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2019 | Buch

Kapitalistische Dynamik

Eine gesellschaftstheoretische Perspektive

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Über dieses Buch

Der Band fasst die neueren Publikationen sowie einige Originalbeiträge des Autors zur Arbeits- und Wirtschaftssoziologie zusammen, in denen eine gesellschaftstheoretische Interpretation kapitalistischer Dynamik entwickelt wird. Zentrale Themen sind die Wahlverwandtschaft zwischen Kapitalismus und Religion und der daraus abgeleitete dynamische Ansatz der Analyse wirtschaftlicher Institutionen. Darüber hinaus geht es darum, diesen Ansatz für die Erklärung aktueller Transformationsprozesse der Arbeitswelt und der Finanzmärkte fruchtbar zu machen.

Inhaltsverzeichnis

Frontmatter
Kapitel 1. Einführung und Übersicht
Zusammenfassung
Die Einführung erläutert den der Untersuchung zugrundeliegenden analytisch-theoretischen Ansatz; unter Bezug auf neuere Diskussionen in der Wirtschaftssoziologie wird die spezifisch „gesellschaftstheoretische“, nicht nur „ökonomische“ Perspektive der vorgestellten Studien verdeutlicht. Es folgt eine Vorausschau auf den Inhalt der einzelnen Kapitel. Während die Beiträge im Teil I (2–4) eine Makro-Perspektive auf die kapitalistische Dynamik entwickeln, geht es in den Beiträgen des Teils II (5–8) darum, die Dynamik der auf den Ebenen von Organisationen und Märkten wirksamen Leitbilder und Zukunftsfiktionen zu analysieren, sowie um eine soziologische Betrachtung der Figur des „Unternehmers“ als der entscheidenden Innovationsinstanz auf der Mikro-Ebene. In den Teilen III und IV wird versucht, die zuvor gewonnenen Erkenntnisse auf aktuelle Transformationsprozesse der Arbeitswelt (9 und 10), sowie der Finanzmärkte (11–13) anzuwenden.
Christoph Deutschmann

Die Wahlverwandtschaft zwischen Kapitalismus und Religion

Frontmatter
Kapitel 2. Kapitalismus, Religion und Unternehmertum
Eine unorthodoxe Interpretation
Zusammenfassung
In diesem Kapitel wird die Wahlverwandtschaft zwischen Kapitalismus und Religion als theoretische Leitidee des Bandes entwickelt. Dabei werden zunächst die Differenzen zwischen den Interpretationen Walter Benjamins und Max Webers erläutert; unter Rückgriff auf Jens Beckert und John Dewey wird der Begriff der „Kreativität“ eingeführt und seine Schlüsselbedeutung für die Erklärung kapitalistischer Dynamik aufgezeigt. Es wird dann untersucht, wieweit die These einer inneren Affinität zwischen Kapitalismus und Religion sich auch auf andere klassische Autoren der Soziologie (Marx, Durkheim, Simmel) zurückverfolgen lässt. Schließlich wird gezeigt, wie die These sich mit den Analysen Schumpeters sowie den Befunden der neueren empirischen Innovationsforschung verknüpfen lässt.
Christoph Deutschmann
Kapitel 3. Ideen und Interessen
Zum Verhältnis von Religion und wirtschaftlicher Entwicklung
Zusammenfassung
Dieses Kapitel greift die bei Weber offen gebliebene Frage nach der Rolle der Religion im entwickelten Kapitalismus auf und geht dem Verhältnis zwischen „Ideen“ und „Interessen“ nach. In der neueren Literatur lassen sich verschiedene Ansätze einer näheren Bestimmung dieses Verhältnisses unterscheiden. Ein Teil dieser Versuche läuft darauf hinaus, den von Weber beschriebenen Zirkel wechselseitiger Bedingtheit von Ideen und Interessen durch konzeptuelle Vorentscheidungen in der einen oder anderen Richtung kurz zu schließen und wird damit der Komplexität der Weber’schen Fragestellung nicht gerecht. Ein anderer Teil bemüht sich mit Weber um eine historisch offene Analyse des Verhältnisses von Ideen und Interessen, gelangt aber wiederum nur zu dem Befund ihrer gegenseitigen Bedingtheit, wobei die Tendenz erkennbar ist, Interessen, nicht Ideen bzw. Werten den höheren Erklärungswert für die wirtschaftliche Entwicklung zuzuschreiben. Es wäre jedoch kurzschlüssig, diese Diskussionslage einfach als Bestätigung der Weber’schen Entzauberungsthese zu deuten. Vielmehr, so die im dritten Abschnitt vertretene These, scheint die „Wirtschaft“ im Zuge der modernen Entgrenzung der Märkte selbst zu einer Instanz geworden zu sein, die „Werte“ reklamiert, „Visionen“ verkündet und zumindest partiell zu einem Konkurrenten der Religion wird.
Christoph Deutschmann
Kapitel 4. Geld als absolutes Mittel
Zur Aktualität von Simmels Geldtheorie
Zusammenfassung
Lange Zeit stellte die Interpretation des Geldes als „Tauschmittel“ so etwas wie den kleinsten gemeinsamen Nenner zwischen Soziologie und Ökonomik dar, bei der jedoch wesentliche Aspekte und Funktionen des Geldes unter den Tisch fielen. Demgegenüber hat Georg Simmel in seiner klassischen Studie zur „Philosophie des Geldes“ eine genuin soziologische Deutung des Geldes als abstraktester Form sozialer „Wechselbeziehungen“ vorgelegt, die in der paradoxen Deutung des Geldes als „absolutes Mittel“ kulminiert. Das wird schon im ersten, „analytischen“ Teil von Simmels Abhandlung deutlich, erst recht aber in dem zweiten, als „synthetisch“ betitelten Teil, der eine Fülle von Erkenntnissen darüber liefert, wie sich die sozialen Verhältnisse unter dem Einfluss der modernen Geldwirtschaft verändern. Als „absolutes Mittel“, das nicht nur Tauschbeziehungen vermittelt, sondern individuelle Freiheit mitten in der Gesellschaft ermöglicht, gewinnt Geld eine der Religion ähnliche Funktion. Der Schlussabschnitt geht der Frage nach, wieweit die aktuellen Tendenzen einer „Finanzialisierung“ der Wirtschaft sich mit Simmels Theorie deuten lassen.
Christoph Deutschmann

