Das Kapitel beleuchtet die konzeptionellen und theoretischen Grundlagen der Markenforschung im B2B-Kontext und deren Ableitung statistischer Hypothesen. Es beginnt mit der Untersuchung der konzeptionellen Grundlagen, wobei relevante Erkenntnisse und Forschungsbedarfe identifiziert werden. Darauf aufbauend werden theoretische Grundlagen adressiert, um geeignete Forschungshypothesen abzuleiten. Ein zentraler Aspekt ist die Untersuchung der Markensensibilität und deren Einfluss auf die Markenwichtigkeit. Das Kapitel analysiert verschiedene Forschungsfelder, darunter B2B-Marken, organisationale Beschaffung und Logistikdienstleistungen. Es wird untersucht, wie Marken in der organisationalen Beschaffung als Selektionskriterium berücksichtigt werden und welche Faktoren die Markensensibilität beeinflussen. Zudem werden die verschiedenen Erscheinungsformen von Marken und deren Relevanz für Logistikdienstleister beleuchtet. Die detaillierte Analyse der Forschungsfelder und die Ableitung statistischer Hypothesen bieten wertvolle Einblicke in die komplexen Zusammenhänge der Markenforschung im B2B-Bereich.
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Zusammenfassung
. Nach der Konkretisierung der Forschungsbedarfe aus der Literaturanalyse wird das theoretische Fundament der Arbeit gelegt. Basierend auf der Informationsverarbeitungstheorie und der kognitiven Dissonanztheorie werden in einem vorläufigen Hypothesensystem insgesamt 10 Hypothesen zum Einfluss von organisationalen (Logistikdienstleistungskomplexität, Wahrgenommenes Risiko, Wahrgenommene Informationsüberflutung) und individuellen Charakteristiken (Individuelle Risikoneigung, Faith in Intuition, Need for Cognition) auf die Markensensibilität formuliert.
In einem ersten Schritt werden die konzeptionellen Grundlagen (Kapitelabschnitt 2.1) betrachtet, worin nicht nur relevante Erkenntnisse zu den Forschungsinteressen herausgearbeitet, sondern auch Forschungsbedarfe (FB) innerhalb der Forschungsinteressen bestimmt werden sollen. Hierzu werden sogenannte literaturbasierte Teilerkenntnisse (LTE) festgehalten. Darauf aufbauend werden dann in einem zweiten Schritt die theoretischen Grundlagen adressiert (Kapitelabschnitt 2.2). Das Ziel hierbei ist es mit Bezug zu den Forschungsbedarfen geeignete Forschungshypothesen (FH) aus den ausgewählten Theorien abzuleiten. Hierzu werden sogenannte theoretische Teilerkenntnisse (TTE) festgehalten. Im dritten Schritt werden dann die Forschungshypothesen in statistische Hypothesen (H) unter Rückgriff auf theoretische Annahmen als auch empirische Studien überführt. Im Detail wird ein vorläufiges Hypothesensystem zum Einfluss von organisationalen und individuellen Charakteristiken auf die Markensensibilität erarbeitet (Kapitelabschnitt 2.3). Zum Abschluss wird das vorläufige Hypothesensystem vor dem Hintergrund der konzeptionellen Grundlagen noch einmal reflektiert und eingeordnet (Kapitelabschnitt 2.4). Abbildung 2.1 fasst die Arbeitsweise innerhalb des zweiten Kapitels zusammen. Allen voran wird hieran die Hierarchie zwischen Leitfrage (LF)/Forschungsinteressen (FI), Forschungsbedarfe (FB), Forschungshypothesen (FH) und statistische Hypothesen (H) offengelegt. Diese bestimmt maßgeblich die Struktur der vorliegenden Arbeit.
Abbildung 2.1
Arbeitsweise zu den konzeptionell-theoretischen Grundlagen und der Ableitung von statistischen Hypothesen1
2.1 Konzeptionelle Grundlagen – vertiefende Strukturierung und Analyse des Themengebiets
Die konzeptionellen Grundlagen werden gemäß der Vorstrukturierung des Themengebiets entlang dreier Forschungsfelder aufgearbeitet, bevor abschließend eine Synthese erfolgt. Forschungsfeld I beschäftigt sich mit den B2B-Marken und analysiert hierbei unter anderem sowohl den Einsatz von B2B-Marken als auch das Markenmanagement bei Logistikdienstleistern (Kapitelabschnitt 2.1.1). Insofern werden bereits Inhalte zur Schnittstelle zwischen Forschungsfeldern I ∩ III präsentiert. In Kapitelabschnitt 2.1.2 wird dann das Forschungsfeld der organisationalen Beschaffung unter Einbezug der Schnittstelle zwischen Forschungsfeldern I ∩ II adressiert, bevor in Kapitelabschnitt 2.1.3 schließlich das Forschungsfeld der Logistikdienstleistungen mit der Schnittstelle aus den Forschungsfeldern II ∩ III betrachtet wird. Der detaillierte Aufbau der Forschungsfelder mit den Schnittstellen zwischen diesen liefert Tabelle 2.1.
2.1 Konzeptionelle Grundlagen – vertiefende Strukturierung und Analyse
2.1.1
Forschungsfeld I
– B2B-Marken
2.1.1.1 Marke – Grundlagen und Definition
2.1.1.2 B2B-Marken und Markenmanagement bei Logistikdienstleistern (I ∩ III)
2.1.2
Forschungsfeld II – organisationale Beschaffung
2.1.2.1 Strategische Lieferantenauswahl und Ansätze des organisationalen Beschaffungsverhaltens
2.1.2.2 Die Rolle von B2B-Marken in der organisationalen Beschaffung (I ∩ II)
2.1.2.2.1 Bestimmung der Markenwichtigkeit – B2B-Marken als Selektionskriterium
2.1.2.2.2 Bestimmung der Markensensibilität als zentrales Konzept und Analyse von Einflussfaktoren und Konsequenzen
2.1.2.2.3 Markenfunktionen in der organisationalen Beschaffung
2.1.3
Forschungsfeld III – Logistikdienstleistungen
2.1.3.1 Ansätze zur Systematisierung von Logistikdienstleistungen
2.1.3.2 Strategische Auswahl von Logistikdienstleistern
(II ∩ III)
2.1.3.2.1 Auswahlprozess und Bestimmung involvierter Berufsgruppen
2.1.3.3.2 Selektionskriterien bei der Auswahl von Logistikdienstleistern
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Für die Analyse der Forschungsfelder wurde eine eigene Arbeitsweise3 entwickelt (siehe Abbildung 2.2). So werden innerhalb der Forschungsfelder die zentralen Ergebnisse der Literaturanalyse in den bereits bekannten literaturbasierten Teilerkenntnissen (LTE) zusammengefasst. Diese wiederum werden dann im Rahmen der Synthese hinsichtlich der theoretischen Relevanz und der Konzeption der Untersuchung ausgewertet (Kapitelabschnitt 2.1.4). Primär aber dienen die LTEs zur Identifikation von Forschungslücken und zur Bestimmung des spezifischen Forschungsbedarfs (FB) aus den vordefinierten Forschungsinteressen.
