Lediglich 19.880 stationäre Apotheken zählt die Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände (ABDA) zur Jahreshälfte 2017. Damit hat sich die Anzahl im Vergleich zu 2016 um 143 Verkaufsstellen verringert - ein Niedrigrekord, den es so zuletzt vor fast 30 Jahren gegeben hat. Was die ABDA schmerzt, freut wiederum den Bundesverband Deutscher Versandapotheken (BVDVA). Der Interessenvertreter und Dienstleister kämpft darum, den Online-Handel mit Arzneien weiter auszubauen und gesetzlich abzusichern. Eine neue Studie zeigt, dass das wohl im Sinne der Kunden wäre.
4.400 Verbraucher aus den USA, China, Dänemark, Deutschland, Frankreich, Italien, Niederlande, Schweden und Spanien legten ihr Online-Kaufverhalten in einer Umfrage des US-Markenschutzexperten Mark Monitor offen. Das Ergebnis: In Deutschland beziehen mittlerweile satte 61 Prozent ihre Medikamente über das Web. Damit preschen die sonst oft veränderungsscheuen Deutschen deutlich vor. Denn im Ländervergleich besuchen gerade einmal 29 Prozent eine Online-Apotheke. Mit 83 Prozent ist hierzulande auch das Vertrauen in den Medikamentenversand groß. Weltweit steigt zumindest das Interesse, Arzneien online zu recherchieren (51 Prozent). Tatsächlich verfügen bereits rund 3.000 Apotheken hierzulande über eine Versandhandelserlaubnis, mit der sie Offline- und Online-Geschäft verbinden. Die übrigen knapp 14.000 Apotheken haben den Schritt in andere Verkaufskanäle noch nicht gewagt - oder sich bewusst dagegen entschieden.
Mündige Konsumenten bringen Veränderung
Die Umwälzungen der letzten Jahre haben die Apothekenbranche hart getroffen. Die Konkurrenz aus dem Ausland etwa lockt Kunden mit Preisen für rezeptpflichtige Medikamente, die deutsche Präsenzapotheken des Gesetzes wegen nicht flexibel bestimmen dürfen. "Der medizinische Fortschritt verbunden mit dem demografischen Wandel führt aufgrund eines steigenden Kostendrucks zu einer zunehmenden Ökonomisierung des Gesundheitsbereichs", heißt es im Buchkapitel "Healthcare Marketing – marktorientierte Führung im Gesundheitsbereich" der Springer-Autoren Heribert Meffert und Friederike Wolde-Lübke. "Hinzu kommen steigende Ansprüche des Patienten, der längst vom einst unmündigen Nachfrager zum mitbestimmenden Kunden geworden ist" (Seite 212). Dass sich das Kaufverhalten der Apothekenkunden ändert, zeichnet sich schon seit Jahren deutlich ab: Kunden scheuen zeitraubende Anfahrtswege zu den Verkaufsstellen und wickeln Einkäufe gerne unabhängig von Öffnungszeiten auf ihrem Sofa ab, nachdem sie Preise und Bewertungen anderer Käufer recherchiert haben. Vor allem die freie Verfügbarkeit von Informationen zieht viele Apothekenkunden ins Netz. Denn warum im Laden im Beisein von Zuhörern über unangenehme Symptome sprechen, wenn sich diese im trauten Heim erörtern und lösen lassen?
Weg vom Kanaldenken
Nicht nur der Medikamentenvertrieb, sondern etliche andere Branchen mit stationärem Vertrieb sind von der Entwicklung betroffen. Statt die sich daraus ergebenen Chancen zu nutzen, reagieren jedoch viele Händler abwehrend. In der Hoffnung, dass sich das Blatt künftig wieder zugunsten des stationären Geschäfts wenden könnte, bieten einige ihre Produkte und Dienstleistungen auch auf anderen Kanälen gemäß des erfolgsversprechenden "Multi-Channel-Vertriebs" an. "Das ist aber nur möglich, wenn man sich vom 'Lead-Channel'-Gedanken verabschiedet, der in Deutschland leider noch weit verbreitet ist. Was viele Händler bedauernswerterweise noch nicht verstanden haben: Es ist am Ende nicht entscheidend, welchen Umsatzanteil der einzelne Vertriebskanal hat, sondern wie der Gesamtumsatz ausfällt – egal, über welchen Kanal er kommt. Das Kanaldenken sollte der Vergangenheit angehören", lautet die Meinung von Springer-Autor Gerrit Heinemann, die er im Buchkapitel "Der stationäre Handel im digitalen Zeitalter" beschreibt (Seite 6).
Offener für alternative Vertriebskanäle zu werden, bedeutet für Apotheken natürlich nicht, den stationären Laden an den Nagel zu hängen. Ganz im Gegenteil haben Präsenzapotheken die Möglichkeit, ihre Verkaufsstelle mit Hilfe von digitialen Lösungen neu zu positionieren. "Apotheken können zum Beispiel verkaufsfördernde Maßnahmen durchführen, indem sie für nicht verschreibungspflichtige Präparate Verkaufsdisplays aufstellen", schlagen Meffert und Wolde-Lübke vor (Seite 237). Daneben bietet die Website zahlreiche Möglichkeiten zur Online-Kommunikation, die über Einträge zur Präsentation des Teams hinausgehen. In Blogbeiträgen und Newslettern zum Beispiel könnten auch kleine Apotheken ihre Stammkunden über aktuelle Gesundheitsthemen informieren. In Ergänzung sind auch nicht-digitale Kundenbindungsprogramme wie Kundenkarten und Rabattaktionen nach wie vor unverzichtbar.