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19.09.2017 | Industrie 4.0 | Kolumne | Online-Artikel

Der digitalisierte Drache

verfasst von: Boris Gloger

5 Min. Lesedauer

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Die deutsche Wirtschaft kann von Shanghai viel lernen, meint Boris Gloger. Auf seiner Reise durch die bedeutendste Industriestadt der Volksrepublik hat der Managementberater die chinesische Digitalrevolution gesehen. Ein Streifzug durch die wirtschaftliche Entwicklung der chinesischen Boomtown.

Deutschland ist die Werkband Silicon Valleys. Zu diesem Schluss kommt Christoph Keese in seinem Buch "Silicon Germany. Ein Bedrohungsrisiko“. Der Journalist bringt damit einen für die hiesige Digitalwirtschaft lähmenden Zustand auf den Punkt: Ideen geben andere, Deutschland führt aus und setzt um. Brechen wir aus diesem Status quo nicht aus, wird Deutschland Schlusslicht der Digitalisierung sein und von flexibleren, innovativeren Ländern überholt werden. Ein Vorbild kann Shanghai sein – hier arbeiten ebenso innovative Köpfe wie in San Francisco an der Zukunft. Die bedeutendste Industriestadt Chinas und drittgrößte Stadt der Welt spielt in der Digitalisierung ganz vorne mit.

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2017 | OriginalPaper | Buchkapitel

Chinas Wissenschafts- und Technologie-Roadmaps in das Jahr 2050

Technologie-Roadmapping ist ein Werkzeug, das auf unterschiedlichen institutionellen Ebenen angewendet werden kann. An vielen anderen Stellen in diesem Buch wird gezeigt, in welcher Weise es Führungskräften in Unternehmen helfen kann. 


China holt digital auf

In Shanghai ist ein erstaunliches Fortschrittstempo zu beobachten. Dort, wo die industrielle Revolution erst knapp ein Jahrhundert später als in Europa ins Laufen kam, strampelt sich die fortschreitende Digitalisierung in rasender Geschwindigkeit von der veralteten Infrastruktur frei. Die digitale Serviceindustrie ist die Dampfmaschine Asiens. Auch in den Branchen Robotik, Hightech-Maschinen- und Anlagenbau, Bio- und Medizintechnik, Elektromobilität und Luft- und Raumfahrt sieht die chinesische Regierung großes Wachstumspotential und möchte deren Anteil am Bruttoinlandsprodukt von 2015 bis 2020 um 0,4 Prozentpunkte auf 2,5 Prozent steigern. Große europäische Konzerne wie VW gründen in Shanghai Niederlassungen, mit dem Ziel, neue Technologien für den Absatzmarkt China zu entwickeln und den Anforderungen der Kunden dort gerecht zu werden.

Was hat Shanghai, was wir nicht haben?

Wieso ist Shanghai so attraktiv für die digitale Zukunftsforschung? Der Grund ist so simpel wie wirtschaftlich relevant: Chinesische Tech-Unternehmen gelten als besonders innovativ, die chinesische Gesellschaft als besonders offen für neue digitale Produkte. Nirgendwo sonst wird das Smartphone so exzessiv für die Interaktion mit der Außenwelt genutzt wie im Land der aufgehenden Sonne. Hier Leben die digitalen Trendsetter.

Ein Beispiel dafür ist die App "Wechat". Mit knapp 700 Millionen aktiven Usern in China hat der Messenger die klassische Kommunikation abgelöst – mit dem PlugIn "Ali Pay" klassische Zahlungsmittel ins Nirvana befördert. Kleinere Transaktionen werden nur noch über diese Applikation abgewickelt, sei es die Reservierung im Restaurant, das Bezahlen an der Supermarktkasse oder die Nutzung des Mall-WiFis. Alles kann bequem über QR-Codes gescannt und so innerhalb weniger Sekunden beglichen werden. In Shanghai organisiert man mit Wechat inzwischen sein Leben.

