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08.10.2021 | Konsumentenkredit | Kolumne | Online-Artikel

Widerrufswelle bei Autokrediten ist nicht ausgeschlossen

verfasst von: Christof Blauß

5:30 Min. Lesedauer

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Das EuGH-Urteil vom September zu den Pflichtangaben bei Darlehensverträgen von Kfz-Käufern hat für große Unruhe im Bankensektor gesorgt. Welche juristische Tragweite die Entscheidung hat, erläutert Rechtsanwalt Christof Blauß in seiner Kolumne. 

Nach der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vom 9. September 2021 in den Vorabentscheidungsersuchen des Landgerichts Ravensburg (C-33/20, C-155/20 und C 187/20) entbrannten Diskussionen, ob bei Allgemeinen Verbraucherkreditverträgen fehlende oder falsche Pflichtangaben ein "ewiges Widerrufsrecht" begründen können. 

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Die Vorgeschichte der EuGH-Entscheidung

Das LG Ravensburg legte dem EuGH in einem sogenannten Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV drei Verfahren gegen Autofinanzierungsbanken vor, in deren Kreditverträgen mit Verbrauchern nach Ansicht des vorlegenden LG die Pflichtangaben nach Art. 10 Verbraucherkreditrichtlinie (VKRL: RL 2008/48/EG) nicht eingehalten waren. Dabei ging es unter anderem

  • um die Berechnung des Verzugszinses nach Vertragskündigung, 
  • um die Berechnung der Vorfälligkeitsentschädigung bei vorzeitiger Rückzahlung des Allgemeinen Verbraucherdarlehens zur Art des Kreditvertrags, 
  • und um die Frage des Umfangs des Kündigungsrechts durch den Darlehensnehmer sowie des Beschwerde- oder Rechtsbehelfsverfahrens. 

Ebenso hatte die Vorlageentscheidung zum Gegenstand, ob der Verwirkungseinwand des Darlehensgebers gegenüber dem Verbraucher ausgeschlossen sein soll, wenn die maßgeblichen Pflichtangaben beim Abschluss des Darlehensvertrags nicht ordnungsgemäß erteilt wurden. 

Art. 10 II VKRL schreibt vor, dass die Pflichtangaben im Kreditvertrag in "klarer, prägnanter Form" erfolgen müssen. Nach Art. 14 I VKRL beginnt der Lauf der 14-tägigen Widerrufsfrist erst dann, wenn dem Verbraucher die Pflichtangaben nach Art. 10 VKRL erteilt wurden. Bei fehlenden oder unzureichenden Pflichtangaben könnte somit ein "ewiges Widerrufsrecht" entstehen, so sinngemäß die Argumentation der Verbraucher und des vorlegenden Gerichts. 

EuGH setzt Rechtsprechung zum Verbraucherkreditrecht fort

Mit seinem Urteil vom 9. September 2021 setzt der EuGH seine Rechtsprechung zum deutschen Verbraucherkreditrecht fort. Bereits im Urteil vom 26. März 2020 (C-66/19) hatte der EuGH entschieden, dass der sogenannte Kaskadenverweis des § 492 II BGB mit der VKRL nicht vereinbar sei. Nach § 492 II BGB, der auf Art. 247 § 6 – 13 EGBGB verweist, wurden die Pflichtangaben in den Verbraucher-darlehensverträgen nur exemplarisch angegeben, wie dies auch im gesetzlichen Muster der Wider-rufsinformation zu Art. 247 § 6 II EGBGB alte Fassung vorgesehen war. 

Dem gegenüber hielt der Bundesgerichtshof (BGH) bereits in früheren Entscheidungen (vgl. Beschluss v. 19. März 2019; XI ZR 44/18) sowie in den Beschlüssen vom 31. März 2020 an seiner Rechtsprechung fest, wonach die exemplarische Auflistung der Pflichtangaben und der Verweis auf die gesetzlichen Bestimmungen zur Erfüllung der Informationspflichten genüge. 

Der BGH begründet seine Entscheidung unter anderem damit, dass für sogenannte Immobiliar-Verbraucherdarlehensverträge die VKRL ohnehin keine Anwendung finde, er sich aber auch bei einem Allgemeinen Verbraucherdarlehensvertrag wegen des Rechtsstaatlichkeitsgebots und den gesetzlichen Vorgaben zur Widerrufsinformation daran gehindert sehe, eine vollständige Auflistung der Pflichtangaben zu verlangen, sofern das gesetzliche Muster der Widerrufsinformation verwendet worden sei (vgl. BGH-Beschlüsse vom 31. März 2020 (XI ZR 198/19 bzw. XI ZR 44/18, ebenso 30. Juni 2020 – XI ZR 132/19 beziehungsweise 21. Juli 2020 – XI ZR 448/19 und XI ZR 580/19). 

Für den Fall sogenannter Allgemeiner Verbraucherdarlehensverträge im Rahmen einer PKW-Finanzierung entschied der EuGH nunmehr im aktuellen Urteil, dass gemäß Art 10 II VKRL in klarer, prägnanter Form die Art des Kredits, nämlich im konkretem Fall als "verbundener Kreditvertrag" anzugeben sei, ebenso die Befristung des Vertrages. 

