2020 | OriginalPaper | Buchkapitel
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Der folgende Aufsatz widmet sich dem Motiv der Briefe in Marlen Haushofers Die Mansarde. Im Zentrum steht dabei die These, dass diese Briefe ähnliche Eigenschaften aufweisen bzw. ähnliche Verhaltensmuster aktivieren wie das Symptom nach Auffassung Sigmund Freuds und dessen (Neu-)Definition durch den französischen Psychoanalytiker Jacques Lacan. Die Art und Weise, wie die Protagonistin des Romans mit diesen Briefen verfährt (sie enthalten ihre eigenen Tagebuchaufzeichnungen, die ihr 17 Jahre nach Abfassung anonym zugeschickt werden), gibt Rätsel auf. Auf die Lektüre in der Mansarde, dem künstlerischen Rückzugsraum der Hauptfigur, folgt die Verbrennung der Texte im Keller. Von dem Lebensabschnitt, an den sie erinnern – eine Episode vorübergehender Taubheit – darf kein Zeugnis zurückbleiben. Wie Symptome fungieren sie als ungeliebte Reminiszenzen an eine unabgeschlossene Vergangenheit. Lacan begreift das Symptom darüber hinaus aber als Mittel des Lustgewinns – findet auch dieser Aspekt eine Entsprechung in der Mansarde?
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In Haushofers Text werden Alterität und Fremdheit in erster Linie in Bezug auf die Geschlechterdifferenz verhandelt, weshalb diese im Folgenden im Fokus steht. Die Psychotherapiewissenschaften setzen sich gegenwärtig allerdings sehr wohl mit transkulturellen Fragestellungen auseinander: An der SFU Wien gibt es beispielsweise ein eigenes Institut für transkulturelle und historische Forschung.
Vgl. Freuds vorauseilende Entkräftigung des Vorwurfs, seine Patientin Dora nicht geheilt zu haben, im Vorwort zu
Bruchstücke einer Hysterie-
Analyse: „Vielleicht wird ein Leser, der mit der in den Studien über Hysterie dargelegten Technik der Analyse vertraut ist, sich darüber verwundern, daß sich in drei Monaten nicht die Möglichkeit fand, wenigstens die in Angriff genommenen Symptome zu ihrer letzten Lösung zu bringen.“ (1991, S. 169).
Sie entpuppt sich, so Freud, schließlich sogar als lesbisches Begehren: Nicht der Freund des Vaters, Herr K., sei das Objekt von Doras Wunsch, sondern dessen Frau (1991, S. 267).
So auch der Titel seines Seminars 1975/1976.
Im Borromäischen Knoten, eine Figur, die Lacan der mathematischen Topologie (Knotenlehre) entnimmt, sind drei flexible Ringe (Fadenringe) so verknüpft, dass die Entfernung eines Ringes das gesamte Gebilde auflöst. Die drei Ringe sind die drei psychischen Dimensionen des Subjekts. Vereinfacht gesagt, kann das Symbolische als sprachliche Ordnung begriffen werden, das Imaginäre als eine Ebene der bildlichen Vorstellungen und (vorsprachlichen) Körpersensationen und das Reale als jene Dimension, die sich jeglicher Form sowohl sprachlicher als auch bildlicher Darstellung entzieht. Im Seminar von 1975/1976 führt Lacan das Sinthom als vierten Ring ein, der der „Psychose als das Lösen des Borromäischen Knotens […] vorbeugen kann.“ (Evans
2017, S. 60) Es bleibt zu konstatieren: „Die theoretische Verschiebung von der Linguistik zur Topologie […] konstituiert den wahren Status des Sinthoms als nicht-definierbar und erwächst zu einem exegetischen Problem, das das übliche Ausmaß von Lacans dichter Rhetorik übersteigt.“ (Evans
2017, S. 251)
Eine solche lässt sich, wie oben ausgeführt, auch in Freuds Theorie nachweisen, wenngleich er den Terminus Signifikant in seinen Schriften nicht verwendet (siehe auch Evans
2017, S. 248).
Freud selbst bedient sich des Bildes von der Psyche als Haus (allerdings ohne dabei drei Stockwerke zu erwähnen), wenn er in seiner Beschreibung der narzisstischen Kränkung der Menschheit durch die Entdeckungen der Psychoanalyse davon spricht, dass „das
Ich nicht Herr sei in seinem eigenen Haus.“ (
2005
7, S. 11; Herv.i.O.)
Zumindest keines externen – dass Analytiker und Analysand, durchaus gewinnbringend, in eins fallen können, zeigt Freuds Selbstanalyse, etwa in Teilen der
Traumdeutung.