Abbildung 2.2
Arbeitsweise innerhalb der konzeptionellen Grundlagen4
Ausgehend vom Forschungsbedarf kann dann die methodische Einordnung vollzogen, das methodische Vorgehen offengelegt und ein konzeptioneller Analyserahmen bestimmt werden. Ferner findet dann zu einem späteren Zeitpunkt – in Kapitelabschnitt 2.2.1 – eine Auswertung der LTEs im Hinblick auf die Theoriewahl statt. Im Sinne der theoretischen Relevanz und konzeptionellen Strenge wird in diesem Kapitel also beabsichtigt, Lücken in der bestehenden Literatur zu identifizieren (TR 3), die eigene Untersuchung innerhalb der Forschungsfelder zu positionieren (TR 2) sowie generell relevante Konzepte und Theorien aufzugreifen (KS 1).5
2.1.1 Forschungsfeld I – B2B-Marken
Nach ihrer anfänglichen Vernachlässigung6 hat die B2B-Markenforschung mittlerweile ein substanzielles Ausmaß erreicht7, auch wenn sich dieses noch immer nicht auf dem Niveau der B2C-Markenforschung befindet. Demzufolge ist es nicht verwunderlich, dass inzwischen verschiedene Literatur-Reviews das Forschungsfeld „B2B-Marken“ in mehrere Schwerpunkte untergliedern. So differenzieren beispielsweise Herbst et al. (2012) die Forschungsschwerpunkte „branding principles“, „brand management“, „the role of brands in organisational buying“, „brand performance“ und „brand as part aspects“.8 Für die vorliegende Arbeit wird aber insbesondere die Schnittstelle zwischen Logistikdienstleistungen und B2B-Marken (I ∩ III), als auch zwischen organisationaler Beschaffung und B2B-Marken (I ∩ II) als relevant eingestuft. Insofern soll es nicht das Ziel dieses Kapitelabschnitts 2.1.1 sein das gesamte Forschungsfeld „B2B-Marken“, sondern vielmehr die als relevant eingestuften Schwerpunkte hinsichtlich der Forschungsinteressen gezielt zu analysieren. Das Kapitel beginnt daher zunächst mit den Grundlagen zu Marken (Kapitelabschnitt 2.1.1.1), bevor dann die relevanten Beiträge zur Schnittstelle zwischen Logistikdienstleistungen und B2B-Marken (Kapitelabschnitt 2.1.1.2) thematisiert werden. Aufgrund ihres höheren Erklärungsbeitrags für die organisationale Beschaffung werden die relevanten Beiträge zur Schnittstelle zwischen organisationaler Beschaffung und B2B-Marken erst unter Kapitelabschnitt 2.1.2 analysiert.
2.1.1.1 Marke – Grundlagen und Definition
Seit dem Beginn markentheoretischer Untersuchungen konnte der Begriff „Marke“ nicht einheitlich bestimmt und abgregrenzt werden. Stattdessen zeigen sich eine große Anzahl unterschiedlicher Definitionen und zum Teil sogar widersprüchliche Begriffsauffassungen.9 Zurückzuführen ist diese Heterogenität in der Begriffsbestimmung auf die bewussten Schwerpunktsetzungen der Studien innerhalb verschiedener Forschungsdisziplinen, auf die Herkunft der Wissenschaftlicher, sowie nicht zuletzt auf die historische Entwicklung der Forschung, die je nach Evolutionsstufe unterschiedliche Sachverhalte und Theorien berücksichtigt.10 Angesichts dieser Begriffsvielfalt wurden die Marken-Definitionen in übergeordnete Ansätze zusammengeführt und anhand derer differenziert.11 Gemäß den Vorgaben zeitgenössischer Wissenschaftstheoretiker soll der Arbeit aufgrund der vorherrschenden Sprachverwirrung12, ein präzises Verständnis des Markenbegriffes hergeleitet und offengelegt werden, um eine genauso konstruktive, wie nachvollziehbare Diskussion der Ergebnisse garantieren zu können.13 Im Sinne der konzeptionellen Strenge wird also versucht, eine Objektivität im Umgang mit komplementären und konkurrierenden Perspektiven zu gewährleisten (KS 4) und so eine klare und ebenso genaue konzeptionelle Definition der Marke zu erarbeiten (KS 2).14 Zu diesem Zweck werden zunächst die unterschiedlichen Ansätze der Marken-Definition aus der Konsumentenforschung hinsichtlich ihrer Zweckmäßigkeit für das vorliegende Forschungsprojekt kritisch begutachtet (Kapitelabschnitt 2.1.1.1.1), um anschließend darauf aufbauend eine für die Arbeit gültige B2B-Marken Definition abzuleiten (Kapitelabschnitt 2.1.1.1.3). Zuvor aber sollen noch die kognitionspsychologischen Grundlagen zur Vertiefung des Markenverständnisses angeschnitten werden (Kapitelabschnitt 2.1.1.1.2). Das Kapitel schließt mit den unterschiedlichen Erscheinungsformen von Marken (Kapitelabschnitt 2.1.1.1.4), woraufhin in Kapitelabschnitt 2.1.1.2 die für Logistikdienstleister relevante Erscheinungsform bestimmt werden soll.
2.1.1.1.1 Beurteilung bestehender Ansätze der Marken-Definition
Nach dem rechtlichen Ansatz (gem. §3 Abs. 1 MarkenG) können als Marke „[…] alle Zeichen, insbesondere Wörter einschließlich Personennamen, Abbildungen, Buchstaben, Zahlen, Klänge, dreidimensionale Gestaltungen einschließlich der Form einer Ware oder ihrer Verpackung sowie sonstige Aufmachungen einschließlich Farben und Farbzusammenstellungen geschützt werden, die geeignet sind, Waren oder Dienstleistungen eines Unternehmens von denjenigen anderer Unternehmen zu unterscheiden.“ Hierbei werden Überschneidungen zur bekannten Markendefinition der American Marketing Association (1960) deutlich, die ebenfalls die Markenzeichen und damit vor allem die tangiblen, wahrnehmbaren Attribute15 von Marken aufgreifen.16 Den beiden Definitionen zur Folge haben Marken also die Funktionen der Identifikation und Differenzierung von Produkten, Dienstleistungen oder Unternehmen17 und schützen18 damit nicht nur den Anbieter, sondern auch den Nachfrager vor Konkurrenten, die gleiche Produkte oder Dienstleistungen anbieten.19 Aufgrund der Bedeutung der Markenzeichen für die Wahrnehmung und damit als ein essenzieller Faktor im Entscheidungsverhalten der Nachfrager wird folgender Aspekt der Marke für das vorliegende Forschungsprojekt als literaturbasierte Teilerkenntnis 1 (LTE 1) festgehalten:
LTE 1:Die Marke wird über Namen, Begriffe, Zeichen, Symbole, Gestaltungsformen oder über eine Kombination aus diesen oder anderen tangiblen, wahrnehmbaren Markenattributen (Markenzeichen, siehe §3 MarkenG) gekennzeichnet, wodurch die Identifikation und Differenzierung von Produkten, Dienstleistungen oder Unternehmen bei den relevanten Nachfragern möglich wird.20
Allerdings wird durch diesen Ansatz die Wirkung der Marke nicht explizit berücksichtigt,21 weshalb eine Erweiterung dieses Teilaspekts notwendig erscheint.
