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2013 | OriginalPaper | Buchkapitel

1. Jenseits des methodologischen Nationalismus

verfasst von : Nadine Ansorg

Erschienen in: Kriege ohne Grenzen

Verlag: Springer Fachmedien Wiesbaden

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Zusammenfassung

Soziale Phänomene wurden in den Sozialwissenschaften lange Zeit innerhalb der Schranken eines Nationalstaates konzeptualisiert. Dies liegt an der jahrhundertelangen Dominanz der Nationalstaaten in der westlichen Welt, die nicht nur das Zusammenleben der Menschen und ihre Interaktionen prägte, sondern auch das Wissen über sie. In dieser so genannten nationalen Konstellation, die sich seit dem Westfälischen Frieden durchsetzte, wurden nationalstaatlich orientierte Gesellschaften als natürliche Einheiten angesehen, die Form des Wissens über sie wurde nicht hinterfragt. Dies brachte das Problem des so genannten „methodologischen Nationalismus“ mit sich, in dem von der Annahme ausgegangen wird, dass Gesellschaft und Nation in einem natürlichen Sinne deckungsgleich sind.

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Fußnoten
1
Die nationale Konstellation beschreibt nach Bernhard Zangl und Michael Zürn den Zustand der Welt nach dem Westfälischen Frieden bis zum Beginn der Globalisierung und gesellschaftlichen Denationalisierung, in der die Nationalstaaten als hauptsächlich handelnde Akteure des internationalen Systems agierten und die Kernproblematik der Theorien der Internationalen Beziehungen die Überwindung des Sicherheitsdilemmas war (Zangl und Zürn 2003: 11ff.; 149ff.). Sie ist geprägt durch nationale Problemlagen, nationalstaatliches Regieren, die nationalstaatliche Bündelung der Ressourcen wie auch nationale Legitimierungsprozesse (Zangl und Zürn 2003: 149).
 
2
Zum Problem des methodologischen Nationalismus siehe stellvertretend für viele (Beck 2000: 21ff.; Beck und Grande 2010; Beck und Sznaider 2006; Chernilo 2006; Martins 1974: 276; Wimmer und Glick Schiller 2002). Methodologischer Nationalismus besteht mehr oder weniger in verschiedenen sozialwissenschaftlichen Bereichen wie der Politikwissenschaft, der Ökonomie, der Sozialpsychologie usw.. Vgl. (Chernilo 2008).
 
3
Eine damit verbundene Debatte beschäftigt sich mit dem Problem des methodologischen Territorialismus (Agnew 1994): Hier wird die Gleichsetzung von Staat und Nation mit Territorialität kritisiert, die in vielen Ansätzen der Theorien der Internationalen Beziehungen (IB) wie dem Neorealismus und dem neoliberalen Institutionalismus vorherrschend ist (vgl. dazu auch Kapitel 2.​1). Dadurch stehen ein Staat und eine Nation in Verbindung zu der Konstruktion von Raum und sind untrennbar mit ihm verbunden.
 
4
Es existiert kein Konsens über die Beschreibung der verschiedenen Dimensionen des methodologischen Nationalismus. Eine alternative, allerdings weniger strukturierte Einteilung zu Chernilo nehmen beispielsweise Wimmer und Glick Schiller vor (Wimmer und Glick Schiller 2008). Durch die Aufteilung in verschiedene Dimensionen wird deutlich, dass der methodologische Nationalismus nicht rein methodologisch ist, sondern auch theoretisch-konzeptionelle oder empirische Dimensionen beinhaltet. Nichtsdestotrotz wird der Begriff in Verbindung mit „methodologisch“ beibehalten, da er in dieser Form die bisherigen Debatten dominierte.
 
5
Ein Beispiel hierfür sind die statistischen Daten über Migration und Integration in Deutschland, die ein verzerrtes Bild auf die Lebenswelten von Migrant_innen in Deutschland geben, da sie Migrant_innen nur aus einem mononationalen Blickwinkel der Mehrheitsgesellschaft erfassen, nicht jedoch die transnationalen Erfahrungen der Migrant_innen selbst. Folge ist, dass häufig nur die Probleme von Migration wahrgenommen werden, nicht aber eine gelungene Integration. Vgl. die Studie von Elisabeth Beck-Gernsheim (Beck-Gernsheim 2004).
 
6
Dies ist das Problem beispielsweise des Strukturfunktionalismus’ von Talcott Parsons, in dem das gesellschaftliche System untrennbar mit dem Nationalstaat verbunden ist. Dieser Ansatz gilt deshalb als bestes Beispiel für methodologischen Nationalismus (vgl. Parsons 1952).
 
