Der Einzelhandel verändert sich im Zuge der Digitalisierung nachhaltig. Das Gleiche gilt für das Konsumentenverhalten. Der Händler steht dem anspruchsvollen, gut informierten Kunden gegenüber, der auch beim Einkauf neueste Technologien und entsprechend effektive Abläufe erwartet. Prozessinnovationen stellen zudem langjährig bewährte Verfahren infrage und haben das Potenzial, den Einzelhandel auf den Kopf zu stellen.
Wie eine Studie der Digitalagentur DigitasLBi ermittelt hat, fordern Internetnutzer immer weniger die klassischen Stärken des Einzelhandels - zum Beispiel Dekoration, Atmosphäre oder die Möglichkeit, Produkte im Laden direkt auszuprobieren und gleich mitzunehmen. Mit steigender Tendenz. So stimmen mittlerweile 88 Prozent der Online-Käufer der Aussage zu, dass Online-Shopping grundsätzlich Spaß macht. Ebenso viele bestätigen, dass sie von Sonderangeboten und niedrigeren Preisen als in Geschäften profitieren, wenn sie im Internet einkaufen und 93 Prozent glauben, dass es im Internet mehr Auswahl gibt als im Geschäft.
Digitale Lösungen erfordern neue Strategien
Online-Shops, so das Fazit der Studie, laufen dem stationären Einzelhandel den Rang ab. Die Managementberatung Detecon hat die neuesten Entwicklungen in diesem Bereich untersucht und fünf Megatrends identifiziert, für die sich der Einzelhandel wappnen müsse, denn digitale Lösungen würden neue Strategien erfordern.
- Conversational Commerce: Es ermöglicht Kundenbindung auf allen Kanälen. Zusätzlich zu klassischen Informationsmedien werden hier auch Messenger-Dienste in die Kommunikationsstrategie integriert. WhatsApp, Facebook-Messenger und Co. entfernen sich vom einseitigen Direktmarketing und lassen Händler und Kunden in den direkten Dialog treten, was zu einer individuelleren Beratung führt. Die Kombination mit Chatbots ermöglicht einen effizienten Einsatz ohne hohen Personalaufwand.
- Vernetzte Filiale: Digitale Preisschilder – sogenannte ESL, Electronic Shelf Labels – verraten nicht nur den Preis eines Produkts, sie bieten außerdem passende Zusatzinformationen und kundenspezifische Rabatte. Mit vernetzten Kassen können Händler in Echtzeit ihren Warendurchfluss messen.
- Proximity Marketing: Dabei wird die Aufmerksamkeit des Kunden direkt am Point of Sale auf spezielle Angebote gelenkt. Hit Hilfe von Datenanalyse sowie Lokalisations- und Identifikationswerkzeugen verschaffen sich Händler die erforderlichen Informationen, um über digitale Werbetafeln (Digital Signage) und andere Media-Lösungen gezielte, um Kunden gezielt individuell und tagesaktuell anzusprechen.
- Schnelle Lieferung: Um im Wettbewerb mit E-Commerce-Unternehmen erfolgreich zu sein, müssen lokale Einzelhändler zudem auf digitale Vertriebswege setzen. Ein engmaschiges Filialnetz ermöglicht die schnelle Lieferung von Lebensmitteln – oder der Kunde kann sie online bestellen und im Laden abholen.
- Neue Bezahlmöglichkeiten: Kontaktloses Bezahlen per Karte beziehungsweise per Smartphone oder intelligente Warenkörbe, die selbstständig ihren Inhalt registrieren und den Wert berechnen vermindern den Bargeldfluss und bieten dem Kunden mehr Komfort.
Transformation des Handels zu digitalisierten Unternehmen
Im Springer-Buch "Handel 4.0", herausgegeben von Rainer Gläß und Bernd Leukert, wird bereits ein umfassendes Bild von der Transformation des Handels zu digitalisierten Unternehmen gezeichnet. So beschreiben Eva Stüber, Kai Hudetz und Gero Becker im Kapitel "Veränderung der Geschäftsmodelle im Handel durch die Digitalisierung" die tiefgreifenden Veränderungen infolge der Digitalisierung in der Handelsbranche. Eine logische Konsequenz der veränderten Kundenbedürfnisse ist für die Autoren "die Verschmelzung der verschiedenen Kanäle und die Schaffung eines neuen Werteangebotes in Form eines kanalübergreifend integrierten Einkaufserlebnisses" (Seite 228). So habe zum Beispiel die Media Saturn-Gruppe ihr Vertriebskonzept "auf den Online-Kanal ausgeweitet und mit verknüpfenden Services die Integration der verschiedenen Kanäle vorangetrieben". Als weitere durch den Kunden getriebene Geschäftsmodellinnovation nennen Stüber, Hudetz und Becker Online-Shopping-Clubs, die dem Kundenbedürfnis nach Exklusivität und einer individuellen, personalisierten Ansprache entgegenkommen würden.
Fest steht für die Springer-Autoren, dass bestehende Handelsunternehmen gefordert sind, ihr Geschäftsmodell den Bedingungen einer digitalisierten Welt anzupassen, "während neue Player mit digitalen und innovativen Geschäftsmodellen in den Markt eintreten" (Seite 230).