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25.10.2022 | Kanzlei | Schwerpunkt | Online-Artikel

Legaltech-Firmen picken sich die Rosinen heraus

verfasst von: Angelika Breinich-Schilly

5 Min. Lesedauer

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Zwei Bochumer Forscherinnen haben den Markt deutscher Legaltech-Anbieter im Bereich Arbeits- und Sozialrecht untersucht. Dabei zeigen sie die Vorteile der automatisierten Rechtsberatung und offenbaren zugleich Grenzen der Geschäftsmodelle. Etablierte Akteure fürchten sie dennoch als Konkurrenz.

In den vergangenen Jahren hat sich eine Reihe von Dienstleistern in Deutschland etabliert, die voll auf die automatisierte Aufarbeitung juristischer Sachverhalte setzen. Besonders häufig bieten diese Anbieter ihre Services im Rahmen des Verbraucherschutzes an - etwa bei der Durchsetzung von Fluggastrechten. Der Passagier füllt auf dessen Internetseite ein Formular aus, in das er alle relevanten Daten eingibt, skizzieren Benedikt Quarch und Clemens Engelhardt auf Seite 7 den Prozess hinter dem als Legaltech bezeichneten Service. Neben allen notwendigen Informationen zur Buchung laden die Nutzer noch zu Beweiszwecken die Buchungsunterlagen hoch. Dann überprüft der vom Anbieter programmierte Algorithmus die eingegebenen Daten auf Vollständigkeit und Richtigkeit. Werden diese bestätigt, verfügt der Rechtsdienstleister über exakt dieselben Informationen in seinem System wie die betroffene Fluggesellschaft selbst", schreiben die Springer-Autoren.

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Die Arbeit in Wirtschaftskanzleien wird immer digitaler. Rechtsanwälte wie Mandanten schätzen die Erleichterungen durch neue Plattformen, Legaltch-Tools und künstliche Intelligenz, die die Arbeit in großen wie in kleinen Projekten unterstützen.

An welche Zielgruppen sich diese Legaltech-Angebote richten, wer hinter den Dienstleistern steckt und wie deren Geschäftsmodelle aufgebaut sind, haben die Teams von Politikwissenschaftlerin Britta Rehder und Soziologin Birgit Apitzsch, Professorinnen der Ruhr-Universität Bochum (RUB), von 2018 bis 2021 untersucht. Der Schwerpunkt lag dabei auf den Gebieten Arbeits- und Sozialrecht. Zusätzlich interessieren sie sich für die Auswirkungen der digitalen Anbieter auf Rechtsanwälte und den Richterstand, aber auch Gewerkschaften oder Wohlfahrtsverbände, die ebenfalls Rechtsberatungen zu ihren Dienstleistungen zählen. 

Fälle müssen ein gutes Geschäft versprechen

Bei ihrer Internetrecherche ermittelten die Forscherinnen rund 50 Online-Dienstleister im Bereich des Sozialrechts und etwa 90 im Bereich des Arbeitsrechts, die den deutschen Markt bedienen. Dabei fokussieren sich die Anbieter allerdings nur selten auf einen Rechtsbereich. "Sie picken sich die Rosinen aus verschiedenen Rechtsgebieten heraus", so Rehder. "Interessant sind für sie nur die Fälle, die mutmaßlich ein gutes Geschäft versprechen." Darunter sei alles zu verstehen, was sich standardisiert und automatisiert bearbeiten lässt. 

Im Sozialrecht sei zum Beispiel die Anfechtung von Hartz-IV-Bescheiden ein beliebtes Betätigungsfeld. So habe die Legaltech-Kanzlei Rightmart aus Bremen bereits zehntausende sozialrechtliche Widersprüche und Klagen von Hartz-IV-Berechtigten bearbeitet. "Außerdem bieten viele Legaltech-Firmen arbeitsrechtliche Prüfungen von Kündigungen oder Abmahnungen an. Dazu müssen sie die Texte nur von Maschinen nach bestimmten Formulierungen durchsuchen lassen - ohne dass ein Mensch sich die Dokumente zu Gemüte führen muss", heißt es in der Studie. "Dieses Vorgehen setzt herkömmliche Anwälte unter Druck", sagt Britta Rehder. Denn die digitale Konkurrenz schöpft vor allem die einfach zu handhabenden lukrativen Fälle ab.

