"Technologie verwandelt den deutschen Hypothekenmarkt"
- 03.11.2025
- Immobilienfinanzierung
- Interview
- Online-Artikel
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KI, aber auch Nachhaltigkeit und Regulatorik verändern die Hypothekenvergabe grundlegend. Was dieser Wendepunkt für Banken und deren Kreditprozesse bedeutet, erläutert IT-Experte Geert van Kerckhoven im Interview.
Geert van Kerckhoven ist Gründer und CEO von Oper Credits. Die belgische Firma will den Hypothekenmarkt und die Bankenbranche mithilfe von innovativer Technologie effizienter machen.
Oper Credits BV / Lio Photography
Springerprofessional.de: Warum steht die Hypothekenkreditvergabe in Deutschland gerade jetzt an einem Wendepunkt? Welche technologischen oder regulatorischen Faktoren treiben diesen Wandel?
Geert van Kerckhoven: In Deutschland ist der Hypothekenmarkt seit 2023 dramatisch angestiegen: Laut der Deutschen Bundesbank stieg die Hypothekenvergabe an private Haushalte zwischen Januar und Mai 2025 um fast 34 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Steigende Finanzierungskosten, strengere Regulierung und neue Technologien prägen den Markt. Um Wohneigentum trotz steigender Finanzkosten dennoch zu ermöglichen, setzen Kreditgeber auf flexible Hypothekenlösungen. Gleichzeitig führen strengere Vorgaben zur Kreditwürdigkeitsprüfung, Geldwäscheprävention und ESG-Kriterien zu einem höheren administrativen Aufwand. Außerdem hat der Beginn des Zeitalters von Künstlicher Intelligenz (KI) dazu geführt, dass viele Banken neue Technologien einführen und somit besser unterstützt werden bei der Risikobewertung, Datenanalyse und Kundenkommunikation. Kunden und Kundinnen erwarten nun also digitale Geschwindigkeit und persönliche Beratung.
Steigende Zinsen, komplexere Regulierung und immer bessere Technologie verwandeln den deutschen Hypothekenmarkt. Er verändert nicht nur das Verhalten von Kreditnehmern und Kreditnehmerinnen, sondern auch die Strategien von Banken.
Welche regulatorischen Anforderungen behindern derzeit eine vollständig digitale Hypothekenvergabe? Wo sehen Sie den größten Reformbedarf?
Das größte Hindernis für eine vollständige digitale Hypothekenvergabe bleibt die Abhängigkeit von physischen Dokumenten. Obwohl ein Großteil der Daten bereits in digitaler Form vorliegt, verlangsamen Papierdokumente Kreditwürdigkeits- und Hypothekenprüfungen sowie Grundbuchverfahren. Elektronische Signaturen sind beispielsweise auch nicht überall ein selbstverständlicher Bestandteil von Bankprozessen, was auf einen Bedarf an stärkerer Digitalisierung hindeutet. Die Niederlande und Estland haben branchenübergreifende digitale Plattformen aufgebaut, um Transparenz, Zugänglichkeit und Geschwindigkeit zu optimieren. Solche Modelle könnten auch in Deutschland Prozesse vereinheitlichen und beschleunigen.
Wie lässt sich die hohe Abbruchquote bei Hypothekenanträgen technisch und strukturell erklären? Spielt dabei die Fragmentierung der Prozesse eine tragende Rolle?
Der Kauf eines Eigenheims ist ein wichtiger Schritt im Leben. Fragmentierte Prozesse im Umgang mit Beratern, Banken, Kreditgebern und Notaren führen jedoch zu einem hohen Dokumentationsaufwand und zahlreichen Verzögerungen. Seit der Finanzkrise von 2008 wurden immer mehr neue Vorschriften eingeführt, insbesondere in Bezug auf die Kreditwürdigkeit und den Verbraucherschutz. Diese haben die Widerstandsfähigkeit des Hypothekenmarktes gestärkt. Diese Sicherheitsvorkehrungen sind zwar für die Stabilität unerlässlich, haben aber auch die ersten Phasen des Hypothekenprozesses komplexer gemacht, was den Prozess gelegentlich verlangsamt und einigen Kreditnehmern die Orientierung erschwert.
Darüber hinaus sind digitale Prozesse in einigen Bereichen zur Norm geworden. Viele Banken befinden sich jedoch noch in der Digitalisierung ihrer IT-Systeme. Das bedeutet, dass Hypothekenfachleute oft einen Großteil ihrer Zeit mit der manuellen Dateneingabe und anderen Verwaltungsaufgaben verbringen, was zu langen Wartezeiten führt, die Kreditnehmer oft so frustrieren, dass sie den Prozess vorzeitig abbrechen. Eine vollständige Digitalisierung muss jedoch mit den Erkenntnissen erfahrener Fachleute kombiniert werden. So lassen sich Wissenslücken vermeiden, die den Hypothekenprozess erschweren und letztendlich zu frustrierten Kreditnehmern und fragmentierten Systemen führen. Ziel ist, dass Fachleute ihr wertvolles Wissen in komplexen Phasen des Hypothekenprozesses einbringen, anstatt Verwaltungsaufgaben zu erledigen.