Zurück zum Zitat Brüns, Elke. 1998. Außenstehend, ungelenk, kopfüber weiblich: psychosexuelle Autorpositionen bei Marlen Haushofer, Marieluise Fleißer und Ingeborg Bachmann. Stuttgart: Metzler. CrossRef Brüns, Elke. 1998.
Außenstehend, ungelenk, kopfüber weiblich: psychosexuelle Autorpositionen bei Marlen Haushofer, Marieluise Fleißer und Ingeborg Bachmann. Stuttgart: Metzler.
CrossRef
Zurück zum Zitat Evans, Dylan. 2017. Wörterbuch der Lacan’schen Psychoanalyse. Wien: Turia + Kant. Evans, Dylan. 2017.
Wörterbuch der Lacan’schen Psychoanalyse. Wien: Turia + Kant.
Zurück zum Zitat Fliedl, Konstanze. 1986. Die Melancholische Insel. Zum Werk Marlen Haushofers. Vierteljahresschrift des Adalbert Stifter Instituts 35 (1/2): 35–51. Fliedl, Konstanze. 1986. Die Melancholische Insel. Zum Werk Marlen Haushofers.
Vierteljahresschrift des Adalbert Stifter Instituts 35 (1/2): 35–51.
Zurück zum Zitat Fliedl, Konstanze. 1994. Marlen Haushofer. In Deutsche Dichter des 20. Jahrhunderts, Hrsg. Hartmut Steinecke, 624–634. Berlin: Schmidt. Fliedl, Konstanze. 1994. Marlen Haushofer. In
Deutsche Dichter des 20. Jahrhunderts, Hrsg. Hartmut Steinecke, 624–634. Berlin: Schmidt.
Zurück zum Zitat Freud, Sigmund. 1991a. Bruchstück einer Hysterie Analyse. In Sigmund Freud. Gesammelte Werke. Fünfter Band. Werke aus den Jahren 1904–1905, Hrsg. Anna Freud, 161–286. Frankfurt a. M.: Fischer. Freud, Sigmund. 1991a. Bruchstück einer Hysterie Analyse. In
Sigmund Freud. Gesammelte Werke. Fünfter Band. Werke aus den Jahren 1904–1905, Hrsg. Anna Freud, 161–286. Frankfurt a. M.: Fischer.
Zurück zum Zitat Freud, Sigmund. 1991b. Studien über Hysterie. In Sigmund Freud. Gesammelte Werke. Erster Band. Werke aus den Jahren 1892–1899, Hrsg. Anna Freud, 77–312. Frankfurt a. M.: Fischer. Freud, Sigmund. 1991b. Studien über Hysterie. In
Sigmund Freud. Gesammelte Werke. Erster Band. Werke aus den Jahren 1892–1899, Hrsg. Anna Freud, 77–312. Frankfurt a. M.: Fischer.
Zurück zum Zitat Freud, Sigmund. 2005. Eine Schwierigkeit der Psychoanalyse. In Sigmund Freud. Gesammelte Werke. Zwölfter Band. Werke aus den Jahren 1917–1920, Hrsg. Anna Freud, 3–12. Frankfurt a. M.: Fischer. Freud, Sigmund. 2005. Eine Schwierigkeit der Psychoanalyse. In
Sigmund Freud. Gesammelte Werke. Zwölfter Band. Werke aus den Jahren 1917–1920, Hrsg. Anna Freud, 3–12. Frankfurt a. M.: Fischer.
Zurück zum Zitat Grant, Alyth F. 1997. „Kränkung“ und „Verdrängung“. The Metaphor of Hysteria in Marlen Haushofer’s Die Mansarde und Ingeborg Bachmann’s Der Fall Franza. In 1000 Jahre Österreich im Spiegel seiner Literatur, Hrsg. A. Obermayer. Dunedin: University of Ontago. Grant, Alyth F. 1997. „Kränkung“ und „Verdrängung“. The Metaphor of Hysteria in Marlen Haushofer’s Die Mansarde und Ingeborg Bachmann’s Der Fall Franza. In
1000 Jahre Österreich im Spiegel seiner Literatur, Hrsg. A. Obermayer. Dunedin: University of Ontago.
Zurück zum Zitat Haushofer, Marlen. 2013. Die Mansarde. Berlin: List. Haushofer, Marlen. 2013.
Die Mansarde. Berlin: List.
Zurück zum Zitat Lacan, Jacques. 2017. Das Sinthom. Das Seminar, Buch XXIII (1975–1976). Wien: Turia + Kant. Lacan, Jacques. 2017.
Das Sinthom. Das Seminar, Buch XXIII (1975–1976). Wien: Turia + Kant.
