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13.01.2014 | Klimawandel | Interview | Online-Artikel

"Fortschritt zur Einschätzung der Klimafolgen"

verfasst von: Günter Knackfuß

9 Min. Lesedauer

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Die Zukunft von Wasserstraßen und Schifffahrt gilt es in Zeiten des Klimawandels zu gestalten. Die Ergebnisse des Forschungs-programms Klima-Wasser-Schifffahrt KLIWAS stellt Professor Hans Moser im Interview vor.

Auf der 3. Statuskonferenz von KLIWAS (Klima-Wasser-Schifffahrt) wurden zum Ende der Laufzeit des Forschungsprogramms (2009–2013) die erreichten Ergebnisse in Berlin vorgestellt und ein Ausblick auf Handlungsoptionen gegeben. Das Programm erarbeitete im Auftrag des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVBS) wissenschaftliche Grundlagen, um die Auswirkungen des Klimawandels auf die schiffbaren Gewässer in Deutschland aufzuzeigen.

Springer für Professionals: Welche Fragestellungen haben das jetzt abgeschlossene Forschungsprogramm bestimmt?

Prof. Hans Moser: Das Bestechende an unserem Forschungsprogramm KLIWAS ist dessen Komplexität. Unsere Forschungen umfassen sowohl Binnenwasserstraßen als auch küstennahe Wasserstraßen.
Für Binnenwasserstraßen haben wir uns der Frage gestellt, inwieweit der Klimawandel die Wassermengen, die Wasserqualität und die Gewässerökologie beeinflussen wird.
Die Wassermenge – wie auch die damit verbundenen veränderten Sedimenttransporte – können direkt auf die Schifffahrt wirken. Bei Niedrigwasser wird ein Schiff nicht voll beladen – die so genannte Abladetiefe wird an den Wasserstand angepasst. Es werden mehr Schiffe benötigt, um die gleiche Gütermenge zu verladen. Hochwasser führt – oberhalb eines Schwellenwertes – zur Schifffahrtssperre.
Die Gewässerqualität ist noch immer geprägt von Abwasser-Einleitungen der Vergangenheit. Chemische Verbindungen finden sich heute noch in Sedimenten. Durch Hochwasserereignisse können schadstoffbelastete Sedimente weiter transportiert werden. Werden Sedimente aus den Flüssen entnommen, um Untiefen zu beseitigen, ist die Belastung der Sedimente zu prüfen und entsprechend der umweltrechtlichen Vorgaben zu verfahren.
Abflüsse, veränderte Lufttemperaturen sowie möglicherweise veränderte Wärmeeinleitungen wirken auf die Sauerstoffgehalten der Flüsse. Je höher die Wassertemperatur, desto weniger Sauerstoff kann im Wasser gelöst werden. Dies wirkt sich auf verschieden Organismen aus, zum Beispiel auf Muscheln und Flohkrebse, die eine bedeutende Nahrungsgrundlage für Fische darstellen. Daneben betrachten wir, inwieweit Auen und deren Vegetation durch veränderte Grundwasserspiegel beeinträchtigt werden können. Auen tragen zum Hochwasserschutz bei.

Warum wird den Wasserstraßen ein so hoher Stellenwert zugemessen?

Dafür gibt es mindestens zwei gute Gründe: Zum einen ist die Wasserstraße der umweltfreundlichste und sicherste Verkehrsträger. Zum anderen zeigen unabhängige Verkehrsprognosen, dass das Transportvolumen in Europa weiter zunehmen wird. Kapazitäten von Wasserstraßen wie dem Rhein werden heute noch nicht ausgelastet. Der Erhalt unserer Wasserstraßen kann direkt dazu beitragen, Straßen und Schienen zu entlasten bzw. den Ausbau entlang von Wasserstraßen zu überdenken. In diesem Zusammenhang möchte ich an das Juni-Hochwasser 2013 an der Elbe erinnern. Mit Rückgang des Hochwassers war die Schifffahrt wieder freigegeben. Die Schienennetze waren erst Monate nach der Flut wieder voll umfänglich belastbar. Unsere Wirtschaft ist auf Warenströme, auf pünktliche Lieferungen angewiesen. Dazu trägt der Verkehrsträger Wasserstraße bei.
Der Transport auf den Meeren ist ohnehin konkurrenzlos. Darüber brauchen wir an dieser Stelle nicht zu diskutieren.

