Sind Unternehmen, deren Mitarbeiter mit Tablets ausgestattet via Kolaborationsplattform Wissen austauschen bereits digitalisiert? Oder ist der digitale Wandel erst vollzogen, wenn er in die Tiefen von Unternehmenskultur und Prozessen hineingewirkt sowie bestehende Geschäftsmodelle nicht nur verbessert, sondern transformiert hat? Was Mittelständler wirklich meinen, wenn sie den eigenen Digitalisierungsgrad bewerten, wollten die Springer-Autoren Wolfgang Becker, Patrick Ulrich, Tim Botzkowski und Sebastian Eurich in Interviews mit Führungspersönlichkeiten mittelständischer Unternehmen erfahren. Ihr Fazit: Der Mittelstand scheut sich nach wie vor, Veränderungen, deren Ausgang schwer zu prognostizieren ist, in Angriff zu nehmen. Das gilt inbesondere bei der Digitalisierung von Geschäftsmodellen. Digitalisierung wird nicht als strategische Aufgabe verstanden, sondern meist auf die Transformation der Daten vom Analogen ins Digitale bezogen. Aus diesem Blickwinkel betrachtet, wundert es denn auch nicht, dass die meisten mittelständischen Unternehmen meinen, die Digitalisierung alleine und ohne externes Expertenwissen stemmen zu können, wie eine aktuelle Befragung des Digitalverbands Bitkom zeigt.
Werden wir den digitalen Wandel schaffen?
Ja, das schaffen wir! Die digitale Transformation machen sich vor allem die kleineren Unternehmen im deutschen Mittelstand und der Handel beherzt zur Do-it-yourself-Aufgabe. Sie verzichten weitgehend auf Beratungsleistungen. Rund 500 Geschäftsführer und Vorstandsmitglieder von Unternehmen ab 20 Mitarbeitern gaben für die von Bitcom-Research durchgeführte Unternehmensbefragung Auskunft. In den Unternehmen bis 500 Mitarbeitern haben bislang nur 18 Prozent auf Know-how von außen zurückgegriffen und lediglich sechs Prozent aller übrigen planen das zu ändern. Im Handel haben 76 Prozent auf externe Beratungsleistungen verzichtet, aber 12 Prozent wollen sich künftig unterstützen lassen.
Anders gehen die Unternehmen ab 500 Mitarbeitern vor. Sie konsultieren verstärkt Berater. Zu den 49 Prozent, die die Digitalisierung bereits mit externem Fachwissen in Angriff genommen, haben kommen 22 Prozent, die entsprechend planen. Auf Eigenleistung setzen aber auch hier weiterhin 25 Prozent. Die Digitalisierung ist nicht nur als Optimierer von Arbeitsprozessen zu verstehen. Digitale Transformation erfordere auch den Aufbau völlig neuer Geschäftsmodelle, was vor allem kleinere Unternehmen herausfordere, kommentiert Bitkom-Hauptgeschäftsfüher Bernhard Rohleder die Ergebnisse. Sein Rat an den Mittelstand: Wer den Anschluss an die Spitze halten will, darf auf externe Beratung und den Austausch mit Start-ups nicht verzichten.
Betriebe bleiben traditionell skeptisch
Digitale Transformation ist ein Begriff der vielen Missverständnisse. Sehen die einen darin vor allem den digitalen Austausch von Daten und damit die Möglichkeit, Papier- und Druckkosten einzusparen, verbessern andere damit zwar ihre Geschäftsmodelle, aber nur punktuell. Von einer wirklichen Transformation kann beiderseits keine Rede sein. Als Fazit ihrer Interviews stellten die Springer-Autoren Becker, Ulrich, Botzkowski und Eurich fest, "dass bisherige mittelständische Geschäftsmodelle sich eher durch eine hohe Verbindung zur Tradition und gegenebfalls sogar Skepsis gegenüber neuen Informations- und Kommunikationstechnologien auszeichnen" (Seite 305). Aber können sich Unternehmen digitale Zurückhaltung und handgestrickte Konzepte überhaupt noch leisten?
Zunächst einmal gilt es, das Thema nicht allein als technische Herausforderung zu begreifen, sondern als strategische Aufgabe. Als solche ist sie bei Entscheidern im Top-Management und den Beiräten zu etablieren. "Every business is a digital business", zitiert Springer-Autor Ralf Kreutzer (Seite 55) und schiebt hinterher, dass in vielen Branchen die Kunden sehr viel digitaler unterwegs seien, als ihre Anbieter. Es entsteht zwischen dem vorhandenen Veränderungspotenzial und der schleppenden Veränderungsbereitschaft eine Lücke – die willkommene "Einflugschneise für Wettbewerber" (Seite 42). "In Treiber und Hintergründe der digitalen Revolution" erläutert Kreutzer, warum Unternehmen, die sich den Veränderungsprozessen verschließen, Gefahr laufen, von der digitalen Revolution kannibalisiert zu werden (Seite 55):
- Vorhandenes Wissen wird massiv entwertet.
- Die Erfahrungswährung wird durch neue Entwicklungen systematisch inflationiert und damit entwertet.
- Es fehlen zwar Messverfahren und Metriken, um die wirtschaftlichen Resultate messbar zu machen. Dies darf aber nicht dazu führen, auf neue Herausforderungen nicht einzugehen.
- Klassische Branchengrenzen verschieben sich
Fazit: Internet of Things, Cloud Computing, Industrie 4.0, Social Media: Die Digitalisierung gebiert viele Schlagworte, deren Inhalte gerade kleine Unternehmen einmal mehr herausfordern. Gleichzeitig wirken sie verändernd auf das Verhalten und die Bedürfnisse von Konsumenten. Ziel ist jetzt, klassische Geschäftsmodelle so zu transformieren, dass sie dem Kunden neuen Nutzen bringen und Wettbewerber in Schach halten. Beratungsdienstleistungen sowie der Austausch mit Start-ups helfen nicht nur den Unsicheren dabei, Umwälzungen wertschöpfend zu meistern.