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04.02.2021 | Klimawandel | Interview | Online-Artikel

"Ich gehe davon aus, dass sich das Erdklima verschlechtern wird"

verfasst von: Christoph Berger

9:30 Min. Lesedauer

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Interviewt wurde:
Thomas Anderer

Im EU-geförderten Projekt efeuCampus beschäftigt man sich mit der Zukunft – im Speziellen mit der Gütermobilität im urbanen Raum. Thomas Anderer, CEO und Geschäftsführer des Projekts, gibt im Interview einen Ausblick auf Deutschland im Jahr 2050.

Springer Professional: Herr Anderer, im von der EU geförderten Projekt efeuCampus beschäftigen Sie sich mit der Frage 'Wie leben wir morgen?' – genauer: mit dem Leben im Jahr 2050. Wie wird das Leben auf der Erde in 30 Jahren aussehen?

Anderer: Wir befinden uns in einem Jahrhundert der Beschleunigung. Das, was wir früher technologisch in 100 Jahren erlebt haben, geschieht heute in 15 Jahren. Wie das Leben aussehen wird, hängt meiner Meinung nach stark von der Politik ab. Sie wird maßgeblich die Rahmenbedingungen dafür bestimmen. Allerdings liegt sie bereits heute etwa 15 Jahre hinter den technologischen Entwicklungen zurück – etwa in Bezug auf autonomes Fahren. Deshalb wird es – neben den Gaps hinsichtlich gesellschaftlicher Entwicklungen – starke regionale Unterschiede geben, wie wir auf der Welt in 30 Jahren leben. Wenn Regierungen innovations- und technologiegetrieben agieren, dann werden auch die Entwicklungen voranschreiten. Deutschland wird hier aber mit Sicherheit nicht zu den Vorreitern gehören. 

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Die Politik müsste demnach schneller reagieren, um mit der technologischen Entwicklung Schritt halten zu können?

In den kommenden 30 Jahren ist absehbar, dass es bei den Technologien selbst und bedingt durch sie in vielen anderen Bereichen zu einem exponentiellen Wachstum kommen wird. Schnelles Reagieren, Vorausdenken, Handeln und Entscheiden sind erforderlich, um bei dieser Entwicklung Leitplanken zu setzen. Und um – im positiven wie im negativen Sinne – auch ein Ausufern des technologischen Fortschritts zu verhindern, wenn es nicht einem sinnvollen, gesamtgesellschaftlich-menschlichen Zielbild entspricht. Wir müssen beachten, dass wir heute schon in der Lage sind, technologisch alle Herausforderungen und alle Aufgaben der Menschheit zu lösen. Wir bauen Maschinen, die CO2 vernichten, oder Geräte, die für Wüstenregionen Trinkwasser aus der Luft gewinnen. Die Technologien sind vielfach bereits vorhanden und in der Umsetzung. 

Es kommt also auf die Balance zwischen Machen und Abwägen an?

Ein Beispiel ist der autonom und elektrisch fliegende 'Hubschrauber' Volocopter aus Bruchsal oder auch Roboterlauftiere. Diese können wir einerseits in unseren Lebensbereichen einsetzen, um Menschen zu unterstützen, andererseits bergen sie die Gefahr, dass sie für Kriege und die Vorstellungen einiger Despoten und Diktatoren ausgenutzt werden. Genau hier ist die Politik gefordert, klare Gesetze zu formulieren. Sind die Regeln definiert, profitieren alle davon. Denn dann sind ruhige, natürliche und grün gestaltete Innenstädte mit klimaneutral fahrenden Fahrzeugen nicht mehr nur Zukunftsvorstellungen, sondern werden ebenso wie einst 'Raumschiffe' Realität. Diese fahren wie Züge in Städten, verbinden Einkaufszentren und verkürzen Reisezeiten. Wenn es dem Willen der Politik entspricht, dann können öffentliche Flächen an Menschen zurückgegeben werden – sofern Kommunen und Städte dafür den Individualverkehr zurückschrauben.

Auf welcher Grundlage sind die Prognosen entstanden?

