EU-weite Vorgaben verpflichten viele Unternehmen, in ihrem Jahresabschluss über Risiken zu informieren. Doch eine vollständige Berichterstattung gibt es oft nicht, so eine aktuelle Studie. Forscher fordern daher, bei der Aufsicht nachzubessern.
Für die Entscheidung hinsichtlich eines möglichen Aktienkaufs benötigen potenzielle Anleger Informationen hinsichtlich des finanziellen Erfolgs jeweiliger Unternehmen. Ebenso wie die handelsrechtlichen Vorschriften in Deutschland verfolgen die internationalen Rechnungslegungsstandards das Ziel, eine Art des Gläubigerschutzes sicherzustellen. Eine Standardisierung der Rechnungslegung bei Unternehmen aus verschiedenen Nationen führt demnach zu Zeit- und Kostenersparnis bei Überprüfungen, die aus unterschiedlicher Nomenklatur oder Organisation/Anordnung von Positionen im Jahresabschluss resultieren", schreibt Boris Hubert im Buchkapitel "Internationale Rechnungslegung" (Seite 160).
Die seit mehr als 15 Jahren geltenden, EU-weiten Regeln für Jahresabschlüsse machen die Geschäftsentwicklung von Unternehmen unabhängig von ihrem Sitz vergleichbar. Deshalb sind sie nicht nur für Privatanleger, sondern auch für Investoren von zentraler Bedeutung und gelten als ein wichtiger Baustein für die Schaffung eines EU-Kapitalmarkts.
Die Regeln sehen vor, dass die Aktiengesellschaften dort unter anderem auch über die Risiken für ihre Organisation sowie ihr Geschäftsmodell und ihren Umgang damit berichten müssen. Hierzu gehören zum Beispiel Schwankungen bei Wechselkursen oder Zinssätzen, aber auch mögliche Probleme bei der Aufrechterhaltung der Liquidität. Wie diese Berichte von Unternehmen in der EU in der Realität aussehen, hat nun eine gemeinsame Studie der Universität Trier und der Erasmus University Rotterdam gezeigt, die unter anderem von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) und der EU gefördert wurde.
Unternehmen halten sich nicht an die Risiko-Publizitätsvorschriften
Den Wirtschaftswissenschaftlern zufolge berichten die publizitätspflichtigen Unternehmen in der EU längst nicht über alle Tatbestände, obwohl sie es eigentlich müssten. In der Studie heißt es, dass von den 383 zufällig ausgewählten Unternehmen aus verschiedenen EU-Ländern nur über knapp 62 Prozent der berichterstattungspflichtigen Risiken auch tatsächlich berichtet worden war. Kein einziges Unternehmen hatte dabei alle Risiken offengelegt.
Erstaunlich ist, dass sich Unternehmen trotz supranationaler Regulierung nicht vollständig an Risiko-Publizitätsvorschriften halten. Die Verletzungen erscheinen uns ein Problem des Kontrollsystems zu sein", konstatiert Michael Erkens, Professor an der Rotterdamer Universität.
Daher haben die Wirtschaftswissenschaftler weiter auch mögliche Ursachen für die Verletzung der Rechnungslegungsvorschriften analysiert. Dabei zeigte sich, dass die Publizitätsvorschriften umso genauer befolgt wurden, je effektiver die Kapitalmarktaufsicht der jeweiligen Länder der Unternehmen eingeschätzt wurde. Darüber hinaus berichteten Unternehmen verlässlicher, umso internationaler ihre Geschäftsaktivitäten sind und umso größer der Bedarf an Fremdkapital ist.
Vor allem Privatpersonen, die den Markt selbst nicht überblicken können, vermittelt sichtbare staatliche Kontrolle das Gefühl eines sicheren Umfeldes und Schutz der Interessen. Damit kann die Marktaufsicht eine besondere Qualität des Vertrauensgewinns erzeugen, der teilweise unabhängig vom tatsächlichen Schutzniveau und der Durchsetzungskraft der Aufsicht ist.999 Daher wirkten auch Maßnahmen wie die Schaffung der Bafin als vertrauensbildende Maßnahme. Die Einführung und Ausweitung der Kapitalmarktaufsicht förderten die Integrität des Marktes und damit seine Vertiefung", führt Thorben Marc-André Spindler im Buchkapitel "Die Finanzialisierung – ein 'entkoppelter' Markt mit 'Aktienkultur'(?)" aus (Seite 220).
Sorgfalt steigt mit dem Informationsbedarf, nicht durch Wirtschaftsprüfer
Allerdings ermittelte die Analyse, dass mit einem wachsenden Informationsbedürfnis von Aktionären, Fremdkapitalgebern und Geschäftspartnern im Ausland, auch die Sorgfalt bei der Berichterstattung steigt. "Unsere Ergebnisse zeigen, dass sowohl eine effektive Aufsicht auf nationaler Ebene als auch deren Zusammenwirken mit anderen Interessengruppen sich positiv auf die Einhaltung bestehender Publizitätsvorschriften auswirken", so Erkens. Dass regelmäßige Prüfungen durch eine der vier großen Wirtschaftsprüfungsgesellschaften die Unternehmen veranlassen, die EU-Vorschriften besser zu befolgen, bestätigt die Studie dagegen nicht.
Dass diese gelegentlich im Zusammenspiel mit kriminellen Managern und Unternehmenslenkern sogar deren Pflichtverletzungen bewusst oder fahrlässig kaschieren, zeigen Fälle wie Wirecard in Deutschland, aber auch der Betrugsskandal um den US-Konzern Enron vor rund 20 Jahren. Damals war es die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Arthur Anderson, die ins Fadenkreuz der Ermittlungen geriet.
"Arthur Anderson war zwar nicht selbst am Bilanzbetrug beteiligt, prüfte aber fahrlässig nachlässig. Zudem vernichtete Anderson noch interne Dokumente zu den Enron-Prüfungen, nachdem die Ermittlungen der US-Börsenaufsicht SEC bereits eingesetzt hatten", erläutert Dorothea Schäfer, Forschungsdirektorin Finanzmärkte am DIW Berlin, in ihrem Leitartikel der Zeitschrift "Wirtschaftsdienst" (Ausgabe 8 | 2020).
Erhebliches Verbesserungspotenzial bei Aufsichtsbehörden
Die Studienautoren sehen vor allem bei den nationalen Aufsichtsbehörden noch erhebliches Verbesserungspotential: "Unsere Studie zeigt am Beispiel der Risikoberichterstattung, dass es offenbar nicht ausreicht, auf EU-Ebene harmonisierte Regelungen zu erlassen, um eine EU-weit vergleichbare Berichterstattung zu gewährleisten. Vielmehr muss zusätzlich sichergestellt sein, dass die Einhaltung dieser Regelungen auch durchgesetzt wird", resümiert Axel Adam-Müller, Professor im Bereich Betriebswirtschaftslehre an der Universität Trier.