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2017 | Buch

Handbuch Körpersoziologie

Band 2: Forschungsfelder und Methodische Zugänge

herausgegeben von: Robert Gugutzer, Gabriele Klein, Michael Meuser

Verlag: Springer Fachmedien Wiesbaden

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Über dieses Buch

Das Handbuch Körpersoziologie verfolgt das Ziel, den grundlegenden Stellenwert des Körpers für soziologisches Denken zu veranschaulichen. Die Körpersoziologie versteht den Körper als bedeutsam für subjektiv sinnhaftes Handeln sowie als eine soziale Tatsache, die hilft, Soziales zu erklären. Der menschliche Körper ist Produzent, Instrument und Effekt des Sozialen. Er ist gesellschaftliches und kulturelles Symbol sowie Agent, Medium und Instrument sozialen Handelns. Soziale Strukturen schreiben sich in den Körper ein, soziale Ordnung wird im körperlichen Handeln und Interagieren hergestellt. Sozialer Wandel wird durch körperliche Empfindungen motiviert und durch körperliche Aktionen gestaltet. Körpersoziologie ist in diesem Sinne als verkörperte Soziologie zu verstehen.
Das Handbuch Körpersoziologie dokumentiert das breite Spektrum an körpersoziologischen Perspektiven und Ansätzen und den aktuellen Status Quo der Körpersoziologie. Band 2 präsentiert eine Vielzahl soziologischer Forschungsfelder und methodischer Zugänge und belegt damit die soziologische Relevanz des Körpers unter erkenntnis-, und sozialtheoretischen, methodologischen und methodischen Gesichtspunkten.

Inhaltsverzeichnis

Frontmatter

Forschungsfelder

Frontmatter
Alter(n)

In einer Zeit, in der in vielen westlichen Ländern von einer ‚Überalterung der Gesellschaft‘ im Zuge des ‚Demographischen Wandels‘ die Rede ist, nimmt – fast zwangsläufig – die Beschäftigung mit dem Thema ‚Alter‘ zu: sei es im wissenschaftlichen Diskurs, auf der politischen Bühne, in alltäglichen Gesprächen oder in zahlreichen (neu entstehenden) Angeboten, die sich speziell an ‚Best Agers‘ und ‚Master Consumers‘ der ‚Generation Gold‘ richten.

Matthias Riedel
Arbeit

Der Begriff ‚Arbeit‘ hat in der Soziologie eine lange Tradition und ist in den soziologischen Debatten gleichermaßen sehr eng wie auch sehr weit gefasst. So lassen sich erwerbsförmige Arbeiten ebenso dazu zählen wie Haushaltstätigkeiten, die Pflege Angehöriger oder die Sorge um sich selbst. Insofern bleibt das Verhältnis von Arbeit und Körper in weiten Teilen unbestimmt, da die Bandbreite grundlegender Theorieprojekte ebenso wie relevanter empirischer Untersuchungen nahezu unüberschaubar ist.

Diana Lengersdorf
Artefakte

Interaktionen werden klassischerweise als intersubjektive Beziehungen analysiert. In der Soziologie wurde dabei die materielle Welt, ähnlich wie der Körper, lange Zeit randständig behandelt. Erst seit den material und body turns in den Sozial- und Kulturwissenschaften in den letzten beiden Dekaden richtet sich die Aufmerksamkeit auf das Verhältnis von materieller Kultur und Körpern. Während die Anthropologie und die Kulturwissenschaften den Begriff der „materiellen Kultur“ verwenden, lässt sich dieser im Sinne eines Oberbegriffs je nach sozialwissenschaftlichem Forschungsfeld und der Einbeziehung körperlicher Aktivitäten weiter auffächern: es geraten dann erkenntnisbezogene, wissenschaftliche und technische „Objekte“, künstlich hergestellte „Artefakte“ und „Architekturen“ sowie „Dinge“ des Gebrauchs in den Blick.

