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Open Access 2023 | OriginalPaper | Buchkapitel

2. Inflation heute

verfasst von : Horst Gischer, Bernhard Herz, Lukas Menkhoff

Erschienen in: Inflation in Deutschland und dem Euroraum – ein Überblick

Verlag: Springer Fachmedien Wiesbaden

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Zusammenfassung

Die vergleichsweise hohe Inflation in Deutschland im Jahr 2022 ist in aller Munde. Inflation bedeutet, dass die Preise für Güter und Dienstleistungen auf breiter Basis anhaltend steigen. Damit verliert das Geld an Kaufkraft.
Die vergleichsweise hohe Inflation in Deutschland im Jahr 2022 ist in aller Munde. Inflation bedeutet, dass die Preise für Güter und Dienstleistungen auf breiter Basis anhaltend steigen. Damit verliert das Geld an Kaufkraft. Diese höheren Inflationsraten sind sowohl für die Volkswirtschaft als Ganzes wie für die meisten Verbraucher:innen ein Problem. Mitte 2022 nannten die meisten Verbraucher:innen in mehreren repräsentativen Umfragen die Inflation als das derzeit größte Problem, und damit noch deutlich vor dem Krieg in der Ukraine, der in den Augen der meisten Beobachter:innen immerhin eine „Zeitenwende“ ausgelöst hat und ein ungelöstes Problem darstellt.
Beispiel
Beträgt die Inflation zum Beispiel 8 % in einem Jahr, dann kann man dieselben Waren, die am Jahresanfang 100 € kosteten, am Jahresende nur noch für 108 € erwerben. Wenn Nahrungsmittel, wie 2022, rund 15 % teurer werden, dann kostet der kleine Einkauf nicht mehr 40 €, sondern 46 €. Wenn Energiekosten, sei es für Benzin oder Heizung, wie 2022 teilweise um heftige 50 % steigen, dann ist der Euro für diese Art Ausgaben nur noch 66 Cents wert.

2.1 Seit Jahrzehnten war die Inflation nicht mehr so hoch

Die Sorge um hohe Inflationsraten speist sich aus den täglichen Beobachtungen der Verbraucher:innen und aus den offiziellen Statistiken zu den Verbraucherpreisen. Laut Statistik stieg die Verbraucherpreisinflation in Deutschland seit Mitte 2021 von unter 2 % pro Jahr auf über 10 % im September 2022. Abb. 2.1 gibt den Verlauf der jährlichen Veränderungen gegenüber dem Vorjahr seit 1950 wieder. Es zeigt sich, dass das Inflationsniveau von 2022 nur in den Zeiten des Koreakriegs Anfang der 50er Jahre, sowie der beiden Ölpreisschocks 1974 und 1980 von der Größenordnung her erreicht wurde.
Sorgen bereitet nicht nur das hohe Niveau der Inflation, sondern auch, dass sie von vielen Institutionen, insbesondere der Europäischen Zentralbank (EZB), lange Zeit unterschätzt wurde. Im Sommer 2022 beträgt die Inflationserwartung der EU-Kommission für das Jahr 2022 im Euroraum 7,6 % und für Deutschland ebenfalls 7,6 %, für das Jahr 2023 betragen die Erwartungen 4,5 % bzw. 4,8 %. Das Inflationsziel der Zentralbank beträgt 2 %, d. h. es liegt sehr weit unterhalb der heutigen Realität.
Sorgen bereitet den Verbraucher:innen zudem, dass diese Inflation ihre Kaufkraft deutlich reduziert, weil die Löhne und Einkommen nicht annähernd so stark steigen wie die allgemeinen Preise. Was generell für alle Verbraucher:innen gilt, trifft auf die einzelnen Gruppen mehr oder weniger zu. Ausgerechnet die einkommensschwächsten Haushalte geben relativ am meisten für Lebensmittel und Energie aus, deren Preise besonders stark steigen. So sind derzeit gerade die „Ärmsten“ am stärksten von der Inflation betroffen, weshalb der Staat mit Unterstützungszahlungen helfend eingreift.
Sorgen machen sich aber auch viele Vermögensbesitzer:innen. Das meiste Vermögen besitzen die Haushalte in Form von selbst genutzten Immobilien. Deren Preise waren lange stark gestiegen, jetzt jedoch scheinen sie eher zu stagnieren, während die Finanzierung über Immobilienkredite bereits deutlich teurer geworden ist. Geldvermögen entwertet sich tendenziell bei Inflationsraten von über 5 % und Zinssätzen für (sichere) Geldanlagen von unter 2 %. Selbst bei Aktien ist nicht klar, ob deren Rendite in den kommenden Jahren ausreichen wird, die Inflation zu kompensieren.