Was genau versteht man unter einer Orchestrierungsebene in der Hypothekenvergabe? Hat diese Auswirkungen auf die Rollen von Maklern, Bankfilialen und digitalen Plattformen?
Eine Orchestrierungsebene im Hypothekengeschäft verbindet alle Beteiligten, Datenquellen und Entscheidungsregeln über eine einzige Plattform. Sie standardisiert Datenflüsse, automatisiert Routineprüfungen und beschleunigt den Prozess. Makler profitieren von Echzeit-Statusupdates, Berater von weniger manueller Arbeit und Kreditprüfungsteams können sich auf Risikobewertung und Portfoliooptimierung konzentrieren. Automatisierte Entscheidungsfindung stellt sicher, dass Ergebnisse konsistent, nachvollziehbar und leicht überprüfbar sind. Letztendlich ermöglicht die Orchestrierungsebene einen schnelleren, transparenteren und effizienteren Hypothekenprozess für alle Beteiligten.
Erklären Sie bitte, wie bei einer intelligenten Automatisierung von Nachweisen sichergestellt werden kann, dass Entscheidungen weiterhin transparent und auditfähig bleiben?
Intelligente Automatisierung bedeutet, Menschen, Daten und Prozesse zusammenzuführen, reduziert den manuellen Aufwand und verbessert gleichzeitig die Genauigkeit und Geschwindigkeit. Alle Entscheidungen werden mit einem Zeitstempel, einer Quelle und einem Entscheidungspfad protokolliert. So wird sichergestellt, dass alle Entscheidungen nachvollziehbar sind - so entsteht vollständige vollständige Transparenz. Für jene, die technologische Kontrolle mit menschlicher Expertise verbinden wollen, bietet das Vier-Augen-Prinzip die Geschwindigkeit der Technologie mit der Sicherheit menschlicher Kontrolle.
Wie bei allen technischen Tools ist ein klarer Überblick über die Funktion und Arbeit der intelligenten Automatisierung notwendig, um sicherzustellen, dass sie vertrauenswürdig funktioniert. Bei der Integration von so einer Technologie in den Hypothekenprozess wird dieser Überblick wichtiger denn je, da die Entscheidungen und Arbeitsabläufe in diesem Prozess logisch und transparent sein müssen, um eine faire Erfahrung für alle Beteiligten zu gewährleisten.
Welche Vorteile bietet die Kodierung von Kreditrichtlinien als wiederholbare Regeln? Hat dies auch Auswirkungen auf die Compliance- und Prüfprozesse für Banken?
In der Kodierung von Kreditrichtlinien sind vor allem Vorteile in der Konsistenz und Geschwindigkeit der Kreditentscheidungen zu sehen. Gleiche Fälle führen zur gleichen Entscheidung. Bei komplizierten Fällen, sowie bei Selbständigen, wo die Kodierung nicht eins zu eins passt, kann sie dennoch helfen, schneller und geregelter Entscheidungen zu treffen, da Mensch und Maschine zusammenarbeiten können.
Auch für Compliance- und Prüfprozesse ergeben sich Vorteile: Regeln, Testfälle und Genehmigungen sind Schritt für Schritt nachvollziehbar. Prüfzyklen werden dadurch verkürzt und faktenbasierter gestaltet. Insgesamt trägt die Kodierung von Kreditrichtlinien damit zu effizienteren, transparenteren und faireren Prozessen für alle Beteiligten bei.
Wie lässt sich die digitale Hypothekenvergabe insgesamt mit Datenschutz- und Verbraucherschutzanforderungen in Einklang bringen? Schließlich geht es hier um besonders sensible Finanzdaten.
Daten- und Verbraucherschutz müssen bei der digitalen Hypothekenvergabe im Mittelpunkt stehen. „Security by Design“ muss durch End-to-End-Verschlüsselung, personalisierte Zugriffsrechte, und sicheren Löschprozessen gewährleistet werden. Nur unbedingt notwendige Daten dürfen genutzt werden und deren Verwendung muss klar definiert sein. Eine kontinuierliche Kontrolle aller Dienstleister muss verpflichtend sein, um Sicherheit und Vertrauen zu gewährleisten.
Blicken wir in die Zukunft: Wird die Hypothekenvergabe in den kommenden fünf bis zehn Jahren vollständig digital werden oder werden hybride Modelle, die auch den persönlichen Kontakt vorsehen, zum Standard?
In fünf bis zehn Jahren wird der Standard 'digital‑first, hybrid‑enabled' heißen: Der Großteil der Anträge wird vollständig digital bearbeitet und in Echtzeit bearbeitet, jedoch mit nahtloser Möglichkeit zum menschlichen Kontakt. Somit wird sich auch die Rolle der Berater verändern - sie konzentrieren sich stärker auf die Beratung, Qualitätskontrolle, und Ausnahmeentscheidungen statt auf Datensammlung.
Mit verbesserter Digitalisierung werden einheitliche Daten- und Regelplattformen zum Branchenstandard. Identitäts- und Signatur-Prozesse werden nahtlos in elektronische Grundbuch‑ und Notar‑Schnittstellen integriert. Das Ergebnis: kürzere Durchlaufzeiten, höhere Abschlussquoten, verbesserte Compliance und eine deutlich bessere Kundenerfahrung.