Der Fachkräftemangel ist auch ein Führungskräftemangel. Zu demografischen Lücken gesellt sich der Unwille, eine Leitungsfunktion zu übernehmen. Daher müssen neue Leadership-Modelle her.
Führungsverantwortung muss nicht allein in der Hand einer Person liegen, sondern kann auf mehrere Schultern im Team verteilt werden.
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Das aktuelle Arbeitsbarometer von Randstad bestätigt einen Trend, der nun bereits eine Weile anhält. Demnach ist die Bereitschaft, eine Führungsposition in Unternehmen zu übernehmen, nicht allzu groß. Von den halbjährlich mindestens 800 befragten deutschen Beschäftigten zwischen 18 und 65 Jahren wären derzeit lediglich 31 Prozent dazu bereit, eine leitende Rolle in ihrer Firma zu übernehmen. 53 Prozent sprechen sich klar dafür aus, ihre Jobposition behalten und keinesfalls die Karriereleiter hinaufsteigen zu wollen.
Damit sind die Aufstiegsambitionen deutscher Arbeitnehmender im internationalen Vergleich niedrig. Denn weltweit wollen immerhin 47 Prozent der Befragten Managementverantwortung übernehmen und nur 39 Prozent haben keinerlei Bestrebungen auf diesem Gebiet.
Randstand Deutschland GmbH
Dass den Betrieben hierzulande die Manager ausgehen könnten, legte bereits eine Umfrage der Initiative Chefsache aus Jahr 2022 nahe. Von den 1.688 befragten Berufstätigen wollten seinerzeit nur knapp ein Viertel der Frauen und ein Drittel der Männer künftig mehr Verantwortung übernehmen.
Warum Führungspositionen abschrecken
"Der flächendeckende Fachkräftemangel allein würde schon ausreichen, um mittelbar einen Führungskräftemangel nach sich zu ziehen", betont Beraterin und Führungkräfte-Coach Theresia Volk. Erschwerend komme allerdings hinzu, erklärt sie in "Power needs Belonging", dass die Führungsmotivation rapide nachlasse und diejenige, "die bereits Führungsverantwortung haben, nicht etwa an den nächsten Karriereschritt, sondern immer öfter ans Aussteigen" denken. Die Gründe seien vielfältig, wiesen aber alle in dieselbe Richtung:
- die enorm gestiegene Anforderungen an Führung,
- immer komplexer werdendes Führungshandeln,
- in einigen Branchen finanziell nicht lohnend,
- psychisch belastend durch Konflikte und Stress,
- bei den "Generationen X, Y, Z und den folgenden verhindert ein verändertes Wertesystem den lange Zeit für selbstverständlich gehaltenen Griff nach der Macht".
Zu wenig Talentmanagement und Führungskräfteentwicklung
"Inzwischen bemängelt jede vierte Führungskraft die fehlende oder mangelhafte Qualität der Führungskräfteentwicklung in ihrem Unternehmen. Dies unterstreicht die Notwendigkeit, effektive Strategien für die Führungskräfteentwicklung zu entwerfen und umzusetzen, um den aktuellen und zukünftigen Bedarf an qualifizierten Führungskräften zu decken", sagt Alex Fischer, Coach und Experte in den Bereichen Immobilien, Steuer und Unternehmertum.
Laut Gablers Wirtschaftslexikon bedeutet Führungskräfteentwicklung für Unternehmen, gezielte Leadership-Programme aufzusetzen, damit "Potenzial- und Leistungsträger [...] rechtzeitig auf weiterführende Aufgaben vorbereitet werden, um so einerseits vakante Managementpositionen möglichst intern - aus den 'eigenen Reihen' - besetzen zu können."
Doch ausgerechnet hier scheint es in deutschen Unternehmen zu hapern. So offenbart der Cornerstone "Talent Health Index 2023", für den 701 Führungskräfte mit Talent- und Geschäftsverantwortung sowie 1.453 Mitarbeitende in Europa, Nordamerika und im asiatisch-pazifischen Raum befragt wurden, Optimierungspotenzial im Talentmanagement, also bei der Kompetenz- und Karriereentwicklung.