Welches sind die Hauptergebnisse der 5-jährigen Forschungen?

Wir haben fünf Jahre lang mit über 100 hochkarätigen Wissenschaftlern geforscht. Es ist nicht leicht, eine Auswahl aus den Ergebnissen zu treffen, ich will es dennoch versuchen.
Das möglicherweise wichtigste Ergebnis unserer Forschungen ist der methodische Fortschritt, den wir bei der Einschätzung der Klimafolgen erzielt haben. Unser Vorgehen wird als wegweisend anerkannt. Sie umfasst einerseits unsere "Modellkette". Das heißt, dass Ergebnisse der Klimamodellierung in unsere hydrologischen Modelle eingegangen sind. Diese Ergebnisse gingen in die Modellierung der Sedimentbewegungen und in die Modellierung der Gewässerqualität ein. Die Ergebnisse der hydraulischen Modelle wurden durch morphodynamische Modellierungen aufgegriffen, die wiederum, gemeinsam mit den hydrologischen Modellen in ökologische Berechnungen eingeflossen sind. Kurz: Wir haben die Komplexität der Gewässer in eine Vielzahl miteinander vernetzter Modelle für die Zukunft abgebildet.
Wir haben zwei Zukunftshorizonte betrachtet: Einerseits haben wir den Zukunftskorridor von 2021 bis 2050 modelliert. Diese Ergebnisse können beispielsweise bei der Anschaffung von Peilschiffen (ca. 35 Jahre Nutzung) der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung genutzt werden. Aktuell ist die Anschaffung solcher Schiffe in Vorbereitung.
Weiterhin haben wir den Korridor 2071 bis 2100 betrachtet. Dieser Zeithorizont ist für die Planung neuer Wehre und Schleusen interessant. Auch für die Anschaffung neuer Frachtschiffe ist dies ein geeignetes Zeitfenster.

Wir haben andererseits in unseren Analysen auf eine möglichst breite Zahl von Modellen, sogenannte Ensembles, zurückgegriffen. Das Ergebnis ist dann eine Bandbreite möglicher zukünftiger Gewässerzustände.

Was kann sich nun ändern?

Beginnen wir mit der Küste, zunächst mit dem Blick in die Vergangenheit. In den letzten 100 Jahren ist der Meeresspiegel an der deutschen Küste um ca. 11 bis 17 cm gestiegen; gleichzeitig ist der Tidehochwasserstand um ca. 23 bis 33 cm gestiegen. Das Tidehochwasser wird nach unseren Erkenntnissen auch weiterhin deutlicher steigen als der Meeresspiegel. Das bedingt, dass Sedimente verstärkt stromauf transportiert werden; auch die Brackwasserzone wird sich stromauf ausbreiten. Kurzfristig können niedrige Abflüsse von Oberstrom zu einer noch deutlicheren Ausbreitung der Brackwasserzone nach stromauf bewirken. Zudem können bei Sturmfluten höhere Scheitelwasserstände als bisher auftreten.

Hier konnten wir feststellen, dass sich Sturmfluten in ihrer Häufigkeit und Stärke in etwa auf dem heutigen Niveau bleiben werden. Zum Ende des Jahrhunderts ist ein Anstieg der so genannten „signifikanten Wellenhöhe“ um ca. zehn Prozent möglich. Für die Lufttemperaturen sehen wir einen Anstieg, der bis zur Mitte des Jahrhunderts ca. 0,6 bis 2,0 °C und bis zum Ende des Jahrhunderts ca. 1,6 bis 4,0 °C betragen kann. Niederschläge werden bis zum Ende des Jahrhunderts, insbesondere im Winter, zunehmen.