Zurück zum Zitat Mertens, Wolfgang. 2013. Krankheit und Gesundheit. In Freud-Handbuch. Leben – Werk – Wirkung, Hrsg. Hans-Martin Lohmann und Joachim Pfeiffer, 264–270. Stuttgart: Metzler. Mertens, Wolfgang. 2013. Krankheit und Gesundheit. In
Freud-Handbuch. Leben – Werk – Wirkung, Hrsg. Hans-Martin Lohmann und Joachim Pfeiffer, 264–270. Stuttgart: Metzler.
Zurück zum Zitat Morrien, Rita. 1996. Weibliches Textbegehren bei Ingeborg Bachmann, Marlen Haushofer und Unica Zürn. Würzburg: Königshausen & Neumann. Morrien, Rita. 1996.
Weibliches Textbegehren bei Ingeborg Bachmann, Marlen Haushofer und Unica Zürn. Würzburg: Königshausen & Neumann.
Zurück zum Zitat Polt-Heinzl, Evelyne. 2010. Ein Käfig voller Schweigen oder Über den Bedarf an Schubladenkommoden. Die Abgründe von (Wohn-)Räumen und Ritualen in der Literatur der Nachkriegsjahre. In Ich möchte wissen, wo ich hingekommen bin! Marlen Haushofer 1920–1970, Hrsg. Christa Gürtler, 3–50. Linz: StifterHaus. Polt-Heinzl, Evelyne. 2010. Ein Käfig voller Schweigen oder Über den Bedarf an Schubladenkommoden. Die Abgründe von (Wohn-)Räumen und Ritualen in der Literatur der Nachkriegsjahre. In
Ich möchte wissen, wo ich hingekommen bin! Marlen Haushofer 1920–1970, Hrsg. Christa Gürtler, 3–50. Linz: StifterHaus.
Zurück zum Zitat Roebling, Irmgard. 1994. Weiblichkeit als Maskerade zur Besänftigung der Dämonen. Einheit und Trennung in Marlen Haushofers Roman „Die Mansarde“. Freiburger literaturpsychologische Gespräche 13:167–190. Roebling, Irmgard. 1994. Weiblichkeit als Maskerade zur Besänftigung der Dämonen. Einheit und Trennung in Marlen Haushofers Roman „Die Mansarde“.
Freiburger literaturpsychologische Gespräche 13:167–190.
Zurück zum Zitat Tabah, Mireille. 2000. Nicht gelebte Weiblichkeit. Töchter und (Ehe-)Frauen in Marlen Haushofers Romanen. In „Eine geheime Schrift aus diesem Splitterwerk enträtseln…“ Marlen Haushofers Werk im Kontext, Hrsg. Anke Bosse und Clemens Ruthner, 177–192. Tübingen, Basel: Francke. Tabah, Mireille. 2000. Nicht gelebte Weiblichkeit. Töchter und (Ehe-)Frauen in Marlen Haushofers Romanen. In
„Eine geheime Schrift aus diesem Splitterwerk enträtseln…“ Marlen Haushofers Werk im Kontext, Hrsg. Anke Bosse und Clemens Ruthner, 177–192. Tübingen, Basel: Francke.
Zurück zum Zitat Vinardell Puig, Teresa. 2006. Die stumme Wut der Menschenfresser. Körpersprache und verdrängte Vergangenheit in Marlen Haushofers „Die Mansarde“. Sprachkunst XXXVII (2): 241–255. Vinardell Puig, Teresa. 2006. Die stumme Wut der Menschenfresser. Körpersprache und verdrängte Vergangenheit in Marlen Haushofers „Die Mansarde“.
Sprachkunst XXXVII (2): 241–255.
Zurück zum Zitat von der Lühe, Irmela. 1995. Erzählte Räume – Leere Welt. Zu den Romanen Marlen Haushofers. In Oder war da manchmal noch etwas anderes? Texte zu Marlen Haushofer, Hrsg. Anne Duden, 73–107. Frankfurt a. M.: Verlag Neue Kritik. von der Lühe, Irmela. 1995. Erzählte Räume – Leere Welt. Zu den Romanen Marlen Haushofers. In
Oder war da manchmal noch etwas anderes? Texte zu Marlen Haushofer, Hrsg. Anne Duden, 73–107. Frankfurt a. M.: Verlag Neue Kritik.
Zurück zum Zitat Žižek, Slavoj. 1991. Liebe Dein Symptom wie Dich selbst! Jacques Lacans Psychoanalyse und die Medien. Berlin: Merve. Žižek, Slavoj. 1991.
Liebe Dein Symptom wie Dich selbst! Jacques Lacans Psychoanalyse und die Medien. Berlin: Merve.
- Titel
- Ist der Brief ein Symptom? Zu einem komplexen Motiv in Marlen Haushofers Die Mansarde
- DOI
- https://doi.org/10.1007/978-3-658-30263-4_16
- Autor:
-
Marlen Mairhofer
- Sequenznummer
- 16