2.2 Steigen die Preise oder die Inflation?

Was die Dynamik der Preisentwicklung anbelangt, ist zwischen Veränderungen der Preise und Veränderungen der Inflation zu unterscheiden. Die Preise steigen von Ausnahmeperioden abgesehen eigentlich immer. Die Inflation hingegen hat sich über die letzten zwei Jahrzehnte in einer engen Bandbreite bewegt und lag die letzten Jahre im Korridor zwischen 0 % und 2 %.
In der aktuellen Situation jedoch haben sich auch die Inflationsraten spürbar erhöht. Es ist Mitte 2022 ungewiss, ob das derzeitige Inflationsniveau von rund 8 % in Deutschland sowie im Euroraum die Spitze der Inflationsraten markiert. Es wird mehrheitlich erwartet, dass die Inflationsraten bis zum Jahresende und im Verlauf von 2023 wieder sinken werden. Solche Zusammenhänge stellt Abb. 2.2 dar: Sie zeigt die Kombination aus Veränderungen des Preisniveaus auf der x-Achse sowie die Beschleunigung des Preisniveaus auf der y-Achse.
Somit befindet sich das Jahr 2021 sowie die erste Jahreshälfte 2022 im Quadranten rechts oben. Die Situation im Jahr 2023 wird rechts unten erwartet, also steigende Preise, aber sinkende Inflation. Die beiden Quadranten auf der linken Seite der Abbildung kennzeichnen deflationäre Perioden mit einem sinkenden Preisniveau. Diese waren in Deutschland nur vorübergehend relevant. Besonders schädlich wäre eine Lage im Quadranten links oben, wenn die Preise sinken und die Dynamik zunimmt. Dies würde eine deutliche Deflation bedeuten mit der Gefahr einer scharfen Rezession.