Hanna Katharina Göbel
Biopolitik

Der menschliche Körper sowie die Sorge um ihn und seine Gesundheit sind in den vergangenen Jahren zu einem Phänomen zentralen biopolitischen Interesses moderner Gesellschaften, ihrer gesundheitspolitischen Institutionen und Akteure, aber auch der diese beobachtenden und ihre Praktiken interpretierenden Sozialwissenschaften geworden (vgl. u. a. Conrad 2007; Wehling et al. 2007). Folgt man Foucault und seinen Anhängern, sind der Körper und das Leben seit dem 18. Jahrhundert in unterschiedlicher und wechselnder Hinsicht zu einem zentralen Gegenstand sowohl wissenschaftlichen Wissens, politisch-administrativer Strategien als auch Objekt technischer Optimierung und Überwachung sowie zivilgesellschaftlichen Engagements geworden (vgl. Lemke 2007, S. 147 ff.). Der Körper ist dabei erstens der Ort, an dem eine Vielzahl kontrovers diskutierter Wissenspolitiken, Körperpraktiken und -techniken in diagnostischer, therapeutischer, gestaltender, disziplinierender, erziehender und wissenschaftlich reflektierender Hinsicht ansetzen.

Willy Viehöver, Tobias Lehmann
Familie und Paarbeziehung

Körperlichkeit und Leiblichkeit des Menschen – die als grundlegende Bedingung des Sozialen aufgefasst werden können – sollten in der Familiensoziologie eine gewisse Relevanz besitzen, denn die Familie gehört zu den elementaren Formen der Vergemeinschaftung und Vergesellschaftung. Die meisten Individuen wachsen (immer noch) in einer Familie auf, und hier werden die Grundlagen gelegt für Körperwahrnehmung und Körperbild, für die leiblich fundierte Identität, aber auch für soziale Praktiken wie Ernährungsgewohnheiten, sportliche Betätigung oder Körpergestaltung. Hier wird der Habitus geformt, differenziert nach Klassen, Geschlecht und Geschwisterrang. Inkorporiertes kulturelles Kapital wird in der Familie erworben – durch Sozialisation oder, wie Bourdieu sagt, durch „Familiarisierung“, also durch ein Milieu, das eine elementare Vertrautheit erzeugt, gerade auch in Bezug auf Leiblichkeit (oft als „zweite Natur“ bezeichnet).

Günter Burkart
Genetik

Anfang des 20. Jahrhunderts führte der dänische Botaniker und Genetiker Wilhelm Johannsen eine wegweisende begriffliche Differenzierung ein. Vom „Genotyp“, unter dem er die Gesamtheit der Erbanlagen eines Organismus verstand, unterschied er den „Phänotyp“, der sich auf dessen beobachtbare Merkmale bezog. Im Zuge der wachsenden Bedeutung genetischen Wissens in Biologie und Medizin, insbesondere nach der Entdeckung der DNS-Struktur in den 1950er Jahren, wurde diese begriffliche Differenzierung zur Grundlage für ein neues Körperkonzept: die Vorstellung eines „genetischen Körpers“ (Gudding 1996).

Thomas Lemke
Geschlecht

Die Frage nach der Materialität des Geschlechts zählt mittlerweile zu den Grundfragen der Geschlechterforschung und bringt den Körper unweigerlich ins wissenschaftliche Gedankenspiel zu Fragen der Naturhaftigkeit und Leibhaftigkeit von Geschlechtsidentität und Geschlechterdifferenzen. Auch wenn der Körper aufgrund einer vorübergehenden Dominanz sprach- und kulturwissenschaftlicher Perspektiven zur Performativität von Geschlecht und der analytischen Trennung zwischen den „natürlichen“ Grundlagen des Geschlechts (sex) und seinen kulturellen wie sozialen Überformungen (gender) in seiner sozialen Bedeutsamkeit in den Hintergrund gedrängt wurde, ist doch spätestens in der postfeministischen Geschlechterforschung die Trennung zwischen Körper und Geschlecht als exklusive Analysekategorien problematisch, wenn nicht sogar unmöglich geworden (vgl. exempl. Butler 1993). Mehr noch: Hier nehmen die in der feministischen Wissenschaftstheorie bereits frühzeitig begonnene Deessentialisierung des Körpers und der Streit um die (Neu-)Erfindung der Natur noch einmal an Fahrt auf.

