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20.09.2018 | Kapitalmarkt | Kommentar | Online-Artikel

"Eine neue Krise könnte durch die Finanztechnologien entstehen"

4 Min. Lesedauer

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Autor: Dr. Christopher Smart

Eine Dekade nach Lehman streiten Politiker, Banker und Verbraucherschützer noch immer über die Lehren aus der Pleite. Barings-Experte Christopher Smart erklärt in seinem Kommentar, warum seine zentralen Erkenntnisse vor allem die Marktdynamik und die menschliche Natur betreffen.

In diesen Tagen haben sich eine Reihe von Rückblicken mit dem zehnten Jahrestag der Lehman-Pleite beschäftigt und die Lehren hieraus Revue passieren lassen. Sobald der Jahrestag vorüber ist, machen wir uns wieder Gedanken darüber, an welcher Stelle des Konjunkturzyklus wir uns gerade befinden und wie lange diese ausgedehnte Hausse noch andauern wird. Wahrscheinlich werden wir noch eine ganze Reihe normaler Rezessionen durchlaufen, bevor eine weitere globale Finanzkrise losbricht. Ein langsamer Anstieg der Zinsen verteuert die Geldaufnahme für manche Kreditnehmer, was den Märkten Blasen beschert. So heißt es zumindest in den Lehrbüchern.

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Zehn Jahre nach der Lehman-Pleite — Finanzmärkte stabil?

Die Pleite der Investmentbank Lehman Brothers am 15. September 2008 löste eine globale Finanzkrise aus. Dies kann als außergewöhnliches Ereignis interpretiert werden, aber auch als eine Krise des Systems.


Die nächste Krise kommt bestimmt

Die Chancen stehen gut, dass die nächste echte Krise ihren Anfang in Bereichen nimmt, in denen sich die vorherrschende Meinung als grundlegend falsch erweisen wird. Ich tippe darauf, dass die nächste Katastrophe ihren Ursprung in den neuen Formen der Finanzierung nehmen wird, die sich außerhalb des Bankensystems entwickeln, das größtenteils transparent und stark reguliert ist. Eine neue Krise könnte auch durch die Finanztechnologien entstehen, die neue Geschäftsmodelle entwickeln und neue Dienstleistungen anbieten. Ein möglicher Auslöser könnte auch China sein, das heute wesentlich finanzkräftiger und stärker mit den globalen Märkten verflochten ist als noch vor zehn Jahren.

Ein alter Kollege aus dem Investmentbereich ist der Ansicht, dass die aktuellen Märkte aufgebläht sind, weil viele der Portfoliomanager von heute in jenen Tagen 2008 nicht dabei waren, sodass die Lehren von damals nun weitgehend vergessen sind. Ich bin der Meinung, dass die Finanzkrise weiterhin einen Schatten wirft auf viele, wenn nicht sogar die meisten Anlageentscheidungen.

Die eigentlichen Lehren sollten jedoch die Marktdynamik und die menschliche Natur betreffen. Hier sind meine fünf wichtigsten Erkenntnisse aus der Lehman-Pleite:

1. Man beachte das Gesetz der Schwerkraft 

Wenn ein Gegenstand aus großer Höhe herabfällt, ist ein enormer Puffer nötig, um den Aufprall abzufedern. Bei Banken, die sich allzu sehr verschuldet hatten, konnte man kaum davon ausgehen, dass sie den Aufprall überleben. Und das war auch nicht der Fall. Die angemessene Höhe des verlustabsorbierenden Kapitals, das vorgehalten werden muss, wird stets Anlass zu Diskussionen geben, aber es ist fast immer mehr Kapital erforderlich, als man denkt.

2. Investitionen in solide Strukturen sind eine gute Idee

Die chaotischen Zustände während der Finanzkrise wurden durch den Umstand verschärft, dass bei vielen Transaktionen niemand mehr wusste, wer die Gegenposition einnahm. Die Einrichtung zentraler Clearingstellen für Derivate sorgte für eine deutliche Verbesserung der Transparenz in der Finanzbranche. Wenn eine Gegenpartei in Schwierigkeiten gerät, kommen keine Zweifel mehr an den Finanzflüssen im gesamten System auf.

3. Pendel schwingen – und überschwingen

Zu viel Regulierung bedeutet natürlich das Ende von Innovation und Wachstum. Zu wenig Regulierung führt zu Nachlässigkeit und Betrug. Damals fehlte es dem System insgesamt an Regeln, und insbesondere die Verbraucher mussten besser vor betrügerischen Praktiken geschützt werden.

4. Menschen und ihre Algorithmen sind emotionsgesteuert

Die Finanzmärkte sind, trotz all ihrer Komplexität, immer noch abhängig von drei konstanten menschlichen Gefühlen: Gier, Angst und Vertrauen. Die ersten beiden wurden bereits in der Wirtschaftswissenschaft, in der Psychologie und in der Literatur ausgiebig untersucht. Aber man vergisst leicht, dass selbst Transaktionen, die in Kontrakten, Versicherungsverträgen und Garantien zementiert sind, kaum Bedeutung haben ohne ein grundsätzliches Vertrauen darauf, dass die Gegenseite ihre Verpflichtungen erfüllt.

5. Führungsqualitäten zählen

Glücklicherweise standen im Jahr 2008 in den meisten führenden Industrienationen Personen an der Spitze, die entweder entscheidungsfreudig genug waren, um Führungsqualitäten zu zeigen, oder ausreichend verschreckt waren, um sich anzupassen. Was vielleicht noch wichtiger war: Die Finanzaufsichtsbehörden auf beiden Seiten des Atlantiks kannten sich, vertrauten einander und konnten daher außerordentliche Maßnahmen treffen, um für Liquidität im System zu sorgen. Als sich die Staats- und Regierungschefs auf dem G-20-Gipfel in London auf einen Plan verständigten, der die Märkte letztendlich davon überzeugte, dass die Fiskal-, Geld- und Bankenpolitik darauf ausgerichtet würde, die Märkte zu stabilisieren und das Wirtschaftswachstum anzukurbeln, war das Vertrauen wiederhergestellt. 

Fraglich ist, ob angesichts der geopolitischen Verwerfungslinien von heute, die sich entlang von Themen wie Herrschaft und Handel bilden, bei Entstehung einer neuen Krise eine analoge Kooperationsstrategie denkbar ist.  

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