Im Rahmen des merkmalsorientierten (objektorientierten) Ansatzes wird die Marke bzw. der Markenartikel22 anhand mehrerer Merkmale (Merkmalskatalogen) bestimmt, um zwischen markierten und nicht-markierten Produkten differenzieren zu können. So gilt ein Produkt dann als Marke, wenn es alle Kriterien des vordefinierten Merkmalskatalogs erfüllt.23 Die Definition von Mellerowicz (1963) gilt bis heute als exemplarisch für diesen Ansatz und fasst die zentralen Merkmale eines Markenartikels wie folgt zusammen: „Markenartikel sind für den privaten Bedarf geschaffene Fertigwaren, die in einem größeren Absatzraum unter einem besonderen, die Herkunft kennzeichnenden Merkmal (Marke) in einheitlicher Aufmachung, gleicher Menge, gleichbleibender oder verbesserter Güte erhältlich sind und sich durch die für sie betriebene Werbung Anerkennung der beteiligten Wirtschaftskreise (Verbraucher, Händler und Hersteller) erworben haben (Verkehrsgeltung).“24 Aus der Definition werden Überschneidungen zum rechtlichen Ansatz deutlich. So werden auch im Rahmen des merkmalsorientierten Ansatzes konstitutive Forderungen an die Marke gestellt, um überhaupt als solche gelten zu können. Der merkmalsorientierte Ansatz aber hebt sich insbesondere durch das wirkungsbezogene Kriterium der „Verkehrsgeltung“ ab, welches beim rechtlichen Ansatz vernachlässigt wurde.25 Wie bereits erwähnt wird die Wirkung der Marke als ein zentrales Definitionskriterium des vorliegenden Forschungsprojektes angesehen. Jedoch erscheinen die Ausführungen zur Wirkungsweise der Marke in der Definition von Mellerowicz (1963) undifferenziert („Verbraucher, Händler und Hersteller“) und wenig detailliert. Zudem kann an diesem Ansatz seine Objektverengung auf Fertigwaren kritisiert werden. So werden beispielsweise die für diese Arbeit bedeutsamen Dienstleistungen ausgeschlossen. Darüber hinaus ist es schwierig die einzelnen Merkmale trennscharf zu entwickeln26 sowie die Vollständigkeit der Merkmalskataloge in Anbetracht stets neuer Anwendungs- und Forschungsbereiche zu garantieren.27 Aus diesen Gründen erscheint eine an dem merkmalsorientierten Ansatz ausgerichtete Definition, trotz Berücksichtigung der Markenwirkung, für diese Arbeit als wenig zweckmäßig.
Ansetzend an der Diskussion um die Wirkung der Marke können zwei weitere Ansätze betrachtet werden. Diese lassen sich anhand der Betrachtungsperspektive in anbieter- und nachfragerorientiert unterteilen. Mit einer unternehmensinternen und stark absatzorientierten Perspektive, bei der die Marke als Bündel von Marketinginstrumenten oder als Absatzkonzeption definiert wird und daher häufig in Arbeiten zum Markenmanagement wiederzufinden ist,28 wirkt der anbieterorientierte Ansatz als wenig zweckmäßig für eine die Nachfragerseite betreffende Untersuchung. In Analogie zum merkmalsorientierten Ansatz, kann hier ebenfalls das zu deterministische und beschränkte Verständnis kritisiert werden.29
Ungleich relevanter für die Untersuchung erscheint dagegen der nachfragerorientierte (wirkungsbezogene) Ansatz. Dieser hat insbesondere seit den 1980er Jahren an Bedeutung gewonnen und sich neben dem integrierten30(zusammenfassenden) Ansatz in der Marketingliteratur etabliert.31 Ausschlaggebend ist hier die subjektive Wahrnehmung der Abnehmer, weshalb Berekoven (1978) mit seiner plakativen Definition („…alles, was die Konsumenten als einen Markenartikel bezeichnen oder besser empfinden, tatsächlich ein solcher ist“32) als exemplarisch für diesen Ansatz gilt.33 Esch (2014) präzisiert diesen und stellt noch einmal gesondert heraus, dass die Marke eigentlich nur in den Köpfen der Anspruchsgruppen34 entsteht und existiert.35 Aus den Definitionen wird deutlich, dass die Nachfrager die Marke nicht nur, wie eingangs durch den rechtlichen Ansatz erarbeitet, über seine tangiblen Attribute wahrnehmen und damit Produkte identifizieren und differenzieren können, sondern die Marke darüber hinaus in den Köpfen der Nachfrager verankert ist und damit auch auf intangiblen und nicht-wahrnehmbaren Attributen aufbaut. So sprechen Gardner und Levy (1955) schon früh davon, dass der Markenname mehr ist als nur die Beschriftung eines Produktes, nämlich ein komplexes Symbol, welches bei den Abnehmern mit Ideen und Attributen verknüpft ist.36 Ein ähnlich dyadisches Markenverständnis liegt beispielsweise der Definition von Doyle (2016) zu Grunde. Auch er unterstellt, dass sich die Marke aus tangiblen und intangiblen Attributen zusammensetzt und in Kombination ein unverwechselbares Image beim Nachfrager hervorruft.37 Daher ist es für die Erarbeitung einer mit dem Untersuchungsgegenstand konformen Marken-Definition und zur Erklärung der Wirkung von Marken unerlässlich, neben den tangiblen, auch intangible Attribute der Marke, die in den Köpfen der Nachfrager gespeichert sind, zu berücksichtigen. Ein einheitliches und allgemeingültiges Verständnis intangibler Markenattribute, vergleichbar mit dem MarkenG als Basis der Markenzeichen-Bestimmung, existiert nicht. Vielmehr zeichnen sich in der Markenliteratur divergierende Auflistungen ab. Beispielsweise subsumiert Doyle (2016) unter den intangiblen Attributen Persönlichkeit, Reputation, Markenloyalität, mentale Assoziationen und Kultur.38 Etwas allgemeiner formuliert Esch (2014) die einzelnen intangiblen Attribute. Demnach werden in den Köpfen der Nachfrager Gefühle, Bilder, Vorstellungen, Sachinhalte, Eigenschaften, Verwendungszusammenhänge und andere Inhalte der Marke abgespeichert.39 Diese Aufzählung wird auch durch die Arbeit von Webster und Keller (2004) bestätigt.40 Aufgrund der Relevanz nachfrageseitiger Markenwirkung für das Forschungsziel wird vor dem Hintergrund der Diskussion zu den intangiblen Markenattributen folgender Aspekt für den Begriff „Marke“ als LTE 2 hervorgehoben:
LTE 2:Die Marke ist über Emotionen, Bilder, Vorstellungen, Sachinhalte, Eigenschaften, Verwendungszusammenhänge, sowie eine Kombination aus diesen oder anderen intangiblen, nicht-wahrnehmbaren Markenattributen in den Köpfen der Nachfrager verankert.41
Damit können die beiden konstituierenden Attribute einer Marke, die aus den verschiedenen Definitionsansätzen abgeleitet wurden, in Abbildung 2.3 zusammengefasst werden. Die hier aufgeführten Einzelattribute, wie Zeichen oder Bilder, sollen keine vollständige Auflistung widerspiegeln, sondern vielmehr als Beispiele verstanden werden. Mit der Ableitung des zweiten Teilaspekts bleibt allerdings noch unklar, wie die Markenattribute in den Köpfen der Nachfrager verankert sind und wie die tangiblen und intangiblen Markenattribute miteinander verknüpft sind. Diese Fragestellungen sollen daher unter Zuhilfenahme kognitionspsychologischer Erkenntnisse im folgenden Kapitelabschnitt 2.1.1.1.2 beantwortet werden.
