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09.10.2017 | Informationssysteme | Schwerpunkt | Online-Artikel

Im Spiel liegt die Wahrheit

verfasst von: Andreas Burkert

4:30 Min. Lesedauer

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Kollisionen vermeiden ist eine Frage der richtigen Spieltaktik. Was bei Fußgängern erfolgreich gelang, könnte auch dem autonomen Fahren helfen. Mathematiker der Uni Würzburg haben dazu eine Formel entwickelt.

Begegnen sich zwei autonome fahrende Automobile an einer Kreuzung. Und es passiert nichts. Beide Systeme werden nämlich nach festen Regeln handeln, die ihnen antrainiert wurden, die sie sich aber auch selbst beigebracht haben. Deep Learning nennt sich der Prozess. Eine Vorstufe der künstlichen Intelligenz. Die Automobilhersteller erhoffen sich von den Algorithmen einen reibungsloseren Verkehr. Dass sich künftig "intelligente" Fahrzeuge im Straßenverkehr allerdings gegenseitig ausspielen, halten Experten zum einen für kein reales Problem. Zum anderen lässt sich "dies mit der Spieltheorie verhältnismäßig leicht auflösen", wie Professor Herman Hauser Springer Professional kürzlich im Interview erzählte.

 

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Grundlagen der Spieltheorie

Die Grundlagen der Spieltheorie dienen als mathematische Methode zur Untersuchung von Situationen strategischer Interdependenz. Und sie helfen als grundlegende Definitionen und Lösungskonzepte für Spiele.

Dieses mathematische Modell eignet sich im Übrigen auch für "das Vermeiden von Kollisionen unter Fußgängern", erklärt Professor Alfio Borzì von der Universität Würzburg und beschreibt das Problem folgendermaßen: "Man geht über einen Platz, ein Fußgänger kommt entgegen. Wenn jetzt keiner von seinem Kurs abweicht, kommt es zur Kollision." Natürlich wird dies – außer im vielleicht im Rugby – kaum passieren. Doch mit mit der Frage, wie sich Menschen in solchen Situationen verhalten, beschäftigen sich Forscher schon seit Langem.

Massenpanik mit Methoden der Spieltheorie vorbeugen

Wenn es also darum geht, öffentliche Plätze möglichst verkehrsgünstig zu gestalten oder Fluchtwege so anzulegen, dass sie auch bei einer Massenpanik ihre Aufgabe erfüllen, ist dieses Wissen gefragt. Mathematiker der Universitäten Würzburg und Nizza haben jetzt einen neuen Lösungsansatz für dieses Problem vorgelegt. Sie glauben: "Das ist alles nur ein Spiel!" 

Für Borzì ist dabei das Prinzip der Vermeidung (Avoidance) der wichtigste Faktor, "wenn es darum geht, die Bewegungsmuster von Fußgängern mathematisch zu modellieren". Schließlich will niemand auf seinem Weg von A nach B mit einem Entgegenkommenden zusammenstoßen.

Borzì ist Inhaber des Lehrstuhls für Mathematik IX (Wissenschaftliches Rechnen) an der Universität Würzburg. Gemeinsam mit seinem Postdoc Souvik Roy und dem französischen Mathematiker Abderrahmane Habbal hat er versucht, die menschlichen Wege in eine Formel zu gießen. Die Ergebnisse ihrer Arbeit stellen die Forscher jetzt in der Fachzeitschrift Royal Society Open Science vor. "Wenn sich die Wege von zwei Fußgängern kreuzen, geht es im Prinzip immer um die Frage: Wie sieht die optimale Lösung dieses Konflikts aus, die für beide zufriedenstellend ist", sagt Borzì. Stur geradeaus gehen kann es jedenfalls nicht sein – damit wäre keinem geholfen. Und wenn nur einer von beiden von seinem Kurs abweicht, fühlt der sich möglicherweise ungerecht behandelt.

Beim Nash-Gleichgewicht sind alle zufrieden

Wie aber verhalten sich Menschen? Immerhin gibt es viele Möglichkeiten, wie sie sich in solch einer Situation verhalten können. Wenn nun eine rein mechanische Beschreibung der Situation nicht weiter hilft. Wie lautet dann der Ansatz? "Dann landen wir bei dem Bild von dem Esel, der sich nicht zwischen zwei Heuhaufen entscheiden kann, weil beide gleich groß sind, und der deshalb verhungert", erklärt Borzì. Für ihn und andere Mathematiker Anlass, als Grundlage für ihre Modelle die Spieltheorie heranzuziehen, wie auf John F. Nash zurückgeht.

Nach ihm ist das sogenannte Nash-Gleichgewicht benannt, ein zentraler Begriff dieser Theorie. Dies ist genau dann erreicht, wenn in einem Spiel jeder Spieler genau die Strategie wählt, die ihm und allen Mitspielern die optimale Lösung bietet. Jeder Spieler ist deshalb auch im Nachhinein mit seiner Strategiewahl einverstanden, er würde sie wieder genauso treffen. Oder, wie Alfio Borzì sagt: "Jeder bekommt das Bestmögliche, so dass alle zufrieden sind."

Kombination mit der Brownschen Molekularbewegung

In einem nächsten Schritt haben Borzì und seine Kollegen den Ansatz der Spieltheorie mit einer weiteren bedeutenden mathematischen Gleichung kombiniert: der Fokker-Planck-Gleichung, die auf Albert Einstein zurückgeht. Diese beschreibt unter anderem, über welche Strecken vergleichsweise große Partikel von winzigen Molekülen "herumgeschubst" werden. Ausgangspunkt dieser Gleichung war eine Entdeckung des schottischen Botanikers Robert Brown. Er hatte 1827 bei der Untersuchung von Blütenstaub im Wasser unter dem Mikroskop gesehen, dass sich die Staubkörnchen völlig unregelmäßig und zufällig bewegen.

"Die Fokker-Planck-Gleichung beschreibt die Wahrscheinlichkeit aller Verschiebungsprozesse, also alle mögliche Bewegungen eines Körpers von A nach B", erklärt der Mathematiker. Kombiniert mit der Spieltheorie könne sie auch die Bewegung von größeren Menschenmengen modellieren.

Experimente bestätigen die Berechnungen

Zumindest wenn es um zwei Personen geht, die einen Raum durchqueren und deren Wege sich dabei kreuzen, funktioniert die neue Gleichung zuverlässig. Das haben Borzì und seine Kollegen anhand praktischer Experimente überprüfen können. Tatsächlich sind die real zurückgelegten Wege den errechneten Kurven verblüffend ähnlich. Ob sich diese Übereinstimmung auch unter veränderten Vorgaben zeigt, möchte der Mathematiker in weiteren Studien erforschen. Dafür sucht er momentan noch nach Kooperationspartnern, beispielsweise aus der Psychologie. Schließlich sei in diesem Fall auch die Verhaltensforschung gefragt.

Die Gedanken der Spieltheorie auf menschliche Bewegungsmuster zu übertragen, liegt nach Borzìs Ansicht auf der Hand: "Es zeichnet sich in der aktuellen Forschung ab, dass immer mehr Bereiche aus der Biologie sich mit dieser Theorie beschreiben lassen", sagt der Mathematiker. Beispielsweise wenn zwei Tierpopulationen um ein- und denselben Lebensraum konkurrieren. Auch in diesem Fall könnte die Suche nach der besten Lösung für beide Seiten zum Optimum führen.

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