Die Ensembles der Abflussprojektionen für Rhein, Elbe und Donau zeigen für die nahe Zukunft bis 2050 moderate Veränderungen an, für die ferne Zukunft (bis 2100) wird bei den Niedrigwasserabflüssen im Sommerhalbjahr eine deutlichere Tendenz zur Abnahme projiziert. Die Zahl der Tage mit Eissperrungen von Bundeswasserstraßen wird im Verlauf des 21. Jahrhunderts abnehmen, da sich die winterlichen Gewässertemperaturen
im Einklang mit den Lufttemperaturen erhöhen. Als zusätzliche Unsicherheitsquelle bei den Gewässertemperaturbetrachtungen sind möglicherweise veränderte Kühlwassereinleitungen zu berücksichtigen.

Wie beurteilen sie den aktuellen Handlungsbedarf bzgl. der Schifffahrt?

Wir unterscheiden zwischen dem Handlungsbedarf der Schifffahrt und dem Handlungsbedarf für die Schifffahrt.
Die Betroffenheit der Binnenschifffahrt und der verladenden Wirtschaft am Rhein durch Niedrigwassersituationen bleibt unseren Abflussprojektionen zufolge für die nächsten Jahrzehnte nahe an den heutigen Verhältnissen und nimmt erst in der zweiten Hälfte des 21. Jahrhunderts zu.

Für die Schifffahrt gilt im Falle eines optimistischen Szenarios: Die großen Schiffstypen können die günstigen Bedingungen im Zeitraum 2021 bis 2050 besser in Kostenvorteile umsetzen als kleinere Schiffstypen.
Unter Annahme des pessimistischen Abfluss-Szenarios ergäben sich jedoch beispielsweise auf der Relation Rotterdam–Oberrhein für trockenes Massengut im langjährigen Jahresmittel Kostensteigerungen. Sie nehmen tendenziell mit der Schiffsgröße zu.
Für das Ende dieses Jahrhunderts (Zeitraum 2071 – 2100) errechnen sich insgesamt unter der Annahme heutiger Kostenstrukturen und Mengen des Rheintransportes zusätzliche jährliche Gesamttransportkosten. Die Schifffahrt müsste demnach von einer Steigerung zwischen 5 % und 9 % im Vergleich zur Gegenwart ausgehen. Das entspricht rd. 31 Mio. EUR/Jahr für das optimistische Niedrigwasser-Szenario und rd. 59 Mio. EUR/Jahr für ein pessimistisches Niedrigwasser-Szenario. Anpassungsmaßnahmen könnten diese negativen Kosteneffekte um ca. die Hälfte reduzieren.
Den aktuellen Handlungsbedarf der Schifffahrt sehen wir darin, diese Ergebnisse zu bewerten und bereits heute über langfristig wirkende Investitionen nachzudenken. Dies betrifft u.a. die Schiffstechnik, den Schiffsbetrieb und die Flottenstrukturen. Außerdem sollte man sich auf eine größere Dynamik von Extremereignissen einstellen.
Aber auch die verladende Wirtschaft könnte ihre Logistik anpassen, indem sie Lagerungskapazitäten anlegt bzw. ausbaut.

Welche Optionen sind dann an Rhein, Elbe, Donau und dem Küstenbereich für die Schifffahrt zu berücksichtigen?

Wir haben als Forschungsinstitutionen die Auswirkungen möglicher klimatischer Änderungen untersucht, die Betroffenheit und Handlungsoptionen aufgezeigt. Wir werden jetzt den tatsächlichen Handlungsbedarf, den unsere Ergebnisse mit sich bringen, intensiv mit dem BMVBS und der WSV diskutieren. Letztere entscheiden dann schließlich über die Umsetzung von Optionen. Dabei spielen dann Nutzen-Kosten-Betrachtungen und sektorale und volkswirtschaftliche Ziele eine Rolle. Die Politik ist gefordert, dies auszutarieren.
Doch konkreter zu einigen Optionen. Einige beziehen sich auch auf Akteure, die nicht die Wasserstraßen unterhalten.

