Um die Chancengleichheit ist es auf dem Arbeitsmarkt des 21. Jahrhunderts weiterhin finster bestellt. Sollen Frauen gleichberechtigt teilhaben können, müssen systemische Nachteile abgebaut werden. Wie das gelingen kann, zeigt eine Studie.
Frauenkarrieren sollten genauso selbstverständlich möglich sein wie Männerkarrieren. Was die Karrierepfade von Frauen blockiert, sind Vorurteile und starre Arbeitszeiten. Von Chancengleichheit keine Spur.
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Spätestens mit dem ersten Kind werden die Weichen für Frauenkarrieren neu gestellt. Die Ingenieurin wie die Altenpflegerin müssen entscheiden: Vollzeit, Teilzeit oder gleich ganz zu Hause bleiben? Letzteres nennt sich dann Care-Arbeit und ist unbezahlt. Auch wenn die Erwerbsbeteiligung von Frauen seit 1990 deutlich gestiegen ist – in traditionellen Industrieländern auf über 70 Prozent, in Deutschland auf knapp 80 Prozent – scheint Teilzeitarbeit eine Erfindung zu sein für die Zielgruppe Hausfrau und Mutter.
In Deutschland entscheiden sich nur sieben Prozent aller Väter für Teilzeitregelungen, während 66 Prozent aller Mütter in Teilzeitjobs festsitzen. Die Hürden, um wieder in Vollzeit arbeiten zu können, sind hoch. Grund dafür sind Stereotype und starre Organisationen. Zu diesem niederschmetternden Ergebnis kommt die Studie "Working Woman and the War for Talent" der Unternehmensberatung Bain & Company.
Es gibt kein geschlechterspezifisches Arbeitsverhalten
Für die Untersuchung wurden rund 24.000 Mitarbeitende aus zwölf Nationen befragt. Weltweit machen Frauen immer noch weniger als 40 Prozent der erwerbstätigen Bevölkerung aus. Frauen ohne Hochschulbildung wurden während der Covid-19-Pandemie zudem überproportional aus dem Arbeitsleben geschleudert. Vor allem in schnell wachsenden Ländern mit niedrigem Einkommen wie Nigeria und Indien ist die Geschlechtergerechtigkeit laut Studie rückläufig.
Dabei unterscheiden sich Frauen in ihrem Verhalten am Arbeitsplatz kaum von den männlichen Kollegen. Sie lassen sich den gleichen Arbeitnehmer-Archetypen (Giver, Operator, Explorer, Pioneer, Striver, Artisan) zuordnen und teilen die gleichen Einstellungen etwa in Sachen Motivation, Gehalt oder Teamgeist. Und: Je älter sie werden, umso ähnlicher werden sich Männer und Frauen. Was also hält Unternehmen davon ab, Frauenkarrieren zu fördern und damit dem Fachkräftemangel auf einem angespannten Arbeitsmarkt entgegenzutreten? Die Studie nennt drei Faktoren, die Frauen den Zugang zu gleichberechtigter Arbeit erschweren.
Ungleichheit durch traditionelle Rollenbilder
Mädchen entscheiden sich leichter für Care- als für MINT-Berufe. Laut Studie sind in den USA nur 13 Prozent aller Ingenieurposten mit Frauen besetzt. Was den deutschen Arbeitsmarkt betrifft, so fand die IU Erfurt im vergangenen Jahr mit der Befragung "MINT-Bildung: Was junge Frauen darüber denken" heraus, dass es zwar ein hohes Interesse von jungen Frauen an MINT-Berufen gibt (70 Prozent), sie aber nach wie vor Bedenken haben, dass der Bereich sie überfordern könnte (42,7 Prozent) oder zu schwer verständlich ist (44,6 Prozent).
Ungleichheit durch starre Organisationen
Flexibilität ist in Deutschland für alle Jobeinsteiger ein entscheidendes Kriterium bei der Wahl des Arbeitgebers. Ab dem 35. Lebensjahr bevorzugen allerdings knapp 50 Prozent aller Frauen und nur noch 39 Prozent aller Männer flexible Arbeitszeiten. So wundert es nicht, dass über 70 Prozent aller weiblichen Angestellten hierzulande sich von ihren Arbeitgebern mehr Entgegenkommen bei der Arbeitszeitgestaltung wünschen.
Ungleichheit durch systemische Nachteile
Verhaltensweisen und Strukturen in Unternehmen beruhen noch immer auf Bestätigungsfehlern, unbewussten Vorurteilen und verzerrten Wahrnehmungen. Was sich unter dem Begriff Unconscious Bias summieren lässt, verursacht Benachteiligungen auf allen Ebenen: Frauen werden häufiger mit weniger attraktiven administrativen Aufgaben betraut, werden bei der Beförderung übergangen und haben am Ende des Monats weniger Gehalt auf ihrem Konto.
Schrittweise zum gerechten Arbeitsmarkt
Bis alle Ungleichgewichte auf dem Arbeitsmarkt verschwunden sind, ist von Politik, Gesellschaft und Unternehmen ordentlich anzupacken. Es braucht nachhaltiges Empowerment für junge Mädchen schon lange vor der Berufs- und Studienwahl. Weiter geht es mit der Stärkung von Frauen in der Arbeitswelt. Die Vereinbarkeit von Kind und Beruf ist zu verbessern und das Ermöglichen von weiblichen Führungskarrieren muss selbstverständlich werden. Die Studienautoren schlagen Unternehmen fünf Maßnahmen zur Realisierung eines geschlechtergerechten Arbeitsumfeldes vor:
- Individualität berücksichtigen
- Vorurteile bekämpfen
- Flexibles Arbeiten ermöglichen
- Zusammengehörigkeit verbessern
- Wiedereinstieg erleichtern
Was Männer und Frauen dann doch unterscheidet
Kein Unternehmen könne es sich noch leisten, auf das Potenzial der Leistungsträgerinnen zu verzichten, findet auch Springer-Autorin Anja Mahlstedt in "Karriere und Rahmenbedingungen". Aber: "Zum Erreichen des nächsten Karriereschritts ist aktuell eine hohe Wettbewerbsorientierung gefragt und darin schneiden Frauen deutlich schlechter ab als Männer (Seite 57)." Auch wenn Frauen sich in ihrer Arbeitsweise kaum von den männlichen Kollegen unterscheiden, stehen sie sich häufiger selbst im Weg, sobald die Ellenbogen ausgefahren werden müssen, also die Situation kompetitiv wird. Grund dafür sind unterbewusste Rollenverständnisse, die sie seit der Kindheit verinnerlicht haben, findet Mahlstedt.
Mädchen neigten dazu, Jungs den Vortritt zu lassen und die eigenen Fähigkeiten zu unterschätzen. Im Berufsleben bleibe Männern dann die karrierefördernde Rolle des Netzwerkers und Selbstvermarkters vorbehalten. Typisch weibliche Stärken wie Organisationsfähigkeit und Hartnäckigkeit kommen, so Mahlstedt, aber erst zum Tragen, wenn die nächst höhere Position erreicht ist. Über diese Klippe müssen Organisationen weiblichen High-Potentials eine Brücke bauen. Sie sind also gut beraten, wenn sie klassische Wettbewerbssituationen – etwa in Auswahlverfahren und der Nachfolgeplanung – abschaffen (Seite 58) und Rahmenbedingungen etablieren, innerhalb derer sich Frauen entwickeln können, ohne dass die Karriere mit dem ersten Kind einknickt.