Julia Reuter
Gewalt

Mit dem Begriff Gewalt körperliche Verletzung zu verbinden, liegt im Alltagsverständnis auf der Hand. Wer sich mit Gewalt befasst, scheint um den Körper nicht herumzukommen. Gleichwohl war und ist eine explizite Auseinandersetzung mit der Körperlichkeit des Menschen für die Gewaltsoziologie keine Selbstverständlichkeit.

Katharina Inhetveen
Kunst

Tanz, Theater, Body-Art, Aktionskunst oder Performance Kunst – es gibt eine Anzahl von Kunstgenres, in denen die Verbindung zum Körper des Akteurs eindeutig ist: Der Körper bewegt sich, er tut etwas, er spielt, performt, tanzt, wird ausgestellt. Weniger eindeutig aber ebenso körpersoziologisch interessant ist es, wenn Körperorgane im Mittelpunkt stehen wie die Stimme des Sängers oder die Hand des Malers oder wenn es um Verkörperungen geht wie die Körperlichkeit der Skulptur oder die Materialität der Schrift und eines Gemäldes oder auch wenn technische Medien Körper in Szene setzen wie die Fotografie oder der Film. ‚Körper‘ taucht also in den Künsten in vielfältiger Weise auf und kann mit unterschiedlichen Konzepten wie Verkörperung, Embodiment, Verleiblichung/Inkorporierung, Materialisierung oder Medialisierung gefasst werden.

Gabriele Klein
Lebenslauf und Biographie

Mit der Frage nach „Verkörperungen des Sozialen“ (Gugutzer 2012) wird ein soziologisches Programm angesprochen, das den Körper bzw. die leiblich-sinnliche und emotionale Verfasstheit des Menschen als Fundament sozialen Handelns und sozialer Strukturbildung auf allen Ebenen der Sozialwelt (Subjekt, Interaktion, Institution, System, Wissen etc.) systematisch einführen und in seinen Konsequenzen mitdenken will (zur Forderung eines solchen Programms vgl. Gugutzer 2012, S. 7 ff.; sowie Abraham 2002, Kap. 1.3; Wacquant 2003, S. 269 ff.). Unter dieser Perspektive ist für die in diesem Beitrag zur Diskussion stehenden Themenfelder Lebenslauf und Biographie zu fragen: In welcher Weise zeigen sich im Horizont von Lebenslauf und Biographie körperliche bzw. leibliche Prozesse und in welchen Hinsichten verweisen sie auf Soziales und auf Inkorporierungen von Sozialem?

Anke Abraham
Lebensstil

Der Begriff „Stil“ in Verbindung mit Aspekten der Lebensgestaltung begegnet uns häufig im alltäglichen Sprachgebrauch. So sprechen wir von einem klassischen Business-Kleidungsstil, wenn sich unsere Kollegin für den farblich dezenten Hosenanzug als Büro-Outfit entscheidet. Oder aber wir sprechen von einem rasanten Fahrstil, wenn wir beschreiben wollen, dass unser bester Freund Straßenschilder und Ampeln eher als Fahrempfehlungen denn als Verkehrsregeln interpretiert.

Julia Wustmann, Michaela Pfadenhauer
Medien

Der Körper gilt als Kommunikationsmittel, als Ausdrucks- und Erkenntnismedium, als Artefakt und nicht zuletzt als Projektion. Er ist Wahrnehmungsapparat, Gedächtnis und Speicher, Träger von Informationen, System und vieles mehr. Als Forschungsobjekt ist er für viele Wissenschaftsdisziplinen von Interesse und entsprechend breit und ausdifferenziert sind die Perspektiven, Konzeptionen, Klassifikationen und Diskurse sowie Körperverständnisse.