Abbildung 2.3
Zusammenfassung der konstituierenden Attribute einer Marke42
2.1.1.1.2 Kognitionspsychologische Grundlagen und Implikationen für das Markenverständnis
Die Kognitive Psychologie als Teilgebiet der Allgemeinen Psychologie beschäftigt sich primär mit den Prozessen und Strukturen des Gedächtnisses oder vereinfacht formuliert mit dem „Denken“ von Individuen.43 Um die komplexen Zusammenhänge zwischen den unterschiedlichen am „Denken“ beteiligter Gedächtnissysteme darzulegen, wurden Modelle, wie das Informationsverarbeitungsmodell (Informationsaufnahme, Informationsverarbeitung, Informationsspeicherung) von Broadbent (1958), das hieran ansetzende Mehrspeichermodell von Atkinson und Shiffrin (1968), oder neuere Gedächtnismodelle unter Integration des Arbeitsgedächtnisses nach Baddeley und Hitch (1974), welche in Abbildung 2.4 illustriert sind, entwickelt.44
Diesen zufolge steht das sensorische Register repräsentativ für alle Sinnesmodalitäten (visuell, auditiv, olfaktorisch, gustatorisch). Die aufgenommenen Sinnesreize werden im sensorischen Gedächtnis für kurze Zeit gespeichert und nur zu Teilen, abhängig von der Aufmerksamkeit der Individuen, weiterverarbeitet – man spricht hierbei auch von einer selektiven Wahrnehmung. Die meisten Informationen werden aber aufgrund der beschränkten Informationsverarbeitungskapazität umgehend gelöscht.45 Zusammengefasst hat das sensorische Gedächtnis die Funktion der Auswahl, Interpretation und Verknüpfung unterschiedlicher Reize. In diesem Sinne kann es auch als Brücke zwischen Wahrnehmung und Gedächtnis verstanden werden.46 Vor dem Hintergrund der zuvor abgeleiteten Teilaspekte, bedeutet dies, dass die Markenattribute, vorwiegend die tangiblen Markenattribute, zunächst über die verschiedenen Sinnesorgane (bspw. Markenname – visuell; Markensound – auditiv; Markengeschmack – olfaktorisch, gustatorisch) wahrgenommen und für kurze Zeit im sensorischen Register gespeichert werden, bevor die Informationen weiterverarbeitet werden.
Abbildung 2.4
Schematische Darstellungen von Gedächtnismodellen47
Das von Broadbent (1958) sowie Atkinson und Shiffrin (1968) als Zwischenspeicher konzipierte Kurzzeitgedächtnis, wonach Informationen durch Einüben und Wiederholen an das Langzeitgedächtnis transferiert werden48, wurde durch das von Baddeley und Hitch (1974) eingeführte Konzept des Arbeitsgedächtnisses als dreigliedriges System weitgehend abgelöst.49 Das Arbeitsgedächtnis ist bei der Informationsverarbeitung in Menge und Zeit limitiert.50 Der einflussreichen Arbeit von Miller (1956) zufolge sind Individuen demnach in der Lage lediglich sieben Informationseinheiten (+/-2) im Arbeitsgedächtnis simultan zu verarbeiten.51 Gesteigert werden kann die Behaltensleistung des Arbeitsgedächtnisses, wenn Informationen mit bereits gespeicherten Inhalten verknüpft werden. Bei dieser sogenannten „Chunk-Bildung (Chunking)“ werden folglich mehrere einzelne Informationen in zueinander in Verbindung stehende Einheiten aggregiert.52 In seiner ursprünglichen Form basiert das Konzept des Arbeitsgedächtnisses auf zwei Subsystemen (phonologisches53, visuell-räumliches54) und einer zentralen Kontrolleinheit, die den Einsatz (bspw. Verarbeitungsprioritäten, Unterbrechung von Routineprozessen) der beiden Subsysteme kontrolliert und selber auch Informationen speichert.55 In einer neueren Publikation erweitert Baddeley (2000) die beiden Subsysteme zusätzlich um einen episodischen Puffer.56 Dieser erlaubt durch das „Herunterladen“ von langfristig-gespeicherten Informationen aus dem episodischen Langzeitgedächtnis das Kreieren neuer Repräsentationen zum Lösen spezifischer Probleme. Es bricht also mit dem Verständnis, dass die „alten“, langfristig-gespeicherten Erinnerungen im Langzeitgedächtnis aufgerufen werden.57 Schließlich führen diese Erkenntnisse zu einem Verständnis des Arbeitsgedächtnisses als Arbeitsfläche des Gehirns, das Informationen verarbeitet und neuen Ereignissen durch die Verknüpfung mit Langzeitinformationen einen Sinn verleiht.58 Das Konzept des Arbeitsgedächtnisses liefert vielfältige Implikationen für das Markenverständnis, jedoch betreffen diese primär den Markenaufbau. So können Individuen lange Markennamen und Markenabkürzungen mit ähnlich klingenden Konsonanten nur schlecht, dagegen assoziative und unverwechselbare Markennamen besser memorieren.59
Anders als das Arbeitsgedächtnis kann das Langzeitgedächtnis eine nahezu unbegrenzte Menge und zeitüberdauernd Informationen (bspw. Wissen, Fertigkeiten und Erfahrungen) speichern und bereitstellen.60 Die Informationen werden aus dem Arbeitsgedächtnis in das Langzeitgedächtnis übertragen und dort gespeichert. Insofern können im Langzeitgedächtnis sowohl wenige Minuten alte oder lebenslange Informationen gefunden werden.61 Nach Squire (1992) lässt sich das Langzeitgedächtnis in das deklarative, explizite Gedächtnis und das non-deklarative, implizite Gedächtnis unterteilen.62 Während das deklarative, explizite Gedächtnis für die bewusste und verbalisierbare Erinnerung von Fakten und Ereignisse verantwortlich ist, werden aus dem non-deklarativen, impliziten Gedächtnis vor allem Inhalte abgerufen, über die sich das Individuum nicht bewusst ist und diese auch nur eingeschränkt verbalisieren kann.63 Ein zentraler Bereich des non-deklarativen, impliziten Gedächtnisses bildet das prozedurale Gedächtnis, das sich wiederum aus Fertigkeiten, Gewohnheiten, Erwartungen, nichtassoziativem Lernen und Konditionierungseffekten zusammensetzt.64 Hinsichtlich des deklarativen, expliziten Gedächtnissystems wird nach Tulving (1999) aufgrund der Anregung unterschiedlicher Gehirnareale zwischen dem semantischen und episodischen Gedächtnis differenziert.65 So werden im episodischen Gedächtnis die Erinnerungen an persönliche Erfahrungen und Wahrnehmungen, sogenannte autobiografische Informationen, im semantischen Gedächtnis dagegen Faktenwissen bzw. Informationen über die Welt gespeichert.66 Wie aber ist das Wissen im Langzeitgedächtnis organisiert und wie wird dieses langfristig-gespeicherte Wissen abgerufen? Zur