Wenn es um die zivil-militärischen Beziehungen in der Bundesrepublik Deutschland geht, kommt man an der Inneren Führung nicht vorbei. Im offiziellen Sprachgebrauch des Militärs steht dieser Begriff für eine Konzeption, die Aussagen zu „Selbstverständnis und Führungskultur der Bundeswehr“ beinhaltet. Der Zweck der Inneren Führung aus militärpolitischer Sicht besteht darin, das Werte- und Normensystem des Grundgesetzes mit den militärischen Erfordernissen im Hinblick auf Führung, Ausbildung und Erziehung der Soldaten und Soldatinnen verträglich zu verknüpfen und dabei den Staatsbürger in Uniform als soldatisches Leitbild zu verwirklichen. Dieser Beitrag gibt einen Überblick über die Entstehung und Entwicklung der Inneren Führung und diskutiert vorliegende Ansätze und empirische Befunde zu Anspruch und Wirklichkeit dieses normativen Streitkräftemodells.
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Die genaue Bezeichnung der durch den General der Panzertruppe a. D. Gerhard Graf von Schwerin geleiteten Dienststelle lautete in bewusst irreführender Weise „Zentrale für den Heimatdienst“.
Die vergangenheitsbelastete Bezeichnung „Inneres Gefüge“ wurde anfangs synonym für „Innere Führung“ gebraucht. Hierbei kam es immer wieder zu despektierlichen Herabwürdigungen („Inneres Gewürge“), weshalb die Konzeption später in „Innere Führung“ umbenannt wurde.
Eine auszugsweise Abschrift der Himmeroder Denkschrift, Kap. V: „Das Innere Gefüge“, findet sich in Reeb und Többicke (2003: 307–311); für eine noch ausführlichere Darstellung siehe Rautenberg und Wiggershaus 1977.
Negativer Bezugspunkt für den Reformerkreis um Baudissin war die bedeutende Stellung, die das Militär insbesondere im Kaiserreich besaß, und die damit verbundenen Vorstellungen: dass das Militär in herausragender Weise „Hüter des Staates“ sei und besondere Opfer erbringe, die spezifische Tugenden – Tapferkeit, Ritterlichkeit, Gehorsam, Treue, Pflichterfüllung etc. – erforderten und den Soldatenberuf zu einem einzigartigen Beruf („sui generis“) machten.
Das Menschenbild der Inneren Führung orientiert sich damit weitgehend am Menschbild des Grundgesetztes, welches nicht nur jeden Menschen grundsätzlich, d. h. unabhängig von seiner realen Erscheinung und seinem Intellekt, als sittliche Person, als Persönlichkeit und mündigen wie verantwortungsbewussten Bürger bzw. mündige wie verantwortungsbewusste Bürgerin auszeichnet, sondern darüber hinaus seine innerliche Bindung an die Werteordnung der Verfassung und sein Einstehen für die Gemeinschaft unterstellt (vgl. hierzu auch Franke 2008).
Zu den Vorstellungen und Überlegungen Baudissins zum gewollten künftigen Soldatenbild und der entsprechenden Umsetzung in der Aufbauphase der Bundeswehr siehe im Einzelnen Nägler (2010: 58–70).
Diese wurden später als Sammelschriften von anderen veröffentlicht: siehe Baudissin (1969, 1982) sowie das schon erwähnte Handbuch Innere Führung (BMVg 1957), das in seinen ethisch-philosophischen Abschnitten ebenfalls deutlich seine Handschrift trägt.
Die ehemaligen Wehrmachtsoffiziere Oberst a. D. Johann Adolf Graf von Kielmansegg (vgl. Feldmeyer und Meyer (2007) und Oberstleutnant i. G. a. D. Karl Ernst Ulrich de Maizière (vgl. Zimmermann 2012) waren von 1951 bis 1955 ebenso wie Baudissin als zivile Mitarbeiter im Amt Blank maßgeblich am Wiederaufbau deutscher Streitkräfte beteiligt. Alle drei traten im Gründungsjahr 1955 als Soldaten in den aktiven Dienst der Bundeswehr ein, wo sie in unterschiedlichen Führungsverwendungen im Verteidigungsministerium wie auch in der Truppe die Reformbestrebungen weiter umzusetzen vermochten. Aus diesem Grunde zählen sie zusammen mit Adolf Heusinger (ab 1952 Leiter der militärischen Abteilung im Amt Blank) (vgl. Meyer 2001) und Hans Speidel (1950 militärischer Berater Konrad Adenauers, ab 1951 Sachverständiger im Amt Blank) zu den zentralen Gründungsvätern der Bundeswehr.
Für Einzelheiten zum Denken Baudissins siehe die Arbeiten von Kutz (2002, 2006) und Schlaffer und Schmidt (2007) sowie speziell unter ethischen Gesichtspunkten Dörfler-Dierken (2005).
