Während die IT-Strategie von BMW auf die Förderung von internem Know-how setzt, geht der direkte Nachbar von Porsche in Stuttgart, die
Daimler AG, die digitale Transformation etwas anders an – auch wenn die Ziele der IT-Strategie auf dem Papier ähnlich klingen. Die 2017 gestartete Strategie
„Twice As Fast“ beinhaltet folgende fünf Schwerpunkte: 1) DevOps und Cloud Computing, 2) Open-Source-Software, Services und APIs, 3) Identity und Access Management, 4) Security sowie 5)
„People in IT“ (Herrmann 01.10.
2019). Die Entwicklungen rund um die COVID-19-Krise führten jedoch zu einigen Anpassungen. So plant Daimler nun, große Teile seiner IT-Abteilung auszulagern – bis zu 2000 Stellen stehen weltweit zur Disposition (Berlin 14.10.
2020; Wölbert 15.05.
2020). In ähnlicher Weise hat Daimler sein Innovationszentrum
Lab1886 nach 13 Jahren und zahlreichen Investitionen in die Zukunft der Mobilität in Höhe von rund einer halben Milliarde Euro verkauft (Beutnagel 20.11.
2020; Buchenau 14.12.
2020). Zu diesem Zeitpunkt mag diese Entscheidung, ein Innovationszentrum im Rahmen der
digitalen Transformation aufzugeben, schwer nachvollziehbar gewesen sein. Die jüngste Ankündigung von Daimler, den ältesten Produktionsstandort in Deutschland, Berlin-Marienfelde, von der
„Produktion konventioneller Antriebsstrangkomponenten in die Entwicklung, Erprobung und Validierung zukünftiger Softwareanwendungen und Konzepte für das digitale Mercedes-Benz Ökosystem MO360 [Mercedes-Benz Cars Operations 360] in einer realen Produktionsumgebung“ umzuwandeln, wäre allerdings ein Erklärungsansatz für den Verkauf des Innovationszentrums (Daimler AG
2021).
MO360 integriert die Informationen aus verschiedenen Produktionswerken weltweit, indem es modernste Softwarelösungen zusammenführt und eine KPI-optimierte Produktionssteuerung mit dem Ziel einer Effizienzsteigerung von rund 15 % liefert (Daimler AG
2020c). Darüber hinaus wird der neue Digital Factory Campus in Berlin zum Trainingszentrum für Mitarbeiter, die mit dem
MO360-Ökosystem arbeiten werden (Hubik 03.03.
2021). Über die Digitalisierung der Produktion hinaus arbeitet Daimler auch an der Verbesserung seiner automobilbezogenen Softwarekompetenzen, um das
„Windows für Autos“, das
MB.OS, zu entwickeln. Diesbezüglich betont Ola Källenius, Vorstandsvorsitzender von Daimler, dass die Datenhoheit und die Kontrolle über die Schnittstelle zum Kunden von größter Bedeutung sind, denn Daimler will
„[…] die neuen, softwarebasierten Geschäftsmöglichkeiten [selbst] ergreifen“ (Hubik und Murphy 25.05.
2020). Dennoch wird das
MB.OS, welches voraussichtlich 2024/2025 fertiggestellt wird, kein in sich geschlossenes System sein, sondern wird beispielsweise mit Diensten von Google oder Apple kommunizieren können (Floemer 26.05.
2020). Erste Teile des
MB.OS sind mit einer aktualisierten Version des Infotainmentsystems
My MBUX in der 2020 vorgestellten neuen S-Klasse bereits umgesetzt (Daimler AG
2020b). Hervorzuheben ist unter anderem das mit Virtual Reality angereicherte Heads-up-Display, das nicht nur die Navigation erleichtert, sondern den Fahrer auch benachrichtigt, wenn z. B. der Abstand zu einem von der KI erkannten vorausfahrenden Fahrzeug zu gering ist (Daimler AG
2020d). Ganz im Sinne von Ola Källenius machen die softwarebasierten Entwicklungen nicht an der Türschwelle des Autos bzw. am Parkplatz halt. Daimler plant, ein ganzes Ökosystem rund um das Auto aufzubauen, und hat drei neue
Mercedes Me-Apps in den App-Stores von Google und Apple veröffentlicht. Der potenziell spannendere Teil ist jedoch die Bereitstellung eines Software-Entwicklungspaketes für externe Dienstleister. Unter Wahrung der Sicherheit des Fahrzeugs, indem nur vordefinierte Schnittstellen zur Verfügung gestellt werden, können die Entwickler nun ihre eigene
Mercedes Me-App realisieren und damit zum gewünschten Ökosystem rund um das Fahrzeug beitragen (Stoewhase
2020; T3n Magazin 03.12.