Beantwortung dieser Fragestellungen führt die kognitionspsychologische Forschung die Schematheorie an.67 Eine Information des semantischen oder episodischen Gedächtnisses kann mit weiteren verwandten Informationen aus den beiden Gedächtnissystemen zu größeren Wissenseinheiten zusammengefasst werden. Diese sich daraus ergebenden kognitiven Strukturen bezeichnet man folglich als Schemata.68 Darstellen lassen sich solche Schemata über semantische oder assoziative Netzwerke, wonach sich ein Netz aus unterschiedlichen Kategorien, Emotionen, Erfahrungen, Charakteristiken etc. zu einem themenspezifischen Konzept ergibt.69 Durch Abrufhinweise (retrieval cues) können die einem Schema zugehörig abgespeicherten Elemente aus dem Langzeitgedächtnis abgerufen werden.70 Verantwortlich für das effektive Abrufen der im semantischen Netz angeordneten Elemente ist die Encodierungsphase. Zu diesem Zeitpunkt werden die Beziehungen (Assoziationen) zwischen den Elementen generiert. Wie schnell und welche Elemente des Schemas zuerst abgerufen werden, hängt letztendlich von der Stärke und Anordnung der Assoziationen zwischen den Elementen ab. Diese wiederum werden unter anderem durch die Häufigkeit bestimmt, mit denen ein Individuum diesen Elementen begegnet; diese also abgerufen werden.71 Können abgespeicherte Informationen nicht erinnert werden, dann liegt das nicht immer daran, dass diese verloren gegangen sind, sondern dass auf diese nicht mehr zugegriffen werden kann oder an der falschen Stelle des Schemas gesucht wird.72
Die theoretischen Ausführungen der Kognitiven Psychologie zum Langzeitgedächtnis haben mehrere relevante Implikationen für das Markenverständnis. Zunächst kann die Gesamtheit aller einer Marke zugehörigen Informationen, Emotionen, Erfahrungen, Kenntnisse, Vorstellungen etc., die über Jahre wahrgenommen wurden und nach der Aufnahme im Arbeitsgedächtnis nun im Langzeitgedächtnis abgespeichert sind, als Markenwissen bezeichnet werden.73 Ganz im Sinne der Dichotomie von Squire (1992) lassen sich implizites, nicht-bewusst abrufbares und explizites, bewusst abrufbares Markenwissen abgrenzen.74 In Anlehnung an die Schematheorie und die semantischen Netzwerke lässt sich das Markenwissen über Netzwerke strukturieren.75
Abbildung 2.5
Allgemeines semantisches Netzwerk des Markenwissens76
Die tangiblen und intangiblen Attribute der Marke sind demnach über Kanten miteinander verknüpft. Der Abruf der Markenattribute des semantischen Netzwerks erfolgt dann, wie zuvor beschrieben, über Abrufhinweise. Diese Funktion übernimmt vorwiegend der schnell im Gedächtnis verfügbare und häufig begegnete Markenname. Demnach kann der Markenname als initialer Knoten des semantischen Netzwerks verstanden werden, der den Abruf weiterer mit der Marke assoziierter Attribute – vor allem intangibler Markenattribute – ermöglicht, obwohl diese nicht direkt wahrgenommen wurden.77 Diese Charakteristik veranlasste schließlich Jacoby et al. (1977) dazu, den Markennamen in Übereinstimmung mit dem Vorverständnis zum Chunking als „information chunk“ zu bezeichnen.78 Abbildung 2.5 zeigt ein solches semantisches Netzwerk des Markenwissens mit dem Markennamen und dem Markenlogo als zentrale Abrufhinweise. Die Länge der Kanten deutet auf die Stärke der Assoziationen hin. Weit entfernte Attribute signalisieren ein schlechteres Erinnerungsvermögen.79
Ansetzend an diesen kognitionspsychologischen Überlegungen untergliedern sowohl Keller (1993) als auch Esch (1993) das Markenwissen in die beiden Dimensionen der Markenbekanntheit und des Markenimages (siehe Abbildung 2.6).80
Zunächst ist die Bekanntheit der Marke notwendig, damit Markenattribute in einem semantischen Netzwerk überhaupt abgespeichert werden können. Haben Individuen keine Kenntnis über die Marke oder deren Attribute, können auch keine markenbezogenen Informationen aus dem Langzeitgedächtnis abgerufen bzw. erinnert werden.82 Insofern ist die Markenbekanntheit verantwortlich dafür, dass das semantische Netzwerk des Markenwissens im Langzeitgedächtnis angelegt wird. Das Markenimage dagegen umfasst sämtliche im semantischen Netzwerk repräsentierten und verknüpften Assoziationen einer Marke.83 Esch (1993) unterteilt das Markenimage in Art, Stärke, Repräsentation, Zahl, Einzigartigkeit, Relevanz, Richtung und Zugriffsfähigkeit der Markenassoziation. Im Sinne der zuvor abgeleiteten tangiblen und intangiblen Markenattribute können die Markenassoziationen des semantischen Netzwerks verschiedene Formen annehmen, wobei Esch (1993) grundsätzlich zwischen emotional und kognitiv geprägten Markenassoziationen differenziert.84 Zudem bestimmt die Enge der Verknüpfung zwischen Assoziationen und Marke, wie stark sie die Beurteilung der Marke beeinflussen – ist eine Assoziation stark ausgeprägt, scheint es wahrscheinlicher, dass das Individuum die Marke auch anhand dieser Assoziationen beurteilen wird.85 Folgt man der verhaltenswissenschaftlichen Sichtweise so kann das in den Köpfen der Konsumenten abgespeicherte Markenwissen mit seinen zwei Dimensionen schließlich als Treiber für den Markenwert eines Unternehmens verstanden werden.86 Exemplarisch definiert Keller (1993) den konsumentenorientierten Markenwert als „[…] the differential effect of brand knowledge on consumer response to the marketing of brand.“87 Vor dem Hintergrund dieser kognitionspsychologischen Ausführungen, können die zuvor abgeleiteten LTE 1 und LTE 2 wie nachfolgend als LTE 3 zusammengeführt und spezifiziert werden:
LTE 3:Die tangiblen und intangiblen Attribute sind in einem semantischen Netzwerk als Markenwissen (operationalisiert über Markenbekanntheit und Markenimage) derart miteinander verknüpft, dass durch die sensorische Wahrnehmung von häufig begegneten Markenzeichen (e.g. Markenname, Markenlogo) weitere im Langzeitgedächtnis zugehörig abgespeicherte tangible und intangible Markenattribute (e.g. Symbole, Emotionen, Sachinhalte, Eigenschaften etc.) abgerufen werden. Dem Nachfrager stehen in Folge eine Vielzahl markenbezogener Informationen im Arbeitsgedächtnis zur Verfügung.