2.3 Welche Rolle spielen Corona und Krieg?

Die Ursachen von Inflation können vielfältig sein (siehe auch Kap. 4 sowie Gischer et al. 2020). Aktuell ist es offensichtlich, dass zwei besondere Faktoren eine Rolle spielen, zum einen die Corona-Pandemie und zum anderen der russische Krieg gegen die Ukraine. Beiden Faktoren gemeinsam ist, dass sie auf das gesamtwirtschaftliche Angebot einwirken und weniger auf die Nachfrageseite. Wie kann man sich dies vorstellen?
Beginnen wir mit dem Corona-Schock, der sich seit Februar 2020 über die Weltwirtschaft ausgebreitet hat. Der wichtigste Aspekt dieses Schocks ist die Unterbrechung von Lieferketten und damit verbunden eine Störung der Produktionsvorgänge überall auf der Welt (Vgl. Bernoth und Ider 2021). Dies bedeutet wiederum, dass einige Produkte nicht oder nur verspätet geliefert werden können, das Angebot an Produkten verknappt sich. Eine indirekte Folge ist das Nachjustieren von Lieferketten. Während bislang – etwas überspitzt – nur die Preise zählten, wird nun stärker die Liefersicherheit berücksichtigt und dies bedeutet dann, dass die Produktion zwar sicherer, aber auch teurer wird.
Dagegen hat der Krieg in Europa andere Wirkungen. Zentral ist hier der Rückgang russischer Energielieferungen nach Europa, also Öl, Gas und Kohle. Während Kohle fast sofort auf den Weltmärkten eingekauft werden kann und damit die russischen Lieferungen recht leicht zu ersetzen sind, geschieht dieser Prozess bei Öl und Gas langsamer. Am schwierigsten ist es bei der leitungsgebundenen Lieferung von Gas. Das Ausweichen auf andere Lieferländer hat einen Preis, Energie hat sich dramatisch verteuert und da Energie sowohl von Haushalten als auch der Industrie gebraucht wird, steigen die Preise auf breiter Front. Zwar führt diese Preissteigerung zur Nutzung von Energiesparmöglichkeiten, die wichtig sind, um eine ausreichende Versorgung zu gewährleisten, aber was die Preise anbelangt, ist dies eher ein Tropfen auf den heißen Stein. Eine weitere Wirkung des Kriegs ist die Zunahme des Risikos vor allem in der europäischen Wirtschaft, was Risikoprämien (bspw. Zinsen) erhöht und Investitionen reduziert.
Sowohl Corona als auch der Krieg haben sich negativ auf die wirtschaftliche Entwicklung ausgewirkt. Bei Corona haben die Staaten großzügige Unterstützungspakete finanziert und damit den Schaden für die Realwirtschaft begrenzen können. Bei den Kriegsfolgen hingegen wird es – sofern die Preise ähnlich hoch bleiben – zu einer Umverteilung von Wohlstand kommen, zulasten der europäischen Energieimporteure, zu denen Deutschland zählt.
Die mittelfristigen Wirkungen auf die Inflation und die Möglichkeiten der Geldpolitik Inflationssteigerungen einzugrenzen kann man sich an einer einfachen Abbildung veranschaulichen. Dazu wird für eine Volkswirtschaft wie Deutschland auf der x-Achse die produzierte Menge an Gütern und Dienstleistungen abgetragen und auf der y-Achse das Preisniveau. Die Nachfrage nach Waren wird bei sinkenden Preisen steigen, da Verbraucher:innen und Investor:innen günstiger einkaufen können. Das Angebot dagegen wird mit sinkenden Preisen abnehmen, da weniger für die hergestellten Waren erlöst werden kann. Diese Zusammenhänge werden in Abb. 2.3 gezeigt. Der Schnittpunkt der beiden Geraden liegt dort, wo Angebot und Nachfrage genau gleich sind, also gedanklich beide – Anbieter und Nachfrager – mit den produzierten Mengen und erzielten Preisen „einverstanden“ sind. In der Ausgangslage sind diese Geraden und Punkte mit „0“ gekennzeichnet.
Anmerkung: \({Y}_{0}\) und \({P}_{0}\): langfristiges Gleichgewicht vor Beginn der Corona-Krise und dem Krieg in der Ukraine. \({Y}_{1}\) und \({P}_{1}\): neues Gleichgewicht aufgrund von Angebots- und Nachfragerückgang durch die Corona-Krise und dem Krieg in der Ukraine: Zuerst Verschiebung von A0 zu A1, zum Beispiel aufgrund gestörter Lieferketten. Daraufhin leichte Anpassung der Nachfrage aufgrund gestiegener Energiepreise und erhöhter Risikoprämien (Verschiebung von N0 zu N1).
Der Corona-Schock wirkt so primär wie eine Verknappung des Angebots bei gegebenen Preisen, also graphisch ist dies eine Linksverschiebung der Angebotskurve. Dagegen wirkt der Kriegsschock primär wie eine Verteuerung vieler Produkte durch massiv gestiegene Energiekosten, was graphisch wiederum eine Verschiebung der Angebotskurve nach oben bedeutet. Diese Verschiebung wird durch geänderte, teurere Lieferketten und erhöhte Risikokosten leicht verstärkt. Auf der Nachfrageseite passiert demgegenüber weniger. Insgesamt sinkt die Nachfrage im Inland durch Umschichtung hin zu Energieimporten und erhöhten Risikoprämien, was sich als leichte Linksverschiebung der Nachfragekurve ausdrückt. In der Summe trifft ein knappes und verteuertes Angebot auf fast unveränderte Nachfrage, und so steigen die Preise.

