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01.11.2017 | Handel | Kolumne | Online-Artikel

Ambient Sales oder warum man Trends nicht stoppen kann

verfasst von: Prof. Dr. Rainer Elste

4:30 Min. Lesedauer

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Für ein Kauferlebnis kommt es nicht nur auf den Preis an, sondern manchmal auch auf die Situation und die Umstände, unter denen der Kauf zustande kommt. Die Chance für den Handel liegt darin, neue Trends mit "Ambient Sales" zu setzen, meint Springer-Autor Rainer Elste in seiner Kolumne.

Vor gut zwei Jahren bat mich meine Frau, bei Aldi einen Spiegel für unser Gästebad zu kaufen. Er hat einen goldfarbenen Rand und wirkt als wäre er tatsächlich geschliffen. Er kostete regulär 15 Euro und war als Restposten sogar für acht Euro zu erstehen. Warum erzähle ich das?

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Am vergangenen Samstag saß ich mit meiner Familie in einem Gartencafé in der Stuttgarter City am Rande eines – sagen wir einmal – Antiquitätenmarktes. Es war der wärmste Oktobertag seit Jahren. Die Sonne blinzelte durch die bunt gefärbten Blätter der Straßenbäume. Es schien, als sei jeder gut gelaunt. In der Nähe unseres Tisches machte sich einer der Händler daran, seine vielen Bilderrahmen und Spiegel wieder in seinen Transporter einzuräumen, als zwei Studentinnen auf einen Spiegel stießen, der ihnen sichtlich gut gefiel. Sie waren so nah, dass ich erkennen konnte, dass es sich exakt um unseren Aldi-Spiegel handelte. Sie stiegen in die Preisverhandlung mit dem Verkäufer ein und einigten sich überglücklich nach ein paar Momenten – auf sage und schreibe 20 Euro.

Jagdglück statt Übervorteilung

Für einen winzigen Augenblick wollte ich aufspringen und sie vor dieser – wie ich dachte – himmelschreienden Übervorteilung zu warnen. Jedoch meine Frau bremste mich. Warum sollte ich diesen beiden Studentinnen denn alles verderben? Die beiden werden diesen Spiegel immer mit diesem herrlichen Herbsttag, ihrem unendlichen Jagdglück und dem Marktambiente verbinden. Wenn das nicht den Mehrpreis rechtfertigt, was dann? Ich nenne diesen Effekt einfach einmal "Ambient Sales". Ambient Media ist ja als kommunikatives Pendant bereits hinreichend bekannt.

Das Beispiel erinnert mich an eine Frage, die mich im Rahmen der Digitalisierung im Vertrieb umtreibt: Was ist der letzte Puzzlestein, der den Internethändlern fehlt, um dem stationären Händlern den Garaus zu machen. Oder positiv ausgedrückt: Wie kann der Brick-and-Mortar-Handel überleben? Preise sind es wohl nicht. Zumal der Preis noch nie eine gute Langfriststrategie war – auch nicht in den Zeiten vor dem Internethandel. Es ist gerade einmal 25 Jahre, dass die Großflächenhändler auf der grünen Wiese die Preise der Innenstadthändler unterboten haben und nun ist es halt das Internet.

Kai Falk, Sprecher des Handelsverbands Deutschland (HDE) hat zu heute.de gesagt, dass man den Trend des Kundenrückgangs in den Citys stoppen müsse. Diese Erkenntnis kommt circa 20 Jahre zu spät, aber immerhin ist sie da. Abgesehen davon, dass man keine Trends stoppen kann, sondern nur neue schaffen kann, darf die Lösung nicht wie vom HDE vorgeschlagen in den "Chancen des Online-Handels" liegen. Das ist so, als wenn Sie vom Fahrrad auf einen fahrenden ICE aufspringen möchten, der aber schon 500 Kilometer vor ihnen fährt.

Umdenken erforderlich

Das Schlimmste, was stationäre Händler nun also anstellen können, ist den Internetgiganten Amazon, Zalando & Co. nachzueifern. Wann lernen also Stadträte, City Manager, Manager von Einkaufszentren und die Innenstadthändler endlich, dass sie (mehr) in "Ambient Sales" investieren müssen? Hier ist ein Umdenken erforderlich. Höhere Preise für Parktickets und Zugangsbeschränkungen zu den Innenstädten (wie zum Beispiel in Stuttgart) sind allerdings auch keine positiven Signale. Es gibt für mich nur zwei Lösungen (schwarz-weiß):

  1. Wir geben die Innenstädte als Shopping-Areas konsequent auf, da sie kein Ambient Sales mehr erlauben: Staus, Parkgebühren und Ein-Euro-Shops locken halt nicht. Die frei werdenden Immobilien werden für den dringend benötigten Wohnraum freigegeben oder mischgenutzt. Offline-Shopping findet nur noch auf der grünen Wiese statt, wo genug Platz für Ambiente ist und die Flächenpreise niedriger sind. Shopping neben Sport, das neue Fahrrad gleich auf einem Track ausprobieren, Konzerte ...
  2. Wir laden die Citys mit Ambiente auf: Spielplätze in Fußgängerzonen, Kulturangebote, Events, Themengebiete, Märkte ... Und wer sagt eigentlich, dass die Flächennutzung nicht optimiert werden kann? Morgens Büro, nachmittags Laden – die Kreativität der Ladenbauer ist gefragt. Und auch in den langweiligen Läden der Citys ist noch mehr drin: Virtual und Augmented Reality – das ganze Thema Gamification – wird zum Beispiel noch nicht ausreichend im stationären Handel ausgenutzt.

Ambientefreie Webshops

Wenn das alles (und noch vieles mehr natürlich) richtig umgesetzt ist, hat der Offline-Handel eine Chance, neue Trends zu setzen. Webshops sind nämlich in der Regel völlig ambientefrei. Sie schaffen wenige emotionale Reize, laden kaum zum Bummeln ein, Up- und Cross-Sales sind kaum möglich, abgesehen von dem nervigen "Kunden, die A gekauft haben, haben auch B gekauft". Neue Kaufimpulse durch ein ansprechendes Ambiente und die entsprechende Darbietung sind rudimentär.

Der Kauf meines Aldi-Spiegels an einem tristen Februarabend wäre auch bei Amazon nicht aufregender gewesen. Mittlerweile beneide ich die beiden Studentinnen, die für ein paar Euro mehr ein tolles Ambiente zusammen mit ihrem Spiegel eingekauft haben.

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