01.07.2025 | Klimawandel | Im Fokus | Online-Artikel
Gletscherabbruch durch Eisdruck, Geologie und Klimaeinfluss
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Ein massiver Gletscherabbruch am Kleinen Nesthorn hat Teile des Walliser Dorfs Blatten verschüttet. Forscher sehen geologische Instabilität, hohen Wasserdruck im Gletschereis und klimatische Veränderungen als zentrale Ursachen.
Gestein, das vom Kleinen Nesthorn herunterstürzte, zerstörte zu großen Teilen den Ort Blatten.
Keystone/Jean-Christophe Bott/stock.adobe.com
Am 28. Mai 2025 verschüttete ein massiver Gletscherabbruch Teile des Walliser Dorfs Blatten. Auslöser waren Fels- und Schuttmassen, die vom Kleinen Nesthorn auf den Birchgletscher stürzten. Forschende der ETH Zürich haben das Gebiet am 1. Juni begangen und ihre Erkenntnisse in einem aktualisierten Faktenblatt zusammengefasst. Sie beschreiben ein Zusammenspiel mehrerer Faktoren: geologische Instabilität, Wasserdruck im Gletschereis und klimatische Veränderungen. Der Abbruch gilt mit Blick auf Volumen und Schaden als außerordentlich für die Schweizer Alpen.
Ein vergleichbares Ereignis hatte sich zuletzt im April 2024 am Piz Scerscen ereignet – allerdings ohne derart gravierende Schäden wie jetzt im Lötschental. Die ETH-Forschenden sehen in der Ansammlung großer Gesteinsmengen auf dem Gletscher die Hauptursache für die Destabilisierung. "Wir wissen, dass es schon vor dem Abbruch am Mittwoch mehrere Felslawinen gab und sich deswegen Gesteinsmassen auf dem Gletscher ansammelten", sagt Daniel Farinotti, Professor für Glaziologie an der ETH Zürich und der Eidgenössischen Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft (WSL). "Mit diesen Daten und unseren Kenntnissen versuchen wir Forschende, die Behörden zu unterstützen, die unter schwierigsten Bedingungen unglaubliche Arbeit leisten, um den Überblick über die Situation zu behalten und die Lage für die Menschen zu verbessern."
Die Behörden schätzen die Gesteinsmengen auf über zehn Millionen Tonnen. Diese erhöhten nicht nur den Druck auf das Gletschereis, sondern begünstigten auch die Bildung von Schmelzwasser an der Basis und im Innern des Gletschers. Der steigende Wasserdruck, eindringender Regen und die zusätzliche Belastung durch instabile Berghänge beschleunigten den Eisfluss. Den unmittelbaren Anstoß zum Abbruch gab letztlich das Abrutschen einer großen Flanke des Kleinen Nesthorns.
Mögliche Klimazusammenhänge
Schon seit Jahren überwachen Forschende der ETH Zürich gemeinsam mit der Universität Fribourg und der Universität Zürich die Entwicklung des Birchgletschers im Rahmen des Gletschermessnetzes GLAMOS. Ab 2019 verzeichneten sie einen ungewöhnlichen Vorstoß der Gletscherfront um rund 50 Meter – trotz allgemeinen Gletscherrückgangs in der Schweiz. Die Eisdicke an der Gletscherzunge nahm zwischen 2017 und 2023 um bis zu 15 Meter zu, während der obere Teil des Gletschers dünner wurde. Die Erklärung: Das aufliegende Gestein reduzierte die Schmelze an der Oberfläche.
Ein direkter Zusammenhang mit auftauendem Permafrost lässt sich derzeit noch nicht abschließend belegen. "Es ist jedoch wahrscheinlich", heißt es im Faktenblatt, "dass steigende Temperaturen das Auftauen des Untergrunds, die Zunahme von Felsstürzen sowie – paradoxerweise – das Vorrücken des Gletschers begünstigt haben."
Mehrere vergleichbare Ereignisse
In ihrer Analyse verweisen die Forschenden auch auf Parallelen zu früheren Katastrophen: etwa den Felssturz am Pizzo Cengalo 2017, bei dem ein Murgang ausgelöst wurde, der das Dorf Bondo schwer traf und acht Todesopfer forderte. Oder den Kollaps des Kolka-Karmadon-Gletschers im Kaukasus 2002, bei dem 100 Millionen Kubikmeter Eis über 19 Kilometer talabwärts rasten und 125 Menschen ums Leben kamen. Im aktuellen Fall von Blatten konnten rechtzeitige Evakuierungen und die langjährige Überwachung Schlimmeres verhindern.