5.2 Theoretische Erkenntnisse
Die Beiträge der Literatur zu Bedeutung von Goodwill und IOA beschäftigen sich insbesondere mit folgenden Fragestellungen (vgl. a. Boennen und Glaum
2014, S. 11; Glaum
2017, S. 26):
a)dem absoluten und relativen Umfang einer Goodwillaktivierung,
b)den Einflussfaktoren für eine Abschreibungsentscheidung,
c)der Rechtzeitigkeit und Höhe der Abschreibung,
d)der Wertrelevanz der Abschreibung am Aktienmarkt,
e)dem Ankündigungseffekt für den Aktienmarkt.
Der relative Umfang der Aktivierung von Goodwill wird meist durch dessen Bezug auf Bilanzsumme oder Eigenkapital gemessen (Betancourt und Irving
2019; Dreesen
2013; Küting
2013, S. 1796,
2012, S. 1934 f.; Rogler et al.
2012, S. 346–349). Hier zeigen sich starke Branchenunterschiede. Ein hoher Goodwill-Anteil, der das Eigenkapital stark überschreiten kann, ist typisch für Medien- und Industrieunternehmen, ein geringer für Banken und Versicherungen.
Die akademische Literatur offenbart weiterhin Anhaltspunkte, dass das Management Anreize hat, die planmäßige Abschreibung von Vermögenswerten mit endlicher Nutzungsdauer zu vermeiden. Nach ihr werden durchschnittlich 45–65 % der Anschaffungskosten eines Unternehmens im Rahmen der Kaufpreisaufteilung auf Goodwill zugeteilt (Sellhorn
2019, S. 10).
Martin Glaum weist mit Bezug auf mehrere Quellen eine etwas engere Bandbreite von 50 bis 60 % aus (Glaum
2017, S. 27). Das passt z. B. zu den durchschnittlich 59 % bei
Shalev et al. in einer Stichprobe mit 320 Beobachtungen aus den Jahren 2001 bis 2008 in den USA (Shalev et al.
2013, S. 827). Dem stehen nur rd. 16 % in der Studie von
Glaum et al. mit 9468 unternehmensjahrbezogenen Beobachtungen aus 21 Ländern gegenüber (Glaum et al.
2018, S. 150).
Thomas Günther und
Christian Ott gelangen in einer Studie mit 51 Großunternehmen aus USA und Europa hingegen zu einem Goodwill-Anteil an Aktiva von 33 % (Günther und Ott
2008, S. 921). Die Zuteilung des Kaufpreises auf Goodwill nimmt mit der relativen Bedeutung eines Bonus im Paket der CEO-Entlohnung zu (Shalev et al.
2013, S. 849; Detzen und Zülch
2012) und ist höher, wenn der Aktienkurs mit der Transaktionsankündigung sinkt (Yehuda et al.
2019).
Zurückhaltender gegenüber der Bedeutung der Managementanreize ist
Christian Ott. Er geht von der These aus, dass Erstansatz und Wertminderungstest nicht separat untersucht werden dürfen, sondern Entscheidungen über beide Vorgänge verbunden sind, aber noch nicht untersucht wurden. Aus seiner Zufallsstichprobe von 149 Unternehmen, die zwischen 2005 bis 2008 IFRS oder US-GAAP anwendeten, leitet er ab, dass zwar mit einem Wertminderungstest verbundene Freiräume bereits bei Erstansatz von Goodwill berücksichtigt werden. Jedoch liefert seine Untersuchung zugleich Anhaltspunkte, dass der Goodwillansatz nicht nur mit Managementanreizen zusammenhängt, sondern auch Kombinationseffekte aller Vermögenswerte bei Unternehmensfortführung des Zielunternehmens und erwartete Synergien (den „core goodwill“ nach Johnson und Patrone
1998, S. 294–296; Sellhorn
2010, S. 889) widerspiegelt (Ott
2012, S. 60, 63 und 98). Die beachtliche Höhe der Goodwillaktivierung und deren oftmaliges Übersteigen des buchmäßigen Eigenkapitals bleiben davon unberührt.
