Industrie 4.0 bringt das digitale Zeitalter in Werkshallen und Fabriken. Nicht nur einzelne Geschäftsmodelle werden sich in den nächsten Jahren digital transformieren, auch die gesamte Industriebranche wird sich nachhaltigen Veränderungen gegenübersehen. Predictive Maintenance (prognostizierte Wartung) wird dabei ein zentrales Herzstück sein und durch die Nutzung von intelligenten Daten handfestes Wissen von der Zukunft schaffen.
In der Luftfahrt gilt seit jeher, dass Flugzeuge nur in der Luft Einnahmen erwirtschaften können. Ähnlich verhält es sich auch im produzierenden Gewerbe: Nur wenn Maschinen, Anlagen und Prozesse reibungslos laufen, können wirtschaftliche Ziele erreicht werden. Rüstzeiten und Wartungsläufe führen dabei zu regelmäßigen, meist sogar geplanten Produktionsstillständen, um vorbeugende Wartung (Preventive Maintenance) vornehmen zu können. Das wird sich durch Predictive Maintenance ändern. Unternehmen müssen weder in festen Zeitabständen Wartungen vornehmen, noch im Nachhinein auf Störungen reagieren, sondern können bedarfsgerecht mögliche Defekte erkennen, noch bevor sie tatsächlich entstehen. Die Perspektive liegt in der Kombination technischer Fortschritte, von der Sensorik in der Maschine, über die Konnektivität der Maschinenkomponenten untereinander bis hin zur Auswertung von umfassenden Daten, welche ohnehin im Rahmen der Fertigungsprozesse erhoben werden.
Intelligente Wartung und Quantifizierung von Risiken
Die Vernetzung von Maschinen und einzelnen Komponenten, mathematischen Algorithmen und damit verknüpften Analysetools (Big Data Analytics) machen es dabei möglich, Zustandsdaten auszuwerten: Laufzeiten, Drehzahlen, Temperaturen, Energieverbrauch geben dabei Rückschlüsse, z.B. auf Vibrationen oder andere technische Probleme. Diese werden transparent ermittelbar, Erkenntnisse nutzbar. In Kombination mit historischen Daten und Informationen aus einer Vielzahl gleicher und ähnlicher Installationen lässt sich zudem auch die aktuelle und zukünftige Funktionsbereitschaft simulieren – mögliche Schwachstellen werden identifiziert und der Ausfall eines Bauteils prognostiziert. Muster, die auf Störungen oder Abnutzungen hindeuten, werden so rechtzeitig erkannt und Maßnahmen zur Instandhaltung oder Reparatur betroffener Teile können bei Bedarf eingeleitet werden. Der Vorteil: Durch den Wegfall geplanter und ungeplanter Produktionsstillstände steigt die Produktivität. Gleichzeitig werden unumgängliche Reparaturen planbar und in der Dauer kürzer, parallel sinken Servicegebühren.
Der digitale Zwilling ist ausschlaggebend
Erst die digitale Vernetzung aller in der Produktion beteiligten Elemente, bis hin zum Produkt selbst, ermöglicht frühzeitig im Produktentwicklungsprozess die Erstellung eines "digitalen Zwillings". So können ganze Produktionsstätten virtuell nachgebaut werden – der Kern der Smart Factory. Der Zugriff auf alle im Produktionsprozess relevanten Daten ermöglicht beispielsweise, Änderungen am Produkt, etwa die Anpassung eines Designs oder die Verlängerung einer Kante, sowie deren Auswirkungen auf den Produktionsprozess selber zu simulieren. Dies macht nicht nur die Optimierung von Abläufen leichter, sondern kann auch bei Maschinenauslegung, Materialbeschaffung, Produktions- und Kapazitätsplanung unterstützend wirken.
Industrieunternehmen transformieren sich zu Servicedienstleistern
Aber neben den prozessualen Vorteilen, die Predictive Maintenance bietet, lassen sich für Industrieunternehmen auch weitere Handlungskorridore erschließen und nutzen. Fokussierte sich der Maschinenbau lange Zeit lediglich auf die Fertigung und Installation von technischen Anlagen oder waren Automobilhersteller ausschließlich auf die Produktion ihrer PKW spezialisiert, transformieren sie sich durch Big Data Analytics nun zu ganzheitlichen Lösungsanbietern mit Produkten und Dienstleistungen.
Ob bei der Verknüpfung von Maschinen innerhalb der Produktionsprozesse oder unternehmensübergreifend digital vernetzer Wertschöpfungsketten, der Erhebung und Speicherung der Daten sowie der Auswertung und Formulierung konkreter Handlungsalternativen: Unternehmen haben das Potenzial, sich innerhalb des Industriesektors neu zu erfinden und dabei Synergieeffekte zu schaffen. Wurden intervallbasiert Serviceleistungen bisher oft durch Dritte erbracht, können nun neue Geschäftsstrukturen geschaffen und kunden-, produkt- und bedarfsspezifische Servicepakete angeboten werden.
Wie das im Automobilsektor aussehen kann, zeigt ein Blick auf BMW und Daimler: Beide Automobilhersteller haben sich von der ausschließlichen Produktion und Wartung ihrer PKW gelöst und eine Transformation zu Mobilitätsdienstleistern angestoßen. Mit den Carsharing-Plattformen drivenow und car2go oder mytaxi sind beide Unternehmen bereits heute fest im Mobilitäts- und Servicebereich verankert – in Zukunft ist weiteres Engagement jenseits der Werkshallen denkbar.
Langfristig denken, Chancen nutzen
Auch wenn wir erst am Anfang der Digitalisierung stehen: Schon heute lassen sich Potenziale und Handlungsmöglichkeiten konkret erkennen – gerade der Rückgriff auf ohnehin routinemäßig generierte Daten wird in Zukunft helfen, langfristige Trends früh zu identifizieren und neue Geschäftsmodelle zu entwickeln. Dabei kommt der Industrie zugute, dass Initiativen wie Predictive Maintenance nicht nur eine Investition in zukünftige Geschäftsmodelle darstellen, sondern parallel auch die eigene Produktivität erhöhen. Wichtig wird sein, mit der Entwicklung Schritt zu halten und die damit einhergehenden Chancen zu erkennen und zu nutzen.