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Erschienen in: Publizistik 1/2019

21.12.2018 | Buchbesprechung

Kellner-Zotz, Bianca: Das Aufmerksamkeitsregime – Wenn Liebe Zuschauer braucht. Eine qualitative Untersuchung zur Medialisierung des Systems Familie

Leipzig: Vistas 2018. 381 Seiten. Preis: € 39

verfasst von: Dr. Corinna Peil

Erschienen in: Publizistik | Ausgabe 1/2019

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Auszug

Mit ihrem Buch verfolgt die Autorin Bianca Kellner-Zotz das Anliegen „aufzuzeigen, dass sich das System Familie in den vergangenen dreißig, vierzig Jahren unter anderem deshalb verändert hat, weil Massenmedien unser Denken und Handeln beeinflussen (…)“. Konkret geht es Kellner-Zotz darum darzulegen, dass sich familiäre Interaktionen, Routinen und „Vergegenständlichungen“ (S. 14) durch einen Prozess der „Medialisierung“ nachhaltig gewandelt haben. Menschen orientieren sich bei der Ausgestaltung ihres Familienlebens zunehmend an den Selektions‑, Präsentations-, und Interpretationsmustern medialer Berichterstattung und passen sich einer „massenmedialen Handlungslogik“ (S. 15) an, um Aufmerksamkeit zu erzeugen und gesellschaftliche Anerkennung zu erfahren – so die zentrale These und zugleich das Ergebnis der Studie. Theoretisch stützt sich die Arbeit auf das Konzept der Medialisierung, das sich von einer sozialkonstruktivistischen Mediatisierungsforschung abgrenzt und im Sinne Altheides und Snows (1979) von einer wirkmächtigen, alle gesellschaftlichen Sphären erreichenden Medienlogik ausgeht. In Anlehnung an Meyen (2015) entwickelt Kellner-Zotz vor diesem Hintergrund ein Kategoriensystem, das es ihr erlauben soll, die von ihr angenommenen medialen Logiken in der Aufbereitung, Präsentation und Interpretation von Ereignissen empirisch fassbar zu machen (S. 37). Familie wird unter Rückbezug auf Foucault als Dispositiv und gepaart mit systemtheoretischen Überlegungen als gesellschaftliches Funktionssystem konzeptualisiert. Hiervon ausgehend leitet die Autorin unter Hinzunahme weiterer theoretischer Anleihen vier Analysedimensionen ab, die die Grundlage für ihre Untersuchung bilden: Institutionalisierung, Subjektivierungen, Objektivierungen und Praktiken. Methodisch bedient sich Kellner-Zotz verschiedener Instrumente, die miteinander trianguliert werden: einer Diskursanalyse auf Basis von insgesamt 24 Ratgeberbüchern, Artikeln aus Zeitschriften und Zeitungen, Prospekten und Werbematerial; einer Dokumentenanalyse von Flyern, Internetangeboten, Katalogen, Grundrissen und weiteren Materialien; Leitfadeninterviews mit verschiedenen Expertinnen und Experten aus den Bereichen Partnerschaft, Bildung, Kinderbetreuung, Eventmanagement, Pädagogik und Tourismus; sowie Interviews mit drei Müttern und ihren Müttern, um „subjektive Erfahrungen mit dem Wandel familiärer Leitbilder und Aktivitäten zu erfassen“ (S. 123). Die ausschließliche Befragung von Müttern irritiert, passt aber in den Gesamtkontext einer Arbeit, die sich in erster Linie auf heteronormative Beziehungsformen zu fokussieren scheint. Leitend für das empirische Vorgehen ist ein auf die Theorie aufbauendes Kategoriensystem mit unterschiedlichen Indikatoren, die zu thematischen Clustern verdichtet werden. Über den genauen Prozess der Datenanalyse und systematischen Auswertung des reichhaltigen empirischen Materials erfährt man allerdings wenig. Es folgt eine umfangreiche Darstellung der Ergebnisse in Kapitel 5, die die Autorin chronologisch entlang zentraler biografischer Einschnitte wie Liebe, Heirat, Elternschaft, Erziehung etc. strukturiert („Die Struktur des Ergebnisteils löst sich also zugunsten einer Narration (wir sind alle medialisiert) von den Untersuchungskategorien“, S. 133). Auf knapp 200 Seiten wird nun akribisch und durch zahlreiche Beispiele illustriert dargelegt, wie sich Diskurse, Leitbilder, Praktiken und die Lebenswelt von deutschen Mittelschichtsfamilien, vor allem aus dem akademischen Milieu, in den letzten Jahren gewandelt haben. Ein Verdienst dieses Buchs ist