17.06.2025 | Klimaschutz | Schwerpunkt | Online-Artikel
Wälder könnten als Klimaschützer versagen
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Eine neue Studie des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung zeigt: Die Wälder der Erde könnten als Klimaschützer versagen – mit fatalen Folgen für unsere CO₂-Bilanzen und die Wirtschaft.
Das Sterben der Eschen, hier in Mitteldeutschland, ist eines der drastischsten Stress-Anzeichen der Wälder.
Frank Urbansky
Lange Zeit waren Wälder das stille Rückgrat unserer Klimaschutzbemühungen. Jährlich nehmen sie rund 7,8 Milliarden Tonnen CO₂ auf – etwa 20 Prozent der vom Menschen verursachten Emissionen. Ohne ihr Zutun wäre der Klimawandel schon heute deutlich weiter vorangeschritten. Doch dieses natürliche Gleichgewicht gerät zunehmend ins Wanken.
Die Gründe sind vielfältig: zunehmende Waldbrände, etwa in Nordamerika und Südeuropa, die anhaltende Abholzung im Amazonasgebiet und klimabedingte Störungen wie Dürren und Schädlingsplagen. All diese Faktoren beeinträchtigen die Fähigkeit der Wälder, Kohlenstoff zu speichern. Eine neue Studie des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK) zeigt nun eindrücklich, welche Folgen das haben könnte – und sie sind gravierend.
Riskantes Spiel mit Waldwachstum
"Derzeit setzen unsere Klimastrategien darauf, dass Wälder nicht nur erhalten bleiben, sondern ihre Fläche sogar zunimmt", erläutert Michael Windisch, Hauptautor der Studie und Gastwissenschaftler am PIK. Das sei jedoch ein riskantes Spiel angesichts der zunehmenden Schäden und Risiken für Waldökosysteme weltweit. Die Speicherfähigkeit der Wälder ist keine konstante Größe – und wenn sie nachlässt, fehlt eine wichtige Komponente im globalen Klimapuzzle.
Dabei geht es nicht nur um Natur- und Artenschutz – es geht auch ums Geld. Windisch betont: "Wer Klimaschutz auf die lange Bank schiebt, muss mit unverhältnismäßig höheren Kosten rechnen." Denn wenn Wälder weniger CO₂ binden, müssen andere Sektoren – wie Energie, Industrie und Verkehr – umso schneller und tiefgreifender ihre Emissionen reduzieren. Das ist nicht nur technisch anspruchsvoll, sondern auch wirtschaftlich aufwendig.
Drastische Effekte bei verzögertem Handeln
Für ihre Analyse nutzten die Forschenden zwei komplexe Modellierungssysteme: das integrierte Energie-Landwirtschafts-Wirtschaftsmodell REMIND-MAgPIE und das globale Vegetationsmodell LPJmL. Damit simulierten sie verschiedene Szenarien zur CO₂-Speicherleistung von Wäldern – und deren Auswirkungen auf Klimaziele, Kosten und politische Handlungsoptionen.
Das zentrale Ergebnis: Schon eine Verzögerung klimapolitischer Maßnahmen um nur fünf Jahre kann die wirtschaftlichen Belastungen nahezu verdoppeln. In einem solchen Szenario müssten die Emissionen im Energiesektor deutlich schneller sinken. Gleichzeitig müsste die Kapazität für sogenannte negative Emissionen – also Technologien oder Maßnahmen, die CO₂ aktiv aus der Atmosphäre entfernen – fast verdoppelt werden. Das bedeutet unter anderem: mehr Fläche für Aufforstung, mehr technologische CO₂-Abscheidung und höhere Investitionen in neue Verfahren.
Modelle zu optimistisch?
"Viele aktuelle Klimamodelle sind zu optimistisch, was die langfristige CO₂-Speicherfähigkeit von Wäldern betrifft", warnt Florian Humpenöder, Mitautor der Studie. Sie unterschätzten die reale Bedrohung durch Waldverluste, überschätzten den Düngungseffekt durch steigende CO₂-Konzentrationen und ließen häufig klimabedingte Störungen wie Feuer oder Schädlingsbefall außen vor. Die Folge: Politik und Wirtschaft könnten sich in trügerischer Sicherheit wiegen.
Humpenöder plädiert deshalb für mehr Realismus und Vorsorge: "Wälder sind keine unerschöpfliche Ressource. Es ist wichtig, frühzeitig zu erkennen, wenn ihre Speicherfähigkeit nachlässt – und entsprechend zu reagieren." Dazu gehören etwa strengere Schutzmaßnahmen, internationale Abkommen gegen illegale Abholzung, aber auch die konsequente Umstellung auf nachhaltige Landnutzung und Aufforstung.
Waldschutz wirtschaftliche Notwendigkeit
Auch Alexander Popp, Leiter des PIK-Labs für Landnutzungswandel, warnt davor, die Rolle der Wälder im Klimaschutz zu romantisieren: "Es reicht nicht, einfach zu hoffen, dass Wälder intakt bleiben, wenn wir die Erderwärmung begrenzen wollen." Vielmehr brauche es eine vorausschauende Politik, die auch Plan B und C mitdenkt: etwa den schnelleren Ausbau erneuerbarer Energien, eine ehrliche Debatte über technologische CO₂-Speicherung und eine echte Wende in der Agrarpolitik.
Denn die Folgen des Nichthandelns wären nicht nur ökologisch, sondern auch ökonomisch katastrophal. Die Studie kommt zu dem Schluss: Je länger mit klimapolitischen Entscheidungen gewartet wird, desto höher fallen die Folgekosten aus – für Staaten, Unternehmen und Bürger gleichermaßen. Klimaschutz wird zur ökonomischen Vorsorge.
Klimaretter nur mit realistischer Politik
Die Studie des PIK liefert eine klare Botschaft: Die Speicherleistung der Wälder ist kein sicherer Hafen, sondern ein empfindlicher Bestandteil im Klimasystem. Wer sich weiterhin auf sie verlässt, ohne rechtzeitig gegenzusteuern, riskiert nicht nur das Scheitern der Pariser Klimaziele – sondern auch einen massiven wirtschaftlichen Schaden.
Deshalb muss Klimapolitik robuster und dynamischer werden: mit stärkeren Waldschutzgesetzen, realistischen Emissionsszenarien und klaren Signalen an Wirtschaft und Gesellschaft. Denn je früher wir handeln, desto günstiger – und desto wahrscheinlicher – ist eine klimastabile Zukunft.
Wälder und Kohlenstoff – Zahlen und Fakten
- 7,8 Milliarden Tonnen CO₂ binden die weltweiten Wälder jährlich – das entspricht rund 20 % der globalen Emissionen.
- Waldverluste: Im brasilianischen Amazonas wurden 2022 etwa 11.500 km² Waldfläche zerstört – mehr als die Fläche Jamaikas.
- Kippmoment: Bereits eine Verzögerung klimapolitischer Maßnahmen um fünf Jahre kann die wirtschaftlichen Kosten verdoppeln.
- Methoden: Die Studie kombinierte REMIND-MAgPIE (integriertes Modell für Energie, Wirtschaft, Landnutzung) mit LPJmL (Modell für globale Vegetationsdynamiken).
Originalstudie: Windisch et al. (2025): "Hedging our bet on forest permanence for the economic viability of climate targets", Nature Communications