democracy

Das Konzept von E-Democracy basiert auf der Grundidee, dass mit Hilfe der digitalen Technologie demokratische Strukturen, Prozesse und Inhalte verbessert werden und somit vorhandene Legitimationsprobleme der repräsentativen Demokratie gelöst werden können. Der von Euphorie getragenen Debatte der ersten Jahrzehnte stehen in den letzten Jahren allerdings zunehmend skeptische Stimmen gegenüber. Diese normativen Ausschläge in beide Richtungen verstellen nicht selten einen netzrealistischen Blick auf den Untersuchungsgegenstand. Umgesetzt finden sich mittlerweile vor allem zwei Varianten von E-Democracy: fortgeschrittene hybride Modelle, bei denen online- und offline-Prozesse (fast) gleichberechtigt existieren (Estland, Finnland, Vereinigtes Königreich) oder – und dies sind die meisten Fälle – die Übernahme elektronischer Tools als Ergänzung repräsentativ-demokratischer Prozesse.

Marianne Kneuer
Online-Partizipation von Bürgerinnen und Bürgern

Die Digitalisierung in Staat und Verwaltung schafft neue Möglichkeiten, Bürgerinnen und Bürger in Entscheidungsprozesse einzubinden. Über Formen von Online-Partizipation können politische Entscheidungen stärker legitimiert und auch qualitativ verbessert werden. Wie bisherige Erfahrungen zeigen, sind diesen Möglichkeiten zugleich Grenzen gesetzt – rechtliche, (verwaltungs-)technische, aber auch solche, die die Bereitschaft betreffen, Online-Partizipation anzubieten und an ihr teilzunehmen.

Stefan Marschall, Katrin Möltgen-Sicking
Elektronische Wahlen und Abstimmungen (Electronic Voting)

Electronic Voting (E-Voting) bezeichnet die Teilnahme an Wahlen und Abstimmungen mithilfe elektronischer Geräte. Derzeit ist es (noch) nicht möglich, die hierfür im Grundgesetz genannten rechtlichen Vorgaben gleichzeitig in einem rein elektronischen Verfahren vollständig einzuhalten. Deutlich freier als bei gesetzlich vorgeschriebenen Wahlen und Abstimmungen auf staatlicher Ebene gestaltet sich der Einsatz von E-Voting im Rahmen von Wahlen und Abstimmungen bei Trägern der Selbstverwaltung wie z. B. den Kommunen und Universitäten. Eine elektronische Stimmabgabe bietet das Potenzial, Wahlen und Abstimmungen schneller und kostengünstiger durchzuführen, die Beteiligung zu erhöhen und Fehler bei der Stimmauszählung zu verhindern. Die Corona-Pandemie hat neue Impulse für E-Voting gegeben, da dadurch im Sinne des verbesserten Infektionsschutzes eine kontaktlose Stimmabgabe ermöglicht wird.

Frank Bätge, Thomas Weiler
Liquid Democracy

Liquid Democracy ist ein Alternativkonzept zur repräsentativen und direkten Demokratie, das die Vorteile von Repräsentation und direktdemokratischer Entscheidung integriert. Es bietet eine Möglichkeit, dauerhaft oder von Fall zu Fall die eigene Stimme entweder selbst abzugeben oder an andere zu delegieren. Im Zuge der Verbreitung digitaler Technologien ist Liquid Democracy praktisch umsetzbar geworden: Anwendungsbeispiele in Deutschland konzentrieren sich bisher auf Software-Angebote wie Adhocracy und LiquidFeedback. Während Pilotprojekte eine beachtliche mediale Aufmerksamkeit auf sich ziehen konnten, war die Bürgerbeteiligung eher zurückhaltend. So geht ihr Einsatz in deutschen Kommunalverwaltungen zurück, während international und mithilfe innovativer Angebote wie der Blockchain-Technologie schon wieder neue Umsetzungsfelder für Liquid Democracy erschlossen werden.

Julia Schwanholz, Lavinia Zinser
Elektronische Gesetzgebung

Elektronische Gesetzgebung bezeichnet ein durchgängig elektronisches Verfahren vom Textentwurf bis zur Verkündung eines Gesetzes, das Format- und Medienbrüche vermeiden und sowohl den Aufwand als auch die Fehleranfälligkeit einzelner Prozessschritte verringern soll. Sie kann – abhängig von ihrer konkreten Ausgestaltung und ihrer Akzeptanz durch die am Verfahren beteiligten Akteure – zu einer Verbesserung der Qualität der Gesetzgebung beitragen.

Axel Piesker, Patrick Schweizer, Carolin Steffens
Soziale Medien (Social Media)

Weltweit hat die Nutzung von Social Media im Zeitverlauf grundsätzlich an Bedeutung gewonnen. Die Coronapandemie und die damit einhergehende heterogene Informationstage hat diese Entwicklung zusätzlich befördert (Kroker, Deutschland Digital 2021: 66 Mio. Social-Media-Nutzer – plus 13 % gegenüber 2020. https://blog.wiwo.de/look-at-it/2021/02/17/deutschland-digital-2021-66-millionen-social-media-nutzer-plus-13-prozent-gegenueber-2020. Zugegriffen am 16.01.2022, 2021a). In Deutschland lag die Nutzung von Social Media im Jahr 2018 bei 31 % (Newman et al., Reuters institute digital news report 2018. Oxford: Reuters Institute for the Study of Journalism/University of Oxford. http://​media.​digitalnewsrepor​t.​org/​wp-content/​uploads/​2018/​06/​digital-news-report-2018.​pdf?​x89475. Zugegriffen am 03.11.2018, 2018) und ist bis zum Jahr 2021 auf 78,8 % gestiegen (Kroker, Corona beschleunigt Social-Media-Wachstum: 4,2 Mrd. User – plus 1,3 Mio. am Tag. https://blog.wiwo.de/look-at-it/2021/01/28/corona-beschleunigt-social-media-wachstum-42-milliarden-user-plus-13-millionen-am-tag. Zugegriffen am 16.01.2022, 2021b). Staat und Verwaltung sind folglich zunehmend mit der öffentlichen Erwartungshaltung konfrontiert, via Social Media (insb. Facebook, Instagram und Twitter) eine bessere Kommunikation (schneller, transparenter, responsiver, unbürokratischer) mit Bürgern zu realisieren. Bei genauer Betrachtung zeigt sich allerdings, dass die erhoffte kommunikative Bürgernähe weitgehend ausbleibt. Professionelle Kommunikation wird primär in jenen Bereichen forciert, in denen Staat und Verwaltung auf Bürger als „systemunterstützende Ressource“ zurückgreifen möchten (z. B. Mithilfe bei Onlinefahndung, Personalrekrutierung, Legitimationsbeschaffung, Corona-Impfbereitschaft als „Überlastungsschutz“ des Gesundheitssystems).

Mathias König, Wolfgang König
Civic Tech
ein Beispiel für Bürgerzentrierung und Bürgerbeteiligung als Leitbild der Verwaltungsdigitalisierung

Civic Tech beschreibt Anwendungen, durch die Bürger*innen sich einfacher engagieren und informieren können. Neu an Civic Tech ist ihre potenzielle Nutzerreichweite und die Bandbreite an Anwendungsfällen durch die Nutzung von offenen Daten. Civic Tech als Leitbild der Verwaltungsdigitalisierung impliziert, dass die Verwaltung stärker bürgerzentriert Arbeitet und die Entwicklung von Softwareanwendungen im Sinne von Civic Tech unterstützt, etwa durch offene Daten.

