Mängel beim Finanz-Know-how monieren Forschung und Wirtschaft immer wieder. Und eine Vielzahl von Studien bestätigen die Wissenslücken. Nun haben Analysten des Allianz-Konzerns berechnet, dass eine geringe Finanzkompetenz deutschen Haushalten teuer zu stehen kommt.
"Aus der Finanzindustrie kommt häufig die Forderung nach einem Schulfach Finanzen. Eine verbesserte Finanzbildung soll zu rechtzeitigen und vernünftigen Anlageentscheidungen sowie zu einer stabileren Altersvorsorge führen", bringt es Andreas Görler, Senior Wealth Manager bei Wellinvest - Pruschke & Kalm, im Themendienst der V-Bank vom August auf den Punkt. Der Experte für nachhaltige Investments bezieht sich unter anderem auf eine von der Aufsichtsbehörde Bafin im Herbst 2022 koordinierte Studie. Die Erhebung, die auf den Vorgaben des Internationalen Netzwerks zur Finanziellen Bildung der OECD basiert, hat Wissenslücken vor allem bei Menschen in Deutschland ohne höheren Schulabschluss, Meisterprüfung oder Studium sowie bei Frauen und Älteren offengelegt.
Jeder Vierte hat geringe Finanzkompetenzen
Nun zeigen Berechnungen des Versicherungskonzerns Allianz, dass Mängel beim Finanz-Know-how einen durchschnittlichen Haushalt in Deutschland jedes Jahr rund 2.300 Euro kosten können. Über einen Zeitraum von zehn Jahren summieren sich die finanziellen Folgen im schlimmsten Fall auf rund 36.000 Euro, berichten die Studienautoren. Für die Erhebung haben sie das Wissen von jeweils mehr als 1.000 Personen aus Deutschland und sechs weiteren Ländern zu finanziellen Grundlagen wie Zinssätze, Inflation sowie Anlagerisiken und -erträge getestet.
Dabei verfügt ein gutes Viertel (28 Prozent) der deutschen Befragten nur über eine geringe Finanzkompetenz. Diesen Personen fehlen Wissen und Fähigkeiten, um solide finanzielle Entscheidungen zu treffen. Mehr als die Hälfte (56 Prozent) der hiesigen Teilnehmer haben ein durchschnittliches Know-how in Geldangelegenheiten. Nur 16 Prozent zeigen hingegen ein hohes Finanzwissen. Interessant: Die Ergebnisse ähneln sich in allen untersuchten Ländern.
Mit dem Alter schließen sich Wissenlücken
Allerdings steigen laut Studie mit dem Alter auch die Finanzkenntnisse. So ist der Anteil der Personen mit hoher Finanzkompetenz bei den Babyboomern (21 Prozent) höher als bei der Gen Z (sechs Prozent) und den Millennials (elf Prozent) zusammengenommen. "Typischerweise konzentrieren sich Programme zur Vermittlung von Finanzwissen auf die Förderung von Rechenfertigkeiten. Dabei ist Finanzwissen mehr als Mathematik", sagt Co-Studienautorin Patricia Pelayo Romero, Senior Economist bei der Allianz. "Jede erfolgreiche Maßnahme zur Vermittlung von Finanzwissen, insbesondere solche, die sich an Frauen und junge Menschen richten, sollte mit der Stärkung des Selbstvertrauens beginnen."
Viele Jugendlichen fehle generell ein Gefühl für das Thema Geld, meint Daniela Landgraf, die im Buch "Beratung in der Finanzbranche" ein entsprechendes Schulfach fordert. "Da wird auf Knopfdruck mal schnell ein Abo über das Smartphone abgeschlossen. Hier 7,99 Euro, dort 9,99 Euro und schnell noch einmal 6,99 Euro… alles monatlich. Mit vermeintlich kleinen Beträgen werden Menschen zur Abo-Falle verführt. Und schwups sind schnell mal monatlich 50 Euro, 100 Euro oder noch mehr Geld verschwunden", führt die Springer-Autorin aus.
Ablehnung risioreicherer Anlagen ist erlernt
Die fehlende Finanzbildung ist Investment-Experte Görler zufolge nur ein Teil des Problems. "So wurden nach dem Zweiten Weltkrieg private Lebensversicherungen massiv vom Staat gefördert. Große Strukturvertriebe verkauften sie als sichere und steuerfreie Rendite. Gleichzeitig gab es lukrative Zinsen auf Festgeld, Festzinssparen oder Bundesschatzbriefe, die ohne Kursrisiko und oft kostenlos auskömmliche Renditen lieferten." Bei diesem Angebot an risikoarmen Geldanlagen haben sich die Menschen schlicht nicht für Aktien oder Anleihen interessiert. "Dieses über mehrere Generationen gelernte Verhalten kriegt man nicht so schnell aus den Köpfen."
Frühzeitig über Geld sprechen
Sondersituationen mit extrem niedrigen Zinsen, Verwahrentgelten oder plötzlichen Preissteigerungen bewirkten allenfalls kurzfristig eine Veränderung des Anlegerverhaltens. Meist geschehe das emotional und reflexartig und führe zu falschen Anlageentscheidungen. "Hinzu kommt, dass man über Geld im privaten Umfeld nicht spricht", betont Görler.
In einer aktuellen Analyse hat das Meinungsforschungsinstitut Yougov untersucht, wie Verbraucher und insbesondere Eltern zum Thema Finanzen eingestellt sind. So sind in Deutschland 16 Prozent der Erziehenden davon überzeugt, dass sie mit ihren Kindern erst im Alter ab 18 Jahren über Geld sprechen sollten. Weitere 16 Prozent sind sich ihrer Sache nicht sicher. Zwei Drittel (68 Prozent) tun dies in der Regel schon vor der Volljährigkeit. Allerdings wünscht sich das Gros der Mütter und Väter (80 Prozent), dass Finanzthemen grundsätzlich auch in der Schule behandelt werden sollten.
Schulfächer um Finanzthemen bereichern
Aufgrund der unterschiedlichen Schulsysteme der einzelnen Bundesländer und dem Mangel an entsprechenden Lehrkräften, plädiert Investment-Fachmann Görler für eine Ergänzung vorhandener Fächer. "So könnte man im Mathematikunterricht den Zinseszinseffekt thematisieren oder im Fach Sozial- oder Gesellschaftskunde über die Folgen von Überschuldungen durch Konsumentenkredite sprechen." Möglicherweise reiche das als Einstieg, um diese Themen im Familienkreis zu diskutieren. Finanzkonzerne in die Schulen zu lassen, um über Geldanlage zu referieren, sieht der Experte allerdings kritisch, da ein neutraler Umgang mit dem Thema nicht gewährleistet sei.
Eine verbesserte Finanzbildung ist wünschenswert und hilfreich. Allerdings wird es dauern, bis Anleger Volatilitäten akzeptieren und gerade bei der Altersvorsorge verstärkt in Aktien stabiler Unternehmen mit bewährtem Management oder in entsprechende Fonds investieren."