Dagmar Hoffmann
Organisation und Institution

Man muss nicht gleich auf sogenannte totale Institutionen – besser: Organisationen – wie Gefängnisse, Armeen, Psychiatrien und Klöster oder auf Organhandel und Transplantationsskandale zu sprechen kommen, wenn man namhaft machen möchte, dass Körper und Organisation in enger Beziehung stehen. Aber es hilft, um klar zu machen, dass das Themenfeld mehr beinhaltet als betriebliches Gesundheitsmanagement, Neuroenhancement oder Schönheitschirurgie. Es geht nicht nur um die Umgestaltung und Disziplinierung, also die Reorganisation des Körpers.

Christian Gärtner, Günther Ortmann
Popkultur

Im Anschluss an einem Vortrag über Rollenmodelle in der Popmusikkultur des Metal meldete sich ein Student mit der Meinung zu Wort, ihm habe der Vortrag nicht zuletzt deshalb sehr gut gefallen, weil hier Körperlichkeit nicht problematisiert, sondern einfach vorausgesetzt worden sei. Er konstatierte damit die universelle Körperlichkeit des Sozialen, deren Untermauerung von der vorliegenden Publikation angestrebt wird. Zugleich brachte er damit jedoch auch das zum Ausdruck, was für die Popkultur gerade keine Gültigkeit besitzt – das selbstverständliche Gegebensein eines Körpers.

Jochen Bonz
Religion

Ungeachtet seiner berühmt gewordenen Weigerung, den Begriff der Religion zu definieren, eröffnete Max Weber seine Religionssoziologie mit der Feststellung: „Religiös oder magisch motiviertes Handeln [sei], in seinem urwüchsigen Bestande, diesseitig ausgerichtet. ‚Auf daß es dir wohl gehe und du lange lebest auf Erden‘, sollen die religiös oder magisch gebotenen Handlungen vollzogen werden“ (Weber [1922] 1972, S. 318). Weber entwickelte damit zumindest implizit eine zentrale Verbindungslinie zwischen Religion und Körper über die Thematisierung von Lebensführung, Gesundheit, Leben und Tod.

Uta Karstein, Marian Burchardt
Schwangerschaft und Geburt

Schwangerschaft ist eine mit vielfältigen körperlichen und leiblichen Veränderungen einhergehende Phase des Umbruchs und Bestandteil zahlreicher weiblicher Lebensläufe. Von der Befruchtung der Eizelle bis zur Geburt dauert sie durchschnittlich 266 Tage. Meist wird die Schwangerschaft (Gravidität) in Wochen angegeben, wobei man vom ersten Tag der letzten Menstruation ausgeht.

Yvonne Niekrenz
Sexualität

Kaum ein Thema scheint so sehr mit dem Körper verschränkt wie Sexualität, denn Körper sind immer auch sexualisierte Körper. In der deutschsprachigen Körpersoziologie findet diese basale Einsicht bislang wenig Resonanz, die Körpersoziologie ist weitgehend sexualitätsabstinent wie umgekehrt die Soziologie der Sexualität weitgehend körperblind. Das erstaunt, denn der Körper ist Basis aller Praktiken und Symbolisierungen, Normierungen und Hierarchisierungen von Sexualität.

Stefanie Duttweiler
Soziale Bewegungen

Demonstrationen mit Tausenden von Menschen, die zum Beispiel für höhere Löhne, gegen Atomkraftwerke oder Datenüberwachung im Internet protestieren, prägen das mediale Bild von sozialen Bewegungen. Platzbesetzungen wie in Kairo der Tahir-Platz, in Istanbul der Gezi-Park und die verschiedenen Besetzungsformen der Occupy-Bewegung oder auch die spektakulären Aktionen der Gruppe Femen, die vor allem mit nacktem, d. h. oberkörperfreien Protest die mediale Aufmerksamkeit auf sich zogen, sind Beispiele vom Beginn der 2010er Jahre, die verdeutlichen, wie sehr sozialer Protest auch ein Protest der Körper (der Aktivist_innen) ist. „Ohne sichtbaren Protest gibt es keine soziale Bewegung“, schreiben Roland Roth und Dieter Rucht in ihrem einschlägigen Handbuch zu sozialen Bewegungen in Deutschland (2008, S. 26).