Chancen des digitalen Zeitalters nutzen

Wo in Deutschland noch eine hohe Sensibilität in Sachen Datenschutz herrscht, geht man in China viel unbekümmerter mit Daten um – man bekommt ja schließlich auch etwas dafür: die Chancen des digitalen Zeitalters. 350 Millionen Chinesen, das ist ungefähr die Hälfte der chinesischen Bevölkerung, bezahlt inzwischen ausschließlich mit mobilen Bezahlsystemen. Ein gewaltiges Zeichen, schließlich sind die vier größten Banken der Welt chinesische Inlandsbanken. Beim Thema Zahlungsverkehr sind diese aber so ineffizient, dass Alipay dieses Thema nun beherrscht.

Greift man das Beispiel großer deutscher Autokonzerne und Zulieferer nochmal auf, wird auch hier deutlich: Die Entwicklungen in China und ganz besonders in Shanghai, sind disruptiv. Hier wird an der Zukunft der Mobilität gearbeitet, wie sonst fast nirgendwo auf der Welt. Ziel ist die Neuerfindung der Fortbewegung: Apps, künstliche Intelligenz und E-Motoren. Fieberhaft tüftelt man daran, Fahrzeuge zu entwickeln, die eine merkliche Entlastung der Umwelt bringen. Das Ganze wird massiv von der chinesischen Regierung subventioniert.

Proaktivität statt Panik

Die Bemühungen um die digitale Führungsposition haben auch einen ganz pragmatischen Grund: Die Löhne der Fabrikarbeiter sind in den letzten Jahren auch in China so stark gestiegen, dass sich für viele internationale Konzerne eine Produktion dort nicht mehr lohnt. Die chinesische Regierung hat verstanden, dass die nächste Produktivitätsstufe nicht mehr mit der Verbesserung der Produktionsbedingungen erreichbar ist und sucht deshalb den Ausweg im Ausbau des Servicesektors. Um die drohende Massenarbeitslosigkeit, durch die aufkommende Automatisierung zu vermeiden, orientiert sich das Land neu und gründet seine Wirtschaftsleistung auf digitalen Produkten. 

Das digitale Ökosystem bringt tagtäglich tausende neue Apps und Lösungen wie Netflix-Vorläufer Le Eco und den Messaging-Dienst Line hervor.  Das Erfolgsgeheimnis: Anders als in Deutschland, wo die Digitalisierung oft mit dem Verlust tausender Jobs gleichgesetzt wird, reagiert man dort proaktiv. Anstatt in alten Mustern zu verharren, werden neueste Geschäftsmodelle entwickelt. Statt sich auf einzelne Kernthemen zu fokussieren, liegt es in der DNA chinesischer Unternehmen so gut wie möglich zu diversifizieren – analog, vor allem aber auch digital. Und auch das geringe Maß an Marktregulierung ist ein treibender Faktor: Während den Silicon Valley-Giganten Facebook, Google und Apple inzwischen ein eisiger Wind entgegen schlägt, sind chinesische Unternehmen weitestgehend frei in ihrer Expansion auf dem inländischen Markt, der einfach riesig ist.

Die BAT-Unternehmen Baidu, Alibaba und Tencent sind Beispiele dafür. Die drei Big-Player der chinesischen Digitalwirtschaft haben sich in Windeseile zur knallharten Silicon Valley-Konkurrenz entwickelt. Der Fokus liegt klar auf Big Data und der Weiterentwicklung von Deep Learning, Künstlicher Intelligenz sowie der Mensch-Maschine-Interaktion. Zugrunde liegt ein ausgereiftes System der Erhebung, Verarbeitung, Speicherung und Verwaltung von Daten. Alibaba hat so inzwischen etwas schier Unmögliches geschafft: Über den Commerce-Riesen werden inzwischen mehr Verkäufe getätigt als über die Branchengiganten ebay und Amazon zusammen.

Survival of the Fittest

Früher haben deutsche Unternehmen ihre Produktion wegen der niedrigen Arbeitslöhne oft nach Asien verlegt. Heute kommen wir nach China, um dort neue innovative auf den chinesischen Markt zugeschnittene Produkte zu entwickeln. Der Wind hat sich also gedreht.

Die deutsche Wirtschaft sollte intensiver neue Technologien und Geschäftsmodelle verfolgen, was nur durch eine angemessene Förderung des Staates zu Erfolg führen kann. Doch selbst die größte Investition bringt nur Erfolg, wenn Deutschland aufhört wie das Kaninchen vor der Schlange zu sitzen.

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