Ein massives Investitionsprogramm des Staates könnte den Wachstumsmotor im Land kräftig ankurbeln, haben Forscher des IMK berechnet. Trotz Kreditfinanzierung bleibt die Schuldenquote stabil, rechnen die Forscher vor. Kritiker warnen jedoch vor verschiedenen Risiken.
Investitionsprogramme können große Wachstumsschübe auslösen, wenn die Mittel nich in Konsum- und Sozialausgaben fließen, meinen Wirtschaftsexperten.
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Kreditfinanzierte Investitionen des Staates in Höhe von 600 Milliarden Euro über zehn Jahre haben das Potenzial, das deutsche Bruttoinlandsprodukt (BIP) bis 2045 um bis zu 4.750 Milliarden Euro wachsen zu lassen. "Das entspricht einer um 3.600 Euro pro Kopf höheren Wirtschaftsleistung im Jahr 2045, wenn der Höhepunkt der Wachstumseffekte erreicht wird", zeigen aktuelle Simulationsrechnungen des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der Hans-Böckler-Stiftung.
Investitionen können Schuldenquote sogar senken
Aufgrund der positiven Wachstumseffekte könnten entsprechende Investitionen die Schuldenquote bis zur Mitte des Jahrhunderts senken und damit die deutsche Schuldentragfähigkeit langfristig sogar verbessern. Laut der Studienautoren beseitigen gezielte öffentliche Investitionen bestehende wirtschaftliche Engpässe wie eine veraltete Infrastruktur, fehlende Klimainvestitionen und Defizite im Bildungs- und Wohnungssektor.
Ein Fünftel der industriellen Wertschöpfung bereits bedroht
Diese bedrohen - neben anderen Faktoren - bereits ein Fünftel der industriellen Wertschöpfung Deutschlands. Um den Standort international attraktiver zu machen, sind bis 2030 private und öffentliche Mehrinvestitionen in Höhe von rund 1,4 Billionen Euro nötig. Zu diesem Schluss kommt die Studie "Transformationspfade", die der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) bei der Strategieberatung Boston Consulting Group (BCG) und dem Institut der deutschen Wirtschaft (IW) beauftragt hat.
600 Milliarden Euro Investitionsvolumen nötig
In einer im Frühjahr 2024 erschienen Analyse beziffern das IMK und das IW die Höhe staatlicher Investitionen in den kommenden zehn Jahren mit etwa 600 Milliarden Euro. Dieses Kapital müsse gezielt in Infrastruktur, Wirtschaft und Gesellschaft fließen, um Deutschland zukunfts- und wettbewerbsfähig zu machen. Bis Mitte der 2030er Jahre soll nach den Vorstellungen des IMK rund ein Drittel des Geldes den Sanierungsstau bei Städten und Gemeinden auflösen. Rund 200 Milliarden Euro fließen in Klimaschutzmaßnahmen, 127 Milliarden Euro in Verkehrswege und öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV), knapp 42 Milliarden Euro in die Bildungsinfrastruktur sowie 37 Milliarden Euro in den sozialen Wohnungsbau.
Konservatives und modifiziertes Berechnungsmodell
Die aktuellen Berechnungen des IMK basieren auf zwei Modellen: Einer konservativen Variante, die von begrenzten positiven Effekten auf private Investitionen ausgeht, und einer modifizierten Version, die stärkere Wachstumsimpulse durch bessere Standortbedingungen einbezieht und private Investitionen stärker berücksichtigt. Je nach Modell wächst das BIP durch das Programm jährlich um 2,6 bis sechs Prozent. Die gesamtwirtschaftlichen Gewinne summieren sich bis 2050 auf 2.130 bis 4.750 Milliarden Euro.
Staatsfinanzen bleiben ungefährdet
Sorgen hinsichtlich der Staatsfinanzen sind den Studienautoren zufolge unbegründet: Während der Investitionsphase von 2025 bis 2034 zeigen die Berechnungen, dass das jährliche Haushaltsdefizit zwar um etwa ein Prozent des BIP wächst, aber größtenteils unter den EU-Grenzwerten bleibt. In der optimistischeren Modellvariante sinkt die Schuldenquote bis 2050 sogar unter das Niveau eines Szenarios ohne Investitionsoffensive. Daher zahle sich ein öffentliches Investitionsprogramm auch für nachfolgende Generationen aus:
Es würde entscheidende Engstellen beseitigen, die die Entwicklung der deutschen Wirtschaft aktuell hemmen: Veraltete, oft nicht mehr leistungsfähige Infrastruktur von Schiene bis Digital, zu wenig Tempo beim Umbau der Energieversorgung, Defizite bei Bildungseinrichtungen und Investitionszurückhaltung von Unternehmen. Bei all diesen Themen endlich durchzustarten, rechnet sich für Junge mindestens genauso wie für Ältere", erläutert Sebastian Dullien, wissenschaftlicher Direktor des IMK.
Kritiker fürchten Aushöhlung der Schuldenbremse
Kritiker eines kreditfinanzierten Programms befürchten allerdings eine Überhitzung der Wirtschaft, steigende Inflation und eine Aushöhlung der Schuldenbremse. Diese biete in ihrer derzeitigen Form ausreichenden fiskalpolitischen Spielraum für öffentliche Investitionen, heißt es zum Beispiel in einer Analyse des Ökonomen Lars P. Feld und seiner Kollegen Joshua Hassib, Maximilian Langer, Daniel Nientiedt und Philipp Weber aus dem Jahr 2024. "Soweit dieser Spielraum nicht für öffentliche Investitionen genutzt wird, ist dies letztendlich eine Folge politischer Präferenzen."
Damit staatliche Investitionsmittel nicht in Konsum- und Sozialausgaben statt in wachstumsfördernde Maßnahmen fließen, hat die Bundesbank nun grundlegende Ideen zur Reform der Schuldenbremse vorgelegt. Bundesbankpräsident Joachim Nagel sprach bereits anlässlich der Bilanzpressekonferenz des Instituts von einem komplexen Vorschlag, der einen größeren Spielraum biete, ohne die finanzpolitische Stabilität zu gefährden. Danach seien die höheren Verschuldungsspielräume allerdings in großen Teilen für Sachinvestitionen vorgesehen - allen voran für Milliardeninvestitionen in Infrastruktur und die Verteidigung. Allerdings sieht das Institut in einem Plus an Flexibilität kein Allheilmittel, wie es im Monatsbericht der Notenbank von Februar heißt: Es bleibe auch dann "unverzichtbar, Prioritäten zu überprüfen und Finanzmittel effektiver einzusetzen".