Stefan Baack, Christian Djeffal, Juliane Jarke, Hendrik Send
Co-Creation von digitalen öffentlichen Dienstleistungen

Die Beteiligung zukünftiger Nutzer_innen an der Entwicklung von digitalen Informationssystemen ist in Organisationen nicht neu, aber im Rahmen von E-Government-Diensten noch selten. Die für E-Government zuständigen Minister_innen der EU-Mitgliedstaaten sehen in einer stärkeren Beteiligung von Bürger_innen an der Entwicklung digitaler Dienste einen entscheidenden Faktor, um die bisher geringe Nutzung zu überwinden. Bereits 2009 wurde in einem Benchmark Report ein Modell der Reifegrade der Entwicklung von E-Government-Diensten vorgestellt (European Commission 2009): Auf die Stufe einer Orientierung an den Bedürfnissen zukünftiger Nutzer_innen als verwaltungsgesteuerte Nutzerbeteiligung („government-driven“) folgt als der höchste Reifegrad eine nutzer-gesteuerte Nutzerbeteiligung („user-driven“). Die Europäische Kommission verwendet in ihrem Forschungs- und Innovationsprogramm Horizon 2020 für diese Stufe den Begriff „Co-Creation“, der jedoch meist nicht genauer definiert wird. Der Beitrag versucht vor diesem Hintergrund, eine Einordnung des Begriffs, die Herausarbeitung zentraler Elemente und eine Bestimmung geeigneter Anwendungsbereiche.

Juliane Jarke, Herbert Kubicek
Mobilisierung von Recht durch Legal Technologies

Die Automatisierung von Rechtsdienstleistungen durch Legal Technologies erleichtert die digitale Rechtsmobilisierung. Rechtsdienstleister, die im Zuge der erweiterten technischen Möglichkeiten Massenklagen initiieren, werden zu neuen Akteuren der Interessenvermittlung. Dies findet auch in solchen Politikfeldern statt, wo man es eigentlich nicht erwarten würde, z. B. in der Sozialpolitik. Regulierungsversuche stellen darauf ab, das Phänomen gleichzeitig zu ermöglichen und zu kanalisieren. Insbesondere wird versucht, den Einfluss kommerzieller Rechtsdienstleister zu begrenzen und stattdessen die Klagebefugnisse von Verbänden zu stärken.

Britta Rehder, Katharina van Elten, Birgit Apitzsch
Elektronische Parlamentsarbeit (eParliament)

Die digitale Transformation von Exekutive und Judikative legt nahe, dass sich auch die andere Staatsgewalt auf diesen Weg macht. Die Legislative hat bereits einige Schritte hin zum „elektronischen Parlament“ gemacht, verfolgt aber keine mittel- oder längerfristige Strategie, an deren Ende eine nahezu vollständige elektronische Parlamentsarbeit stehen könnte. Dieses tastende Vorgehen des Bundestages und der Landtage ist den Besonderheiten von Volksvertretungen geschuldet, die aus frei gewählten Abgeordneten und verschiedenen Fraktionen bestehen. Die Corona-Pandemie hat hier und da zu Experimenten mit hybriden und virtuellen Sitzungen, Abstimmungen und Beschlüssen geführt. Inwieweit solche Formen erhalten bleiben oder sogar noch ausgebaut werden, wenn die Krise vorüber ist, muss abgewartet werden.

Göttrik Wewer
Digitale Identitäten

Digitale Identitäten sind Schlüsseltechnologien der Digitalisierung. Sie ermöglichen den Zugang zu digitalen Dienstleistungen im öffentlichen und privaten Sektor. Ihre großen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Potenziale für digitale Geschäftsmodelle und die digitale Verwaltung, aber auch ihre Risiken für den Datenschutz und die Sicherheit ihrer Inhaber:innen, erfordern eine koordinierte Strategie für deren Einsatz in Staat und Verwaltung. Im Kontext eines bestimmten Dienstes sind digitale Identitäten zwar immer eindeutig. In der Regel hat eine Person aber nicht nur eine, sondern mehrere solcher Identitäten. In Deutschland stellt der elektronische Personalausweis, der den höchsten europäischen Vertrauensansprüchen genügt, den Kern des staatlichen Identitätsmanagements dar. Da eigene Systeme auch für eine digitale Souveränität Europas unverzichtbar sind, aber nicht allein von Staat und Verwaltung, sondern nur zusammen mit der Wirtschaft aufgebaut werden können, wird über den Aufbau von interoperablen Ökosystemen digitaler Identitäten in der Europäischen Union nachgedacht.

Isabel Skierka

Akteure und Institutionen

Frontmatter
Europäische Kommission

Die Europäische Union (EU) ist weder ein Bundesstaat noch ein Staatenbund, sondern ein Gebilde sui generis, ein Verbund von Staaten, die alle ihre eigenen Interessen vertreten, was es schwer macht, das ökonomische und politische Gewicht, das der alte Kontinent eigentlich hat, in weltpolitischen Einfluss umzumünzen. Wenn die EU sich im digitalen Zeitalter behaupten, ihre Werte verteidigen und ihren Wohlstand bewahren will, dann muss sie technologisch wettbewerbsfähig sein, insbesondere gegenüber den USA und der Volksrepublik China. Die Europäische Kommission bemüht sich, einen einheitlichen digitalen Binnenmarkt zu schaffen und die erheblichen Unterschiede bei der digitalen Transformation von Wirtschaft, Gesellschaft und Staat zwischen den Mitgliedstaaten auszugleichen, um im globalen Wettbewerb bestehen zu können. In der operativen Umsetzung der Beschlüsse des Europäischen Rates der Staats- und Regierungschefs und des Europäischen Parlaments ist sie der wichtigste politische Akteur auf diesem Feld. Die amtierende Kommission, die für die Jahre 2019 bis 2024 bestellt ist, hat nicht nur einen Green Deal angekündigt, wonach der Kontinent bis 2050 klimaneutral produzieren will, sondern auch eine „digitale Dekade“ ausgerufen, in der die Union bis 2030 die technologischen Vorsprünge der beiden Weltmächte aufholen will.

Göttrik Wewer
Diskurse der Digitalisierung und organisationaler Wandel in Ministerien

Mit der Digitalisierung verändert sich die Organisationsstruktur der Ministerialverwaltung. Dabei kann unterschieden werden zwischen digitalen Zuständigkeiten, die sich auf die Einführung digitaler Technologien in der Verwaltung beziehen, und digitalpolitischen Zuständigkeiten, bei denen es um die politische Gestaltung der digitalen Transformation geht. Anhand von Organigramm-Historien lässt sich der Aufbau und Wandel operativer und strategischer Zuständigkeiten in den Bundesministerien zwischen 1995 und 2016 rekonstruieren und auf diskursive und verwaltungsspezifische Faktoren zurückführen.

Maximilian Hösl, Florian Irgmaier, Ronja Kniep
Digitalisierung der Ministerialverwaltung

Die Digitalisierung erfasst auch die politisch planende und steuernde Ministerialverwaltung, die durch ausgeprägte traditionelle Strukturprinzipien gekennzeichnet ist. Aus einer Innenperspektive bieten digitale Anwendungen neue Möglichkeiten für Arbeitsstrukturen und Entscheidungsprozesse. Ausgewählte digitale Applikationen, die in den Ministerien des Bundes zum Einsatz kommen, können eventuell neue Handlungskorridore innerhalb sowie zwischen Ministerien und anderen Akteuren schaffen, Hierarchien abflachen und intra-/interministerielle Kommunikation verstärken.

Nadin Fromm, Stefanie Vedder
Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI)

Durch die digitale Transformation werden Wirtschaft, Gesellschaft und Staat immer abhängiger davon, dass die technischen Systeme störungsfrei funktionieren. Um ihre eigenen Netze und IT-Systeme vor Störungen, Sabotage und Spionage zu schützen, hat die Bundesregierung schon relativ früh eine spezialisierte Behörde gegründet, die auch die Wirtschaft auf diesem Gebiet unterstützt und für interessierte Bürgerinnen und Bürger Ratgeber, Leitfäden und ähnliche Materialien zum IT-Grundschutz bereithält. Das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) analysiert ständig die Lage der IT-Sicherheit und warnt öffentlich bei konkreten Gefahren. Es ist heute die zentrale Cyber-Sicherheitsbehörde in Deutschland, die aufgrund ihrer fachlichen Kompetenz national und international hohes Ansehen genießt.

