Deutsche Unternehmen sind während der vergangenen drei Jahre bei innovativen Weiterentwicklungen regelrecht eingeschlafen, belegt eine Studie der Bertelsmann Stiftung. Die Autoren warnen vor schwerwiegenden Folgen für die Wettbewerbs- und Transformationsfähigkeit Deutschlands.
Der Anteil der Unternehmen, die nicht aktiv nach neuen Geschäftsmodellen oder Technologien suchen, ist in den vergangenen drei Jahren auf beinahe 40 Prozent angestiegen. Zu diesem Ergebnis kommt die Studie "Innovative Milieus 2023", für die 2022 rund 1.000 Unternehmen im IW-Zukunftspanel aus Industrie und vorwiegend industrienahen Dienstleistungen befragt wurden.
Somit ist die Quote der Unternehmen hierzulande, die nicht gezielt in das Innovationsmanagement investieren, in den letzten drei Jahren von 27 auf 38 Prozent gewachsen. Auch gesamtwirtschaftlich zeigt sich demnach ein Negativtrend. Bezogen auf die gesamte Unternehmenslandschaft liegt das Niveau an Neuschöpfungen um 15 Prozent unter dem von 2019.
Corona-Krise hat Innovationskluft verschärft
Die Analyse fußt auf dem Konzept von sieben innovativen Milieus, die von "Technologieführern" und "Disruptiven Innovatoren" angeführt wird. Doch gerade diese Milieus stagnieren oder schrumpfen, während die Bereiche "Zufällige Innovatoren" und "Unternehmen ohne Innovationsfokus" stark wachsen.
So haben 42 Prozent der Unternehmen, die ohnehin bereits wenig rührig waren, ihre Innovationsaktivitäten in der Corona-Krise verschoben oder ganz abgesagt. Bei den beiden innovationsstärksten Milieus waren es hingegen nur zehn Prozent. Dabei hängen laut der Studie Unternehmenserfolg, Beschäftigungsdynamik und Innovationsgrad eng zusammen. Denn die erfindungsreichsten Milieus liegen bei der Nettoumsatzrendite um 27 Prozent über dem Durchschnitt aller Unternehmen und verzeichneten selbst in der Corona-Pandemie einen doppelt so hohen Beschäftigungszuwachs.
Innovative Unternehmen transformieren nachhaltig
Die Innovationsvorreiter überzeugen zudem bei der nachhaltigen Transformation. Rund 80 Prozent arbeiten an nachhaltigen Prozess- und Produktinnovationen, 62 Prozent versuchen sich sogar an Geschäftsmodellinnovationen auf diesem Gebiet. Bei den weniger kreativen Milieus sind es hingen nur 16 Prozent.
Armando García Schmidt, Wirtschaftsexperte der Bertelsmann Stiftung, sieht die Stellung deutscher Unternehmen auf den Weltmärkten vor dem Hintergrund dieser Entwicklungen als gefährdet an und fürchtet um deren Resilienz. Zudem fehlten oft die nötigen Fachleute für innovative Sprünge, insbesondere für die so wichtigen Nachhaltigkeitsziele, kommentiert der Experte.
Kooperationen machen erfinderisch
Als Erfolgsfaktoren für Neuschöpfungen und Wachstum identifiziert die Studie Vernetzung und Kollaboration mit externen Stakeholdern aus der Wissenschaft, Lieferanten oder Start-ups. Dies wird durch eine weitere Studie bestätigt, die Nihal Islam 2019 als Dissertation an der Technischen Universität Darmstadt vorgelegt und bei Springer Gabler in der Reihe "Sustainable Management, Wertschöpfung und Effizienz" 2021 veröffentlicht hat. Zusammengefasst kommt die Autorin darin rund um digitale Innovationen zu folgenden Ergebnissen (Seite 160 ff.):
- Etablierte Unternehmen bauen auf den Enablers (Faktoren, die einen fördernden Einfluss auf die Zusammenarbeit haben) der Start-ups auf und kompensieren gleichzeitig ihre eigenen Inhibitors (Faktoren, die eine hemmende Wirkung haben). Das Gleiche gilt für die Neugründungen. Beide Akteursgruppen ergänzen sich also im digitalen Zeitalter.
- Damit die Zusammenarbeit zwischen etablierten Unternehmen und jungen Firmen gelingt, sollten Erstere Start-ups auf Augenhöhe begegnen und Letztere ihr Erwartungsmanagement differenzieren und nicht zu hoch schrauben.
- Trotz unterschiedlicher Unternehmenskulturen besteht bei Kooperationen das Potenzial, sich neues spezifisches Wissen anzueignen und dieses für die Entwicklung digitaler Innovationen anzuwenden.
Internen Austausch zur Ideenfindung fördern
Aber auch der innerbetriebliche Austausch hat bei der Entwicklung neuer Ideen und Geschäftsmodelle eine wichtig Funktion, ermittelt die Studie der Bertelsmann Stiftung. Damit die Zusammenarbeit in Teams gelingt, müssen "die Mitarbeiter in die Lage versetzt werden, Veränderungen in Organisationen zu initiieren, daran teilzunehmen und sie zu fördern", schreiben Maximilian Panthen und Tassilo Henike. In dem Zeitschriftenbeitrag "Überwindung der internen Innovationskluft: Nudging-Prinzipien zur Förderung der individuellen Innovationsbereitschaft", empfehlen die Autoren, um Mitarbeiter 'anzustupsen', sich von eingefahrenen Denkmustern zu lösen und Innovationsbarrieren zu überwinden, folgende Nudging-Methoden:
Nudging-Prinzipien | Bedeutung | Einsatzkontext im Innovationsmanagement |
Beispielhafte Darstellung (exemplifying) | Reduzierung von Unsicherheiten: Was wird von mir erwartet? | Ausgestaltung von Innovationsworkshops & physischen Umwelten |
Erinnerung (Reminding) | Förderung der Bedeutung und Reduzierung der Vergesslichkeit: Was wann? | Geplante und reguläre Nachfolgeaktivitäten |
Marginalisierung (marginalizing) | Reduzierung des Aufwands, Entscheidungen zu treffen | Automatische Vorselektion von Interessensgebieten oder Favoriten |
Offenlegung von Informationen (disclosing) | Erhöhung der Anzahl verfügbarer Informationen | Transparente Darstellung von Ideen & Erfolgen von Innovationsarbeit |
Offenlegung von Intentionen (Declaring) | Erhöhung der Sichtbarkeit von Bedeutungen: Warum? | Beschreibung der Wichtigkeit von Kampagnen/Themen |
Offenlegung von Verantwortlichkeiten (Committing) | Erhöhung des Bewusstseins zur Erfüllung von Aufgaben: Wer? | Bekanntgabe von Terminen und Ansprechpartnern |
Simplifizierung (simplifying) | Automatische Workflows und schnellere Entscheidungsrouten | Digitale Plattformen |
Standards setzen (defaulting) | Standardoptionen unterstützen eine schnelle Auswahlentscheidung | Digitale Plattformen, etwa Auswahlfelder |
Umrahmung von Information (framing) | Präsentation von Informationen in Bezug zum jeweiligen Kontext | Inspirationswände, zum Beispiel mit Zukunftstechnologien |