Die deutsche Wirtschaft muss sich kreativ erneuern und den von der Krise ausgelösten digitalen Drive über die nächsten zehn Jahre retten. Dann wird das Wachstum beschleunigt und der Wohlstand bleibt erhalten. Das behauptet ein McKinsey-Report und nimmt den Mittelstand in die Pflicht.
Nahezu rosige Aussichten verkündet der McKinsey-Report "Deutschland 2030 - Kreative Erneuerung". Die Corona-Pandemie habe wie Adrenalin auf Innovation und Veränderungsbereitschaft in deutschen Unternehmen gewirkt, sagt McKinsey-Deutschlandchef Fabian Billing. Die Untersuchung stützt sich auf allgemein verfügbare Daten, Interviews, Erkenntnisse aus der Beratungsarbeit und eine repräsentative Umfrage unter 5.000 Teilnehmenden zwischen 20 und 65 Jahren.
In Deutschland, so das Fazit, könnte das Pro-Kopf-Wachstum von durchschnittlich 1,1 Prozent der vergangenen zwanzig Jahre bis zum Jahr 2030 auf zwei Prozent steigen, was einer Verdopplung nahekommt. Voraussetzung sei allerdings, dass sich die deutsche Wirtschaft die Veränderungsbereitschaft und Dynamik der Krisenmonate bewahrt und als Chance für weitreichende kreative Erneuerungen nutzt. Sechs Denkanstöße der Unternehmensberatung zeigen, was zu tun ist, damit Deutschland technologisch anschlussfähig bleibt.
Bevölkerung in Aufbruchstimmung aber skeptisch
Das ist die Ausgangslage: Mehr als zwei Drittel der Befragten befinden sich in Aufbruchstimmung. Sie stellen sich in der kommenden Dekade auf deutliche bis radikale Veränderungen ein. Es ist allerdings vor allem die junge Generation, der 20- bis 29-Jährigen, die dem Wandel positiv begegnet. Knapp die Hälfte von ihnen (49 Prozent) erwartet deutliche gesellschaftliche und wirtschaftliche Verbesserungen. Fast genauso viele (48 Prozent) nehmen die Aufbruchstimmung im Land positiv wahr. Mit anpacken und selbst unternehmerisch tätig werden könnten sich 62 Prozent dieser Altersgruppe vorstellen. Deutlich verhaltener reagiert die Generation der heute 40- bis 65-Jährigen.
Nur 37 Prozent glauben an eine Verbesserung von Gesellschaft und Wirtschaft, noch weniger (34 Prozent) fühlen sich in Aufbruchstimmung aber immerhin 42 Prozent können sich vorstellen, Unternehmer zu werden. Allerdings vermag weniger als die Hälfte der Befragten aller Altersklassen (46 Prozent) dem technologischen Fortschritt etwas Positives abgewinnen. Entsprechend verschlossen reagiert die Mehrheit (55 Prozent) auf den Einzug von modernen Technologien wie der Künstlichen Intelligenz in den Alltag.
Wie Innovationsmanagement im Mittelstand gelingt
Es liegt nun also an den Unternehmen als zentrale Akteure den Wandel voranzutreiben und sich der Aufgabe anzunehmen, die von der die Studienautoren "kreative Erneuerung" genannt wird. Sechs Handlungsfelder verteilt auf zwei Kategorien, zeigen wie das gelingen kann:
- A. Transformation:
- Handlungsfeld 1 Spitzenunternehmen – Transformation in wachstumsstarke Felder: Die attraktivsten Zukunftsaussichten liegen in sektorenübergreifenden Wachstumsfeldern.
- Handlungsfeld 2 Mittelstand – vom Produktspezialisten zum Ökosystemspieler: Der Mittelstand benötigt mehr Softwarekompetenz und verstärkte Integration der Produkte in das Internet der Dinge.
- Handlungsfeld 3 Gründungen – "scaled from Europe": Den bürokratischen Aufwand verringern, Zugang zu Eigenkapital erleichtern und die Verknüpfung von Forschung und Unternehmertum intensivieren.
- B. Unterstützende Strukturen:
- Handlungsfeld 4 Investitionen in Technologieführerschaft: Der Staat muss die Ausgaben für F&E in Zukunftstechnologien wie angewandte KI und Next-Generation-Computing intensivieren und die Gesellschaft an die Themen heranführen.
- Handlungsfeld 5 Transformation in die Zukunft der Arbeit – Wandel von 10,5 Milionen Jobs organisieren: Technologische und digitale Kompetenzen von Beschäftigen erweitern und ein auf lebenslanges Lernen ausgerichtetes Bildungssystem etablieren.