Die Dynamik wirtschaftlicher Institutionen

Frontmatter
Kapitel 5. Die Mythenspirale
Eine wissenssoziologische Interpretation industrieller Rationalisierung
Zusammenfassung
Im Gegensatz zu den bisherigen, im Teil I zusammengefassten Kapiteln, in denen eine Makro-Perspektive auf die kapitalistische Dynamik entwickelt wurde, geht es in diesem und den folgenden Kapiteln um eine Analyse der organisatorische und technische Innovationen bestimmenden Leitbilder und deren Dynamik. Kap. 5 widmet sich dem Wandel der für industrielle Rationalisierung maßgeblichen Paradigmen, wobei der in den 1980er und 1990er Jahren viel diskutierte Übergang von zentralistischen und tayloristischen Konzepten zu Konzepten dezentraler Selbststeuerung („lean production“, „fraktale Fabrik“ usw.) im Zentrum steht. Am Beispiel dieses Übergangs werden die Ursachen und Faktoren herausgearbeitet, die die diskontinuierliche Bewegungsform des Rationalisierungswissens bestimmen. Die Untersuchung mündet in die These, dass industrielle Rationalisierungsprozesse in einem Kontext fundamentaler Unsicherheit stattfinden. Rationalisierungskonzepte haben daher den Charakter von „Mythen“ im Sinn der neo-institutionalistischen Organisationsforschung, die gerade durch ihre Implementierung immer neue „blinde Flecken“ entstehen lassen und so die Bedingungen ihres eigenen Erfolges untergraben. Sie können dem Handeln daher nur temporär Orientierung bieten.
Christoph Deutschmann
Kapitel 6. Dynamische Modelle institutioneller Einbettung
Zusammenfassung
Das Kapitel behandelt die grundsätzlichere Frage, wie institutionell strukturierte Erwartungsbildungen in den Bereichen Organisation, Technik und Konsum mit dem für den modernen Kapitalismus charakteristischen Problem der Unsicherheit zusammen gedacht werden können. Eine Lösung können nur dynamisch und historisch angelegte Theoriekonzepte wie das Pfadkonzept bieten; dieses wird in seinen Grundzügen vorgestellt. Innovation lässt sich danach als ein charakteristische Phasen – Pfadkreation, Pfadausbildung, Pfadschließung – gegliederter Prozess beschreiben. Es wird gezeigt, dass an das Pfadkonzept anschließende Ansätze bereits in verschiedenen Forschungsfeldern der Wirtschaftssoziologie – Technikgenese- und entwicklung, Organisationsentwicklung und Konsum – vielversprechende Anwendungen gefunden haben.
Christoph Deutschmann
Kapitel 7. „Kapitalismus“ und „Geist des Kapitalismus“
Anmerkungen zum theoretischen Ansatz von Boltanski und Chiapello
Zusammenfassung
Luc Boltanski und Eve Chiapello haben mit ihrer bekannten Untersuchung über den „neuen Geist des Kapitalismus“ einen Ansatz vorgelegt, der Ideologien als entscheidenden Faktor kapitalistischer Entwicklung betrachtet und die Vereinnahmung der systemkritischen Ideen von 1968 durch moderne Management-Ideologien zum Thema macht. Das Kapitel setzt sich kritisch mit dieser Untersuchung auseinander und macht die systemfunktionalistische Schlagseite deutlich, an der die Konzeption Boltanski/Chiapellos entgegen den Intentionen der Autoren leidet. Anknüpfend an die hier vorgetragenen Überlegungen wird ein Weg skizziert, um die Schwächen der Konzeption Boltanski/Chiapellos zu überwinden.
Christoph Deutschmann
Kapitel 8. Der Typus des Unternehmers in wirtschaftssoziologischer Sicht
Zusammenfassung
Während die Wirtschaftsgeschichte dem Wirken unternehmerischer Persönlichkeiten große Aufmerksamkeit widmet, wird die Figur des Unternehmers in der Wirtschaftstheorie nahezu unbeachtet gelassen. Das Kapitel entwickelt eine soziologisch kontextualisierte Analyse des Typus des Unternehmers, die die bei Schumpeter erkennbare Tendenz zur Hypostasierung der individuellen Unternehmerpersönlichkeit vermeidet. Die kreativen Leistungen von Unternehmern und sie sie rahmenden symbolischen und sozialen Inszenierungen werden dabei ebenso berücksichtigt, wie die spezifisch modernen Klassenstrukturen, die die Figur des industriellen Unternehmers erst entstehen lassen. Zugleich wird gezeigt, dass das dem unternehmerischen Handeln zugrunde liegende Aufstiegsstreben eine strukturelle Aufwärtsmobilität auf gesellschaftlicher Ebene zur Folge hat, die dem unternehmerischen Potential nachfolgender Generationen Grenzen setzt („kollektiver Buddenbrooks-Effekt“).
Christoph Deutschmann