Imke Schmincke
Soziale Ungleichheit

Die Frage nach einem Zusammenhang von Körpern und sozialen Ungleichheiten ist eine in der Soziologie bisher nicht hinreichend beantwortete Frage. Zwar gibt es Studien und Publikationen, die sich Fragen nach Ungleichheiten im Sport, der Gesundheit oder Attraktivität annehmen und ihre Auswirkungen auf den Körper untersuchen (Bourdieu 1999; Dunkake et al. 2012; Mielck 1994; Steuerwald 2010). Systematische Arbeiten, die nach sozialen Ungleichheiten und Körpern fragen, fehlen aber immer noch.

Christian Steuerwald
Sozialisation

Die Sozialisationsforschung ist ein interdisziplinäres Arbeitsfeld der Anthropologie, Soziologie, Psychologie und Erziehungswissenschaft, das insbesondere in den 1970er und 1980er Jahren eine große Fülle empirischer Untersuchungen und Beschreibungen hervorbrachte, in denen der Frage nachgegangen wird, wie objektiv gegebene, historisch entstandene Lebensbedingungen subjektiv verarbeitet und bearbeitet werden. Gegenstand sozialisationstheoretischer Untersuchungen sind Prozesse der subjektiven Anpassung an soziale Umwelten, der Aneignung sozialer Normen sowie umgekehrt die Gestaltung und Veränderung von Sozialem und Kulturellem durch die Individuen. Im Mittelpunkt steht die Erforschung eines wechselseitigen Zusammenhangs von „Individuum und Gesellschaft“ und der Verflechtung von „Sozialstruktur und Persönlichkeit“ (Hurrelmann 2002).

Katharina Liebsch
Spiel

Was kann soziologisch von Interesse sein am Zusammenhang von Körper und Spiel? Vorgeschlagen werden drei Blickwinkel: Erstens soll differenzierungstheoretisch die Beziehung zwischen Spiel und Nicht-Spiel und in der Folge zwischen der Körperlichkeit eines Spielgeschehens und dem Geschehen in der Umwelt des Spiels beleuchtet werden. Zweitens wird ‚Spiel‘ als ein heuristisches Konzept vorgestellt, mit dem sich die dynamische Struktur der ko-konstitutiven Bildung sozialer Ordnungen und ihrer verkörperten Träger verständlich machen lässt. Schließlich wird drittens in methodologischer Perspektive ausgelotet, inwiefern sich das Spiel mit habitualisierten Bewegungen, Gesten und Haltungen als eine Methode der qualitativen Sozialforschung eignet, mit der sich die ‚schweigsamen‘ Dimensionen des Sozialen (Stefan Hirschauer) und somit ein den menschlichen Tätigkeiten implizites Praxiswissen ‚zur Sprache‘ bringen lassen.

Thomas Alkemeyer
Sport

Sport ist ein soziales Handlungsfeld, für das der Körper von konstitutiver Bedeutung ist. Sieht man von Grenzfällen wie Schach oder Poker ab, dürfte diese These unstrittig sein: Sportliche Praxis impliziert Körper in Bewegung. In der Soziologie des Sports herrscht darüber auch Konsens.

Robert Gugutzer
Stadt

Will man etwas über die urbane Lebenswirklichkeit großer Metropolen in Erfahrung bringen, sind literarische Darstellungen ein unverzichtbarer Fundus soziologischer Einsichten. Don DeLillos Cosmopolis – ein genuiner New-York Roman – nimmt sich dabei in besonderer Weise der Thematik des Körpers an. Er schildert einen Tag im Leben des Multimillionärs Eric Packer, der morgens seine Wohnung in einem der höchsten Skyscraper Manhattans verlässt, um sich in seiner Limousine zu einem Friseur am anderen Ende der Stadt fahren zu lassen.

