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19.08.2021 | Klimawandel | Schwerpunkt | Online-Artikel

Temperaturrekord in der Antarktis und die Folgen für das Eis

verfasst von: Christoph Berger

5:30 Min. Lesedauer

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Die World Meteorological Organization (WMO) erkennt den am 6. Februar 2020 an der Station Esperanza in Argentinien gemessenen Temperaturrekord von 18,3 Grad Celsius für den antarktischen Kontinent an. Was bedeutet diese Messung für die Region und was sind die Besonderheiten des antarktischen Eises?

"Die Antarktische Halbinsel (die nordwestliche Spitze in der Nähe von Südamerika) gehört zu den Regionen des Planeten, die sich am schnellsten erwärmen, nämlich um fast 3°C in den letzten 50 Jahren. Dieser neue Temperaturrekord steht daher im Einklang mit dem Klimawandel, den wir beobachten", erklärte Prof. Petteri Taalas, Generalsekretär der WMO, bei der Bekanntgabe der Anerkennung des Temperaturrekords Anfang Juli 2021. Allerdings hätten Untersuchungen auch gezeigt, dass zum Zeitpunkt der Messungen ein großes Hochdrucksystem über dem Gebiet Föhnbedingungen (Abwinde, die eine erhebliche Oberflächenerwärmung bewirken) geschaffen habe und zu einer lokalen Erwärmung sowohl auf der Esperanza-Station als auch auf Seymour Island geführt habe. Frühere Auswertungen hätten gezeigt, dass solche meteorologischen Bedingungen für die Entstehung von Temperaturrekorden förderlich seien.

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Prof. Celeste Saulo, Direktorin des argentinischen SMN und erste Vizepräsidentin der WMO, fügte an: "Dieser neue Rekord zeigt einmal mehr, dass der Klimawandel dringende Maßnahmen erfordert. Es ist wichtig, die Beobachtungs-, Vorhersage- und Frühwarnsysteme weiter zu stärken, um auf die extremen Ereignisse zu reagieren, die aufgrund der globalen Erwärmung immer häufiger auftreten."

Anomalien des Eises in der Antarktis

Allerdings weist das antarktische Eis eine Anomalie auf, wie es im Kapitel "Was passiert in der Antarktis?" des Springer-Fachbuchs "Abschied vom Eis" heißt. Statt zurückzubilden hat es sich demnach ausgebreitet. "Nicht sehr schnell, aber im Durchschnitt ist seine Fläche etwas größer geworden, trotz einer allgemeinen Erwärmung über dem antarktischen Kontinent“, schreibt Peter Wadhams. Im September 2013 hätte die antarktische Eisausdehnung ein Rekordmaximum laut den Daten des US National Snow and Ice Data Center (NSIDC) erreicht. Er fügt allerdings direkt an: "In den letzten Jahren ist die Fläche etwas zurückgegangen, auf 18,83 Mio. km2 im Jahr 2015 (NSIDC o. D.), möglicherweise verbunden mit dem Beginn eines El Niños – einer zyklischen Änderung von Strömungen in der Atmosphäre und im Ozean auf der Südhalbkugel. In den Jahren 2016 und 2017 gab es einen noch viel stärkeren Rückzug. Es bleibt abzuwarten, ob dies der Beginn eines Abwärtstrends ist."

"Wenn wir von Eismassen in der Antarktis und von deren Veränderung sprechen, ist es in erster Linie wichtig das Meereis vom Schelfeis, von den Inlandgletschern und den Eiskappen zu unterscheiden", erklärt Dr. Alexander Haumann, Associate Research Scholar im Atmospheric and Oceanic Sciences Program der Princeton University in den USA. Er sagt weiter: "Im Gegensatz zur Arktis bildet sich fast das komplette Meereis in der Antarktis jedes Jahr neu, wenn die oberste Schicht des Ozeans im Winter gefriert. Mit einer Dicke von ungefähr einem Meter ist das antarktische Meereis auch wesentlich dünner als das arktische Meereis." Und auch Haumann beschreibt die von Wadhams erwähnte Anomalie bezüglich der Vergrößerung der Meereisbedeckung in der Antarktis. "Was wir bis jetzt wissen, ist, dass die beobachtete Ausdehnung des Meereises in der Antarktis vermutlich durch stärkere Winde und einer damit zusammenhängenden Abkühlung des Oberflächenwassers verursacht wurde. Ob und welcher Anteil dieser Veränderung im antarktischen Meereis durch den menschgemachten Klimawandel verursacht wurde, ist noch unklar, im Gegensatz zur Arktis", sagt er. Da die Modelle die Veränderungen im antarktischen Meereis über die letzten 40 Jahre nicht richtig hätten abbilden können, seien auch die Zukunftsprognosen mit großen Unsicherheiten behaftet. Man gehe allerdings davon aus, dass auch die Meereisbedeckung in der Antarktis längerfristig zurückgehen werde.

