Bis 2030 wird es serienreife, hochflexible und in der Feinmotorik den Menschen überlegene humanoide Roboter geben. Das ist das Ergebnis einer Horváth-Studie, die zudem das Potenzial für Sprunginnovationen sieht.
Im ausgehenden zwanzigsten Jahrhundert traf man humanoide Roboter zumeist nur in Hollywood-Streifen, spätestens im neuen Jahrtausend dann aber in zahlreichen Laboren. Nun wandern humanoide Roboter in die Werkshallen großer Industriebetriebe, zeigt die Marktanalyse "Humanoide Roboter in Operations" der Managementberatung Horváth. Studienautor Tobias Bock, Senior Project Manager bei Horváth, sagt: "Schon 2025 werden menschenähnliche Roboter für den industriellen Einsatz in Serie produziert."
Bislang nutzt die Industrie vor allem Gelenkroboter, sogenannte Articulated Robots. Eingesetzt werden diese etwa zum Schweißen, zum Lackieren, auch in der Montage. Kollaborative Roboter, sogenannte Cobots, finden zum Beispiel in der Qualitätsinspektion Anwendung. Beide Robotertypen ähneln einem menschlichen Arm. Das allein macht sie aber noch nicht humanoid. Humanoide Roboter gleichen in ihrer gesamten Statur dem Menschen. Sie sind auch in etwa so groß und so schwer wie ein durchschnittlicher Mensch. Und das hat auch einen praktischen Grund: Sie sollen sich für Arbeit in Umgebungen eignen, die für Menschen konzipiert wurden. Erste Pilotprojekte in der Automobilindustrie laufen bereits.
Mercedes testet Apollo
Der Autobauer Mercedes-Benz testet beispielsweise den Einsatz eines Modells des US-Herstellers Apptronik. Apollo, benannt nach dem Gott des Lichts in der griechischen und römischen Mythologie, misst 1,73 m groß, wiegt 73 kg und kann selbst immerhin 25 kg Gewicht heben. Er soll künftig in der Fertigung Arbeit verrichten, zum Beispiel bei der Auslieferung von Montagesätzen an menschliche Angestellte. Bock dazu: "Es gibt viele Einsatzmöglichkeiten entlang der Wertschöpfungskette in einer Fabrik. Humanoide Roboter können in der Produktion und in der Logistik vor allem besonders arbeitsintensive, physisch anspruchsvolle und repetitive Aufgaben übernehmen."
Laut der Horváth-Studie arbeiten aktuell mehr als 20 Unternehmen an humanoiden Robotern für den kommerziellen Einsatz. Weitere Hersteller planten den Start ihrer kommerziellen Produktion in den nächsten zwei bis drei Jahren. Schon für das Jahr 2025 sei davon auszugehen, dass humanoide Roboter für den industriellen Einsatz in Serie produziert würden. Zwar seien die Aufgaben, die humanoide Roboter momentan übernehmen könnten, verglichen mit anderen Robotern, noch niedrig. Gleiches gelte für ihre Kosteneffizienz. Das aber soll sich in den nächsten Jahren ändern.
Schlüsseljahr 2030
Bereits 2026 sollen humanoide Roboter eine hohe Aufgabenvielfalt erreichen. Zeitgleich sollen sie in puncto Kosteneffizienz jedoch noch im mittelmäßigen Bereich sein. Die Kosteneffizienz soll bis 2030 jedoch kräftig steigen. Für dieses Jahr prognostiziert Bock, dass es serienreife, hochflexible und in der Feinmotorik den Menschen überlegene humanoide Roboter geben werde. Modelle mit geringeren Fähigkeiten, die aber die Geschwindigkeiten von Menschen übertreffen, soll es bereits früher geben. Außerdem werde durch die zunehmende Industrialisierung und das steigende Angebot der durchschnittliche Preis für einen humanoiden Roboter bis 2030 auf 48.000 Euro sinken. Zum Vergleich: Der Unitree H1, ein 180 cm großer, 47 kg schwerer und 5,5 km/h laufender humanoider Roboter, ist aktuell auf der Website seines Herstellers für 150.000 US-Dollar bestellbar.
Allerdings geht es natürlich nicht nur um die reinen Beschaffungskosten, sondern letztendlich um den Return on Investment (RoI). Diesen sieht Bock nach 1,36 Jahren bei folgender Rechnung erreicht: "Wir kalkulieren anfängliche Beschaffungskosten pro Roboter auf 80.000 Euro per annum. Bei den Betriebs-/Instandhaltungskosten gehen wir ähnlich wie bei vergleichbaren Technologien von je 2500 Euro per annum aus. Für einen wirtschaftlichen Betrieb der humanoiden Roboter sollten diese eine Leistungsfähigkeit von 50 % im Vergleich zum Menschen haben." Der RoI ist demnach nach spätestens 1,36 Jahren erreicht. Bei einem Beschaffungspreis von rund 65.000 Euro und einem Human-Skill-Level von 50 % werde der RoI schon innerhalb eines Jahres erreicht.
Was ist mittelfristig möglich?
Bock geht von einem Automatisierungspotenzial von mehr als 50 % bei direkten wertschöpfenden und nicht-wertschöpfenden Tätigkeiten aus. Anfangs werde das Potenzial überwiegend in logistischen Tätigkeiten liegen, mit der Weiterentwicklung der Technik auch im Bereich hoch anspruchsvoller Montagetätigkeiten. Aufgrund der hohen Standardisierung der Prozesse ließen sich speziell in der Automobilproduktion deutlich mehr Aufgaben durch humanoide Roboter automatisieren. Dazu gehörten der Austausch von defekten Bauteilen, Wartungstätigkeiten, Qualitätsprüfungen, das Anreichen von Materialien sowie Überprüfungen von Standards.
Nicht zuletzt sieht Bock in humanoiden Robotern durch technische Weiterentwicklung das Potenzial zu Sprunginnovationen. Zum Beispiel dürften Durchbrüche im Bereich der künstlichen Intelligenz zu einer erhöhten Anpassungsfähigkeit und Lernfähigkeit der Roboter führen. Auch könnte angepasste Materialtechnik durch etwa ultraleichte und kostengünstige Materialien sowie Produktionstechniken neue Use Cases ermöglichen. Längere Laufzeiten und verkürzte Ladezeiten durch Verbesserungen in der Batterietechnik werden zu erhöhter Verfügbarkeit und Produktivität führen.