Göttrik Wewer

Zur Zeit gratis

IT-Planungsrat

In föderalen Systemen wie der Bundesrepublik Deutschland muss der Ausbau des digitalen Verwaltens zwischen Bund, Ländern und Gemeinden koordiniert werden, wenn deren Behörden technisch miteinander kommunizieren wollen und ein gewisser Gleichschritt in der Entwicklung erreicht werden soll. Diese Aufgabe ist dem IT-Planungsrat von Bund und Ländern auf der Grundlage des neuen Artikel 91c des Grundgesetzes vor knapp zehn Jahren per Staatsvertrag übertragen worden. Seine Bilanz ist gemischt: Der Rat hat seither vieles auf den Weg gebracht, aber im Vergleich mit anderen Staaten liegt Deutschland beim E-Government noch immer bestenfalls im Mittelfeld. Die gesetzliche Vorgabe, bis 2022 alle öffentlichen Dienstleistungen auch online anzubieten, und der im Aufbau befindliche Portalverbund, über den diese Leistungen einfach zugänglich werden sollen, können hier womöglich spürbare Fortschritte bringen.

Hans-Henning Lühr
Digitalisierung auf Länderebene

Das Gestaltungsmandat der Länder bei der Digitalisierung ist umstritten. In der Föderalismusforschung gelten sie einerseits als innovationsfördernd. Andererseits hat der Bund angesichts der unzureichenden Digitalisierung der Verwaltung in Deutschland Entscheidungsrechte erhalten, um Standardisierungen durchzusetzen. Die Analyse der Digitalisierungsstrategien der Landesregierungen lässt ein dynamisches Wechselspiel zwischen regionaler Differenzierung und Konvergenzprozessen erkennen. Mit ihren Digitalisierungsstrategien und Steuerungsarrangements haben die Länder bislang vor allem auf der Darstellungsebene eine sichtbare Reaktion gezeigt. In der Corona-Pandemie zeigt sich, welche Entwicklungen eher kurzfristige Trends bleiben und in welchen Foren die Digitalisierung auf Länderebene zukünftig verhandelt wird.

Alexander Berzel
Datenschutzaufsicht

Die digitale Transformation von Wirtschaft, Gesellschaft und Staat fordert die Datenschutzaufsicht grundlegend heraus: Die Erfassung von immer mehr personenbezogenen Daten und neue datenbasierte Geschäftsmodelle müssen mit dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung in Einklang gebracht werden. Durch die Digitalisierung hat Datenschutz eine enorme politische Aufwertung erfahren, wie durch die Europäische Datenschutzgrundverordnung deutlich wurde. Doch auch bei einheitlichen rechtlichen Grundlagen können sich unterschiedliche Aufsichtsstile herausbilden, wie die Behördenpraxis im föderalen Deutschland zeigt. Verschiedene Aufsichtsstile haben jeweils Vor- und Nachteile. Sie leisten auch einen Beitrag zur Herausbildung einer Datenschutzkultur.

Magnus Römer, Lena Ulbricht
Digitalisierung von Verwaltungsleistungen in Bürgerämtern

Die Digitalisierung der öffentlichen Leistungserbringung für die Bürger bildet gegenwärtig einen Schwerpunkt der Modernisierungsaktivitäten in Staat und Verwaltung. Hinsichtlich der digitalen Informationsbereitstellung hat es zwar deutliche Fortschritte gegeben, insgesamt zeigt sich jedoch eine allenfalls moderate „E-Government-Performanz“ bei der digitalen Kommunikation zwischen Verwaltung und Bürgern sowie bei Transaktionen, d. h. der medienbruchfreien Abschließbarkeit von Verwaltungsvorgängen. Als wesentliche Gründe für die ernüchternde Bilanz der lokalen Verwaltungsdigitalisierung sind neben technischen, rechtlichen, finanziellen und personellen Barrieren insbesondere politische und institutionelle Hürden zu nennen. Viele Probleme sind zudem auch bei E-Government-Funktionen (z. B. der Online-Formulare oder elektronischen Bezahlmöglichkeiten) zu verzeichnen. Positiv schneidet dagegen die elektronische Terminvergabe ab, die in den Bürgerämtern zu wesentlichen Prozess- und Serviceverbesserungen geführt hat. Allerdings sind neben positiven Effekten, wie beispielsweise schnelleren Bearbeitungszeiten und kürzeren Wartezeiten, auch dysfunktionale Digitalisierungseffekte zu verzeichnen, wie erhöhter Arbeitsstress aufgrund eines gestiegenen Kommunikationsaufkommens (v. a. durch Email) und der damit einhergehenden Verlagerung des Arbeitsaufkommens vom Frontoffice ins Backoffice.

Christian Schwab, Jörg Bogumil, Sabine Kuhlmann, Sascha Gerber
Watchdog-Organisationen
Der Staat unter Beobachtung

In Deutschland und anderen Ländern existieren Nichtregierungsorganisationen (NGOs) wie Abgeordnetenwatch, LobbyControl oder Transparency International, die Missstände in Politik und Verwaltung aufdecken und Machtmissbrauch verhindern wollen. Durch die Digitalisierung haben sich für derartige Watchdog-Organisationen die Möglichkeiten, Informationen zu sammeln, zu verarbeiten, aufzubereiten und zu verbreiten, erheblich verbessert. Zudem sind neue Typen solcher „Wachhunde der Demokratie“ entstanden, die Internet und Social Media nicht bloß zur Informationsverbreitung nutzen, sondern die interaktive Online-Tools entwickelt haben, um politisch-administrative Akteure zu befragen oder politische Kampagnen zu verschiedenen Themen zu organisieren. Aufbauend auf einer genaueren Begriffsklärung gibt der Beitrag einen Überblick über die Chancen und Gefahren, die sich im digitalen Zeitalter aus den Aktivitäten von Watchdog-NGOs für das Bürger-Staat-Verhältnis ergeben.

Karsten Mause

Zur Zeit gratis

Elektronische Justiz (E-Justice)

Wie die Exekutive und die Legislative befindet sich auch die Judikative in allen Gerichtszweigen mitten in einer digitalen Transformation. Eine herausgehobene Rolle spielt dabei der elektronische Rechtsverkehr, d. h. der rechtsverbindliche Austausch von Dokumenten zwischen Gerichten sowie Behörden, Bürgern, Anwälten und Notaren. Damit die digital ausgetauschten Schriftsätze medienbruchfrei weiterbearbeitet werden können, werden die Gerichte zunehmend mit E-Aktensystemen ausgestattet. Wichtige Voraussetzungen für eine erfolgreiche Digitalisierung der Justiz sind die technisch und rechtlich sichere Übertragung der Daten sowie Schnittstellen zwischen den verschiedenen Systemen, die einen ungehinderten, medienbruchfreien Datenaustausch ermöglichen. Um dies sicherzustellen, sind umfangreiche inhaltliche Abstimmungen zwischen den Ländern und dem Bund vorgenommen und zahlreiche Vorschriften erlassen worden. Hoffnungen auf substanzielle Effizienzgewinne haben sich bislang noch nicht erfüllt. Zahlreiche technische Probleme sind vorher noch zu lösen.

