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10.05.2021 | Konfliktmanagement | Schwerpunkt | Online-Artikel

Wenn unter Kollegen die Hand ausrutscht

verfasst von: Michaela Paefgen-Laß

5 Min. Lesedauer

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In deutschen Betrieben geschehen immer weniger meldepflichtige Arbeitsunfälle. Doch das ist nur bedingt ein Grund zur Freude Denn gleichzeitig haben die Gewaltunfälle zugenommen - auch unter Kollegen, zeigen aktuelle Zahlen.

Das Phänomen ist nicht ungewöhnlich: Wo Menschen zusammen arbeiten, treffen Meinungen aufeinander und können die Emotionen zum Kochen bringen. Die sprichwörtliche dicke Luft ist dabei allerdings das geringste Problem. Sie lässt sich häufig noch mit klärenden Gesprächen bereinigen. Ganz anders sieht es aus, wenn die miese Stimmung in Aggression umschlägt. 

Gewalttätig ausgetragene Konflikte zählt der Informationsdienst des Instituts der deutschen Wirtschaft (IWD) zu den "Arbeitsunfällen der besonderen Art". Gemeint sind damit zwar vor allem Übergriffe von außenstehenden Personen auf Angehörige bestimmter Berufsgruppen. Nicht mehr zu übersehen ist inzwischen dennoch die sich verbreitende interne Gewaltbereitschaft. 

Empfehlung der Redaktion

2020 | OriginalPaper | Buchkapitel

Organisationale und führungsrelevante Aspekte von Mobbing

Mobbing wird in diesem Kapitel als kontextbezogenes Phänomen vorgestellt, welches spezifische macht-, gruppen-und rollendynamische Prozesse aufweist. Verwiesen wird darauf, dass Mobbingdynamiken sich auch mittels lösungsfokussierter Ansätze ohne Täter-Opfer-Kategorisierungen bearbeiten lassen.

Hohe Dunkelziffer bei psychischer Gewalt wahrscheinlich

Wer Kontakt zu Kunden oder Patienten hat, wer in der Altenpflege oder bei Sicherheitsdiensten angestellt ist, hat wahrscheinlich mindestens einmal miterlebt, wie schnell Situationen eskalieren und in verbale oder körperliche Gewalt umschlagen können - oder ist vielleicht selbst angefeindet, bedroht, getreten, bespuckt oder sexuell belästigt werden. Von rund 870.000 meldepflichtigen Arbeitsunfällen im Jahr 2019 gingen mehr als 16.000 auf Gewalt am Arbeitsplatz zurück, zitiert der IWD aktuelle Zahlen der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV). 

Zwar hat sich die Zahl der Arbeitsunfälle insgesamt in den vergangenen 30 Jahren mehr als halbiert. Im Jahr 1991 wurden noch 1,8 Millionen Arbeitsunfälle gemeldet. Die Zahl der Gewaltunfälle hat sich allerdings von 8.800 im Jahr 2010 bis knapp über 13.200 im Jahr 2019 erhöht - das ist eine Zunahme um mehr als 50 Prozent -, berichtet die DGUV. Die meisten Gewaltunfälle durch Dritte (insgesamt 10.164 Meldungen) finden bei den Wach- und Sicherheitsdiensten statt, im Verkauf, in der Altenpflege und in psychiatrischen Krankenhäusern. Meldepflichtig sind die Unfälle dann, wenn Betroffene mehr als drei Tage arbeitsunfähig waren oder an den Folgen verstarben. Bei Handgreiflichkeiten mit Dritten und innerhalb des eigenen Betriebs kommt es am häufigsten zu Prellungen, Verstauchungen oder oberflächlichen Hautverletzungen (59 Prozent) sowie Schockzuständen.

Psychische Gewalt ist ein Arbeitsunfall

Arbeitsausfälle wegen physischer oder psychischer Angriffe unter Kollegen wurden in 2.874 Fällen gemeldet. Die Dunkelziffer könnte allerdings deutlich darüber liegen, vor allem im psychischen Bereich, etwa wenn es um Mobbing, sexuelle Übergriffe, Belästigungen oder systematische Ausgrenzung geht. Problematisch ist, dass es dem Begriff Gewalt vor allem bei psychischen Verletzungen an definitorischer Schärfe fehlt. Wo beginnt die sexuelle Belästigung? Sind ständige Anfeindungen und Sticheleien bereits Mobbing und wäre das dann als Gewalt zu bezeichnen? Oder sind Betroffene einfach nur ganz schön empfindlich?