Die letztgenannten Ergebnisse passen zu jenen von
André et al., die in einer Untersuchung der Jahre 2006 bis 2015 feststellen, dass bei im Median ähnlicher Höhe von Goodwill US-Unternehmen gegenüber europäischen Unternehmen zumindest in den Jahren 2008 und 2009 früher Wertminderungen vornehmen und diese einen wesentlich höheren Prozentsatz vom Anfangs-Goodwill eines Jahres ausmachen. „Even though European firms are more likely to impair over multiple years, the cumulative impairments never come close to the level of US firms, be it in a single year or cumulative over multiple years.“ (André et al.
2016, S. 329.) Man kann davon ausgehen, dass die Rechnungslegungsdurchsetzung in den USA stärker als in Europa ist.
Ein nicht unwesentlicher Einflussfaktor für Abschreibungsentscheidungen ist die Art der Goodwillzuteilung auf zahlungsmittelgenerierende Einheiten. Die Ergebnisse Binomialer Logistischer Regressionen zeigen, „dass eine höhere Aggregation von Goodwill in einzelne Berichtssegmente sowie eine Allokation von Goodwill auf größere, profitablere und risikoärmere Berichtssegmente Abschreibungswahrscheinlichkeiten statistisch signifikant reduzieren“ (Eichner
2017, S. 216). Basis waren 154 Beobachtungen von STOXX Europe 600-Unternehmen zwischen 2005 und 2014. Das Ergebnis entspricht den Erwartungen.
Schließlich zeigen
Andrei Filip et al. mit Hilfe von Kontrollgruppen, dass bei der Schätzung des beizulegenden Zeitwerts in den USA die Manager die Cash Flow-Prognosen mittels realer Bilanzpolitik nach oben zu treiben scheinen, um eine Wertminderung zu verhindern. Diese Art der Manipulation scheint schädlich für die spätere Unternehmensleistung zu sein (Filip et al.
2015, S. 515).
Davon unberührt stellen
Kevin K. Li und
Richard G. Sloan fest, dass die Umstellung von SFAS 142 zu relativ weniger zeitgerechten Wertminderungen als früher führte. Es scheint, dass die Beseitigung der planmäßigen Abschreibung, zusammen mit den Schwierigkeiten einer Nachprüfbarkeit des beizulegenden Zeitwerts von Goodwill, zu relativ stark aufgeblähten Goodwillansätzen und relativ weniger rechtzeitigen Wertminderungen geführt hat (Li und Sloan
2017, S. 965).
Von Interesse in diesem Zusammenhang ist schließlich eine von
Jeffery Abarbanell betreute Dissertation über die Auslöser von Impairment Tests. Ihre Verfasserin zeigt anhand einer Faktoranalyse, dass diese als unternehmens-, branchen- und wirtschaftsbezogen unterteilt werden können, und findet am Aktienmarkt signifikante Preis- und Volumenreaktionen nach einer Entscheidung zur Wertminderung. Dies gilt aber nur bei unternehmensbezogenen Auslösern. Die fehlende Unterscheidung der Auslöser könnten nach ihrer Auffassung die gemischten Resultate früherer Untersuchungen erklären. „Additional findings indicate (…), firm-specific triggering events increase the post-announcement information asymmetry, and predict future goodwill impairments when a firm records multiple impairments“ (Nykyforovych
2017, Abstract).
Sascha Boennen und
Martin Glaum geben einen Überblick über einige Studien, die prüften, ob die Wertrelevanz von Goodwill sich durch Verwendung von SFAS 142 und IAS 36 (rev. 2004) geändert hat (Boennen und Glaum
2014, S. 20–23). Sie finden hierfür einige Anhaltspunkte mit Daten aus Australien (Chalmers et al.
2008), Portugal (Oliviera et al.
2010) und Großbritannien (Horten und Serafeim
2010), aber keine ganz überzeugende Evidenz (vgl. a. Beyer
2015, S. 254–257).