Göttrik Wewer, Nicolai Dose
Die digitale Transformation im Öffentlichen Gesundheitsdienst

Der Öffentliche Gesundheitsdienst (ÖGD) bildet neben der ambulanten und stationären medizinischen Versorgung die sogenannte dritte Säule des Gesundheitswesens. Mit zentralen Aufgaben wie der Förderung und dem Schutz der öffentlichen Gesundheit der Bevölkerung steht der ÖGD vor wachsenden Herausforderungen – etwa dem Klimawandel, künftigen Infektionsgeschehen und Fluchtbewegungen. Um diesen Herausforderungen adäquat zu begegnen, muss der ÖGD umfassende digitale Transformationsprozesse durchlaufen. Mit dem „Pakt für den Öffentlichen Gesundheitsdienst“ wurde eine Vielzahl von Digitalisierungsprojekten initiiert. Diese zielen auf eine systematische Entwicklung digitaler Standards, die Förderung digitaler Kompetenzen sowie die digitale Vernetzung im ÖGD. Dieser Beitrag arbeitet Herausforderungen für eine nachhaltige Gestaltung des Transformationsprozesses im föderalen Mehrebenensystem des ÖGD heraus.

Frank Naundorf, Malin Roppel, Dagmar Starke

Politikfelder und Instrumente

Frontmatter
Digitalpolitik

Aus der Digitalisierung von Wirtschaft, Gesellschaft und Politik erwachsen vielfältige Herausforderungen. Das politische Handlungsfeld, das auf die Bearbeitung, Steuerung und Gestaltung dieses Bereichs in seiner inhaltlichen, institutionellen und prozessualen Dimension abzielt, ist die Digitalpolitik. Dieser Gegenstands- und Problembereich stellt jedoch kein etabliertes, eigenständiges Politikfeld dar. Zwar findet eine Institutionalisierung auf Bundesebene statt, allerdings bleibt die konkrete Ausgestaltung von Zuständigkeiten und Entscheidungskompetenzen auf der Suche nach einer wirksamen Steuerung und koordinierten Gestaltung der digitalen Transformation weiterhin volatil.

Samuel Greef
Die Auswirkung von Digitalisierung auf Bildungs- und Sozialpolitik

Die Auswirkungen der digitalen Transformation auf die Arbeitsmärkte lassen eine zunehmende Ungleichheit und Polarisierung erwarten. Als Gegenmittel werden unterschiedliche Policy-Lösungen wie Weiterbildung, lebenslanges Lernen, aktive Arbeitsmarktpolitik und das bedingungslose Grundeinkommen diskutiert. Die Implikationen der globalen Covid-19-Pandemie verstärken den sozialpolitischen Handlungsdruck, schränken die Handlungsräume aber potenziell ein. Politische Faktoren und Entscheidungen dürften einen maßgeblichen Einfluss darauf haben, ob die Digitalisierung zu einer Verschärfung sozio-ökonomischer Ungleichheit beiträgt oder diese lindert.

Marius R. Busemeyer
Digitalisierung von Schule, Schulverwaltung und Schulaufsicht

Im Bildungsbereich haben Prozesse der Datafizierung und Digitalisierung zu einem nachhaltigen Wandel von Staat und Verwaltung geführt, der sich in der zunehmenden Bedeutung komplexer Informationssysteme und zentralisierter Infrastrukturen des Datenmanagements sowie in der wachsenden Nutzung von Daten für Zwecke des Bildungsmonitorings zeigt. Trotz dieses allgemeinen Trends finden sich gerade im deutschen bildungsföderalen Kontext ohne originäre Zuständigkeit des Bundes gravierende Unterschiede zwischen den Bundesländern. Gleichzeitig mangelt es nach wie vor an Transparenz, Partizipationsmöglichkeiten sowie Kompetenzen im Umgang mit Daten (Data Literacy).

Sigrid Hartong, Andreas Breiter, Juliane Jarke, Annina Förschler
Digitalisierung im Gesundheitssektor

Deutschland liegt bei der Digitalisierung des Gesundheitssektors hinter vergleichbar entwickelten Sozialstaaten zurück. Im Zuge der Corona-Pandemie erfuhren jedoch viele bereits seit langem verfolgte, aber bislang nur zögerlich implementierte Digitalisierungsvorhaben eine deutliche Beschleunigung. Darunter z. B. Videosprechstunden, digitale Rezepte oder digitale Melderegister für Krankenhauskapazitäten. Disruptive Neuerungen im eigentlichen Sinne blieben aber aus. Zudem lässt sich zum gegenwärtigen Zeitpunkt schwer abschätzen, wie nachhaltig die neuen digitalen Prozesse und Strukturen die tradierte analoge Welt der Gesundheitsversorgung in Deutschland verändern werden. Die Verantwortung für die Digitalisierung des Gesundheitssektors liegt maßgeblich bei den Leistungserbringern und Krankenkassen, die aufgrund ihrer Selbstverwaltungsrechte hier eine besondere Autonomie genießen. Zwischen Leistungserbringern, Krankenkassen und Patient:innen bestehen starke Interessenkonflikte, die durch die Ökonomisierung des Gesundheitssektors in den vergangenen Jahren weiter an Schärfe gewonnen haben. Die institutionelle Ausgestaltung der Steuerung im Gesundheitswesen gibt jedoch nur wenige Anreize, diese Interessenkonflikte zu lösen. Insbesondere Verteilungsfragen (wie die Finanzierung von Investitionen und die Vergütung von digitalen Gesundheitsangeboten) und Koordinationsfragen (wie die Sicherstellung von Interoperabilität) können nur bedingt gemeinwohlorientiert durch Verhandlung und Wettbewerb gelöst werden und bedürfen staatlich-hierarchischer Intervention.

Moritz E. Behm, Henry Alexander Wittke, Tanja Klenk
Smart Cities

Smart Cities sollen mit digitalen Netzwerk- und Kommunikationstechnologien die Arbeit von Stadtplanung und Stadtregierung ökonomisch wettbewerbsfähig und effizient gestalten, die Lebensqualität der BürgerInnen und die Responsivität von Politik und Verwaltung erhöhen sowie eine ökologisch nachhaltigere Stadt verwirklichen. Komplexe Gesellschaften sollen durch das Versprechen digitaler Technologien besser steuerbar bleiben und eine direktere Einbindung der BürgerInnen ermöglichen. Gleichzeitig drohen durch die Technologie- und Wachstumsfixierung der bisherigen Umsetzungen soziale und ökologische Ziele zu Feigenblättern degradiert zu werden.

Felix Butzlaff
Digitale Polizeiarbeit

Aus der fortschreitenden Digitalisierung ergeben sich sowohl Potenziale als auch Herausforderungen für die Polizeiarbeit. Einerseits können elektronische Hilfsmittel die Erfüllung der Aufgaben erheblich erleichtern, andererseits rüsten auch Kriminelle technologisch beständig auf. In diesem Spannungsfeld werden Handlungsspielräume der Polizei zuweilen eingeschränkt, da bestimmte Techniken – wie die automatisierte Bild- und Videoanalyse oder vorhersagende Polizeiarbeit – umstritten sind. Daneben ergeben sich im Zusammenhang mit der durch das Coronavirus SARS-CoV-2 ausgelösten Pandemie diverse neue Aufgaben und in vielen Bereichen veränderte Rahmenbedingungen für die Polizeiarbeit, die digitale Technologien weiter in den Fokus rücken.

Constantin Houy, Oliver Gutermuth, Sharam Dadashnia, Peter Loos
Der Staat als Hacker

Staatliches Hacking ist im Instrumentarium der deutschen Sicherheitsbehörden angekommen – mit gesetzlichen Befugnissen für Polizeien und Nachrichtendienste, mit Entwicklung oder Einkauf entsprechender Technologien („Staatstrojaner“) und ersten Einsatzerfahrungen. Gleichzeitig ist staatliches Hacking mit erheblichen Risiken für die Betroffenen und die Gesellschaft insgesamt verbunden, insbesondere wegen der Ausnutzung von Schwachstellen in Software. Staatliches Hacking wird dauerhaft ein zentrales Spannungsfeld zwischen der Förderung von IT-Sicherheit auf der einen und der Durchbrechung von IT-Sicherheit auf der anderen Seite darstellen.