Markus Schroer, Jessica Wilde
Tanz

„[…] man muss diese versteinerten Verhältnisse dadurch zum Tanzen zwingen, dass man ihnen ihre eigene Melodie vorsingt!“ Dieses Zitat Karl Marx’ ist weltberühmt geworden. Marx nutzt das Tanzen als Metapher für das Bewegliche, das Aufrüttelnde, das Radikale, das Umstürzende und das Revolutionäre. Mit dieser Auffassung sollte Marx in der Geschichte der Moderne nicht allein bleiben.

Gabriele Klein
Technik

Wie die menschlichen Körper galten auch technische Artefakte lange Zeit nicht als genuines Forschungsfeld der Soziologie. Beide Themenfelder wurden in ähnlicher Manier von einer auf „reine“ Sozialität fixierten Soziologie systematisch ausgespart und kaum beachtet. Seit den 1980er Jahren rücken Körper und Techniken jedoch verstärkt ins soziologische Blickfeld, und um sie herum haben sich eigenständige Bindestrichsoziologien etabliert.

Werner Rammert, Cornelius Schubert
Tod

Während der Körper zwar bereits ein Thema für einige Klassiker der Soziologie war, blieb der Tod und insbesondere der tote Körper in der Soziologie und in den Sozialwissenschaften lange ausgeblendet. Das mag damit zu tun haben, dass die Soziologie ein echtes Kind der Moderne ist: Diese nämlich verdränge den Tod – so jedenfalls lautet ein klassischer Topos auch in der Soziologie, der sich ab den 1960er Jahren verdichtet. Seit dieser Zeit beobachten wir jedoch auch ein zunehmendes gesellschaftliches Interesse am Tod, und um die Jahrtausendwende nimmt auch die Soziologie allmählich die Frage des Todes wieder verstärkt auf.

Hubert Knoblauch, Antje Kahl

Methodische Zugänge

Frontmatter
Leib und Körper als Erkenntnissubjekte

Die soziologische Beschäftigung mit dem Körper hat bei allen thematischen, theoretischen und methodischen Unterschieden eine grundlegende Gemeinsamkeit: Sie behandelt den oder die Körper als Gegenstand soziologischer Untersuchung, um etwas über Körper zu erfahren. Verglichen mit dieser Fokussierung auf den Körper als Forschungsobjekt ist die Auseinandersetzung mit dem Körper als Subjekt soziologischen Forschens ausgesprochen randständig. Angesichts des programmatischen Anspruchs der Körpersoziologie, den Körper als konstitutive Bedingung sozialen Handelns und sozialer Ordnung in der Soziologie zu etablieren (vgl. das Vorwort in diesem Band), kann das durchaus überraschen.

Robert Gugutzer
Beobachten

schreibt die Journalistin Nataly Bleuel (2016, S. 40) im Zeit-Magazin über die Kommunikation mit ihren Kindern. Diese Beobachtung spricht Körpern – ganz im Sinne der Körpersoziologie – eine eigenständige Relevanz in sozialen Prozessen zu. Während wir im Alltag erwarten, mit Personen sprechen zu können, scheinen diese sich in Bleuels Wahrnehmung einer Familienszene mit neuem Computer in das „digitale Universum“ verzogen zu haben, so dass nur mehr ihre materiellen Hüllen, die Körper, in der Face-to-Face-Interaktion verbleiben.

Larissa Schindler
Videoanalyse

Die Videotechnologie entstand als ein elektromagnetisches Aufzeichnungsverfahren, das mittlerweile weitgehend digitalisiert wurde. Wie der schon zuvor bestehende Film bietet sie audiovisuelle Repräsentation, erlaubt aber auch die materiale Reproduktion als Kopie, eine erleichterte manuelle Bedienung bei der Aufzeichnung und Wiedergabe sowie dank der Computerisierung die einfache Bearbeitung der audiovisuellen Repräsentationen selbst. War der Film schon früh zur Analyse körperlicher Abläufe verwendet worden, so wird die Videotechnologie seit etwa der Mitte des 20.