5.3 Würdigung der Diskussion
Die im ersten Perspective Paper unterbreitete Argumentation ist aus mehreren Gründen fragwürdig. Zentral ist dort die Aussage, dass Goodwill ein sich nicht verzehrender Vermögenswert deshalb sein müsse, weil sonst die bei Unternehmensbewertungen üblicherweise angenommenen künftig steigenden Cash Flows nicht zu erklären seien. Zum einen gibt es jedoch mehrere rechentechnische sowie potentiell markt- und unternehmensbezogene Gründe, was künftig steigende Cash Flows erklären könnte. Dazu zählen die Nominalrechnung bei Geldentwertung, eine potentiell zunehmend bessere Marktstellung dank Konzentrationsprozessen mit Skaleneffekten dank M&A, ein eventuell vorliegendes natürliches Monopol, z. B. in der Netzindustrie, eine verbesserte Effektivität und effizientere Nutzung von Vermögenswerten, unabhängig von ihrer Abnutzbarkeit, und selbst erzeugte verstärkte Synergien. Zum anderen kann in den Jahren nach Unternehmenserwerb oder Verschmelzung originärer Goodwill erzeugt worden sein: durch Ansiedlungspolitik mit Standortvorteilen, verbesserte Gewinnung von Talenten, Mitarbeiterschulung, Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten u. a. m.
Ferner hat Bilanzierung mit Unternehmensbewertung keine direkte theoretische Verbindung. Z. B. sind ertrags- oder unternehmenswertabhängige Abschreibungen verboten. Bilanzierung kann auch keine Unternehmensbewertung auf Basis einer Cash Flow-Prognose ersetzen und nur sehr begrenzt zur Cash Flow-Prognose beitragen. Diesbezügliche Ansätze hat die theoretische Literatur zwar insbesondere zu Beginn des 20. Jahrhunderts entwickelt, aber erkennbar ohne Erfolg (Moxter
1984 und
1982). Wer dies noch immer bezweifelt, mag nur einen Blick auf die Diskrepanz von buchmäßigem Eigenkapital und Marktkapitalisierung bei börsennotierten Unternehmen werfen (nicht nur bei prominenten deutschen Banken), wobei nicht gesagt wird, dass die Marktkapitalisierung dem Unternehmenswert oder einem potentiellen Kaufpreis entspricht.
Die im zweiten Perspective Paper unterbreiteten Zahlenbeispiele sind unstrittig fehlerfrei, bauen aber durchgängig auf einer ausgesprochen kritischen Annahme auf. Danach kennt man nach Unternehmenserwerb über mehrere (hier: fünf) Jahre den Fair Value und den nach Erwerb nicht immer konstant bleibenden Buchwert des erworbenen Unternehmens und der auf Goodwill zu testenden Einheit. Die in praxi üblichen, in möglichst wenigen Jahren erfolgenden Integrationsversuche und -erfolge von erworbenen oder verschmolzenen Unternehmen werden dadurch negiert. Es ist klar, dass jede modellhafte Überlegung von der Realität abweichen muss. Die hier gesetzte Annahme droht jedoch aufgrund eines unrealistischen Idealfalls die Untauglichkeit der Zahlenbeispiele für fundierte politische Entscheidungen nahezulegen, zumal sich durch andere Zahlenannahmen genauso gut ein Informationswert des IOA hätte zeigen lassen.
Freilich ist Letzteres auch gar nicht das Ziel in diesem Paper. Das Paper zeigt mit anderen Worten keineswegs einen vorlaufenden Informationswert, sondern das Gegenteil: vier Gründe für dessen Beeinträchtigung. Um den Informationswert im Sinne eines „leading indicator“ zu belegen, hätte es doch der intensiveren Diskussion der widersprüchlichen Ergebnisse der akademischen Studien bedurft. Mit der Aufnahme von kurzen Ergebnisbeschreibungen der Resultate von Li et al. (
2011), Knauer und Wöhrmann (
2016), Li und Sloan (
2017) sowie Nykyforovych (
2017) in den Anhang kann der Leser das Urteil nachzuziehen versuchen, wonach sich die Behauptung, dass „in certain instances goodwill impairments are undoubtably a leading indicator“ (IVSC
2019h, S. 4), wirklich belegen lässt. Li et al. (
2011) mögen hierbei helfen, während die sonst genannten Studien keineswegs eindeutige Resultate liefern, sondern diese immer an bestimmte Nebenbedingungen geknüpft sind. Mit dem Bezug auf „certain instances“ wird das zwar möglicherweise angedeutet, dies reicht aber nicht dafür, das Ziel des Informationswerts insgesamt zu belegen.