Martin Schallbruch
Der elektronische/digitale Personalausweis im internationalen Vergleich (E-ID)

Die Identitätsfeststellung ist essenzieller Bestandteil zahlreicher Rechtsgeschäfte, Interaktionen mit Behörden und Amtsträgern, sowie des grenzübergreifenden Reiseverkehrs. Während der Identifikationsnachweis im physischen Raum durch hoheitlich ausgestellte Ausweisdokumente (in Deutschland Reisepass und Personalausweis) erfolgt, spielt der „elektronische Personalausweis“ im Rahmen der digitalen Identitätsfeststellung hierzulande nur eine untergeordnete Rolle. Obwohl die Corona-Pandemie vielerorts als notwendiger Katalysator für die Verbreitung hoheitlich ausgestellter, digitaler Identitätsnachweise fungierte, bleibt die Entwicklung in Deutschland deutlich hinter der in anderen EU-Staaten zurück. Dieses Kapitel zeigt die Vielfalt der europäischen e-ID-Formate auf, und diskutiert im Kontext von Theorien technologischer Übergänge, warum es Deutschland verpasst hat, das durch die Pandemie geschaffene Potenzial zu nutzen, um seiner hoheitlichen Aufgabe nachzukommen. Im Vergleich mit anderen Nationen scheinen die Ursachen hierfür vor allem in den Faktoren fehlende Bekanntheit, Risikowahrnehmung, Föderalismus und mangelnder Nutzerfreundlichkeit zu liegen.

Sebastian Hemesath, Lasse Gerrits
Digitale Betriebsprüfung

Betriebsprüfungen bezeichnen die rechtlich legitimierte Überprüfung der von einem Steuerpflichtigen entrichteten Steuern durch die Finanzverwaltung, die grundsätzlich sämtliche Steuerarten umfassen kann. Aufgrund der zunehmend digitalen Aufzeichnung der relevanten Geschäftsvorfälle in einem Unternehmen hat sich bereits frühzeitig der Bedarf einer digitalen Betriebsprüfung gezeigt. Inzwischen entstehen durch die Digitalisierung weitere Möglichkeiten, die sich nicht nur in einer Vollprüfung sämtlicher steuerlich relevanter Daten eines Betriebs zeigen, sondern auch einen Wandel des Selbstverständnisses der Finanzverwaltung in Richtung einer Dienstleistungsorientierung eröffnen. Gleichzeitig fördern und fordern neue gesetzliche Rahmenbedingungen die Digitalisierung der Betriebsprüfung.

Peter Fettke
Digitale Daseinsvorsorge

Die Aufgaben des Staates und der Kommunen unterliegen seit jeher einem Wandel aufgrund von technischen Möglichkeiten. Mit der Digitalisierung verändern sich zahlreiche klassische Staats- und Verwaltungsaufgaben, neue Aufgaben kommen hinzu. „Digitale Daseinsvorsorge“ umschreibt den Wandel der Funktion des Staates in der technisierten Informationsgesellschaft, die Bevölkerung mit essentiellen Gütern, Diensten und Infrastrukturen zu versorgen. Es handelt sich neben dem Infrastrukturausbau (Glasfaser) um das relevante Politikfeld der kommenden Jahre.

Sönke E. Schulz
Koordination und Integration im E-Government

Der föderale Staatsaufbau und die konsensorientierten Institutionen des deutschen Regierungssystems schaffen einen hohen Koordinationsbedarf und erschweren die Integration neuer Technologien und Politiken in bestehende Strukturen. Dies zeigt sich auch beim E-Government, also der Digitalisierung der Verwaltung. Besonders die föderale Organisation von Verwaltungszuständigkeiten verkompliziert die Koordination beim E-Government, während beispielsweise im Gesundheitsbereich die konsensorientierten Institutionen die Einführung technischer Innovationen verlangsamen. Gewisse Fortschritte Deutschlands sind im internationalen Vergleich gleichwohl zu erkennen.

Thurid Hustedt, Philipp Trein
Automatisierte Rechtsprechung

Während sich verschiedene Berufs- und Tätigkeitsfelder unter dem Einfluss der Digitalisierung bereits grundlegend verändert haben, ergibt sich bei der Justiz (bislang) noch ein anderes Bild. Die gerichtliche Verfahrens- und Entscheidungspraxis verzichtet nach wie vor weitgehend auf die Zuhilfenahme komplexerer digitaler (Hilfs-)Mittel zum Zwecke der Automatisierung. Angesichts der angespannten Personalsituation sowie der in Umfang und weiteren Dimensionen steigenden Arbeitsbelastung rückt die Frage nach Möglichkeiten einer Automatisierung allerdings zunehmend in den Fokus rechtspolitischer Debatten. Eine „Automatisierte Rechtsprechung“ ist vor dem Hintergrund der verfügbaren Technik und bestehender rechtlicher Rahmenbedingungen in absehbarer Zeit gleichwohl nicht zu erwarten. Mit Blick auf die wesentliche Bedeutung der Rechtsprechung für den demokratischen Rechtsstaat ist eine frühzeitige und enge wissenschaftliche Begleitung ihrer digitalen Transformation dennoch unerlässlich.

Boris Paal, Niklas Wais
Digitalisierung und Steuerpolitik

Die zunehmende Bedeutung digitaler Geschäftsmodelle stellt die Steuerpolitik vor Herausforderungen. Den großen Digitalkonzernen wird immer wieder vorgeworfen, sich der Besteuerung ihrer Gewinne zu entziehen. Infolge wachsenden politischen und öffentlichen Drucks rückt für 2023 jedoch eine umfassende Reform der internationalen Unternehmensbesteuerung in greifbare Nähe. Die Europäische Kommission und die OECD haben Reformvorschläge vorgelegt, die die praktischen Probleme lösen könnten, aber noch nicht alle offenen Fragen beantworten.

Florian Neumeier
Pflege und Digitalisierung

Der Beitrag thematisiert die Digitalisierung der Wohlfahrtsproduktion und der sozialraumorientierten Daseinsvorsorge in der Pflege. Digitalisierung hat durch zahlreiche gesetzliche Vorgaben, Förder- und Modellprogramme aber auch durch trägerspezifische Investitionsstrategien Einzug in die Pflege gehalten. Entlang von drei Zugängen – Steuerung der Pflegeversorgung (Governance), Fachlichkeit der Pflege (professionelle Advocacy) und Versorgungspraxis (Care-Kultur) – werden konzeptionelle Grundlagen, Anwendungsfelder und Auswirkungen der Digitalisierung in ihren Perspektiven für Staat und Verwaltung diskutiert.

Michaela Evans, Denise Becka
Geschlechtergerechte Digitalisierung in Staat und Verwaltung – erste Ansätze und Anregungen

Strukturelle Benachteiligungen führen dazu, dass die Verwirklichungschancen von Frauen und Männern auf dem Arbeitsmarkt nach wie vor nicht gleich verteilt sind. Die digitale Transformation birgt Chancen, diese Ungleichheiten zu überwinden. Der Prozess ist jedoch auch mit Risiken verbunden. Um die digitale Transformation in Staat und Verwaltung geschlechtergerecht zu gestalten, müssen bestehende Ungleichheiten reflektiert werden und es bedarf spezifischer Gestaltungsansätze.