Meereis, Schelfeis Inlandgletscher und Eiskappen

Schelfeis ist im Vergleich dazu noch mit dem Eisschild verbunden, schwimmt aber gleichzeitig schon am Ozean auf, so die Erklärung im Kapitel "Unser Planet im Fokus – Phänomene des globalen Wandels" des Springer-Fachbuchs "Mission Erde". Und Haumann erklärt zu Schelfeis: "Das Schelfeis, das mehrere hundert Meter dick ist, säumt große Teile der antarktischen Küstenregion. Es wird durch das Abfließen der Gletscher und Eiskappen gebildet und schwimmt auf dem Ozean. Hier wird es durch das Abbrechen von Eisbergen und das Schmelzen am Boden durch wärmeres Meerwasser abgetragen." In der Westantarktis sei es mit Beginn verlässlicher Satelliten-Messungen Anfang der 1990er-Jahre, mit deren Hilfe sich auch die Dicke bestimmen lasse, sehr viel dünner geworden. Dies sei durch ein verstärktes Abschmelzen am Boden durch wärmeres Meerwasser in der Küstenregion verursacht worden. Andere Schelfeise seien entlang der Antarktischen Halbinsel abgebrochen.

Die Inlandgletscher und die Eiskappen der Antarktis liegen laut den Erläuterungen von Alexander Haumann direkt auf dem antarktischen Kontinent auf: "Sie werden durch eine Ansammlung von Schneefall an der Oberfläche gebildet und durch das Abfließen in den Ozean an der Küste abgetragen. Im Gegensatz zu dem Grönländischen Eisschild spielen hier Schmelzprozesse an der Oberfläche nicht so eine wichtige Rolle. Das Abfließen an der Küste ist allerdings ein äußerst wichtiger Prozess, da ein verstärktes Abfließen direkt den Meeresspiegel beeinflusst."

Die Schwierigkeit mit Prognosen

Und was bedeutet all das für das Klimasystem, wird der westantarktische Eisschild doch als eines der Kippelemente betrachtet? "Die Sorge, dass das Westantarktische Eisschild ein Kippelement im Klimasystem sein könnte, kommt vor allem von der Geschwindigkeit, mit welcher das Abfließen der Gletscher über die letzten 30 Jahre zugenommen hat und von Modellrechnungen, die zeigen, dass wenn das Eisschelf verschwindet, welches die Gletscher zurückhält, die Gletscher ungehindert und unaufhaltsam ins Meer fließen könnten. Der daraus resultierende globale Meeresspiegelanstieg könnte mehr als einen Meter betragen", sagt Alexander Haumann. Allerdings seien diese Modellrechnungen mit starken Unsicherheiten behaftet, und verlässliche Aussagen darüber, ob und wann ein solch unaufhaltsamer Prozess einsetzen könnte noch nicht möglich.

Wie kompliziert Prognosen sind, betont auch Prof. Dr. Martin Horwath, Professor für geodätische Erdsystemforschung am Institut für Planetare Geodäsie der Technischen Universität Dresden: "Es wird intensiv daran geforscht, in welchem Maße die Vorgänge in der Westantarktis Teil eines Prozesses sind, der sich durch positive Rückkopplungseffekte selbst verstärkt und deshalb zu anhaltenden und weiter beschleunigten Eismassenverlusten über die kommenden Jahrhunderte führen kann", sagt er. Dies hänge von komplexen Wechselwirkungen zwischen Prozessen der Eisfließdynamik, des Ozeans, der Atmosphäre und der festen Erde ab. Doch weil das Verständnis dieser Prozesse noch immer begrenzt sei, sei der Beitrag des Antarktischen Eisschilds zum globalen Meeresspiegelanstieg im 21. Jahrhundert – selbst wenn man ein bestimmtes Treibhausgasszenario vorgebe – unter allen Meeresspiegelbeiträgen am unsichersten vorauszuberechnen.

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