es sicherlich, dass es kaum eine Facette gelebter Familienkultur gibt, die in dieser erschöpfenden Darstellung ausgespart bleibt. Behandelt wird ein breites Themenspektrum, angefangen bei Formen der Partnersuche über inszenierte Hochzeitsfeste, geplante Elternschaft, ‚Stilldiktat‘, interfamiliären Konkurrenzdruck, neue Erziehungsparadigmen, alternative Lehrmethoden bis hin zu einer Ökonomisierung von Freizeit und durchorganisierten Urlaubsreisen. Als Zeitdiagnose kann das Buch somit eine wichtige Ressource für ein Gegenwartsverständnis familienbezogener Diskurse und familiärer Lebensstile sein. Schwer nachvollziehbar bleibt jedoch das Kernargument einer Medialisierung von Familie, da die unterstellte Kausalität von Medienlogik und den gewandelten Formen von Familie nicht überzeugend wissenschaftlich belegt wird. Zwar werden Praktiken und Vergegenständlichungen beschrieben, die einen solchen Zusammenhang suggerieren, etwa die bewusste Inszenierung von Liebe und Partnerschaft in den sozialen Netzwerken oder die Integration von Elementen des Storytellings in Freizeitangebote. Da sich die Analyse des Materials jedoch der Hypothese eines „Aufmerksamkeitsregimes“ vollständig unterordnet, wird eine Diskussion alternativer Erklärungsansätze und Deutungen zumindest erschwert. Über diesen Umstand können auch die kurzen Abschnitte im Eingangskapitel nicht hinweghelfen, in denen in knapper Form auf weitere Metaprozesse verwiesen wird, die im Kontext familiären Wandels möglicherweise eine Rolle spielen. Problematisch ist zudem die Vermischung von Diskursen, Verweisen auf Statistiken und Umfrageergebnisse sowie persönlichen Ansichten der Autorin in der Darstellung der Ergebnisse. Es verschwimmen hier nicht nur die verschiedenen Ebenen miteinander, die Ausführungen lassen angesichts etlicher Pauschalisierungen bisweilen auch den nötigen Differenzierungsgrad vermissen. Immer wieder lässt sich zwischen den Zeilen lesen, dass Handlungen wie das mediale Zurschaustellen von Familie, Strategien zur Verknappung des Alltags oder Ambitionen bei der Ausrichtung und Inszenierung von familiären Festen bei Kellner-Zotz auf Unverständnis und Irritation treffen („Anfangs habe ich versucht mich dem Hype [gemeint sind aufwändig organisierte Kindergeburtstagsfeiern, Anm. CP] zu entziehen. Ein Desaster.“, S. 296). Angesichts solcher zum Teil eindeutigen Positionierungen ist wenig überraschend, dass der Wandel vorwiegend negativ, oft auch einseitig und ohne die gebotenen Relativierungen beschrieben wird. Dazu passt ein etwas gewöhnungsbedürftiger journalistischer Stil, der zusammen mit zahlreichen Tabellen und farbigen Abbildungen das Buch selbst tatsächlich als ein an Zuspitzung, Spannung und Inszenierung orientiertes Produkt von Medialisierungsprozessen erscheinen lässt, wie auch die Autorin einräumt. Das Buch endet mit einer knappen Zusammenfassung der Ergebnisse. Kellner-Zotz resümiert erwartbar, dass ein zentraler Treiber des familiären Wandels die soziale Anpassung an mediale Darstellungs- und Inszenierungsformen ist. Letztlich weist die Arbeit auf einige grundlegende Veränderungen des Systems Familie hin. Angesichts der die Darstellung dominierenden Wirkungsannahme bleiben viele Fragen jedoch offen – beispielsweise nach der Bedeutung von Machtstrukturen, nach individuellen und kollektiven Bedeutungszuweisungen oder auch nach neuen medialen Logiken, die angesichts gegenwärtiger Datafizierungs- und Automatisierungstendenzen an Relevanz gewinnen. …

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Metadaten
Titel
Kellner-Zotz, Bianca: Das Aufmerksamkeitsregime – Wenn Liebe Zuschauer braucht. Eine qualitative Untersuchung zur Medialisierung des Systems Familie
Leipzig: Vistas 2018. 381 Seiten. Preis: € 39
verfasst von
Dr. Corinna Peil
Publikationsdatum
21.12.2018
Verlag
Springer Fachmedien Wiesbaden
Erschienen in
Publizistik / Ausgabe 1/2019
Print ISSN: 0033-4006
Elektronische ISSN: 1862-2569
DOI
https://doi.org/10.1007/s11616-018-00473-z

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