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Erschienen in: ATZ - Automobiltechnische Zeitschrift 11/2021

Free Access 01.11.2021 | Titelthema

Klavierlack ohne Kratzer

verfasst von: Muamet Sadiku, Klaus Bieniek

Erschienen in: ATZ - Automobiltechnische Zeitschrift | Ausgabe 11/2021

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Schwarze Hochglanzoberflächen in Klavierlackoptik sind elegant und gelten als zeitlos. Für Designer sind sie eine der beliebtesten Elemente zur Gestaltung von Fahrzeuginnenräumen. Doch diese Oberflächen haben für den Endkunden auch Nachteile. So zeigt die Fläche nach relativ kurzer Zeit häufig Verkratzungen unterschiedlicher Art. Joysonquin hat für dieses Problem eine Lösung gefunden, die die positiven Eigenschaften von Glas und Kunststoff kombiniert.
Hochglanzflächen in Kraftfahrzeugen verkratzen leicht und reagieren sehr empfindlich auf diverse Stoffe wie zum Beispiel Sonnencreme. Auch der Alterungsprozess macht den Oberflächen zu schaffen. Hinzu kommt, dass sich die - häufig in Premiumfahrzeugen verbauten - Hochglanzoberflächen, sehr schwer reinigen lassen. Die von Joysonquin entwickelte Polymethylmethacrylat(PMMA)-Technologie ist eine robuste und kostengünstige Technik für Zierteile. Steigende Anforderungen der Kunden an das Interieur bezüglich chemisch-mechanischer Beständigkeit machten eine Veredelung des PMMA notwendig, Bild 1.

Von der Kunststofflösung zur Glasveredelung

Der Gedanke, auf Glas oder glasartige Technologien zu setzen, resultiert aus den glastypischen Eigenschaften. Glas ist äußerst kratzbeständig und sehr resistent gegenüber unterschiedlichen Chemikalien. Die Herausforderung, PMMA mit einer Glasveredelung zu kombinieren, bestand darin, bei überschaubarem Aufwand auch dreidimensionale Teile zu realisieren. Die Antwort war die Glasveredelung aus der flüssigen Phase heraus. Eine weitere Herausforderung war es, die äußerst unterschiedlichen mechanischen Eigenschaften des PMMA und der Glasoberfläche aneinander anzupassen, um eine spröde Oberfläche auf einem weichen Untergrund zu verhindern. Mit einer angepassten Formulierung der flüssigen Glasmischung wurde dieses Problem gelöst. Als zusätzliche Aufgabe stellte sich die Realisierung einer optisch anspruchsvollen, homogenen Glasoberfläche dar. Zusätzlich konnte die flüssige Glasvorstufe verlustfrei, also ohne Overspray, über eine digitale Lackiertechnik appliziert werden.