Vielleicht hilft für das Verständnis der Vergleich mit einer großen Welle. Während die Menschen am Land sich davor eher fürchten, verspüren Surfer das genaue Gegenteil. Sie lieben den Adrenalinkick, wissen aber auch ganz genau, wie sie mit der Urgewalt des Wassers umgehen müssen, weil sie sich seit vielen Jahren intensiv damit beschäftigen. Sie kennen das Risiko und können einschätzen, was zu tun ist. Aus diesem Grund ist eine neugierige, offene und positive Haltung für die Zukunft notwendig, um sich davon inspirieren zu lassen. Um daran zu glauben, dass – wenn wir die Zukunft gestalten und sie in die Hand nehmen – die Welt für uns Menschen wirklich besser werden kann. Das Vorausdenken ist heute viel einfacher als in der Vergangenheit, weil die Technologie so schnell voranschreitet. Deshalb sind perspektivische Entwicklungen bezüglich der Stadtentwicklung und einer Smart City in den kommenden 50 Jahren eher möglich, wenn man sich heute schon Gedanken darüber macht, was man jetzt tun muss, um dann erfolgreich zu sein.

Einen besonderen Fokus legen Sie in dem Projekt auf eine schadstofffreie Mobilität. Wird Deutschland sein 2016 gestecktes Ziel erreichen, 2050 weitgehend treibhausgasneutral zu sein?

Dass die Digitalisierung helfen kann, Klimaziele zu erreichen, zeigen aktuelle Studien, wie etwa von Bitkom.  Bis zu 28 Megatonnen CO2 lassen sich bei einer beschleunigten, immerhin 17 Megatonnen bei einer moderaten Digitalisierung, einsparen. Wenn wir aber im jetzigen Tempo weitermachen, lege ich mich auf ein klares 'Nein' fest. Es gibt in der aktuellen Politik einfach zu viele Beispiele dafür, dass aufgrund von fehlendem strategischen Zukunftsdenken oftmals das Fahren im Nebel auf Sicht bevorzugt wird. Um eine schadstoffreine Mobilität voranzubringen, müsste eine wesentliche Veränderung in der Verwendung von Daten eintreten. Entweder sind die Verkehrsdaten noch nicht in der erforderlichen Menge verfügbar oder sie werden aufgrund datenschutzrechtlicher Bedenken nicht genutzt. Um einen effektiven Nutzen aus umweltfreundlichen Fahrzeugtechnologien zu ziehen, müssen Städte Verkehrsdatenströme vernetzen, analysieren und auswerten. Erst dann ist es sinnvoll, Mobilitätskonzepte zu entwickeln.

Also erwartet uns eine düstere Zukunft?

Meine Hoffnung liegt eher in den Kommunen und nicht in der Landes- oder Bundespolitik. Deshalb engagiere ich mich auch in diesem Bereich. Denn dort entstehen zahlreiche klimapolitische und auf die Umwelt ausgerichtete Ideen und Initiativen. Leider werden diese nicht zentral von der Landes- oder Bundespolitik vernetzt und gesteuert. Ich habe dazu eigene Erfahrungen mit Workshops auf Bundesparteivorstandsebene gemacht. Das Denken und der Fokus sind allein auf die Legislaturperiode beschränkt. Im Hinblick auf die für 2050 gesetzten Ziele ist daher eher davon auszugehen, dass Maßnahmen viel eher im Rahmen eines Würfelspiels und nicht aus einem strategischen Anlass heraus entstanden sind.

Und wie wird es um das Erdklima an sich bestellt sein?

Sich nicht auf die Prognosen der weltweiten Wissenschaft zu verlassen, wäre falsch. Der überwiegenden Meinung von Klimaforschern, dass uns eine Veränderung auf der Erde durch den Klimawandel bevorsteht, muss ich mich daher anschließen. Wenn sich alles so wie bisher weiterentwickelt, müssen wir davon ausgehen, dass 2050 das Ende der Menschheit eingeläutet wird. Aber: Noch haben wir die Chance, dem gegenzusteuern. Umwelt- und klimatechnische Belange sind stärker in den Kontext zu technischen Entwicklungen zu setzen. Auch hier sind strategisches Vorausdenken, aber auch der Wille zur Veränderung auf politischer und internationaler Ebene, notwendig. Erkennbar ist dies leider bislang nicht. Daher gehe ich davon aus, dass sich das Erdklima verschlechtern wird.

Wird auch im Bereich der zukünftigen Energieversorgung zu wenig getan?

Im Rahmen meiner Startup Mentorings berate ich auch ein Unternehmen in der Wärmeerzeugung. Es will den Heizungsmarkt mit einer elektrischen Induktionsheizung revolutionieren. Ich bin kein Fachmann in der Energieversorgung, sehe allerdings Entwicklungen, die darauf beruhen, dass die viel beschworene Energiewende nicht von oben, das heißt vom Bund kommt, sondern dass hier auch wieder kleinere Kommunen in Projekten stehen, um in kleinen Zellen Strom zu erzeugen und diesen wieder in den eigenen Zellen zu verbrauchen. Würde sich eine derartige Zellvernetzung aus den Kommunen heraus entwickeln, dann wären große Energiekonzerne überflüssig. Ich gehe sogar soweit, dass wir über derartige Lösungsansätze irgendwann den Strom für unser Haus und unser Auto kostenlos, also gegebenenfalls wie früher über Tauschgeschäfte, erhalten oder durch individuelle Bedarfssteuerung in einer kleinen Zelle autark und kostenlos versorgt werden können.