Das bisher erarbeitete Markenverständnis basiert jedoch maßgeblich auf Überlegungen, die in der Konsumentenforschung entwickelt wurden. Daher gilt es nun im folgenden Kapitelabschnitt 2.1.1.1.3 zu prüfen, inwiefern dieses Markenverständnis auch im B2B-Kontext Gültigkeit besitzt.
2.1.1.1.3 B2B- vs. B2C-Märkte und Ableitung einer für die Untersuchung gültigen B2B-Markendefinition
Der B2B-Markt unterscheidet sich vom B2C-Markt in mehreren Aspekten.88 So zeichnen sich die Güter und Dienstleistungen im B2B-Markt durch eine hohe Komplexität, Vielfalt und Investitionsvolumen aus. Zudem ist die Nachfrage generell volatiler und internationaler.89 Gleichzeitig treten in B2B-Märkten wesentlich kleinere Gruppen an Nachfragern auf.90 Gravierende Unterschiede sind auch in der Entscheidungsfindung bzw. im Beschaffungsprozess zu finden. So gelten die Beschaffungsentscheidungen in B2B-Märkten grundsätzlich als rationaler und systematischer. Des Weiteren spielen Gruppendynamiken aufgrund der Multipersonalität in organisationalen Beschaffungssituationen eine wesentliche Rolle.91 Schließlich sind die Beziehungen zwischen Abnehmer und Lieferant langfristiger und enger angelegt als die Beziehungen im Konsumentenmarkt.92 Folglich ist es nicht verwunderlich, dass auch die B2B-Markenforschung auf die limitierte Übertragbarkeit von Studienergebnissen zu B2C-Marken in den B2B-Kontext hinweisen93 Dies betrifft insbesondere Erkenntnisse, die auf das Kaufverhalten und die Wahrnehmung der Nachfrager abzielen.94 Vor diesem Hintergrund und mit Verweis auf das substanzielle Ausmaß an Forschungsbeiträgen zu B2B-Marken95 kann als LTE 4 für den vorliegenden Untersuchungsgegenstand geschlussfolgert werden:
LTE 4:Die Ergebnisse aus den Studien zu B2C-Marken lassen sich aufgrund divergierender Marktbesonderheiten nur eingeschränkt in den B2B-Kontext übertragen. Indessen verfügt die Forschung zu B2B-Marken über einen bedeutsamen Umfang an Beiträgen, ist eigenständig und relevant.
Andererseits jedoch greift die B2B-Literatur nicht selten auf in der Konsumentenforschung entwickelten Marken-Definitionen oder Markenkonzepte/-theorien zurück, wobei nur zu Teilen kontextspezifische Anpassungen vorgenommen werden.96 Beispielsweise untersuchen Biedenbach und Marell (2010) den Einfluss des Kundenerlebnisses auf den Markenwert mit Hilfe der von Aaker (1992) in der Konsumentenforschung vorgestellten fünf Kategorien des Markenwerts.97 Auch Davis et al. (2008) verwenden in ihrer Studie eine Konzeptualisierung des Markenwerts aus der Konsumentenforschung – jene nach Keller (1993).98 Zwar sehen einige Autoren die Übertragbarkeit kritisch und stellen die Anwendbarkeit der in der Konsumentenforschung hervorgebrachten Theorien und Konstrukte in Frage,99 jedoch wird gleichzeitig auch die Bedeutung der Konsumentenforschung als Ausgangspunkt für die B2B-Marken-Forschung betont.100 Angesichts des Mangels an eigenständigen B2B-Markenkonzepten/-theorien,101 scheint es unumgänglich jene aus der Konsumentenforschung unter Berücksichtigung von B2B-Marktbesonderheiten zu transferieren.102 Eindeutiger fassen Kotler und Pfoertsch (2006) dagegen die Diskussion um die Übertragbarkeit des Markenverständnisses103 zusammen: „Brands serve exactly the same general purpose in B2B markets as they do in consumer markets“.104 Insofern kann als LTE 5 geschlussfolgert werden:
LTE 5:Die in der Konsumentenforschung entwickelten Markenverständnisse und Markenkonzepte/-theorien lassen sich prinzipiell in den B2B-Kontext übertragen. Demzufolge können diese in der Untersuchung der vorliegenden Arbeit berücksichtigt werden.
Als Ergebnis der vorherigen Teilerkenntnisse (LTE 1, LTE 2, LTE 3) und mit der Argumentation für eine Übertragbarkeit des Begriffsverständnisses (LTE 5) kann daher folgende zusammengefasste Definition für B2B-Marken105 abgeleitet werden:
B2B-Marken, basierend auf tangiblen und intangiblen Markenattributen, sorgen für ein in der Psyche des Menschen verankertes, unverwechselbares Vorstellungsbild, welches bei den Nachfragern zu Präferenzen führt und letztendlich deren Entscheidungsverhalten mitbestimmt.
Damit bleibt allerdings noch zu konkretisieren, welche Erscheinungsformen von Marken generell existieren. Darum sollen nun im folgenden Kapitelabschnitt 2.1.1.1.4 die verschiedenen Erscheinungsformen zunächst allgemein vorgestellt werden.
