Warum kommt die Digitalisierung in den Unternehmen nur schleppend voran? Es fehlt an Kompetenz im Thema, Klarheit in der Strategie und Kohärenz in der Umsetzung, lautet die Diagnose einer jetzt zur Hannover-Messe veröffentlichten Studie.
Springer Fachmedien Wiesbaden
Das weltweit tätige Beratungsunternehmen Accenture hat nachgefragt. Unter anderem: Wie nehmen die Arbeitnehmer selbst das Thema Digitalisierung wahr? Die Ergebnisse, die jetzt unter dem Titel "Ein neuer Weckruf zur Digitalisierung" zur Hannover-Messe 2019 publiziert wurden, überraschen: Die überwältigende Mehrheit ist demnach von den Auswirkungen digitaler Technologien begeistert. Wenn also die Arbeitnehmer die übergreifenden Anstrengungen zur Digitalisierung in der Industrie nicht zu Fall bringen – wer dann, wundern sich die Autoren und identifizieren vier Hauptursachen der stockenden Digitalisierung:
- Wenige erfolgreiche Pilotprojekte blenden
- Entscheidern fehlen Digitalkompetenz und Mut
- Arbeitsteilung bremst Digitalisierung aus
- Nur viele kleine statt große Programme aus einem Guss
"Wir hatten 2016 den Mut, ein großes Digitalisierungsprogramm aufzusetzen – sehen aber auch, dass viele andere Unternehmen nur in Miniaturschritten vorgehen. Die Überzeugung zu großen Schritten und Programmen fehlt oft noch", kommentiert Frank Notz, Vorstand Human Resources beim Automatisierunsspezialisten Festo.
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts war die Einführung der Arbeitsteilung und die damit einhergehende Massenproduktion am Fließband (Taylorismus) Treiber für den Erfolg der Industrie 2.0. Von der Chefetage bis zum Pförtner herrsche denn auch heute die perfekte Abgrenzung, heißt es in der Accenture-Studie. Immer sei ganz klar, wofür die Verantwortung trage. Doch dieser funktionale Blick auf das Unternehmen, der vor allem die Wertschöpfungsketten im Auge habe, um Effizienzen zu realisieren, helfe nicht mehr weiter: "Wer die Digitalisierung erfolgreich umsetzen will, muss sie vom Kunden her End-to-End denken. Von der ersten Kontaktaufnahme bis zur individuellen Fertigung von Produkten über die zugehörigen Dienstleistungen." Die Unterneh¬men müssten dafür alle Abläufe den Kundenbedürfnissen unterordnen, denn im Alltag der heutigen Industrie 4.0 seien Geschwindigkeit und Agilität wichtiger als die pure Effizienz – vor allem im Service und an der Schnittstelle zum Kunden.
Neue Offenheit gefordert
Klaus Helmrich, CEO Siemens Digital Industries und Vorstand der Siemens AG, bestätigt diese Einschätzung: "Die digitale Transformation der Industrie kann nur gelingen, wenn alle Akteure – Plattformanbieter, Lieferanten und Anwender – offen und partnerschaftlich zusammenarbeiten. Damit Industrie 4.0 funktioniert, müssen wir gegenseitig ein Bewusstsein für die jeweiligen Herausforderungen und Geschäftsmodelle aller Beteiligten haben. Das bedeutet auch, dass jeder seine Kompetenzen einbringt, auch und insbesondere der oft hoch innovative Mittelstand."
"Es ist Zeit zu handeln!", resümieren die Autoren der Studie und geben den Entscheidern in den Unternehmen zehn Handlungsempfehlungen auf den Weg, die sich mit Thomas Fischer, Aufsichtsratsvorsitzender von Mann+Hummel, einem führenden Hersteller auf dem Gebiet der Filtration, so zusammenfassen lassen: "Deutschland braucht eine deutlich stärkere Risikokultur. Anders ausgedrückt: Mut und Unternehmertum. Wir müssen mehr in monetarisierbaren Geschäftsmodellen denken, die auch andere Kollaborationsformen mit sich bringen. Es braucht eine neue Offenheit."