Darlehensvertrag muss konkreten Prozentsatz der Verzugszinsen enthalten

Auch hielt es der EuGH unter Hinweis auf Art. 10 II VKRL für erforderlich, dass im Darlehensvertrag für den Verzugsfall der konkrete Prozentsatz der Verzugszinsen und deren Anpassungsmechanismus zu beschreiben sei, so der EuGH. Allerdings genüge ein Verweis auf den Basiszinssatz sofern dessen Berechnungsmethode für einen Durchschnittsverbraucher aus leicht zugänglichen Amtsblättern ermittelbar und die Zinshöhe berechenbar ist, wenn gleichzeitig auch die Häufigkeit der Änderungen des angegebenen Basiszinses aus dem Kreditvertrag ersichtlich sei. 

Schließlich verlangte der EuGH unter Hinweis auf Art. 10 II, dass im Kreditvertrag die Methode für die Berechnung der Vorfälligkeitsentschädigung in einer konkreten und für den Durchschnittsverbraucher leicht nachvollziehbaren Weise angegeben werden müsse, damit dieser die Höhe der Vorfälligkeitsentschädigung anhand der Vertragsinformationen selbst berechnen könne. 

Als Verstoß gegen Art. 10 II VKRL wertete es der EuGH auch, wenn im Kreditvertrag die Angaben zur außergerichtlichen Beschwerdeverfahren nur durch einen bloßen Verweis auf eine im Internet abrufbare Verfahrensrodnung oder ein anderes Dokument, in dem die Modalitäten des außergerichtlichen Beschwerde- und Rechtsbehelfsverfahrens festgelegt sind, ausgewiesen werden. 

Von erheblicher Relevanz ist schließlich die Feststellung des EuGH, dass dem Darlehensgeber der Verwirkungseinwand hinsichtlich des Darlehenswiderrufs dann verwehrt sein soll, wenn der Darlehensgeber entgegen seinen Verpflichtungen nach Art. 14 I, Art. 10 II VKRL seine Pflicht zur Erteilung der Pflichtangaben gegenüber dem Verbraucher verletzt habe.

Auswirkungen und praktische Relevanz des EuGH-Urteils

Da die VKRL nach Art. 2 II lit. a VKRL auf Immobiliar-Verbraucherdarlehen keine Anwendung findet, ist das EuGH-Urteil vom 09.09.2021 auf grundpfandrechtlich besicherte Kredite nicht übertragbar, weshalb bei Immobiliarkrediten die Verwendung des gesetzlichen Musters zur Widerrufsinformation auch weiterhin ausreichen dürfte. 

Soweit dagegen Allgemeine Verbraucherkreditverträge, insbesondere im Rahmen von Absatzfinanzierungen, beispielsweise bei Autokrediten, betroffen sind, erscheint fraglich, ob die nationalen Gerichte weiterhin an der Argumentation festhalten können, sie seien aufgrund des Rechtsstaatlichkeitsgebots und des Gewaltenteilungsprinzips daran gehindert, einer dem gesetzlichen Muster entsprechenden Widerrufsinformation die Legitimation zu versagen (vgl. beispielsweise BGH, Beschluss vom 31. März 2020 - XI ZR 198/19, Rdz. 14).

Tatsächlich relativierte der BGH zwischenzeitlich auch seine Rechtsprechung zur Gesetzlichkeitsfiktion der Musterinformation beispielsweise im Urteil vom 27. Oktober 2020 (XI ZR 498/19) für den Fall, dass in einer sogenannten Verbundgeschäftebelehrung im Einzelfall unzulässige Zusätze aufgeführt wurden, so beispielsweise zu einer nicht existenten Restschuldversicherung. Der BGH nahm in diesem Falle einen Verstoß gegen den Grundsatz an, dass die Pflichtangaben klar und verständlich sein müssten und revidierte dabei ausdrücklich seine bisherige Rechtsprechung. Im gleichen Urteil (Rdz. 16) betonte der BGH deshalb ausdrücklich, dass Art. 247 § 6 I EGBGB auslegungsfähig sei und bei richtlinienkonformer Auslegung eine Verweisung auf andere Rechtsvorschriften im Rahmen des Kaskadenverweises dem Grundsatz der Klarheit und Verständlichkeit nicht genüge. 

Widerrufe von "Dieselgate"-Fällen möglich

Bereits durch die Entscheidung vom 27. Oktober 2020 wurde durch den BGH für eine Vielzahl von Allgemeinen Verbraucherdarlehensverträgen der Widerrufs-Joker revitalisiert. Berücksichtigt man nunmehr die nahezu unerfüllbaren Anforderungen, die der EuGH im Urteil vom 9. September 2021 beispielsweise zu den Angaben über die Berechnung der Vorfälligkeitsentschädigung des Darlehens oder den außergerichtlichen Beschwerde- oder Rechtsbehelfsverfahren verlangt, ist eine neue Widerrufswelle nicht auszuschließen. Insbesondere die sogenannten Dieselgate-Fälle dürften sich aufgrund der jüngsten BGH-Urteile zu diesem Fragenkomplex nunmehr verstärkt auf den Widerruf des Autokreditvertrags verlagern.

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