2020).
Volvo Cars
Aus den folgenden Gründen sollte der schwedische Automobilhersteller
Volvo Cars im Zusammenhang mit der digitalen Transformation näher betrachtet:
In Bezug auf den letzten Punkt lässt sich der Ansatz von Volvo auf ein einziges Wort zusammenfassen: Zusammenarbeit. Wie in dem digitalen Bericht
„Ein neuer Ansatz für strategische Partnerschaften“ dargelegt wird, arbeitet Volvo mit den folgenden vier Unternehmen langfristig zusammen, um sein Geschäft in den jeweiligen Bereichen umzugestalten (Volvo Cars
2020):
-
Capgemini für die Bereiche Produktion, Logistik, Finanzen, HR, Facility, Recht und Sicherheit,
-
HCL Technologies für Produktentwicklung, Forschungsentwicklung, IP-Assets und Endbenutzer sowie für Kooperationsumgebungen,
-
Cognizant für Datenmanagement, Analytik, Monetarisierung und Automatisierung, und
-
Infosys, um die Umsetzung und Umgestaltung kommerzieller Aktivitäten zu unterstützen.
Indem jeder der vier Partner in den Bereichen seiner Stärken eingesetzt wird, strebt Volvo nach „Best-in-Class“-Ergebnissen. Eine unmittelbare Auswirkung dieser Umstrukturierung war die erhebliche Reduzierung von mehreren Hundert Lieferanten weltweit auf nur vier Hauptlieferanten. Dieser Schritt trug dazu bei, Abhängigkeiten zu beseitigen, die Effizienz zu verbessern und erleichterte die Einführung von Instrumenten zur Steuerung und zum Leistungsmanagement (Volvo Cars
2020). Zudem strebt Volvo nicht die Entwicklung eines eigenen Betriebssystems für seine Fahrzeuge an, sondern verlässt sich auf Googles Android Automotive OS (AAOS, nicht zu verwechseln mit Android Auto) (Gleich 18.01.
2021; Leicht 14.10.
2019). Dies hat zur Folge, dass die Datenhoheit und der direkte digitale Zugang zum Kunden verloren gehen, was etwa Daimler vermeiden möchte. Die Vorteile dieser Vorgehensweise liegen aber ebenso auf der Hand: keine kostspielige Entwicklung und Wartung eines eigenen Betriebssystems, von Apps und Diensten, da AAOS die unmittelbare Lösung für alle Fragen rund um das vernetzte Auto bietet (High 15.04.
2019). Außerdem steht Volvo dadurch das gesamte Android-Universum zur Verfügung. Wie das zweite Modell der vollständig elektrifizierten Volvo-Submarke Polestar zeigt, wird diese umfängliche Integration bewusst verstärkt und genutzt, indem das Android-basierte Infotainment für Drittentwickler geöffnet wird (Lekach 02.05.
2019). Darüber hinaus könnte AAOS in Zukunft von Vorteil sein: Volvo ist auch eine Partnerschaft mit Waymo, Spin-off von Google, eingegangen, um das autonome Fahren auf Stufe 4 (Beherrschung komplexer städtischer Verkehrsverhältnisse) zu ermöglichen (Knauer 26.06.
2020). Um dieses Ziel zu erreichen, hat Volvo seine Partnerschaft mit dem amerikanischen Start-up Luminar, das LiDAR-Sensoren (Light Detection and Ranging) herstellt, intensiviert. Diese Sensoren sind für das autonome Fahren von grundlegender Bedeutung und werden ab 2022 in jeden Volvo eingebaut, der die Produktion verlässt (Donath 07.05.
2020).