Das Verfahren

Der Vernetzungsmechanismus der flüssigen Glasvorstufe erfordert prozesstechnische Vorkehrungen zur Einhaltung verschiedener lackierüblicher Umgebungsbedingungen. Unter anderem wird die Lackmaterialversorgung am Druckbehälter mit einem Inertgas beaufschlagt. Zur Gewährleistung einer homogenen Oberflächenbenetzung mit der flüssigen Glasvorstufe ist ein vorgeschaltetes Reinigungsverfahren für das zu beschichtende Oberflächensubstrat erforderlich. Der vorgeschaltete Reinigungsprozess gewährleistet eine homogene geschlossene Glasoberfläche ohne Oberflächenfehler und Benetzungsstörungen, Bild 2. Die Nachhaltigkeit des Gesamtprozesses wird durch die Verwendung eines recycelten Reinigungsmediums ergänzt. Die Applikation der Glasoberfläche aus der flüssigen Phase kann sowohl konventionell über ein Sprühverfahren, speziell durch ein Niederdrucksprühverfahren, als auch über eine effiziente und nachhaltige digitale Lackiertechnologie erfolgen. Die Besonderheiten dieses digitalen Applikationsverfahrens sind geringste Materialverbräuche (Null Overspray), keine Lackaufbereitung oder Lackentsorgungsvorgänge. Das Verfahren ist damit energetisch und ökologisch nachhaltig. Die technologische Besonderheit der digitalen Applikationstechnik besteht darin, dass etwa 1000 Düsen in einem Applikationskopf einzeln ansteuerbar sind und dadurch eine höchste Präzision in der Applikation gewährleistet ist.
Die Zierteile sind in der Reihenfolge Polycarbonat (PC)/Acrylnitril-Butadien-Styrol (ABS) - PMMA - Glas aufgebaut. Das PC/ABS dient als rückseitige funktionale Trägerkomponente. Der Verbund PC/ABS mit PMMA erfolgt im One-Step-Spritzgießprozess. Anschließend erfolgt die Glasbeschichtung in einer Schichtdicke von unter 10 µm, aus der hochreaktiven flüssigen Glasvorstufe. Die resultierende Glasoberfläche ist eine eigens auf die mechanischen Eigenschaften des PMMA angepasste, sehr dichte kristalline Siliziumsuboxid(SiOx)-Schicht.
Die Glasveredelung erzeugt eine optisch erhöhte Farbtiefe, ohne dass die flüssige Glasvorstufe eingefärbt werden müsste. Die hohe Oberflächenglätte sorgt für eine angenehme Haptik. Die Glasoberfläche haftet exzellent auf dem PMMA durch die chemische Reaktion, die es mit dem Untergrund eingeht. Diese exzellente Haftung spiegelt sich in den klimatischen Ergebnissen wider, laut derer die Klimaeinwirkungen die Haftung nicht beeinträchtigen. Durch die chemische Reaktion mit dem Untergrund ist die Einwirkung von Medien ebenfalls nicht beeinträchtigend. Im Folgenden sollen die Oberflächeneigenschaften näher beschrieben werden.