Aktuelle Transformationsprozesse der Arbeitswelt

Frontmatter
Kapitel 9. Industriesoziologie als Wirklichkeitswissenschaft
Zusammenfassung
Die seit den 1990er Jahren sich häufende Verkündung von „Paradigmenwechseln“ in der Industriesoziologie und Soziologie gefährdet die wissenschaftliche Glaubwürdigkeit der Disziplin. Es erscheint dringlicher denn je, zu einer historisch reflektierten Begriffs- und Theoriebildung zurückzukehren, die Webers Auffassung der Soziologie als Wirklichkeitswissenschaft gerecht wird. In dem Kapitel werden eine Reihe idealtypischer Charakteristika des modernen Arbeitsverhältnisses, sowie von Kapital, Unternehmertum und Innovation beschrieben, die über die technologischen „Revolutionen“ hinweg Bestand haben und als zentrale Lehrstücke der Industriesoziologie gelten können. Vor diesem Hintergrund wird es möglich, die in aktuellen Umwälzungen der industriellen Arbeitswelt wirksamen historischen Kontinuitäten und Brüche genauer zu bestimmen, als dies in populären Ansätzen wie dem der „Wissensarbeit“ geschieht.
Christoph Deutschmann
Kapitel 10. Latente Funktionen der Institution des Berufs
Zusammenfassung
Im Zuge der aktuellen Umbrüche der Arbeitswelt ist die Institution des Berufs in einer neuen Weise unter Kritik geraten: Beruflich zugeschnittene Fähigkeitsprofile würden, wie behauptet wird, den von modernen Informationstechnologien und deregulierten Märkten ausgehenden Flexibilitätsforderungen nicht gerecht. Der Beitrag arbeitet die Kurzschlüssigkeit dieser Kritik heraus und greift dabei auf Robert Mertons Konzept der „latenten Funktionen“ sowie das von Eliot Freidson entwickelte Professionskonzept zurück. Was in der populären Kritik der Institution des Berufes übersehen wird, sind – so lautet das Argument – die latenten Funktionen des Berufes zur Einübung autonomen und kreativen Arbeitshandelns, das in neuen Konzepten „innovativer“ Arbeitsgestaltung als selbstverständlich vorausgesetzt wird.
Christoph Deutschmann