2.1.1.1.4 Erscheinungsformen von Marken
Marken können nach unterschiedlichen Kriterien klassifiziert werden. Exemplarisch präsentiert Bruhn (2004) insgesamt neun Kriterien106, aus welchen sich 27 verschiedene Erscheinungsformen von Marken ergeben.107 Des Weiteren lassen sich Differenzierungen von Marken in der wissenschaftlichen Literatur unter den Gesichtspunkten der Markenstrategie, des Markenportfolios oder der Markenarchitektur finden.108 Diese sind allerdings weitestgehend vergleichbar mit Bruhns (2004) Kriterium „Zahl der markierten Güter“, wonach sich die drei grundlegenden Erscheinungsformen 1) Produktmarke (Einzelmarke), 2) Familienmarke (Produktgruppenmarke) und 3) Unternehmensmarke (Dachmarke) abgrenzen lassen.109
Eine Produktmarke zeichnet sich dadurch aus, dass die Marke nur für ein spezifisches Produkt des Unternehmens geschaffen wird. Insofern kann ein Unternehmen gleichzeitig mehrere Produktmarken aufbauen und so seine Produkte den Bedürfnissen der verschiedenen Kundengruppen entsprechend klar positionieren.110 In diesem Sinne generieren die Kundegruppen überwiegend produktbezogene Assoziationen.111 Das herstellende Unternehmen selbst bleibt oftmals verborgen und tritt mit seinem Namen nicht aktiv im Markt auf, weshalb unternehmensbezogene Assoziationen bei den Kunden auch nicht zwingend angelegt werden.112
Familienmarken dagegen nehmen eine Stellung zwischen den Produktmarken und den Unternehmensmarken ein und profitieren zeitgleich von einer klaren Positionierung hinsichtlich der Kundengruppen als auch von Kosteneinsparungen und Synergieeffekten aufgrund der einheitlichen Vermarktung einer Produktlinie.113 Die Familienmarken haben sich vor allem in Konsumgütermärkten als Markenstrategie durchgesetzt.114
Während bei den Familienmarken ein eigener Markenname kreiert wird, übernimmt diese Rolle bei den Unternehmensmarken in den meisten Fällen der Unternehmensname.115 Hieraus ergeben sich auch die typischen Charakteristiken einer Unternehmensmarke. Durch sie werden die zentralen Werte bzw. die Corporate Identity des Unternehmens sowie seine Kompetenzen an die verschiedenen Anspruchsgruppen kommuniziert.116 Demnach werden nicht nur, wie bei den Produkt- und Familienmarken, die Nachfrager des Unternehmens über die Unternehmensmarke adressiert, sondern ebenso Mitarbeiter, Regierungen und im Allgemeinen die Gesellschaft.117 Ferner werden bei Unternehmensmarken vorwiegend unternehmensbezogene Attribute im Langzeitgedächtnis der verschiedenen Anspruchsgruppen abgespeichert und mit der Wahrnehmung des Unternehmensnamens abgerufen.118 Umgesetzt werden solche Dachmarkenstrategien insbesondere dann, wenn der Umfang des Programms groß und eine sinnvolle Einteilung in Produkt- oder Familienmarken nicht umsetzbar ist.119
Ergänzend zu den drei bereits vorgestellten Erscheinungsformen, werden in der Marketingliteratur auch Dienstleistungsmarken diskutiert. Im Gegensatz zu Produktmarken nehmen beim Aufbau von Dienstleistungsmarken die Mitarbeiter des Unternehmens aufgrund der Intangibilität der angebotenen Leistungen eine wesentliche Rolle ein.120 Im Vergleich zu Unternehmensmarken allerdings können kaum inhaltliche Unterschiede festgestellt werden. Insofern können Dienstleistungsmarken als besondere Unternehmensmarken, nämlich jene von Dienstleistungsunternehmen, aufgefasst werden.121 Im folgenden Kapitelabschnitt 2.1.1.2 soll nun mit Hilfe einer Literaturanalyse zum Markenmanagement bei Logistikdienstleistern die relevante Marken-Erscheinungsform für den vorliegenden Untersuchungsgegenstand identifiziert werden.
2.1.1.2 B2B-Marken und Markenmanagement bei Logistikdienstleistern (I ∩ III)
Das Marketingmanagement bei Logistikdienstleistern wurde in der Vergangenheit in der wirtschaftswissenschaftlichen Forschung weitestgehend vernachlässigt,122 weshalb, wenig verwunderlich, im Rahmen einer Literaturrecherche auch nur eine Handvoll relevanter Beiträge identifiziert werden konnten.123
Die meisten Beiträge fokussieren den Markenwert bei Logistikdienstleistern und setzen damit den thematischen Schwerpunkt im Bereich des Markenaufbaus. Grundlage dieser Untersuchungen bildet häufig das Markenwert-Konzept von Keller (1993) mit den beiden Dimensionen der Markenbekanntheit und des Markenimages.124 Damit bestätigt die vorliegende Literaturrecherche die in LTE 5 gefasste Annahme zum Transfer konsumentenadressierter Konzepte.125 Die Arbeiten von Davis et al. (2008) und Davis et al. (2009) können als Ausgangspunkt des Forschungsgebietes gesehen werden. Zum einen überprüfen sie hierin die Operationalisierungen des Markenwerts und seinen beiden Dimensionen,126 zum anderen konnten sie eben jenen kausalen Zusammenhang zwischen den Dimensionen und dem Markenwert, sowohl aus Anbieter- als auch Nachfrager-Perspektive empirisch aufzeigen.127 Bestätigen lassen sich die Ergebnisse hinsichtlich der Dimensionen des Markenwerts ebenfalls durch die Studie von Golicic et al. (2012).128 Wie auch Davis et al. (2008)129 finden Golicic et al. (2012) bei ihrer Befragung von Logistikdienstleistern (Anbieter-Perspektive) einen stärkeren Effekt für die Markenbekanntheit auf den Markenwert. Im Einklang mit dem von Esch (2018) proklamierten Verständnisses der Markenbekanntheit als notwendige Bedingung zum Aufbau des Markenwert, schlussfolgern Golicic et al. (2012) daher aus ihren Ergebnissen, dass die Logistikdienstleister erst kürzlich auf das Markenmanagement aufmerksam geworden sind und somit ihren Informationsvorteil primär zur Ausweitung der Markenbekanntheit anstatt zum Aufbau des Markenimages nutzen.130 Auch Marquardt et al. (2011) verweisen in ihrer qualitativen Studie darauf, dass die wenigsten Logistikdienstleister bisweilen ein aktives Markenmanagement betreiben – ihnen fehlen das nötige Wissen für die Marketingkonzepte wie auch die finanziellen Ressourcen. Sofern aber ein aktives Markenmanagement betrieben wird, erfolgt dies primär mit Hilfe interner Marketingmaßnahmen.131 Interessanterweise lassen sich die Erkenntnisse zum Zusammenhang des Markenwerts und seiner Dimensionen aus der Nachfrager-Perspektive nicht vollumfänglich bestätigen. Vielmehr trägt hier das Markenimage stärker zum Markenwert bei. So empfehlen Davis et al. (2008), dass Logistikdienstleister stärker in den Aufbau eines konsistenten Markenimages anstatt in Werbung investieren sollten, um Markenwert zu generieren. Diese Ergebnisse132 spiegelt auch das ursprüngliche Modell von Juntunen et al. (2011) wider.133 Tatsächlich konnten dann Balmer et al. (2020) mit ihrer Untersuchung auf der Individualebene134 aufzeigen, dass das Markenimage einen Einfluss auf das Beschaffungsverhalten ausübt. So sind Beschaffungsmanager bei Logistikdienstleister mit einem starken Markenimage eher bereit den Vertrag zu erneuern und einen Preisaufschlag zu akzeptieren.135 Zwar stellen Serbetcioglu und Göçer (2020) erst kürzlich mittels einer qualitativen Inhaltsanalyse fest, dass Logistikdienstleister Social Media einsetzen, um Markenbekanntheit aufzubauen und Kundenmanagement zu etablieren, jedoch der Aufbau des Markenimages noch immer vernachlässigt wird.136 Insofern kann konstatiert werden, dass bei den Logistikdienstleistern seit der Studie von Davis et al. (2008) noch kein wesentliches Umdenken hin zum Markenimage-Aufbau stattgefunden hat.