Aysel Yollu-Tok, Johanna Storck
Digitalisierung in der Öffentlichen Arbeitsverwaltung

Dieses Kapitel skizziert die Besonderheiten der Digitalisierung für den Bereich der öffentlichen Arbeitsvermittlung. Die Digitalisierung erstreckt sich in der öffentlichen Arbeitsvermittlung auf drei Handlungsfelder: (a) Information über das Arbeitsmarktgeschehen, (b) Leistungsgewährung, Beratung und Vermittlung sowie (c) interne Verwaltung. Konzeptionell werden Einsatz und Folgen der Digitalisierung in der öffentlichen Arbeitsvermittlung weniger unter techniksoziologischen und eher unter arbeits- und organisationssoziologischen sowie unter diskriminierungstheoretischen Aspekten dargestellt. Anhand von Matchingroutinen und Erfahrungen mit Profilingsystemen werden beispielhaft Anwendungsfelder bzw. der Umsetzungsstand skizziert. Auch unter der Bedingung einer weiter fortschreitenden Automatisierung gibt es gute Gründe, in der öffentlichen Arbeitsvermittlung die persönliche Beratung zu stärken.

Daniela Böhringer, Martin Brussig
Digitalisierung Sozialer Dienste

Die Digitalisierung der Verwaltung verändert auch die Soziale Arbeit und die Sozialen Dienste, die durch den persönlichen Kontakt und die Interaktion mit den Klienten geprägt sind. Dabei lassen sich bei den Anwendungen und Funktionen digitaler Technik die Dimensionen Vernetzung, Virtualisierung, Datafizierung und Algorithmisierung unterscheiden. Besonders relevant für die Digitalisierung sozialer Dienste sind Fachanwendungen (elektronische Klientenakten) und aktuell die Umsetzung des Onlinezugangsgesetzes. Die Potenziale neuerer Technologien dürften sich nur dann besser ausschöpfen lassen, wenn bei der Ausgestaltung und Einführung digitaler Instrumente sowohl die Beschäftigten als auch die Betroffenen intensiver einbezogen werden.

Udo Seelmeyer
Digitale Hochschullehre

Die Digitalisierung der Hochschullehre hat Auswirkungen auf alle Facetten des Studienbetriebs an den Universitäten und Fachhochschulen. Sie reicht vom Einsatz elektronischer Präsentationstechnologie in Hörsälen bis hin zu videodienstbasierten Lehrformaten und Online-Prüfungen. Während der Corona-Pandemie erlebte die digitale Hochschullehre einen Boom. Allerdings offenbarte sie auch eine Reihe von Herausforderungen für den Lehrbetrieb: Unzulängliche Infrastruktur, ungeklärte Daten- und Urheberrechtsfragen, mangelnde Technikkompetenz der Lehrenden und didaktische Grenzen des E-Learning.

Matthias Freise
Smart Regions

Mit zeitlicher Verzögerung zu Smart Cities erlangt der digitale Wandel in ländlichen Räumen zunehmend an Relevanz und Sichtbarkeit. Die Smart Region ist eine Zielvorstellung, in der sich technische, raumplanerische, wirtschaftliche und auch normativ-gesellschaftliche Aspekte niederschlagen. Im Kern geht es darum, die Potenziale digitaler Technologien für ländliche Räume nutzbar zu machen und dabei deren strukturelle Besonderheiten zu berücksichtigen. In diesem Zusammenhang weist die Diskussion um Smart Regions wesentlich stärkere Bezüge zum Thema Daseinsvorsorge auf als der Smart-City-Diskurs. Digitale Technologien werden hier vorrangig als Werkzeuge betrachtet, die dabei helfen, die Versorgung in der Fläche nicht nur sicherzustellen, sondern auch zu verbessern und Herausforderungen unserer Zeit wie Klimawandel, Energiewende, wachsenden Nachhaltigkeitsanforderungen oder dem demografischen Wandel auf kommunaler Ebene zu begegnen.

Matthias Berg, Gerald Swarat
Contact-Tracing-Apps (digitale Kontaktnachverfolgung)

Im Rahmen der Corona-Pandemie wurden Methoden der digitalen Kontaktnachverfolgung diskutiert und in vielen Ländern angewandt, um Infektionsketten nachvollziehen und eine Überlastung der Intensivstationen vermeiden zu können. Diese Methoden basieren auf unterschiedlichen Technologien, wie etwa Bluetooth, GPS oder QR-Codes. Die Anwendungen haben bei der Eindämmung der Pandemie geholfen, können aber gravierende Auswirkungen bis hin zu einer Massenüberwachung haben. Daher ist es angezeigt, ethische, rechtliche und soziale Belange frühzeitig in Planung und Gestaltung zu berücksichtigen.

Christian Djeffal
Digitaler Impfpass

Digitale Impfzertifikate spielten vor 2020 – dem Beginn der COVID-19-Pandemie – faktisch keine Rolle, erfuhren aber nach ihrer Einführung in Deutschland und in den europäischen Nachbarstaaten rasch eine hohe Akzeptanz. Mit dem Ausklingen der Pandemie ist die Zukunft von Applikationen wie dem „CovPass“ oder dem digitalen Zertifikat in der Corona-Warn-App jedoch wieder offen und fraglich, ob das digitale Format dauerhaft den „gelben Impfpass“ ablösen wird. Der Artikel erläutert aus einer politik- und verwaltungswissenschaftlichen Perspektive Fragen der Implementation digitaler Impfzertifikate, beschreibt mögliche Anwendungsfelder, den aktuellen Stand der Umsetzung sowie spezifische Probleme im Verlauf der Implementation.

Tanja Klenk, Thomas Weiler
Der Digitale Euro

Die fortschreitende Digitalisierung und die zunehmende Popularität digitaler Zahlungsmöglichkeiten haben zu gravierenden Veränderungen im Zahlungsverhalten geführt. Als Konsequenz erörtert die Europäische Zentralbank die Einführung eines digitalen Euro. Die Vorteile eines solchen Angebots bestehen in der Erweiterung geldpolitischer Optionen durch einen direkteren Transmissionskanal sowie die Möglichkeit negativer Zinssätze und direkter Transferzahlungen an die Bevölkerung durch sogenanntes Helikoptergeld. Zu den Risiken zählen die Schwächung des Bankensystems, ein erhöhtes Risiko von Bankenpaniken und eine weitere Vergrößerung der Zentralbankbilanz.

Manuel Walz, Matthias Neuenkirch
Digitale Währungen

Regierungen und Notenbanken werden im digitalen Zeitalter nicht nur durch Geldmarktfonds, Hedgefonds und Investmentbanken herausgefordert, die außerhalb des regulierten Bankensystems operieren und inzwischen fast die Hälfte des weltweiten Kredithandels abwickeln, sondern auch durch „private“ Währungen, die auf Rechnern und im Internet geschöpft werden. Beide Entwicklungen machen eine konsistente Finanz-, Währungs- und Geldpolitik, die ohnehin nicht leicht ist, noch schwerer und sie beeinträchtigen die staatliche Souveränität, selbst über das gesetzliche Zahlungsmittel zu bestimmen. Die Bundesrepublik Deutschland hat dieses Recht an die Europäische Wirtschafts- und Währungsunion abgetreten und ist deshalb davon abhängig, wie die Europäische Zentralbank diesen Herausforderungen begegnet. Dort denkt man über einen digitalen Euro nach, um von privaten Initiativen nicht überrollt zu werden.

Göttrik Wewer
Onlinezugangsgesetz

Das „Gesetz zur Verbesserung des Onlinezugangs zu Verwaltungsleistungen“. (Onlinezugangsgesetz, OZG) von 2017 wurde auf den ebenfalls im Jahr 2017 neu eingefügten Abs. 5 von Art. 91c GG gestützt. Es spricht eine Verpflichtung zum Online-Angebot der dafür geeigneten (oder besser: der nicht offensichtlich ungeeigneten) Verwaltungsdienstleistungen von Bund und Ländern und die Zusammenschaltung derselben zu einem Portalverbund aus. Obwohl eher technisch formuliert, hat das Onlinezugangsgesetz durch eine zeitliche Umsetzungsvorgabe (bis zum 31.12.2022) großen Druck auf die Verwaltungsdigitalisierung in Deutschland ausgeübt und in Form des Einer-für alle-Prinzips kooperatives Handeln zwischen Bund und Ländern befördert. Am 23.02.2024 hat der Deutsche Bundestag ein OZG-Änderungsgesetz (OZGÄndG) verabschiedet und dem Bundesrat zur Zustimmung zugeleitet.

