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15.06.2021 | Industrie 4.0 | Gastbeitrag | Online-Artikel

Maschinenbauer müssen sich zunehmend als Dienstleister verstehen

verfasst von: Dr. Christian Frank

4:30 Min. Lesedauer

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Digitale Geschäftsmodelle werden zum Wachstumstreiber. Um mit Predictive Maintenance- oder Life Cycle Management-Diensten konkurrenzfähig zu sein, müssen Maschinenbauer Software- und Big Data-Wissen aufbauen.

In Zeiten, in denen die Digitalisierung und Vernetzung der Produktion immer weiter voranschreitet, in denen sich wesentliche Parameter unternehmerischen Handelns in immer kürzeren Zyklen ändern, müssen strategisch kluge Entscheidungen getroffen werden. Entscheidungen, die maßgeblich über die unternehmerische Zukunft im Maschinen- und Anlagenbau bestimmen. Die Branche muss sich zunehmend als Dienstleister verstehen, es geht um nicht weniger als die Neudefinition von Servicegeschäft – eigentlich um eine Neudefinition des Geschäftsmodells. Und man muss kein Prophet sein, um zu sagen, dass es einen großen Teil des Maschinenbaus berühren wird.

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Die systematische Entwicklung von Servicesystemen im digitalen Zeitalter – Ein Fakten-basierter Ansatz

Die Gestaltung von bzw. die aktive Vernetzung in Servicesystemen werden zunehmend als wesentliche Erfolgsfaktoren für Unternehmen gesehen. Gleichzeitig können im digitalen Zeitalter aufgrund einer Vielzahl von in Maschinen verbauter Sensoren große Datenmengen generiert werden.

Jahrzehntelang erfolgreiche Geschäftsmodelle geraten vermehrt unter Druck. Trotzdem sehen viele Unternehmen noch immer nicht in ausreichendem Maße die Chancen und Gewinnpotenziale, die der Aus- und Weiterbau des Servicegeschäfts bereithält. Häufig sind sie zu großen Teilen auf die eigenen Produkte fokussiert und scheuen sich vor Risiken. Doch schon heute entscheidet über den nachhaltigen Erfolg in der Industrie, ob Maschinen- und Anlagenbauer hochwertige Services nicht nur als Add-on, sondern als eigenständige Dienstleistung anbieten. Sprich: Predictive Maintenance, Remote-Dienste, durchgängige Produktverfügbarkeit, Lifecycle Management.

Über Service zum Alleinstellungsmerkmal

Das Problem vieler Unternehmen ist in zunehmendem Maße die Austauschbarkeit der Produkte. Wer sich nur noch über das Kerngeschäft definiert, lässt wirtschaftliches Potenzial ungenutzt. Schwerpunkt muss zwar auch künftig das exzellente, innovative und nun auch nachhaltige Produktangebot mit höchster Präzision, Qualität und Zuverlässigkeit sein – dies ist die Voraussetzung für die intensive Bindung der Bestandskunden. Parallel dazu sollte aber die Erweiterung der Geschäftsmodelle zur Gewinnung neuer Kunden oder der Verteidigung der Marktposition erfolgen. Dazu sind Investitionen in die Serviceorganisation, in den Auf- und Ausbau digitaler Infrastrukturen respektive Datenplattformen und in die Gewinnung von Digitalexperten dringend notwendig. Das Servicelevel entwickelt sich zum strategischen Alleinstellungsmerkmal.

Wie sehr sich die Ausweitung des Servicegeschäftes lohnt, zeigt etwa der BCG Digital Services & Service Excellence Benchmark aus dem Jahr 2020. So machen Serviceleistungen bei großen OEMs aktuell rund 30 % der Gesamtumsätze aus, zeichnen aber für rund 40 % der Rohertragsmarge verantwortlich. Zudem wachsen sie mit 7,2 % deutlich stärker als das übrige Geschäft mit 5,6 %. Das Servicegeschäft sollte also als entscheidender Faktor für nachhaltigen Unternehmenserfolg verstanden werden und nicht als Kostenstelle. Dabei ist diese wirtschaftliche Effizienz nur möglich, wenn a) über die gesamte Wertschöpfungskette hinweg leistungsfähig gearbeitet wird und b) das erforderliche Daten- und Technologie-Know-how vorhanden ist.