Mobbing-Opfer können die Gewalterfahrung häufig selbst nicht richtig einordnen oder sind viel zu belastet, um dagegen vorzugehen. Sie wissen in der Regel auch nicht, dass psychische Gewalt als Arbeitsunfall gilt oder sie bringen die für eine Meldung erforderliche Courage nicht mehr auf. Gewalt und Mobbing sind gerade deshalb wichtige Themen für den Arbeitsschutz, weil die Opfer sich entweder gar nicht oder zu spät wehren und ihre Zeichen der Gewaltanwendung von außen betrachtet nicht sichtbar sind. Das macht Mobbing und interne Gewalt sowohl zur Chefsache als auch zur Angelegenheit der Betriebspolitik. Ihre Aufgabe ist es, ein gewaltfreies Miteinander durch präventive Maßnahmen und Vereinbarungen zu steuern und zu garantieren. Warum, dass fasst der DGUV so zusammen:

  • Betroffene leiden unter körperlichen Verletzungen,
  • psychischen Gesundheitsbeeinträchtigungen,
  • und Vertrauensverlust.
  • Krankheitsbedingte Fehlzeiten führen zu betriebs- und volkswirtschaftlichen Einbußen

Mobbing ist ein Prozess, in dem eine Person systematisch, häufig und über einen längeren Zeitraum von einem Menschen oder einer Gruppe von Menschen z. B. schikaniert, drangsaliert, benachteiligt oder ausgegrenzt wird und es so zu einem Machtungleichgewicht kommt oder ein solches verstärkt wird.“ (Mobbingdefinition, Burfeind, Seite 10)

Teams sind Zwangsgemeinschaften

Vergiftete Arbeitsumgebungen schüren die Gewaltbereitschaft. Gute Arbeitsbedingungen sind der beste Weg zur Gewaltprävention. Dass diese an sich so einfache Feststellung an den Bürotüren von Führungskräften noch immer abprallt, ist auch durch eine tradierte Form von Zuständigkeit und Bequemlichkeit begründet. "Die Regeln das schon untereinander", verlagert Verantwortung und liefert eine feine Ausrede dafür, nicht hinschauen und sich mit unbequemen Sachverhalten beschäftigen zu müssen. Dabei, so stellt Springer-Autor Carsten Burfeind zum Thema Mobbingprävention fest, wird übersehen, dass Menschen auf der Arbeit einer Zwangsgemeinschaft ausgesetzt sind, sich problematischen Formen der Zusammenarbeit deshalb nicht entziehen können und unterschiedlich selbstbewusst mit schwierigen Arbeitssituationen umgehen. Was tun?

Betroffene holen sich in der Regel über zwei Wege Hilfe: Der eine führt über Ansprechpartner der nächst höheren Hierarchieebene im Unternehmen. Eine andere Möglichkeit ist, innerbetriebliche Interessenvertreter zu kontaktieren. Burfeind rät außerdem, Konfliktlotsen, externe Berater und eine interne Schiedskommission im Unternehmen zu etablieren. Ideales Konfliktmanagement setzt auf eine Kombination der drei Varianten und ein Vorgehen in fünf Stufen (Seite 60):

Betriebliches Konfliktmanagement in fünf Stufen

Anlaufstellen und Akteure

1. Eigenverantwortliche Konfliktklärung: Gespräch der Konfliktparteien 

Beratung durch betriebliche Akteure wie Kollegen oder Kolleginnen, Vorgesetzte, Personalvertretungen, Konfliktbeauftragte

Innerbetriebliche Konfliktklärung: Gespräch der Konfliktparteien

Begleitung durch betriebliche Akteure wir direkte Führungskraft, nächsthöhere Führungskraft, Personalvertretungen, Konfliktbeauftragte

3. Außerbetriebliche Konfliktmoderation: Konfliktmoderation /  Mediation / Supervision / Einzelberatung / Coaching

Begleitung durch externe Expertinnen und Experten

4. Innerbetriebliche Schiedsverfahren: Veränderung / Versetzung / Abmahnung / Trennung

Entscheidung durch Konfliktkommission ggf. bereits Machtwort

5. Innerbetriebliches Machtwort: Veränderung / Versetzung / Abmahnung / Trennung

Entscheidung durch höhere Führungsebene, abgestimmt mit Personalvertretungen, ggf. vorab Schiedsverfahren

Am Ende stehen also das Machtwort des Chefs und die Personalentscheidung. Um es gar nicht erst soweit kommen zu lassen, braucht es eine klare individuelle und organisatorische Positionierung gegen Mobbing und jede Form von Gewaltausübung am Arbeitsplatz. Es braucht außerdem ein gesundes Betriebsklima und partnerschaftliche Führung. Auf dem Spiel steht die psychische Gesundheit des Einzelnen. Leidet die Psyche verlieren Menschen ihre Selbstgewissheit und Leistungsfähigkeit, im Alltag wie im Berufsleben. Ohne Hilfe und Heilung kann das zu fatale Folgen führen.

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