7
In Bezug auf die Moderne fordern auch Wimmer und Glick Schiller eine Anerkennung der Bedeutung des Nationalstaates (Wimmer und Glick Schiller 2008: 578ff.). Sie folgen also durchaus einem „methodologischen Nationalismus light“, wenn es um die Betrachtung der Entwicklung der Moderne geht. Zur Kritik daran siehe (Chernilo 2008: 14ff.).
 
8
„Globalisierung meint den grenzüberschreitenden Austausch und die grenzüberschreitende Produktion von Waren, Dienstleistungen und Kapital im Wirtschaftsbereich, von Bedrohungen und Risiken im Sicherheitsbereich, von Symbolen im Kommunikationsbereich, von Menschen im Mobilitätsbereich und nicht zuletzt von Schadstoffen im Umweltbereich.“ (Habermas 1998: 101ff.; Zangl und Zürn 2003: 153)
 
9
Die postnationale Konstellation beschreibt die Welt durch die Prozesse der Globalisierung, der gesellschaftlichen Denationalisierung sowie zunehmenden Vernetzung zwischen sub- und transnationalen Akteuren (Zangl und Zürn 2003: 172ff.). Der Ansatz der postnationalen Konstellation ist nur einer unter vielen Ansätzen, die sich mit dem Wandel der Welt, der Globalisierung und ihren Vor- und Nachteilen auseinandersetzen. Darauf soll hier jedoch nicht näher eingegangen werden. Einen ersten Überblick bietet (Kreff et al. 2011).
 
10
Durch den Zerfall von Staaten wird das klassische Konzept von Staatlichkeit, das auf einem Gewaltmonopol wie auch einem Monopol bei der zentralen Herstellung politischer Entscheidungen und deren autoritative Durchsetzung basiert, in Frage gestellt (Anderson 2004; Paes und Aust 2003; Risse und Lehmkuhl 2007: 4; Weber 1980; Zangl und Zürn 2003). Dabei weisen zerfallende Staaten zwar noch de jure eine Staatlichkeit (Souveränität) auf, sind aber de facto nicht mehr in der Lage, eine oder mehrere dieser Aufgaben zu erfüllen (Risse und Lehmkuhl 2007: 4). Der Zerfall des Staates führt zu massiver Unsicherheit und der Entstehung von alternativen Gewalt- und Sicherheitsakteuren sowie zur Privatisierung staatlicher Aufgaben. Somit werden die Aufgaben in den klassischen Regierungsbereichen Herrschaft, Sicherheit und Wohlfahrt nicht mehr erfüllt. Nichtsdestotrotz sollen alternative Formen des Regierens jenseits des Nationalstaates hier nicht grundsätzlich negativ bewertet werden, sofern durch sie gewisse Regierungsaufgaben, die dem Allgemeinwohl zugute kommen, zufriedenstellend erfüllt werden.
 
11
An dieser Stelle sei darauf verwiesen, dass in der vorliegenden Arbeit das Problem des methodologischen Nationalismus nicht vollständig eingedämmt werden kann. Für die Untersuchung der Fälle musste z.T. auf nationalstaatlich aggregierte Daten zurückgegriffen werden, da dies die einzig reliablen und vergleichbaren Daten waren. Diese wurden jedoch für die regionale Ebene aggregiert (Näheres dazu im Methodenkapitel 3).
 
12
Thompson untersucht unter anderem auch die eben genannten Ansätze zu Regionen von (Russett 1967) und (Cantori und Spiegel 1973).
 
13
Diese Annahme wird zwar durch die technologischen Fortschritte, die auch die Globalisierung einleiteten, abgemildert, jedoch nicht völlig verworfen. Auch heute noch gilt besonders bei wirtschaftlich und politisch weniger starken Akteuren, dass die geographische Nähe ein höheres Maß an Interaktionen hervorbringt.
 
14
Dies können auch konfliktäre Interessen sein, z.B. bei Konflikten um Macht, Geld, Territorium, aber auch um Werte, Normen, Wahrheit (Bonacker und Imbusch 2005: 72).
 
15
An dieser Stelle sei darauf verwiesen, dass auch viele gewaltsame Konflikte bestimmten Regeln oder kulturell kodierten Mustern folgen, beispielsweise bezüglich der erlaubten Waffen, der legitimen Ziele oder des Zeitpunkts der Kämpfe (Elwert 2004: 31; King 2004: 440). Doch werden derartige Konflikte eben nicht mehr innerhalb des sozial anerkannten und gewünschten institutionellen Handlungsrahmens gewaltfrei ausgetragen.
 
16
Dieser enge Gewaltbegriff wird gegenüber anderen, weiten Gewaltbegriffen abgegrenzt wie etwa dem institutionellen oder strukturellen Gewaltbegriff. Nichtsdestotrotz sollen diese nicht völlig negiert werden, sondern fließen über die Untersuchung der strukturellen Rahmenbedingungen eines Konfliktsystems in die Analyse mit ein. Näheres zu den weiten Gewaltbegriffen bei (Siegelberg 1994) und (Galtung 1975).
 
