Das Kapitel widmet sich der Identität der Wählergemeinschaften als parteifreier Akteur. Von Interesse ist, ob sich unter den Mitgliedern eine verbreitete Parteienskepsis identifizieren lässt, die die Identität der Wählergemeinschaften als Antipartei prägt. Das Kapitel knüpft an die These der Janusköpfigkeit lokaler Parteiorganisationen an und gibt Aufschluss, ob Wählergemeinschaften eine zwiespältige Identität besitzen, die sich in einer konträren Bewertung örtlicher und überörtlicher Politik äußert. In den Fokus rücken deshalb die Einstellungen der Mitglieder zu (Kommunal)Politik, Parteien und Demokratie. Das Erkenntnisinteresse wird durch die Frage geleitet, ob Wählergemeinschaften eine parteienskeptische Alternative zu den Parteien bilden.
Anzeige
Bitte loggen Sie sich ein, um Zugang zu Ihrer Lizenz zu erhalten.
Der Vorschlag für den Themenschwerpunkt „Politik“ im ALLBUS 2018 umfasst zudem Items zur Messung von populistischen sowie pluralistischen Einstellungen und wurde gemeinsam mit Simon T. Franzmann, Thomas Poguntke und Saskia P. Ruth eingereicht, denen an dieser Stelle mein herzlicher Dank für die Zusammenarbeit gilt.
Ob Wählergemeinschaften bestehende Repräsentationslücken schließen und dadurch zur Stabilisierung der kommunalen Demokratie beitragen, wie von Holtmann (2012) postuliert, wird in Kapitel 8 empirisch untersucht.
Als empirisches Indiz für die Plausibilität der These dient der Befund, dass sich anti-parlamentarische Haltungen von Mitgliedern rechtsextremer Wählergemeinschaften – die allerdings nur einen Teil des Spektrums abdecken – nahezu ausnahmslos in Großstädten wiederfinden (Krappidel 2016, S. 66, 210). Auch Fallstudien zu rechtspopulistischen Bürgerbewegungen in der Kommunalpolitik verorten diese in Großstädten wie Köln, Duisburg und Oberhausen (Häusler 2008), was darauf hindeutet, dass eine umfängliche Anti-Parteien-Haltung dort eher als in Land- und Kleinstädten anzutreffen ist.
Eigene Untersuchungen für Baden-Württemberg zeigen, dass die dortigen Ortseinheiten der Grünen aufgrund ihrer Selbstbezeichnung teils nicht von Wählergemeinschaften zu unterscheiden sind. Eine Auswertung der Selbstbezeichnung für das Jahr 2014 ergibt, dass 43 Prozent der 366 vom Landesverband gelisteten Untergliederungen keinen namentlichen Bezug zur Partei aufweisen (vgl. Bündnis 90/Die Grünen Baden-Württemberg (2018)). Stattdessen finden sich Bezeichnungen wie Alternative Liste, Bürgerforum und Bündnis Mensch und Umwelt. Letztere verweisen explizit auf ihren parteifreien Status: „Das Bündnis Mensch und Umwelt ist weder Partei noch Verein, sondern eine nicht mitgliedschaftlich organisierte Wählervereinigung. […] Besonders wichtig sind uns die Belange des Umweltschutzes, […] jedoch haben wir keine parteigebundene Meinung“ (Bündnis Mensch und Umwelt Besigheim (2018)). Die Internetauftritte lassen nicht unmittelbar auf eine personelle oder organisatorische Verbundenheit mit den Grünen schließen, da dem Design der Grünen teils ähnelnde aber abweichende Symboliken verwendet werden. Statt einer Sonnenblume nutzt beispielsweise die Liste Bürgerbeteiligung und Umweltschutz eine gelbe Sonne auf grünem Hintergrund (Liste Bürgerbeteiligung und Umweltschutz (2018)). Die ebenfalls als Untergliederung der Grünen geführte Bürgeraktion lässt auf ihrem Internetauftritt weder durch Farbgebung noch durch Symbole eine Nähe erkennen (Bürgeraktion Freudenstadt (2018). Es ist zu vermuten, dass die anfängliche Haltung der Grünen als Anti-Parteien-Partei (Poguntke (1993a) in der baden-württembergischen Kommunalpolitik aufgrund der dort verbreiteten parteienskeptischen Tradition kommunaler Selbstverwaltung fortbesteht.
Eine Ausnahme bildet die negative Korrelation zwischen der Beurteilung der CDU/CSU und der Linkspartei, ebenso wie zwischen der Bewertung der CSU und den Grünen.
Für die Korrelationsanalysen wurde die ursprüngliche metrische Skalierung des kommunalen Demokratietyps (Holtkamp et al. (2015, S. 11); Holtkamp (2006, S. 655–656) und den Dimensionen der Parteienskepsis beibehalten. Die Korrelationskoeffizienten sind in Abbildung 7.3 und in den folgenden Abbildungen 7.4 bis 7.6 in der Abbildungsunterschrift angegeben.
Für die Korrelationsanalyse wurde die Einwohnerzahl der Kommunen herangezogen, statt die Einwohnerzahl nach Städtegrößenklassen zusammenzufassen. Für die Deskription erweist sich die zusammenfassende Darstellung als übersichtlicher.
Für die Korrelationsanalysen wurde der Stimmenanteil der Wählergemeinschaften als metrische Variable verwendet. Für die Deskription erweist sich die zusammenfassende Darstellung anhand von drei Kategorien als übersichtlicher.
Als Wählergemeinschaften des alten Typs werden solche mit Gründungsdatum vor 1972 bezeichnet, als Wählergemeinschaften des neuen Typs solche, die sich später gründeten.
Für die Korrelationsanalysen wurden die Gründungsjahre der Wählergemeinschaften herangezogen. Für die Deskription erweist sich die zusammenfassende Darstellung als übersichtlicher.
Zu beachten ist, dass es sich nicht um einen Längsschnittvergleich handelt, sondern die in den Jahren 2015 und 2016 befragten Mitglieder nach Gründungsjahr der Wählergemeinschaft in zwei Gruppen eingeteilt wurden. Die vorliegenden Informationen erlauben insofern nur eine empirische Annäherung.
Es ist noch einmal darauf hinzuweisen, dass die Hypothesenprüfung diesbezüglich aufgrund des Querschnittsdesigns nur eingeschränkt möglich ist. Es wird deshalb vorsichtig davon gesprochen, dass eine Beziehung zwischen dem Wahlerfolg und der Parteienskepsis besteht.
Der Effekt sollte zwar nicht überschätzt werden, da er lediglich auf dem Zehn-Prozent-Niveau signifikant ist, da die Signifikanz mit sechs Prozent nur knapp über dem Fünf-Prozent-Niveau liegt, wird er hier trotzdem inhaltlich interpretiert.