Finanzmärkte und „Finanzialisierung“

Frontmatter
Kapitel 11. Finanzmarkt-Kapitalismus und Wachstumskrise
Zusammenfassung
Der (im Jahr 2003 verfasste) Beitrag entwickelt ein idealtypisches Modell des Finanzmarkt-Kapitalismus und geht den Zusammenhängen zwischen Finanzmärkten und Wirtschaftswachstum nach. Dabei wird eine Mehrebenen-Perspektive verfolgt, die das Handeln der Akteure in den Haushalten und Unternehmen ebenso einbezieht wie die Meso-Ebene der institutionellen Investoren und Unternehmen sowie die wirtschaftspolitische und gesamtwirtschaftliche Entwicklung. Die zentrale These lautet, dass die durch die Schlüsselrolle der institutionellen Investoren geprägten Strukturen des Finanzmarkt-Kapitalismus einen depressiven Effekt auf das wirtschaftliche Wachstum haben. Er wird zum einen durch eine übermäßige Akkumulation finanzieller Vermögen gefördert, zum anderen wird ein ungünstiges Umfeld für reale wirtschaftliche Innovationen geschaffen. Der depressive Effekt wird durch den restriktiven geld- und finanzpolitischen Kurs der Zentralbanken und Regierungen verschärft.
Christoph Deutschmann
Kapitel 12. Die Finanzmärkte und die Mittelschichten
Der kollektive Buddenbrooks-Effekt
Zusammenfassung
Der im Herbst 2008 geschriebene Beitrag analysiert die aktuelle Finanzmarktkrise vor dem Hintergrund langfristiger sozio-ökonomischer Strukturveränderungen der fortgeschrittenen Industriegesellschaften: Starkes, das reale Wirtschaftswachstum weit übertreffendes Wachstum der privaten Finanzvermögen, Aufstieg der privaten Investmentfonds als neuer, dominanter kollektiver Akteure an den Finanzmärkten, zugleich eine instabile, durch Krisen und tendenziell sinkende Wachstumsraten geprägte realwirtschaftliche Entwicklung. Der Beitrag untersucht die Zusammenhänge zwischen den genannten Phänomenen im Rahmen eines Mehrebenenmodells, das in der These eines „kollektiven Buddenbrooks-Effeks“ mündet: Als Folge der in der Nachkriegszeit zu beobachtenden strukturellen Aufwärtsmobilität in der Gesellschaft kommt es zu einem Ungleichgewicht an den Vermögensmärkten derart, dass einem starken Wachstum der anlagesuchenden Finanzvermögen eine sinkende Zahl unternehmerischer Schuldner gegenübersteht. Die Folge ist eine strukturelle Überliquidität an den Finanzmärkten bei gleichzeitigem Rückgang der realen wirtschaftlichen Dynamik.
Christoph Deutschmann
Kapitel 13. Euro-Krise und internationale Finanzkrise
Die Finanzialisierung der Wirtschaft als politische Herausforderung für Europa
Zusammenfassung
Der Beitrag diskutiert die Ansätze zur Erklärung der Euro-Krise und setzt sich kritisch mit gängigen Thesen auseinander, die Schuldenkrise sei vor allem auf die Widersprüche in der institutionellen Konstruktion der europäischen Gemeinschaftswährung oder auf Rationalitätenfallen demokratischer Politik zurückzuführen. Die Hauptursache der Krise liegt vielmehr, wie argumentiert wird, in dem jahrzehntelangen Prozeß der „Finanzialisierung“, der nicht nur in Europa, sondern auch in den USA und anderen OECD-Ländern die Polarisierung der Einkommens- und Vermögensverteilung vorangetrieben und zum Aufbau eines beträchtlichen Überhangs an nicht einlösbaren Vermögensforderungen geführt hat. Die demokratische Politik ist mit der Herausforderung konfrontiert, tragfähige Wege zum Abbau der überhöhten Vermögensforderungen zu finden – eine Herausforderung, die ein (mindestens) europaweit koordiniertes Vorgehen verlangt.
Christoph Deutschmann
Backmatter
Metadaten
Titel
Kapitalistische Dynamik
verfasst von
Dr. Christoph Deutschmann
Copyright-Jahr
2019
Electronic ISBN
978-3-658-26227-3
Print ISBN
978-3-658-26226-6
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-658-26227-3