Kratzbeständige Oberflächen

Die Glasoberfläche ist absolut resistent gegen die OEM-typischen Prüfmedien, Tabelle 1, wie zum Beispiel die nach der Daimler-Liefervorschrift DBL 7384 [1] aufgeführten Stoffe. In den nach dieser Vorschrift genormten Versuchen hat man mit einem Crockmeter und einem Filz als Kopf mit circa 30 Doppelhüben die Pflegemittel auf die Glasoberfläche einwirken lassen, und es zeigte sich absolut keine Veränderung der Glasoberfläche nach 24 h.
Tabelle 1
Überblick über das Eigenschaftsprofil von ausgewählten Prüfungen an der Glasoberfläche (© Joysonquin)
Prüfung und Norm
Beurteilung
Kratztest (GS 97034-9)
Kratzfestigkeit: 25 bis 30 N,
vorher: 10 bis 12 N
Abrieb (Crockmeter / GS 97034-10)
100 DH > 3 % Glanzgradveränderung,
vorher: 1 DH > 60 % Glanzgradveränderung
Pflegemittelbeständigkeit (DBL 7384)
Keine Veränderungen der Oberfläche durch verschiedene Pflegemittel
Sonnencremetest (AA-0053)
Keine Veränderung der Oberfläche,
Haftung: Gt0,
Kratzfestigkeit: > 15 N
Klimawechseltest (DBL 7384)
Keine Veränderung der Oberfläche
Alterungstest (AA-0026)
Keine Veränderung der Oberfläche,
Haftung: Gt0,
Kratzfestigkeit: > 15 N
Auch gegen die Einwirkung von Sonnencreme ist die Glasoberfläche sehr resistent. Dies wurde beispielsweise nach der BMW-Norm AA-0053 [2] ermittelt. Die Sonnencremeeinwirkung ist absolut unproblematisch und zeigt auch keine Auswirkung auf die Haftung der Glasschicht und auf die Kratzfestigkeit. In dieser Prüfung wurde die Oberfläche mit Sonnencreme aufgerakelt und dann für 24 h bei 60 °C gelagert. Nach einer 24-h- Regeneration wurden die optische Veränderung, die Haftung und die Kratzfestigkeit nach Einwirkung betrachtet. Wie schon beschrieben, blieb die Haftung weiterhin exzellent und die Kratzfestigkeit immer noch bei 15 N. Auch die Einwirkung verschiedener Lösemittel, wie zum Beispiel Isopropanol, ist absolut unproblematisch, da dieser Stoff kaum die Oberfläche benetzen kann, um einzuwirken.
Zur Ermittlung der Kratzbeständigkeit wurde beispielsweise auch entsprechend der Erichsen-Kratzprüfung in der BMW-Norm GS 97034-9 verfahren. Hier dringt eine Stahlspitze mit 0,75 mm Durchmesser bei einer von 1 auf 20 N konstant steigenden Last in die Oberfläche ein. Dabei wird die Last ermittelt, bei der ein Eindringen oder sogar Abtragen der Schicht zu sehen ist. Die Glasoberfläche erzeugt im direkten Vergleich zum PMMA eine im Erichsen-Test um den Faktor 1,5 höhere Kratzfestigkeit (PMMA: 10-12 N; Glas/PMMA: 25-30 N) im Zusammenspiel mit PMMA.
In puncto Abriebfestigkeit gibt es durch die Glasveredelung auf dem PMMA eine signifikant messbare Steigerung der Beständigkeit. Im Crockmeter-Test nach BMW-Norm GS 97034-10 zeigt sich dies am stärksten. Dabei wird ein Reibzapfen an einem Linearantrieb mit definierter Kraft vor- und zurückgeschoben und somit versucht, die Oberfläche gezielt zu beschädigen, um die Anfälligkeit von Kratzern und Abrieb zu begutachten.
Während das PMMA im Crockmeter-Test schon nach einem einzigen Doppelhub 60 % des ursprünglich vorhandenen Glanzgrads verliert, erreicht man mit der Glasveredelung selbst bei 100 Doppelhüben noch Glanzgradveränderungen von unter 3 %.
Im Abrex-Test gemäß BMW-Norm GS 97034-1 wurden nach circa 80.000 Hüben noch kaum Veränderungen an der Oberfläche wahrgenommen. Noch stärker verhielt sich die Glasveredelung im Zusammenspiel von Abrieb mit einer Handschweißlösung in der Norm nach DBL 7384. Hier zeigte sich bei 20.000 Hüben immer noch keinerlei Veränderung der Oberfläche. Gerade im Zusammenspiel mit aufgebrachten Medien ist die Oberfläche resistent gegen solche Einwirkungen, da die Oberflächenrauheit sehr gering ist und die Anti-Haftwirkung kaum eine Benetzung zulässt. Der abrieberzeugende Gegenstand gleitet von der Oberfläche weg, und so kann es gar nicht erst zur Beschädigung kommen, Bild 3.

Glasveredelung in Klimatests

Nach Klimaprüfungen wie einem Klimawechseltest nach der Daimler-Norm DBL 7384 oder nach dem BMW-Alterungstest AA-0026 bleiben die Eigenschaften wie Kratzfestigkeit und Haftung noch bestehen. Im Erichsen-Test zeigte sich eine weiterhin exzellente Haftung und Kratzfestigkeit von mindestens 15 N. Weitere klimatische Prüfungen wie ein Kondenswasser-Konstantklima-Test nach BMW-Norm AA-0213 und Alterungsprüfungen nach BMW-Norm AA-0026 sind ebenfalls absolut unproblematisch für die Glasoberfläche auf PMMA. Bei der Kondenswasser-Konstantklima-Prüfung wird die Reaktion der Oberfläche auf hohe Luftfeuchtigkeit untersucht. Hier zeigt sich keinerlei Beeinträchtigung. Die Alterungsprüfung ist vergleichbar mit einer Wärmelagerung. Hier wird der Einfluss der Temperatur auf die Haftung der Glasoberfläche betrachtet: Auch hier zeigt sich keinerlei Schwierigkeit für die Glasoberfläche.