2.4 Wie könnte es weitergehen?

Aus heutiger Sicht (September 2022) spricht manches dafür, dass der Krieg weiter fortgeführt wird und die Energiepreise damit tendenziell hoch bleiben. Die Corona-Pandemie ist nicht endgültig überwunden und das Bemühen um resilientere Lieferketten wird weitergehen. In der Summe wirken die alten Schocks stark abgeschwächt weiter, die stark steigenden Erzeugerpreise sind noch nicht alle in die Verbraucherpreise eingeflossen. Neue Schocks sind derzeit nicht absehbar, aber möglich (bspw. könnte der Krieg eskalieren). In diesem Szenario kommt es darauf an, ob sich die Inflationsimpulse verfestigen oder auslaufen. Dies hängt an den Reaktionen von Marktteilnehmer:innen sowie Geld- und Finanzpolitik.
Im günstigsten Fall werden die veränderten relativen Preise zugunsten des Auslands und einer klimafreundlicheren Energieversorgung akzeptiert. Dies impliziert, dass die Finanz- und Einkommenspolitik sich bei Unterstützungspaketen auf bedürftige Zielgruppen konzentriert (Kooths 2022). Im Grunde wird solches Verhalten in den dominierenden Prognosen unterstellt, die davon ausgehen, dass die Inflation im Jahr 2023 erhöht bleiben wird, also bei 7 % oder 8 % in Deutschland. Ab 2024 wird sie sich dann wohl wieder den angestrebten 2 % pro Jahr nähern. Es kann aber auch ganz anders kommen, wenn die hohe Inflation, zum Beispiel, zu entsprechend hohen Lohnabschlüssen führt und sich eine Preis-Lohn-Preis-Spirale ergibt.
Eine zentrale Rolle wird der Geldpolitik zukommen. Gelingt es ihr glaubwürdig zu machen, dass sie gegen eine sich verfestigende Inflation angehen wird und notfalls mit deutlich steigenden Zinsen und sinkender Geldmenge die Inflation zurückführt? Die Glaubwürdigkeit kann man zum einen an den Taten der EZB, zum anderen an der Höhe der Inflationserwartungen ablesen. Zum Stand September 2022 liegen die Zinsen und die gesamte Geldpolitik auf einem Niveau als müsste eine Rezession bekämpft werden, die in vielen Ländern Europas droht (Horst et al. 2022). Die mittelfristigen Inflationserwartungen der professionellen Marktteilnehmer:innen sind noch nahe beim Zielniveau von 2 %. Dagegen liegen die Inflationserwartungen der Bevölkerung mit rund 5 % für das Jahr 2023 und rund 3 % für 2024 längst höher. Dies ist wenig überraschend, weil sich letztere Erwartungen primär adaptiv ergeben, also von der zuletzt realisierten Inflationsrate geprägt sind. Allerdings prägen diese Erwartungen das Verhalten, zum Beispiel wenn es um angemessen angesehene Lohnerhöhungen geht. Es ist also nicht ganz klar, ob der Balanceakt der Geldpolitik und anderen Politikträger – zwischen Inflationsbekämpfung und Stabilisierung der wirtschaftlichen Entwicklung – erfolgreich sein wird.
Fazit
Nachdem die Inflation über 20 Jahre auf niedrigem, und manchmal fast schon unerwünscht niedrigem, Niveau verharrt hatte, ist sie seit Ende 2021 mit Macht „zurückgekehrt“. Die Inflation hat ein Niveau wie seit Jahrzehnten nicht mehr und besorgt Verbraucher:innen mit kleinen und mittleren Einkommen genauso wie Haushalte mit Vermögen. Selbst wenn die Inflation nicht weiter steigen wird, sind ihre Wirkungen bereits schädlich. Es stellt sich die Frage, wie es weitergeht, wenn die ursprünglichen Schocks der Coronarezession und der explodierenden Energiepreise „verdaut“ sein könnten.
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Literatur
Zurück zum Zitat Bernoth, Kerstin, und Gökhan Ider. 2021. Inflation im Euroraum: Faktoren wirken meist nur temporär, aber Risiko für länger erhöhte Inflation vorhanden, DIW Wochenbericht 88(42):695–704. Bernoth, Kerstin, und Gökhan Ider. 2021. Inflation im Euroraum: Faktoren wirken meist nur temporär, aber Risiko für länger erhöhte Inflation vorhanden, DIW Wochenbericht 88(42):695–704.
Zurück zum Zitat Gischer, Horst, Bernhard Herz, und Lukas Menkhoff. 2020. Geld, Kredit und Banken – Eine Einführung, 4. Auf. Berlin: Springer. Gischer, Horst, Bernhard Herz, und Lukas Menkhoff. 2020. Geld, Kredit und Banken – Eine Einführung, 4. Auf. Berlin: Springer.
Zurück zum Zitat Horst, Maximilian, Daniel Stempel, und Ulrike Neyer. 2022. Die EZB muss die Inflation glaubwürdiger bekämpfen, Wirtschaftsdienst 102(6):426–429. Horst, Maximilian, Daniel Stempel, und Ulrike Neyer. 2022. Die EZB muss die Inflation glaubwürdiger bekämpfen, Wirtschaftsdienst 102(6):426–429.
Zurück zum Zitat Kooths, Stefan. 2022. Hausgemachte Inflationsrisiken, Wirtschaftsdienst 102(6):434-437. Kooths, Stefan. 2022. Hausgemachte Inflationsrisiken, Wirtschaftsdienst 102(6):434-437.
Metadaten
Titel
Inflation heute
verfasst von
Horst Gischer
Bernhard Herz
Lukas Menkhoff
Copyright-Jahr
2023
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-658-40701-8_2