Hubert Knoblauch, René Tuma
Fotointerpretation

Die sozialwissenschaftliche (Wieder-)Entdeckung des Körpers, die als „somatic turn“ oder „body turn“ oder in ähnlicher Weise diagnostiziert oder programmatisch gefordert worden ist, zeigt eine gewisse zeitliche Koinzidenz mit dem Beginn des „pictorial turn“ oder „iconic turn“ bzw. mit dessen Behauptung oder Beschwörung. Dies erscheint nicht zufällig, weil es in erster Linie die visuelle Darstellung ist, die unsere (wissenschaftliche) Aufmerksamkeit auf den Körper richtet, und – so soll im Folgenden dargelegt werden – die Bildinterpretation den validesten sozialwissenschaftlichempirischen Zugang zur Körperlichkeit vor allem im Sinne der körperlichen Praxis, der körperlichen Performanz, eröffnet.

Ralf Bohnsack
Diskursanalytische Verfahren

Wie veränderte sich Ende des 18. Jahrhunderts der Zugriff auf Körper, als Gefängnisse die Strafpraktik der Marter ablösten? Wie kommt es, dass zwischen Frauen und Männern unterschieden wird und welche Bedeutung hat dabei unser Wissen über Geschlechtshormone? Wieso gelten bestimmte Körper als ‚orientalisch‘ und ‚anders‘ und welchen Einfluss hatten bei diesen Zuschreibungen die europäischen Dichter und Denker der Spätaufklärung? Diese verschiedenen Fragen haben gemein, dass sie diskursanalytische Problematisierung vornehmen und sich für das Verhältnis von Macht, Wissen und Körper interessieren. Sie fragen, wie es dazu gekommen ist, dass bestimmte Phänomene – etwa Strafpraktiken, die Geschlechterdifferenz oder der Orient – als spezifische Gegenstände des Wissens über Köper aufgetaucht sind und dabei als so selbstverständlich erscheinen, als hätten sie immer existiert.

Mona Motakef
Sprechen

Über den Körper zu sprechen ist kein leichtes Unterfangen – weder im Alltag noch in der Wissenschaft. Warum dies so ist und welche methodischen Herausforderungen und Möglichkeiten sich daraus ergeben, ist Thema dieses Beitrags.

Anke Abraham
Schreiben

Schreiben ist integraler Bestandteil jedes wissenschaftlichen Forschungsprozesses. In unterschiedlicher Form werden in allen Disziplinen schriftliche Verfahren der Materialgewinnung und der Darstellung von Ergebnissen angewendet, etwa das Notieren von Ideen und Beobachtungen, das Führen von Listen, das Anfertigen von Tabellen und das Verfassen von Protokollen und Berichten. Umso erstaunlicher ist es, dass die Schriftlichkeit der akademischen Wissensproduktion verhältnismäßig selten untersucht worden ist.

Hilmar Schäfer, Larissa Schindler
Materialanalyse praxeologischer Körpersoziologie

Körper haben sich über Klassiker wie Simmel, Goffman und Bourdieu heute als Basiskategorie der Soziologie etabliert. Die Rolle der Körper in Prozessen der Vergesellschaftung ist dabei nicht auf rein körpersoziologische Forschungen beschränkt, sondern findet Berücksichtigung in Soziologien der Organisation, der Migration, des Rechts, der Politik oder der Ökonomie. Diese allgemeine, ethnographisch fundierte Anerkenntnis der Körperlichkeit von Sozialität geht mit analytischen Anforderungen einher.

Thomas Scheffer
Backmatter
Metadaten
Titel
Handbuch Körpersoziologie
herausgegeben von
Robert Gugutzer
Gabriele Klein
Michael Meuser
Copyright-Jahr
2017
Electronic ISBN
978-3-658-04138-0
Print ISBN
978-3-658-04137-3
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-658-04138-0