Für die Binnenwasserstraßen können die Entscheider Optionen berücksichtigen, die die bestehenden Fahrrinnenbreiten besser ausnutzen. Das sind die bekannten wasserbaulichen Maßnahmen mit sehr gezielten Baggerungen. Aber auch die fortentwickelte Navigationstechnik, mit der die Schiffe Engstellen insbesondere bei Niedrigwasser leichter passieren könnten, ist eine interessante Anpassungsmaßnahme.
Die Option, das Geschiebemanagement zu intensivieren, wird am Rhein aufgrund der relativ geringen klimatischen Änderungssignale in dieser Hinsicht künftig nur einen geringen Zusatzaufwand erfordern. Für bestimmte Strecken der Elbe werden deutlichere Zusatzaufwendungen projiziert.
Die Genehmigungspraxis für die Wärmeeinleitungen anzupassen, ist eine Möglichkeit, auf die projizierten Anstiege von Perioden mit erhöhten Wassertemperaturen zu reagieren, wenn sie sich z.B. am Rhein und der Flusshavel bewahrheiten.
Künftige Änderungen in Habitatverfügbarkeit bestehen für alle Vegetationsarten in den Flussauen, in ferner Zukunft stärker als in naher Zukunft und mit großer Bandbreite. Für die Flussauen ist es daher die beste Option, sie an die Abflussdynamik des Flusses besser anzuschließen und auentypische Grundwasserstände zu gewährleisten.
Auch an der Küste bestehen die entsprechenden Optionen. Hier wird jedoch die Anpassung des Sedimentmanagements eine größere Rolle spielen, obwohl die Unterscheidung der Auswirkungen des Klimawandels von sonstigen Maßnahmen kaum möglich ist. Die Nährstoffeinträge aus dem Einzugsgebiet zu reduzieren, um die Algenbiomasse und damit die Sauerstoffzehrung in kritischen Phasen in den Ästuaren zu mindern, ist eine wirksame Option.

Zusammenfassend kann ich feststellen, dass viele Maßnahmen bekannt und grundsätzlich möglich sind. Darunter sind Maßnahmen, die man "ohne Reue", d.h. auch ohne die Klimawandel-Problematik anwenden kann und in jedem Fall eine positive Wirkung entfalten.

Wird es eine Fortsetzung des Forschungsprozesses geben?

Wir werden im nun folgenden Diskussions- und Entscheidungsprozess zur Anpassung immer wieder auf unser in KLIWAS angewandtes Instrumentarium zurückgreifen. Der Welt-Klimarat hat kürzlich seinen 5. Bericht vorgelegt. Ob diese aktuellen globalen Klima-Projektionen auch regional für uns neue Erkenntnisse bringen, werden wir mit diesem Modellierungsinstrumenten prüfen. Dies bedeutet auch eine Fortsetzung unserer Forschungsarbeiten.
Die in KLIWAS gewonnen Erkenntnisse stoßen auch bei den Verkehrsträgern Straße und Schiene auf Interesse. Dort wurde in den vergangenen Jahren auch für uns Interessantes erarbeitet. Das Juni-Hochwasser 2013 hat uns gezeigt, dass extreme Abflussereignisse die Verkehrsinfrastruktur insgesamt treffen können. Aber auch die Raumordnung, wenn wir an die überfluteten Städte und Dörfer denken. Wir streben an, gemeinsam mit anderen Institutionen des BMVBS und der Wissenschaftslandschaft, einheitliche Szenarien für eine robuste Verkehrsinfrastruktur zu erarbeiten.

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