Diese Einwendungen führen zu der Schlussfolgerung, dass auch die dritte Frage unseres Beitrags negativ zu beantworten ist: Die in den beiden Perspective Papers des IVSC enthaltenen Argumentationslinien über die Abnutzbarkeit von aktiviertem Goodwill und den Informationswert von Wertminderungen haben keine ökonomisch überzeugende Begründung. Das erste Paper verbindet auf nicht nachvollziehbare Weise Bilanzierung mit Unternehmensbewertung. Das zweite Paper erkennt die widersprüchlichen empirischen Ergebnisse akademischer Arbeiten und wählt Beispielrechnungen, um den Nachteil des IOA in bestimmten Situationen zu dokumentieren. Die Rechnungen sind unstrittig, aber die Annahme eines bekannten zukünftigen Fair Value von erworbenen Unternehmen geht an der Praxis so stark vorbei, dass der Wert dieser Beispiele immens beeinträchtigt wird. Auch wird nicht etwa der Informationswert einer Wertminderung im Sinne eines vorlaufenden Signals, sondern beispielhaft genau das Gegenteil belegt. Die Konsequenzen für eine politische Entscheidung pro oder contra IOA sind damit unbestimmt.
Unbestritten ist, dass ein Wechsel von IOA zu planmäßiger Abschreibung von Goodwill ungemein hohe wertmäßige Konsequenzen für Bilanz und GuV hätte, was insbesondere das CFA Institute in den USA auf die Invitation to Comment des FASB zu Recht herausgestellt hat. Wenn man allein aus diesem Grund auf eine Umstellung auf die planmäßige Abschreibung von Goodwill verzichtet, muss man sehen, dass dies nicht ökonomisch begründbar ist. Vielmehr würde der seinerzeit aus dem Verbot der Interessenzusammenführung folgende IOA dann dazu führen, ein fragwürdiges Verfahren allein aus Umstellungsproblemen fortzuführen. Damit wird nicht nur die Entscheidungsnützlichkeit von Konzernabschlüssen fraglich, sondern auch Erstellern, Prüfern und Compliance-Institutionen viel zugemutet. Die Zumutung dürfte kaum geringer werden, wenn der IOA durch erhöhte Informationspflichten verbessert werden sollte. Die Frage, wann Unternehmenskäufe oder Verschmelzungen erfolgreich sind, ist sowohl mit bilanziellen Daten als auch mit Kapitalmarktdaten nach Ankündigung oder Realisierung der Transaktion bekanntermaßen nur schwer zu beantworten. Aber genau darum müsste es bei den Verbesserungsvorschlägen gehen.
Gleichermaßen unbestritten fällt eine begründete Nutzungsdauerschätzung von Goodwill schwer. Deshalb hat man sich rechtlich stets mit Typisierungen beholfen: mit Vorgaben von bis zu 40, 20 oder 10 Jahren (so über verschiedene Zeiträume in den USA), mit 10 Jahren, wenn die Nutzungsdauer nicht verlässlich geschätzt werden kann (§ 253 Abs. 3 Satz 3 HGB), oder mit 15 Jahren (§ 7 Abs. 1 Satz 3 EStG). Das gilt schließlich auch für andere Vermögenswerte wie Gebäude oder Elemente der Betriebs- und Geschäftsausstattung.
Die Vorgabe solcher Typisierungen auch für Goodwill hätte aus unserer Sicht einen bekannten, aber nichtsdestoweniger entscheidenden Vorteil: Sie würde den darin bestehenden Widerspruch beseitigen, dass nach allen uns bekannten Rechtsregeln (US-GAAP, IFRS, HGB etc.) die Aktivierung von originärem Goodwill aus Gründen zweifelhafter Werthaltigkeit verboten ist, während sie durch den IOA in Jahren nach Unternehmenserwerb oder Verschmelzung erlaubt wird.