Anti-Haft- und Easy-to-Clean- Eigenschaften

Besonders herausstechend ist die Anti-Haft- und Easy-to-Clean-Eigenschaft der Glasveredelung. Die Glasveredelung resultiert aus einer hochreaktiven flüssigen Glasvorstufe, die auf das PMMA aufgebracht wird. Die fertige Glasoberfläche hat eine sehr hohe Vernetzungsdichte aus einem SiOx-Netzwerk mit einer äußerst geringen Rauigkeit der Oberfläche. Chemisch betrachtet bilden SiOx-Netzwerke kaum physikalische Wechselwirkungen mit anderen Substanzen (Vergleich Silikon). Durch die Vernetzung, die einer Hydrolyse-Kondensationsreaktion entspricht, entsteht eine kristalline Glasschicht, die keinerlei Anknüpfungspunkte für andere Substanzen bietet. Eine sehr geringe Oberflächenenergie und niedrige Rauigkeit ermöglicht eine Anti-Haftwirkung und Easy-to-Clean-Eigenschaft. Mit dieser Anti-Haftwirkung wird eine starke Resistenz gegen Medien verschiedener Art erzielt, sei es Sonnencreme, Pflegemittel oder andere Chemikalien. Diese Anti-Haftwirkung erlaubt auch eine leichte Reinigung von Verschmutzungen, Bild 4. Dazu reicht schon ein trockenes Tuch, um eine exzellente Reinigungswirkung zu erzielen; insbesondere Fingerabdrücke lassen sich auch im trockenen Zustand sehr leicht entfernen, ohne das Risiko, Kratzer in die Oberfläche einzubringen.
Mittels Kontaktwinkelmessungen lässt sich die Anti-Haftwirkung am präzisesten darstellen. Vollentsalztes Wasser zeigt einen Kontaktwinkel von 100° auf der fertigen Glasoberfläche, was einem nahezu superhydrophoben Verhalten entspricht, das heißt eine starke wasserabweisende Wirkung mit sich bringt. Flüssigkeiten wie Isopropanol (Bestandteil alkoholischer Reiniger) zeigen ebenfalls einen hohen Kontaktwinkel. Dieser erschwert die Benetzung beziehungsweise lässt Reiniger besser abperlen und ermöglicht damit eine leichtere Reinigung der Oberfläche. Dieses Phänomen lässt sich am besten durch Bild 4 beschreiben: Hier wurde Isopropanol auf das reine PMMA und auf die verglaste Oberfläche aufgebracht. Gut zu sehen ist, wie sich das Isopropanol zusammenzieht und kaum eine Möglichkeit hat zu benetzen.
Fingerabdrücke lassen sich auf der Glasoberfläche im Vergleich zur Vorgänger-Technologie PMMA viel einfacher entfernen; dies zeigte sich bereits beim Trockenversuch nach wenigen Durchgängen. Bei der PMMA-Technik verband sich das Fett langfristig mit dem Kunststoff und führte bei der Reinigung aufgrund der hohen Empfindlichkeit des PMMA zu Verkratzungen. Durch die Glasoberfläche ist dieses Risiko minimiert.

Zusammenfassung

Mit der Glasveredelung auf PMMA ist es gelungen, eine kratz- und abriebfeste Glasoberfläche für schwarze Hochglanz-Interieure zu realisieren, die den hohen Ansprüchen der Premium-OEMs und Endkunden gerecht wird. Eine erhöhte Kratzfestigkeit und Abriebfestigkeit sowie enorme Resistenz und Beständigkeit gegenüber verschiedenen Medien und klimatischen Einwirkungen zeichnen diese Lösung aus. Die OEMs und Endkunden profitieren von der Optik und Glätte der Oberfläche, die der Wertigkeit eines Premiumfahrzeugs entspricht, sowie einer leichten Reinigung der unbeschränkt 3-D-fähigen Glasoberflächen.

Literaturhinweise

[1]
Daimler: Liefervorschrift DBL 7384. Stuttgart
 
[2]
BMW: Sicherheitsdatenblatt AA-0053. München
 

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Metadaten
Titel
Klavierlack ohne Kratzer
verfasst von
Muamet Sadiku
Klaus Bieniek
Publikationsdatum
01.11.2021
Verlag
Springer Fachmedien Wiesbaden
Erschienen in
ATZ - Automobiltechnische Zeitschrift / Ausgabe 11/2021
Print ISSN: 0001-2785
Elektronische ISSN: 2192-8800
DOI
https://doi.org/10.1007/s35148-021-0758-3

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