Ihre Untersuchungen beziehen sich vor allem auf die Städte. Was bedeuten diese Zukunftsvisionen für den ländlichen Raum – wird die Kluft zwischen Städten und Land noch größer?

Grundsätzlich kann man auf unser Projekt bezogen sagen, dass in kleineren Kommunen oder Kleinstädten momentan noch nicht der Bedarf für die von uns entwickelten Visionen besteht, Pakete via Roboter oder Volodrone zu liefern. Auch die Vernetzung von Verkehrsdaten steht bei ihnen auf der Prioritätsliste nicht ganz oben. Spannt man das Thema etwas weiter – und das tun wir in unserem Innovationszentrum in Bruchsal, in Richtung Mobilität und Smart City –, dann können auch kleinere Kommunen sehr stark profitieren. Sogar mehr als Großstädte, weil sie nicht so eng bebaut sind und eine Rekultivierung der Innenstädte sowie die Rückführung der öffentlichen Parkplätze in Grünstreifen schnell die Attraktivität der Kleinstädte erhöht. Großstädte haben zwar mehr Druck, neu zu denken sowie die Infrastruktur und die Verkehrsdaten zu vernetzten und neue Lösungen zu entwickeln, allerdings müssen sie dabei auch wesentlich mehr an strukturellen Veränderungen aufdrehen, um hier wirklich sichtbare Lösungen vorzuzeigen. Am Beispiel Darmstadt wird dies für mich sichtbar. Darmstadt bezeichnet sich selbst als 'Digitale Stadt', die umgesetzten Themen werden aber kaum sicht- und spürbar für die Bürger*innen oder Außenstehende. Bruchsal ist hier Vorreiter: Die Stadt stellt beispielsweise über das Projekt ZeoZweiFrei 46 elektronische Autos zur Vermietung bereit – und hat das Konzept sogar um E-Roller ergänzt. Die Stadt macht sich also Gedanken zu Ride-Sharing und baut ein LastMileCityLab mit Roboterfahrzeugen auf. Für eine Kommune dieser Größe befindet sich Bruchsal also in einem großen und zügigen Zukunftsprozess. Auch hier ist es eine Frage der Politik. Ich sehe auf kleiner kommunaler Ebene viel mehr mutige und kluge Bürgermeister*innen, die nach einer Veränderung suchen, die sich von Großstädten in der ganzen Welt inspirieren lassen, vorausdenken und handeln. Dort wo die richtigen zukunftsmutigen Köpfe das Ruder in der Hand haben, kann sich schnell etwas in die richtige Richtung bewegen. Da aber in Großstädten mehr bewegt werden muss, bin ich eher der Überzeugung, dass die Kluft zwischen Stadt und Land zwar größer wird, aber die urbanen natürlichen Verhältnisse – gerade im Bereich der Mobilität – auf dem Land schnell zu wesentlichen Verbesserungen führen werden. Deshalb wird 'das Land' eher dem noch Jahre andauernden klimabewussten Zeitgeist entsprechen und somit auf der Gewinnerseite stehen.

Wie werden all diese Veränderungen, die ja vor allem technischer Natur sind, das Leben der Menschen verändern?

Das kommt ganz auf den Standpunkt an. Wer der Zukunft gegenüber positiv eingestellt ist, wird davon ausgehen, dass sie sich im Sinne der Menschen verändert. Wer allerdings Angst vor der Zukunft hat, wer Veränderungen scheut, der wird sich eher in den Prognosen wiederfinden, dass sich das Leben negativ verändert – und, dass Menschen von Maschinen und Technologie abhängig sind. Ich bin aber davon überzeugt, dass sich das soziale und menschliche Zusammenleben in einer sehr natürlichen Umwelt im Sinne des Menschen, der Lebewesen und der Natur entwickelt. Wenn wir die Regeln gestalten. Toby Walsh geht beispielsweise in seinem Buch zum Thema künstliche Intelligenz davon aus, dass sich diese ab 2062 völlig eigenständig entwickelt. Wenn es uns bis dahin nicht gelungen ist, die Regeln für diese Welt neu zu gestalten und das Klima zu verbessern, sind wir in dieser Welt überflüssig. Dann wird KI, wie von Walsh beschrieben, die Welt selbst in die Hand nehmen.

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