Im Interview erläutert der IT-Experte Norbert Rotter, warum die Digitale Transformation im deutschen Mittelstand weit mehr ist als ein IT-Projekt. Vielmehr sei sie eine Operation am offenen Herzen und dabei gelte es, einige Herausforderungen zu meistern.
Norbert Rotter ist seit dem 1. Januar 2008 Mitglied des Vorstands der NTT Data Business Solutions AG (ehemals itelligence AG). Am 1. Juli 2016 wurde er zum CEO ernannt.
NTT DATA Business Solutions AG
springerprofessional.de: Herr Rotter, warum ist Digitalisierung im Mittelstand aus Ihrer Sicht mehr als bloß ein IT-Projekt?
Norbert Rotter: Weil die digitale Transformation nicht nur die IT, sondern das Fundament eines Unternehmens berührt. Sie verändert Prozesse, Strukturen, Rollen und Entscheidungswege, also das unternehmerische Selbstverständnis. Bei der IT-Transformation steht für Unternehmen weltweit häufig die Einführung moderner Technologien im Vordergrund – noch vor Zielen wie einer höheren Flexibilität zur schnelleren Reaktion auf Marktanforderungen, Kostensenkungen oder einer Steigerung der Innovationskraft. Digitale Transformation ist in der Regel kein reines IT-Projekt, sondern ein umfassendes Change-Vorhaben. Die IT bildet die Grundlage, doch wer die Digitalisierung nur als Software-Modernisierung versteht, verschenkt ihr Potenzial. Technologien wie Künstliche Intelligenz (KI) oder Cloud wirken zwar wie Katalysatoren, entscheidend ist jedoch, ob Unternehmen bereit sind, ihr Denken und Handeln zu hinterfragen und neu auszurichten. Diese Haltung beginnt ganz oben, nämlich bei der Geschäftsführung. Sie muss die Richtung vorgeben und die Transformation zur Chefsache machen. Gerade im Mittelstand, wo Entscheidungen oft direkte Auswirkungen auf die Organisation haben, ist diese Führungsrolle erfolgsentscheidend. Denn Technik folgt der Strategie und nicht umgekehrt.
Welche Schwierigkeiten müssen kleine und mittlere Unternehmen bei Digitalisierungsvorhaben häufig meistern?
Nicht die Idee der Digitalisierung scheitert bei vielen Mittelständlern, sondern ihre Umsetzung. Oft mangelt es intern an Know-how, IT-Fachkräften und einer belastbaren Analyse der bestehenden Systemlandschaft. Zudem wird die Komplexität von Digitalisierungsprojekten häufig unterschätzt, sei es in Bezug auf den Zeitbedarf, das Budget, die Koordination oder das Change-Management. Gerade kleine und mittlere Unternehmen verkennen oft, wie stark digitale Vorhaben interne Abläufe, Rollen und Entscheidungsprozesse beeinflussen. Viele Unternehmen gehen jedoch technisch vor, ohne sich zuvor mit den strategischen Fragen auseinanderzusetzen. Doch eine erfolgreiche Digitalisierung erfordert klare Ziele, eine realistische Planung und die Bereitschaft, vertraute Muster zu hinterfragen. Wer zögert oder nur halbherzig handelt läuft Gefahr, technologisch den Anschluss zu verlieren und sich im Wettbewerb dauerhaft zu schwächen.
Welche Fehler machen Unternehmen beim Digitalisieren im laufenden Geschäftsbetrieb?
Der größte Fehler ist, mit der Digitalisierung zu starten, ohne klare Prioritäten zu setzen oder den Ist-Zustand sauber zu erfassen. In der Folge geraten viele Projekte ins Stocken, dauern deutlich länger als geplant oder sprengen den Kostenrahmen. Ein häufiger Stolperstein ist die mangelhafte Datenqualität. Wer unstrukturierte oder veraltete Daten ungeprüft ins neue System übernimmt, verschleppt Altlasten und legt damit den Grundstein für spätere Fehler. Auch das Change-Management wird oft vernachlässigt. Die Mitarbeiter sind unzureichend informiert, wissen nicht, warum sich etwas ändert, was sich genau verändert oder was das konkret für sie bedeutet. Statt Fortschritt entsteht Verunsicherung. Gerade im laufenden Geschäftsbetrieb ist Präzision gefragt. Es braucht realistische Zeitpläne, klare Verantwortlichkeiten und eine transparente Kommunikation. Wer mitten im Tagesgeschäft digitalisiert, führt eine Operation am offenen Herzen durch. Das gelingt nur, wenn alle Beteiligten wissen, was zu tun ist – und warum. Ohne Kommunikation scheitert selbst das technologisch beste Projekt.
Inwieweit kommen Künstliche Intelligenz (KI) und Cloud Computing auch schon im deutschen Mittelstand an?
Die Cloud ist im deutschen Mittelstand angekommen und in vielen Unternehmen bereits fester Bestandteil der IT-Landschaft. Sie ermöglicht mehr Flexibilität, kürzere Innovationszyklen und eine bessere Skalierbarkeit. Vor allem aber schafft sie die Voraussetzung, um neue Technologien wie Künstliche Intelligenz nutzen zu können. Beim Einsatz von KI zeigt sich jedoch ein differenzierteres Bild. Zwar profitieren viele Mittelständler bereits indirekt, etwa über automatisierte Prozesse in bestehenden Tools, doch strategisch ist das Thema oft noch nicht richtig verankert. Es fehlen konkrete Anwendungsfälle, internes Know-how und die nötige Datenbasis. Denn ohne saubere, strukturierte und zugängliche Daten bleibt KI nur Stückwerk. Wer sich heute nicht aktiv mit KI auseinandersetzt, riskiert, wichtige Entwicklungssprünge zu verpassen. Entscheidend ist, das Thema nicht als Zukunftsvision, sondern als Teil der eigenen digitalen Realität zu behandeln. Ich bin überzeugt: Der Einsatz von KI wird Produktivitätssteigerungen von mindestens 20 bis 30 Prozent in den nächsten zwei bis drei Jahren bewirken.