17
Eine einführende Übersicht zur Kriegsforschung in Deutschland und anderen Ländern, zu Begriffsanalysen, Typologien, Ursachen- und Folgenanalysen von Kriegen findet sich bei (Daase 2003).
 
18
Darauf wird hier jedoch nicht näher eingegangen. Zu dem Ansatz der so genannten „Neuen Kriege“ und der Kritik daran siehe u.a. (Brzoska 2004; Chojnacki 2005; Kaldor 2000; Münkler 2002; Newman 2004).
 
19
Eine Handlungsebene beschreibt das geographische Handlungsfeld und die Reichweite eines Akteurs. Ein Akteur kann je nach Einflussgebiet hauptsächlich auf lokaler Handlungsebene agieren oder interagieren, auf nationaler, regionaler oder internationaler Ebene.
 
20
Eine genaue Erläuterung der Unterscheidung zwischen inter-, extra-, zwischen- und substaatlichen Kriegen findet sich bei (Chojnacki 2005).
 
21
Zur Unterscheidung von Konstruktivismus als Philosophie, als Metatheorie, als Theorie und als empirischer Ansatz siehe (Jørgensen 2001).
 
22
Zur Übersicht über die diversen Ansätze der Wissenssoziologie siehe (Tänzler et al. 2006).
 
23
Für den Bereich der Psychologie siehe stellvertretend (Burr 1995) sowie (Gergen und Gergen 2009).
 
24
An dieser Stelle sei auf den umfassenden und interessanten Bereich des postmodernen Konstruktivismus verwiesen, in dem Sprache, Kommunikation und Diskurse als Mittel zur Konstruktion bestimmter Sachverhalte im Bereich der Sozialwissenschaften angesehen werden. Dies kann hier jedoch nicht ausführlich diskutiert werden. Näheres dazu siehe stellvertretend (Derrida 1976; Foucault 1974; Habermas 1981; Howarth und Stavrakakis 2000; Risse 2000).
 
25
Eine exzellente Zusammenfassung der theoretischen Wurzeln des Sozialkonstruktivismus in den IB, seiner grundlegenden Charakteristika und der Abgrenzung zu neo-utilitaristischen Theorien findet sich bei (Ruggie 1998).
 
26
Siehe hierzu auch den Methodologiestreit in den Sozialwissenschaften und die Kontroverse zwischen Verstehen und Erklären (Wright 1974).
 
27
In der soziologischen Perspektive nach Berger und Luckmann kennen wir diese Prozesse als Sozialisation und Internalisierung von Werten, bei der Akteure ihre Identitäten und Interessen durch die Interaktionen mit anderen, aber auch durch konstitutive Faktoren wie Geschichte und Umwelt erlangen. Diese Faktoren ermöglichen erst eine bestimmte Entwicklung und Betrachtungsweise auf die Akteure (Berger und Luckmann 1966: 149ff.; Boekle et al. 1999: 10ff.).
 
28
Vgl. die Veröffentlichungen von Harvey Starr u.a. hierzu (Most und Starr 1980; Siverson und Starr 1990; Siverson und Starr 1991; Starr 2006; Starr und Dale Thomas 2005).
 
29
Siehe dazu auch die Ausführungen in Kapitel 2.12.1.
 
30
Als potentielle Konfliktsysteme werden solche Kriege mit regionalen Faktoren bezeichnet, die sich nicht zu einer regionalen Diffusion/Eskalation geführt haben. Tatsächliche Konfliktsysteme sind all die Kriege mit regionalen Komponenten, bei denen eine regionale Diffusion/Eskalation von militärischer Gewalt stattgefunden hat.
 
31
Eine detaillierte Beschreibung der untersuchten Fälle wie auch ihrer Kodierung findet sich im Anhang.
 
32
Diese Staaten dienen jedoch nicht als Untersuchungseinheiten. Sie werden als Gewalträume aufgefasst, die räumlich und zeitlich von regionalen Konfliktsystemen betroffen sein können.
 
33
Im Zuge einer „Afrikanisierung“ des Landes unter dem Diktator Mobutu Sese Seko wurde das Land 1971 in Zaire umbenannt. Mit dem Sturz Mobutus und der Eroberung durch Laurent-Désiré Kabila wurde das Land wieder in Demokratische Republik Kongo (DRK) umbenannt.
 
Metadaten
Titel
Jenseits des methodologischen Nationalismus
verfasst von
Nadine Ansorg
Copyright-Jahr
2013
Verlag
Springer Fachmedien Wiesbaden
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-658-02529-8_1