Margrit Seckelmann

Personal, Organisation, Prozesse

Frontmatter
Digitaler Organisationswandel

In diesem Artikel werden die Voraussetzungen für eine erfolgreiche Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung diskutiert. Dabei liegt der Fokus auf den internen Verwaltungsprozessen sowie auf der Kommunikation und Koordination innerhalb und zwischen Behörden. Zur richtigen Anlage eines digitalen Organisationswandels sind vor allem das Personalmanagement, die Organisationsform des Veränderungsprozesses sowie der Technologieeinsatz von zentraler Bedeutung.

Moritz Heuberger
E-Leadership

E-Leadership bezeichnet eine Personalführung, die mittels IT erfolgt, sich auf digitale Arbeitskontexte erstreckt und eine digitale Organisationsentwicklung und -kultur befördert. Die Interaktion von Führungskräften und Mitarbeiter*innen in digitalen Kontexten ist komplex und lässt die Forderung nach veränderten Methoden und Verständnissen der Führung aufkommen. Mit der Corona-Krise wurde E-Leadership in Staat und Verwaltung fast unausweichlich. Zugleich hat sich ein Gestaltungsfenster geöffnet, die neue Normalität der hybriden Arbeitswelt in eine nachhaltige digitale Transformation zu überführen und dies empirisch zu begleiten.

Manuel Misgeld
E-Kompetenzen

Die Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung bedarf einer adäquaten Vorbereitung aller Beteiligten, denn sie setzt einen kompetenten Umgang mit IT auf allen Ebenen innerhalb der Verwaltungen und allen föderalen Ebenen voraus. Nicht zuletzt die Corona-Pandemie hat gezeigt, dass es von jetzt auf gleich nötig werden kann, umfassend auf digitalisierte Dienste und digitalisiertes Arbeiten umsteigen zu müssen. Dafür bedarf es bestimmter Kompetenzen, die auch E-Kompetenzen genannt werden, die von den Dienststellen vermittelt und von den Beschäftigten erworben werden müssen.

Michael Räckers, Sebastian Halsbenning
Folgen der Digitalisierung auf öffentliche Dienstleistungen

Die Digitalisierung von Dienstleistungen ist ein erklärtes Ziel von Politik und Verwaltung. Neben der Hebung von Effizienzpotenzialen und einer beschleunigten Leistungserbringung soll sie auch Lösungsansätze für Probleme in ländlichen Räumen liefern. Die Effekte fallen jedoch durchaus ambivalent aus. Die Standardisierung von Verwaltungsprozessen im Zuge der Digitalisierung kann zu besser vergleichbaren Entscheidungen und damit zu mehr Gerechtigkeit führen, Fehler minimieren, aber auch Diskriminierung verfestigen, Kontextinformationen vernachlässigen und das Ermessen der Mitarbeiter*innen unnötig einschränken. Eine Standardisierung von Interaktionen kann von Routinefällen entlasten und Freiraum schaffen für die komplizierten Prüffälle. Die Effekte der Digitalisierung sind umso vielschichtiger, je näher man der unmittelbaren Interaktionsebene zwischen Verwaltung und Bürger*innen kommt. Besondere Herausforderungen müssen die Mitarbeiter*innen bewältigen, die in direktem Kund*innenkontakt stehen. Digitalisierung verändert sowohl die Interaktionsprozesse mit den Verwaltungskund*innen als auch die anschließende Bearbeitung von Anträgen.

Matthias Döring, Stephan Löbel
Standardisierter Datenaustausch

Zur Erfüllung des Once-only-Prinzips zwischen Bürger*innen und Verwaltung ist der reibungslose Austausch von Daten zwischen verschiedenen Behörden auf unterschiedlichen Ebenen unabdingbar. Die Interoperabilität der Daten spielt dabei eine zentrale Rolle. Mit zentralen Datenregistern und den sogenannten XÖV-Standards soll ein moderner digitaler Datenaustausch ermöglicht werden. Neben erfolgreichen Projekten gibt es dabei noch zahlreiche Probleme. Das Online-Zugangsgesetz von 2017, wonach alle Dienstleistungen von Bund, Ländern und Gemeinden bis 2022 auch elektronisch angeboten werden sollen, stellt einerseits einen potenziellen Treiber für die Digitalisierung in Deutschland dar, andererseits aber auch eine besondere Herausforderung, da der standardisierte Datenaustausch aufgrund von föderalen Strukturen und von Ressortgrenzen noch nicht selbstverständlich ist.

Matthias Döring, Sebastian Noack
Digitale Archivpolitik

Ebenso wie andere Institutionen in Politik und Verwaltung sind Staatsarchive vom Prozess der digitalen Transformation betroffen. Die Einführung der E-Akte sowie veränderte Nutzererwartungen stellen die Archive vor zahlreiche Herausforderungen. Wie Archive auf diese Wandlungsprozesse reagieren und inwiefern digitale Archivpolitik die Archive bei der Umsetzung ihrer neuen Aufgaben gestaltend unterstützen kann, wird in diesem Beitrag vorgestellt.

Catharina Wasner, Niklaus Stettler
Virtuelle Teams und Homeoffice

Das Arbeiten im Homeoffice war in der deutschen öffentlichen Verwaltung vor der Covid-19-Pandemie kein verbreitetes Arbeitsmodell. Mit der Pandemie änderte sich die Situation unerwartet und womöglich auch nachhaltig. Vor dem Hintergrund unterschiedlicher Erfahrungen ist die Frage nicht mehr ob, sondern wie zukünftig in der Verwaltung mobil, flexibel und dezentral sowie in virtuellen Teams gearbeitet werden kann und soll. Dieser Beitrag untersucht diese Konzepte genauer, veranschaulicht deren praktische Anwendung und erörtert entsprechende Perspektiven für das zukünftige Arbeiten im öffentlichen Dienst.

Caroline Fischer, Isabella Proeller, John Siegel, Nicolas Drathschmidt
Digitalisierung und Automatisierung in der Sachbearbeitung

Die Nutzung von Informations- und Kommunikationstechnik (IKT), Fachverfahren und die Automatisierung von Prozessen verändern die Sachbearbeitung und Leistungserstellung in der Verwaltung und somit die Tätigkeiten, Arbeitsbedingungen und Personalstrukturen. Bei der Antragsbearbeitung und Bescheiderstellung in der Ordnungs- und Leistungsverwaltung erhält IKT nicht nur eine unterstützende, sondern zunehmend auch eine leitende oder entscheidende Rolle. Abhängig von der konkreten Ausgestaltung kann die fortschreitende Digitalisierung eine ganzheitliche Sachbearbeitung ermöglichen, aber auch einschränken. Insgesamt kann sie zu einer Neuordnung des Berufsfeldes öffentlicher Dienst führen.

Justine Marienfeldt
Projektmanagement in der Digitalisierung: Klassisch, agil und hybrid

Die Digitalisierung der Verwaltung erfolgt weit überwiegend in Projekten. Die Wahl des Projektmanagementmodells hat erhebliche Auswirkungen auf Rollen, Risiken und Erfolgsaussichten. Hybride bzw. agile Ansätze erfordern eine starke, aktive gar managende Steuerung, um unfertige Ergebnisse zu vermeiden, bieten aber die Chance auf schnellere, nutzerzentriertere Ergebnisse. Klassisches Projektmanagement und die erforderliche überwachende, reaktive Steuerung dürften den Verwaltenden vertrauter sein, beinhalten aber das größere Risiko der Verfehlung von Zeitplanung, Ressourcen und Bedarfen.