Die Zentrale Dienstvorschrift zur Inneren Führung, die lange Zeit unter dem Kürzel ZDv 10/1 firmierte, heißt seit 2017 ZDv A-2600/1 Innere Führung – Selbstverständnis und Führungskultur und liegt aktuell als online-Version vor. Diese Fassung ist, von einigen wenigen redaktionellen Änderungen abgesehen, welche die Auslandseinsätze berücksichtigen, nahezu wortidentisch mit der gedruckten Ausgabe der ZDv 10/1 von 2008 (BMVg 2008), die wiederum die Fassung von 1993 abgelöst hatte.
Innere Ordnung steht als Oberbegriff für „Recht und soldatischen Ordnung“. Als militärspezifische Rechtsgrundlagen sind zunächst zu nennen: die Vorgesetztenverordnung (VVO), das Soldatenbeteiligungsgesetz (SG), die Wehrbeschwerdeordnung (WBO), die Wehrdisziplinarordnung (WDO) sowie das Wehrstrafgesetz (WStG). Die soldatische Ordnung wiederum regelt den Dienstbetrieb und das militärische Zusammenleben innerhalb der Bundeswehr und orientiert sich hierzu an entsprechenden Dienstvorschriften, Erlassen, Verordnungen und Weisungen. Die aus vorgenannten Quellen hervorgehenden Pflichten, Befugnisse, Rechte, Verbote, Verfahren und Grundsätze regeln das Verhalten und Erscheinungsbild der Soldatinnen und Soldaten, unabhängig von ihrer jeweiligen Vorgesetzten- und Unterstelltenfunktion, geben Orientierung durch Rechts- und Verhaltenssicherheit, sorgen darüber hinaus für Disziplin und fördern nicht zuletzt den Zusammenhalt in der Truppe (beispielsweise über die im Soldatengesetzt § 12 verankerte Pflicht zur Kameradschaft).
Die Werte, Ziele und Interessen der deutschen Sicherheits- und Verteidigungspolitik sowie der Auftrag der Streitkräfte mit den davon abgeleiteten Aufgaben der Bundeswehr werden regelmäßig in den sogenannten Weißbüchern veröffentlicht. Vgl. hierzu aktuell BMVg (2016).
Das Amt des Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages wurde im Jahr 1956 gemäß Art. 45b Grundgesetz als Hilfsorgan des Bundestags bei der Ausübung der parlamentarischen Kontrolle im Bereich der Bundeswehr geschaffen. Zu den Aufgaben der bzw. des Wehrbeauftragten gehört es, über die Wahrung der Grundrechte der Soldatinnen und Soldaten sowie über die Einhaltung der Prinzipien und Grundsätze der Inneren Führung zu wachen. Hierzu werden unter anderem Truppenbesuche durchgeführt. Darüber hinaus kann sich jeder Soldat und jede Soldatin bei Verdacht eines Verstoßes direkt, d. h. ohne Einhaltung des Dienstweges, mit einer Eingabe an den Wehrbeauftragten bzw. die Wehrbeauftragte wenden. Erkannte Probleme und Mängel in der Bundeswehr werden jährlich im sogenannten Jahresbericht des bzw. der Wehrbeauftragten veröffentlicht.
Im Dezember 2022 waren über 3100 Soldatinnen und Soldaten in 12 Missionen in Europa und Afrika aktiv. Zu Art und Umfang der Einsätze im Einzelnen siehe www.bundeswehr.de/de/einsaetze-bundeswehr (letzter Zugriff: 30.12.2022).
Hiermit ist die quartalsmäßige Deckung der planerischen SOLL-Umfangsgrößen gemäß Personalstrukturmodell (PSM) gemeint, die in Abhängigkeit vom Haushalt jährlich neu festgelegt wurden (= Wehrpflichtigenquote, welche die Zahl der einzuberufenden Grundwehrdienstleistenden per anno bestimmte).
Hinsichtlich der oben erwähnten Diskussion um die Folgen der Auslandseinsätze für die Bundeswehr im Allgemeinen und der Inneren Führung im Besonderen siehe insbesondere die Beiträge im Jahrbuch Innere Führung der Jahre 2012 und 2013: In Band 2012 (Hartmann et al. 2012) finden sich verschiedene Beiträge zum Thema „Der Soldat zwischen gesellschaftlicher Integration und suis generis-Ansprüche“, in denen die historisch gewachsenen Gegensatzpaare ‚Integration des Militärs‘ und ‚militärischer Eigenweg‘ im Zusammenhang mit den Erfordernissen einer Bundeswehr als Einsatzarmee kontrovers diskutiert werden. In Band 2013 (Hartmann und Rosen 2013) geht es um speziell um „Wissenschaften und ihre Relevanz für die Bundeswehr im Einsatz“.