Die Plattformökonomie, die bereits andere Branchen grundlegend verändert hat, wird auch den Maschinenbau erreichen. Das ist nur eine Frage der Zeit. Neue Fähigkeiten geraten bereits heute zunehmend in den Vordergrund: Software und Big Data-Fähigkeiten. Mit den Plattformstrategen, die möglicherweise komplett neue Spieler sein werden, geht es auch um die Frage, wer die Hoheit über den Kunden hat. Damit verbunden ist die Frage, ob dann der Maschinenbauer zum Zulieferer degradiert, während ein neu gestalteter Plattform-Stratege die Kundenschnittstelle ganzheitlich und nach Belieben bespielt.

EaaS-Modelle als Disruptoren eines tradierten Geschäftsmodells

Service war und ist ein Treiber der Digitalisierung. Aber die Entwicklung IoT-basierter Servicekonzepte, beispielsweise das auch von Kundenseite immer mehr gewünschte Lifecycle Management, lässt eine Vermischung, ein Bundling von Erstausrüstung und Service zu einem neuen, eigenständigen Geschäftsmodell erahnen. Dabei handelt es sich um die sogenannten Equipment-as-a-Service(EaaS)-Modelle: Digitale Geschäftsmodelle, die den zukunftsgerichteten, weitreichenden Service- beziehungsweise Lösungsgedanken im Maschinenbau perfekt charakterisieren und einen anderen und intensiveren Kundenzugang ermöglichen. Der Kunde sichert sich den gewünschten Output, ohne dass ihm die Maschine gehört.

Ein solches Sharing-Modell ermöglicht die flexible Inanspruchnahme unterschiedlichster Dienste von Industriegütern über Software, Equipment und Rohmaterialien über Training und Beratung bis hin zu ganzen "Smart Factories". Dadurch ergeben sich neue Geschäftschancen. Durch die Auswertung der Daten hinsichtlich der Maschinenzustände, Ausfallrisiken und Nutzungsintensität können Unternehmen ihren Kunden neue, attraktive Asset-Light-Lösungen anbieten und damit zusätzliche Zahlungseingänge generieren sowie den Ertrag steigern. Bezahlt wird je nach Output. Daraus resultieren aber komplett neue Partnerkonstellationen im Zusammenspiel von Technologie, Risikobewertung und -management sowie Kapitalbereitstellung.

Kein Platz für Individualisten

Kurzum, in neuen Service-Geschäftsmodellen schlummert enormes Potenzial. Pay-per-Use oder EaaS versprechen zunehmend höhere Renditen als das originäre Geschäft. Größere Branchen-Player wie Heidelberger Druckmaschinen, Schaeffler oder GEA haben das frühzeitig erkannt und investieren weitflächig in den Aus- und Weiterbau des Servicegeschäfts. Auch im Bereich der KMU lohnt sich die Entwicklung von neuen Services und die Definition sowie Umsetzung einer umfassenden Servicestrategie. Mehr noch: Der Drang zur Differenzierung zwingt nahezu jedes Branchenunternehmen dazu.

Dazu ist die Einbindung leistungsstarker Spezialisten in ihren Disziplinen nötig: den Erstausrüster mit exzellenten Produkten, den Risikomanager, der aufgrund der Datenlage die Risiken des Serviceangebotes übersieht. Es braucht den Kapitalgeber, der die Assets möglicherweise in ein SPV, also als neue Asset-Klasse einlegt und es braucht die analytische Brillanz und die Talentressourcen eines IoT- beziehungsweise Technologieunternehmens, das mittels Big Data-Fähigkeiten und Algorithmen dem Ganzen Leben einhaucht.

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