Till Wewer, Marc Bittner
Elektronisches Bezahlen (ePayment)

Wenn die elektronische Beschaffung von Gütern und Dienstleistungen durch die öffentliche Hand medienbruchfrei abgewickelt werden soll, dann müssen auch die Rechnungen der Lieferanten und Dienstleister elektronisch eingereicht und elektronisch beglichen werden. Das verspricht eine Reihe von Vorteilen, muss aber rechtlich zulässig sein und technisch organisiert werden. Bund, Länder und Gemeinden haben in den letzten Jahren einiges unternommen, um das möglich zu machen, und dabei auch Standards gesetzt, die bei Rechnungen, die an den Staat adressiert werden, zu beachten sind. Sie konkurrieren dabei mit den großen Plattformen im Internet, die mit ihren Online-Bezahldiensten versuchen, globale Standards zu setzen.

Göttrik Wewer

Blick in andere Länder: Was kann Deutschland lernen?

Frontmatter
Aadhaar und die digitale Vision für Indien

Das Aadhaar-Identifizierungssystem ist das Herz der Vision der indischen Regierung für die Erbringung öffentlicher Dienstleistungen im 21. Jahrhundert. Das System arbeitet effektiv und reibungslos für die meisten der mehr als eine Milliarde Menschen, die sich dafür haben registrieren lassen. Aadhaar gehört zur öffentlichen digitalen Infrastruktur des Landes, die neben dem öffentlichen Sektor auch der Privatwirtschaft zugutekommen soll.Ähnlich dem Vorgehen bekannter kommerzieller Internetplattformen wurden die Funktionen und Anwendungen Aadhaars zu Beginn disruptiv und ohne Rechtsgrundlage eingeführt. Der rechtliche Rahmen wird sukzessive und post-faktum durch Entscheidungen des Obersten Gerichtshofs und parlamentarische Gesetzgebung geschaffen.

Karl Steinacker, Astha Kapoor
Dänemark

Seit 2001 wird in Dänemark die digitale Kommunikation zwischen öffentlicher Verwaltung, Staat und Bevölkerung kontinuierlich ausgebaut. Eine wesentliche Grundlage dafür war und ist die bereits in den 1960er-Jahren eingeführte Personennummer, die der öffentlichen Verwaltung direkten Zugang zu personengebundenen Daten ermöglicht.Schon 2010 lobte die OECD Dänemark für die Spitzenreiterrolle im Bereich des E-Government und im internationalen Vergleich nimmt Dänemark seit 2016 einen der ersten Plätze im Digital Economic and Society Index (DESI) der Europäischen Kommission ein. Der hohe Digitalisierungsgrad in dänischer Verwaltung und Gesellschaft hat sich in der Corona-Pandemie gerade bei der Erfassung und Nachverfolgung von Infektionen sowie der Prognostizierung und Formulierung von Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung als Vorteil erwiesen.

Birgit Stöber
Österreich: Digitalisierungsstrategie der Bundesebene

Österreich kann im deutschsprachigen Raum – mit gewissen Einschränkungen über den Zeitverlauf – als Vorreiter der Digitalisierung charakterisiert werden. Dieser Beitrag fokussiert auf die Digitalisierungsstrategie der österreichischen Bundesregierung. Er erörtert konzeptionelle Grundlagen, zeigt organisationale Zuständigkeiten auf und beschreibt praktische Einsatzfelder und Schwerpunkte. Umsetzungsstand und Auswirkungen werden auf Basis von Interviews mit zentralen Akteuren und Auswertungen von Dokumenten und Websites dargelegt. Abschließend erfolgt eine Diskussion von Perspektiven für Staat und Verwaltung. Da die Mehrzahl öffentlicher Leistungen, wie in anderen deutschsprachigen Ländern, auf der lokalen Ebene erbracht wird, bestehen weitreichende Implikationen für die Digitalisierung des öffentlichen Sektors insgesamt. Dieses Spannungsfeld wird im Beitrag herausgearbeitet.

Tobias Polzer, Renate E. Meyer
Digitale Transformation der Schweiz

Das politische System der Schweiz mit direkter Demokratie und föderalem Staatsaufbau wird oftmals als Sonderfall beschrieben. Die politischen Besonderheiten des Landes wirken sich auch auf die digitale Transformation von Staat und Verwaltung aus, bei der die Schweiz nach internationalen Vergleichsstudien eher mittelmäßig abschneidet. Die Kenntnis, Nutzung und Akzeptanz der öffentlichen Dienstleistungen, die digital angeboten werden, ist nicht sonderlich ausgeprägt. Die Covid-19-Pandemie hat daran kaum etwas geändert. Um künftig größere Fortschritte zu erzielen, ist die Steuerung dieses Prozesses kürzlich neu organisiert worden.

Chantal Menzi, Achim Lang, Alexander Mertes
Digitalisierung in Estland

Das Ziel, die Digitalisierung in Staat und Verwaltung weiter voran zu treiben, ist in aller Munde. Die Covid-19-Pandemie hat die Notwendigkeit der Digitalisierung in den Bereichen „Bildung“ und „Gesundheit“ verstärkt. Als Best-practice-Beispiel des „digitalen Staats“ wird seit Jahren Estland angeführt. Bewusst wurde dort ein Top-down-Prozess als politisches Commitment angestoßen. Mittlerweile gibt es Modelle wie eine e-residency ebenso wie eine Verwaltungsverkopplung mit Finnland. Auch die Unabhängigkeit Estlands spielt eine Rolle. Die Schritte sind dabei nicht ohne Risiko, wie eine Cyberattacke aus Russland im Jahr 2007 zeigte.

Florian Hartleb
Digitalisierung von Staat und Verwaltung in Südkorea

Südkorea zählt schon länger zu den führenden Ländern weltweit bei der digitalen Transformation von Staat, Wirtschaft und Gesellschaft. Die soziokulturellen Traditionen und eine enge Zusammenarbeit zwischen Staat und Wirtschaft haben diese Entwicklung unter dem leitmotivischen Begriffspaar „Effizienz und Transparenz“ begünstigt. Ein starkes E-Government verbindet sich dabei mit Konzepten wie Smart City. In der Corona-Pandemie startete das Land mit einem „Digital New Deal“. Für die Hauptstadt bedeutet der „Seoul 2030 Vision Plan“ einen weiteren Digitalisierungs-Sprung. Die Stadt möchte das Metaversum betreten und den öffentlichen Raum durch virtuelle und erweiterte Realitäten ergänzen.

Christian Taaks, Livia Kümpers
Digitalisierung und Kybernetik in China: Das Sozialkredit-System

Zur chinesischen Digitalisierungsstrategie gehört der Aufbau und Ausbau eines „Sozialkredit-Systems“, in das Daten aus allen möglichen Bereichen über jeden Bürger und jede Organisation in China einfließen, die durch Algorithmen aufbereitet werden, um erwünschtes Verhalten zu belohnen und unerwünschtes Verhalten zu sanktionieren. Wenn sich alle selbst anstrengen, Punkte zu sammeln und Vorteile zu erlangen, kann das den Aufwand reduzieren, den Partei und Staat ansonsten für Kontrolle, Überwachung und Bestrafung leisten müssten. Entgegen den öffentlichen Verlautbarungen dient dieses System nicht einem größeren Vertrauen untereinander, einer besseren Zahlungsmoral oder der Bekämpfung der Korruption, sondern letztlich geht es um den Machterhalt der Kommunistischen Partei Chinas (KPCh).

Martin Woesler
Metadaten
Titel
Handbuch Digitalisierung in Staat und Verwaltung
herausgegeben von
Tanja Klenk
Frank Nullmeier
Göttrik Wewer
Copyright-Jahr
2025
Electronic ISBN
978-3-658-37373-3
Print ISBN
978-3-658-37372-6
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-658-37373-3