Mit 93 Prozent wünschen sich demnach die meisten Befragten die Möglichkeit, Talentprogramme unkompliziert nutzen zu können. 85 Prozent wären dankbar, wenn ihr Arbeitgeber berufliches Wachstum aktiv unterstützen würde. Und 83 Prozent schätzten es, wenn sie Lerninhalte nach eigenen Interesse auswählen könnten.
Führen in Sandwich-Position besonders schwierig
Dies gilt natürlich auch für den Erwerb von Führungskompetenz. Denn die dafür notwendigen vielfältigen Fähigkeiten sind Menschen nicht notwendigerweise in die Wiege gelegt, sondern können und müssen, wie fachliches Wissen, erworben werden, erklärt Sabine Wengelski-Strock. So gilt es für die meisten Teamleiter, fachliche Arbeit und Führungsaufgaben miteinander zu vereinen, eine typische Konstellation in der Sandwich-Position der Mittelmanager. Diese seien in der Unternehmenshierarchie wie "Salami im Brötchen" gefangen und daher ist es für sie nach Ansicht der Expertin "am schwierigsten, die eigene Rolle zu finden und sich zu positionieren."
Für jede Führungskraft bezeichnet Wengelski-Strock ein Training als sinnvoll:
- um sich Klarheit über die Rolle zu verschaffen, wie sehe ich die Rolle, was sind die Erwartungen im Unternehmen und welche Erwartungen hat mein Team.
- um die Bedingungen im Unternehmen berücksichtigen zu können, hat die mittlere Führungskraft beispielsweise definierte Zeit zum Leiten oder muss die Leitungsaufgabe quasi nebenher geleistet werden.
- um sich der Wirkung von Teamkonstellationen bewusst zu werden und Führungsinstrumente dafür zu entwickeln.
Laterale Führung ohne Mandat und Weisungsbefugnis
Wenn Führungskräfteentwicklung und Leadership-Programme nicht greifen, um Beschäftigte für Management-Positionen zu qualifizieren und zu begeistern, sollten Unternehmen über neue Leadership-Modelle nachdenken und ihre Organisation entsprechend weiterentwickeln. Denn es ist durchaus möglich, ohne Mandat zu führen, also ohne explizite Weisungsbefugnis. Solche Konstellationen werden als laterale oder horizontale Führung bezeichnet.
Derartige Prinzipien kommen bereits in Projektteams zum Einsatz, die über verschiedene Fachabteilungen oder Standorte hinweg zusammenarbeiten. "Durch die zunehmende Durchlässigkeit der Grenzen zwischen Abteilungen und Hierarchiestufen sowie der zielgerichteten Verflachung von Organisationen lässt sich ein grundsätzlicher Wandel weg von hierarchischer Führung und legitimationsbasiertem Einfluss hin zu lateraler Führung, also Führung ohne hierarchische Macht, verzeichnen", schreibt Lisa Böhmann in ihrer Masterthesis zum Thema. Die Einflussnahme auf die Willensbildung in der Organisation und das Handeln im Betrieb geschieht ohne direkte Hierarchiebeziehung.
Laterale Führungsmodelle sowie Führung auf Distanz haben durch die Corona-Krise und die Zunahme mobilen und virtuellen Arbeitens in den vergangenen Jahren weiter an Bedeutung gewonnen. Die Methoden und Begrifflichkeiten, die dabei zum Einsatz kommen, reichen vom agilen Ansatz der Holokratie bis hin zu Shared Leadership. Dabei steuert und führt nicht eine Person qua Rangordnung, sondern die Verantwortung und Aufgabenverteilung wird vielmehr vom gesamten Team getragen. Grundsätzlich sind dies zweifelsohne die modernsten Führungsprinzipien, die dem demokratischen Verständnis am nächsten kommen und insbesondere jüngere Generationen motivieren.