Nutzerfreundliche Digitalplattformen 

Das beachtliche Teile der Anwaltschaft auf die fortschreitende Entwicklung von Legaltech-Unternehmen mit Skepsis reagiert, berichten auch Quarch und Engelhardt (Seite 8 f.): 

Die Legaltech-Konkurrenten hätten verschiedene Wettbewerbsvorteile gegenüber klassischen Rechtsanwälten und könnten in weiten Teilen langfristig zu einer Verdrängung führen, lauten die Befürchtungen. Bereits ihren sehr nutzerfreundlichen Digitalplattformen, die vielfach an moderne Banking- oder Mobilitäts-Apps erinnern, können insbesondere kleine Sozietäten nicht adäquat entgegentreten. […] Bedenken bestehen teilweise auch im Hinblick auf eine mögliche Kommerzialisierung des Rechts zulasten der Verbraucher und eines etwaigen Interessenkonfliktes zwischen den Legaltech-Anbietern und deren Kunden. So sei es für diese Unternehmen regelmäßig attraktiv, frühzeitig mit Vergleichen aus einem gerichtlichen Verfahren auszusteigen, um einen sicheren Gewinn zu erzielen - ohne alle Chancen für ihre Kunden ausgereizt zu haben."

Generalisten statt Spezialisten

Allerdings bearbeiteten diese digitalen Dienstleister oft spezifische Rechtsfragen aus unterschiedlichen Rechtsgebieten, die sie aber nur selten systematisch abdecken. "In der Regel stecken keine Fachanwälte hinter den Angeboten, sondern eher wenig spezialisierte Anwälte mit Unternehmergeist", betont Rehder. Die Legaltechs bedienten dabei Märkte, die sie selbst nicht generieren können. Die Empörung über Hartz IV habe ihnen zum Beispiel viele Mandanten zugespült. "Wenn das neue Bürgergeld kommt und die Leute damit zufriedener sind, kann so ein Markt schnell wieder zusammenbrechen", erklärt Politikwissenschaftlerin. "Die Geschäftsmodelle sind aktuell sehr im Fluss." Trotzdem spürten die etablierten Akteure im Rechtssystem den Druck der digitalen Konkurrenz. 

Die RUB-Forscherinnen führten im Rahmen ihrer Untersuchung auch Interviews mit unterschiedlichen Stakeholdern - etwa Anwälten, Richtern, Gewerkschaften oder Legaltech-Firmen. Noch seien diese nicht abgeschlossen und das Interesse, sich zu beteiligen, sei groß. "Als wir vor wenigen Jahren mit Wohlfahrtsverbänden über Legaltech-Angebote gesprochen haben, war das Thema eher exotisch bis unbekannt", erinnert sich Apitzsch. Die Verbände gingen davon aus, dass sie mit ihrer persönlichen Beratung ein Produkt außer Konkurrenz anbieten würden. Der Ausbruch der Corona-Pandemie hatte das schlagartig geändert. 

Legaltech ist nichts für komplizierte Fälle

"Die Digitalisierung ist auf jeden Fall ein Thema für Anwaltskanzleien, aber der Umgang damit ist sehr unterschiedlich", betont die Soziologin. Legaltech werde als Konkurrenz wahrgenommen. "Allerdings biete diese Rechtsdienstleistung auch einen niedrigschwelligen Zugang für Leute, die sonst vielleicht nie vor Gericht gezogen wären", so Apitzsch. Gewerkschaften oder Verbände könnten solche Tools also auch nutzen, um Leute zu mobilisieren und Bewegung in bestimmte Themen zu bringen. Zudem hätten Online-Anbieter unterschätzt, was die Menschen für einen Redebedarf haben. "Die juristischen Konflikte vermischen sich häufig mit sozialen Konflikten. Ein Anwalt muss das erst einmal sortieren." Für solche komplizierten Fälle seien die digitalen Kanzleien nicht gemacht. 

Gerade im Bereich des Verbraucherschutzes mit Gesundheitsaspekten erwarten die Bochumer Forscherinnen einen weiteren Boom für die Legaltech-Firmen. "In den USA ist das bereits ein Riesenmarkt. Ich erwarte eine kleine Amerikanisierung unseres deutschen Rechtssystems", prognostiziert Rehder.

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