- Handlungsfeld 6 Staat als ergebnisorientierter Partner: Der Staat muss den Rahmen für mehr Dynamik in der Wirtschaft setzen. Unternehmen brauchen Planungssicherheit und eine ergebnisorientierte Verwaltung.
Mittelstand und Kreativität: Passt das?
Was beschreibt diese Kreativität, die nun vom Mittelstand gefordert wird überhaupt und wodurch zeichnet sich eine kreative Organisation aus? Kreativität, so zitiert Springer-Autor Matthias Vogelgesang, sei die Fähigkeit "etwas hervorzubringen, dass sowohl neu als auch nützlich ist" (Seite 161). Im Gegensatz zu jenen Personen, die innerlich auf dem Rückzug sind und sich in ihrer Dienst-nach-Vorschrift-Komfortzone eingerichtet haben, verfügen kreative Menschen auch jenseits von Kunst und Künstlertum über Charaktereigenschaften, die hervorstechen.
Sie sind unter anderem: unabhängig, nonkonformistisch, unkonventionell, weitreichend interessiert, offen, risikobereit und flexibel (Seite 161). Um diese Persönlichkeitsmerkmale so auf Organisationsstrukturen zu übertragen, dass sie nachhaltig wirken und das Porzellan heil bleibt, braucht es Führungspersönlichkeiten, die Kreativität im Team ohne Wenn und Aber praktizieren wollen.
Wie Unternehmen dafür Raum schaffen beschreibt Vogelsang in "Kreativitätstechniken in der Wirtschaftsförderung" - allerdings nicht ohne Warnung: "Doch so wenig wie man Kreativität verordnen kann, so wenig kann man auch kreative Milieus quasi auf Knopfdruck schaffen (Seite 161)." Kreativität, das ist geläufig, lässt sich nicht erzwingen. Ein grundsätzlich vorhandenes kreatives Mindset kann entweder erstickt werden. Das geschieht dort, wo die Strukturen starr sind und das Führungsverhalten autoritär sowie ich-bezogen ist. Oder eine Organisation entscheidet sich, Potenziale zu fördern und damit den Wandel hin zur kreativen Organisation einzuläuten.
Empfehlungen zum Aufbau einer kreativen Organisation (Seite 163) |
Kreativität vorleben und wertschätzen. |
Glaube an die Gestaltbarkeit der eigenen Umwelt verbreiten. |
Kreativitätstechniken in Weiterbildung proaktiv mit einbeziehen. |
Ideen zeitnah in Handlungen überführen. |
Zügig in die jeweiligen Durchführungsphasen kommen (nicht auf die Hundert-Prozent-Lösung warten, sondern zunächst mit dem jeweiligen Projekt beginnen und dieses dann regelmäßig weiter optimieren). |
Für Innovation und Wachstum Blockaden im Mittelstand lösen
Die von McKinsey formulierten Denkanstöße brauchen eines: den Willen zur Veränderung. Dem stehen vor allem in tradierten Unternehmen organisatorische Blockaden im Weg. Wer Prozesse und Produkte auch mit disruptiven Konzepten und Technologien innovieren will, muss den Paradigmenwechsel wagen, fordert Springer-Autorin Bettina Bohlmann.
Die Ausgangslage vieler Unternehmen sieht allerdings nicht selten so aus: "Die Gefahr, die (Organisations-) Kulturen jedoch per se mit sich führen, ist, dass die Realitätsinterpretationen seiner Mitglieder und Leitfiguren nichts mehr mit aktuellen Möglichkeiten oder tatsächlichen Gefahren zu tun haben" (Seite 15). Wie lässt sich unter diesen Voraussetzungen die Transformation hin zu einer innovationsgetriebenen Kultur meistern? Bohlmann nennt fünf Systembedingungen, die für nachhaltig erfolgreiches Handeln unentbehrlich sind (Seite 12):
- Wollen (Mindset, individuelle und kollektive Bedürfnisse)
- Können ((Digitale) Kompetenzen und Prozessverständnis)
- Dürfen (Führungskonzepte, Mandatierung, Grenzen/Freiheiten, Synchronisierung)
- Vernetzen (Diversität, Kundeneinbindung, Partnerschaften, Wissensmanagement)
- Kultur (Werte, Einstellungen, Verhaltens- und Wahrnehmungsmuster)
Deutschland, so das Fazit des McKinsey-Reports, habe die Chance, die kreative Erneuerung "mit demselben Elan voranzutreiben, wie der Pandemie begegnet wurde". Gelingt das, stehen einem werthaltigen Wachstum bis zum Ende des Jahrzehntes die Türen offen.