Juntunen et al. (2011) beabsichtigten in ihrer Studie nicht nur die Bestätigung des Markenwert-Konzepts, sondern auch die Untersuchung dessen Einflusses auf dieKundenloyalität.137 Im ursprünglichen, aber ungeeigneten Modell liegt der hypothetisierte Effekt zwar vor, jedoch zeigt sich nach der Modellanpassung lediglich ein Einfluss des Markenimages auf die Kundenloyalität.138 Insofern führt nicht der Markenwert als übergreifendes Konzept, sondern ausschließlich die Dimension des Markenimages zu einer Erhöhung der Kundenloyalität. Dieses Ergebnis unterstreicht erneut die Wichtigkeit des Markenimages für die Logistikdienstleister. Geschwächt werden diese Erkenntnisse allerdings im weitesten Sinne durch Rauyruen et al. (2009) und insbesondere durch Grant et al. (2014). Aufgrund der signifikanten Zusammenhänge sowohl zwischen der einstellungsbezogenen Loyalität und den beiden Variablen des Preisaufschlags als auch zwischen der Kaufintention und des „Customer Share of Value“, leiten die Autoren einen Einfluss der Loyalität auf den Markenwert ab.139 Damit liefern sie Grund zur Annahme, dass eine Steigerung der Kundenloyalität zu einer Erhöhung des Markenwertes führt und nicht umgekehrt. Grant et al. (2014) führen weitere Evidenzen für diesen kausalen Zusammenhang an und widerlegen explizit in einer ergänzenden Analyse den Effekt des Markenwertes auf die Loyalität.140 Ungeachtet der Kausalrichtung kann registriert werden, dass Loyalität und Markenwert bei Logistikdienstleistern eng miteinander verbunden sind.
Insgesamt finden sich bei den aufgeführten Studien konträre Ergebnisse sowohl hinsichtlich des Markenwerts und seinen Dimensionen als auch hinsichtlich der Kausalität zwischen dem Markenwert und der Kundenloyalität. Dennoch lässt sich aus der Literaturanalyse für die vorliegende Arbeit folgende LTE 6 übergreifend festhalten:
LTE 6:Bisherige Forschungsarbeiten zur Schnittstelle zwischen B2B-Marken und Logistikdienstleistungen (I ∩ III) fokussieren überwiegend den Markenwert und damit das Markenmanagement, bzw. -aufbau. Die Untersuchungen erfolgen sowohl aus Anbieter- als auch Nachfrager-Perspektive, jedoch fast ausschließlich auf Unternehmensebene.
Obwohl das Marketing und der Markenaufbau bei Logistikdienstleistern selten priorisiert werden,141 besteht bei ihnen grundsätzlich das Wissen um deren Wichtigkeit.142 Gleichermaßen sind sie sich auch dessen Wirkung in Beschaffungssituationen bewusst. Schließlich können sich Beschaffungsmanager so besser für eine getroffene Auswahlentscheidung gegenüber ihrem Management rechtfertigen.143 Folglich sollte der Markenaufbau ein wesentliches Element der strategischen Planung und Führung von Logistikdienstleistern sein.144 Homburg und Lüers (2007) fassen die Diskussion um die Relevanz von Marken bei Logistikdienstleistern wie folgt zusammen: „Auch wenn Marken in der Logistikbranche – mit Ausnahme der Integratoren – bisher eher stiefmütterlich behandelt wurden, so ist doch zu erwarten, dass ihre Relevanz im Logistikdienstleistungsmarkt steigen wird.“145 Grundsätzlich suggeriert die wissenschaftliche Literatur, neben den Praktiker-Aussagen,146 die Relevanz von Marken für Logistikdienstleister,147 weshalb LTE 7 wie folgt formuliert werden kann:
LTE 7:Marken sind für Logistikdienstleister grundsätzlich relevant und wichtig.
Ansetzend an den Ausführungen in Kapitelabschnitt 2.1.1.1.4 bleibt damit noch zu bestimmen, welche Marken-Erscheinungsform Logistikdienstleister aufbauen und Beschaffungsmanager in ihrer Auswahlentscheidung wahrnehmen. Die Analyse der relevanten Beiträge zu B2B-Marken bei Logistikdienstleistern offenbart eine Exklusivität von Dienstleistungs- und Unternehmensmarken.148 Wie bereits zuvor erörtert, zeigt sich auch in diesen Arbeiten ein vermeintlich ähnliches Verständnis der beiden Begriffe.149 So wird bei den Untersuchungen von Dienstleistungsmarken häufig die Definition von Berry (2000) zugrunde gelegt, wonach explizit Unternehmen durch Dienstleistungsmarken repräsentiert werden.150 Darüber hinaus stimmt in den meisten Fällen der Markenname mit dem Nachnamen des Unternehmenseigners überein.151 Schließlich konkludieren Davis et al. (2008) für Logistikdienstleister: „For many logistics service providers, the company name is the brand.“152 Aus dieser Argumentation153 kann somit folgende LTE 8 bestimmt werden:
LTE 8:Die Nachfrager von Logistikdienstleistungen beziehen sich in ihrer Entscheidung auf die Unternehmensmarken (Dienstleistungsmarken)154der Logistikdienstleister.
2.1.2 Forschungsfeld II – Organisationale Beschaffung
Die Beschaffung als betriebswirtschaftliche Funktion übt „unternehmens- und/oder marktbezogene Tätigkeiten“155 aus, um die Organisationseinheiten eines Unternehmens mit jenen nicht-selbst produzierten Objekten zu versorgen, die diese zwingend benötigen.156 Die Beschaffungsobjekte werden je nach Autorenauffassung unterschiedlich spezifiziert. So gelten beispielsweise bei Grochla (1978) und Hammann und Lohrberg (1986) neben Sachgütern und Dienstleistungen auch Personal, Kapital oder Rechte zu den Beschaffungsobjekten.157 Eine selektivere, an Industrieunternehmen ausgerichtete Klassifikation von Beschaffungsobjekthauptgruppen nimmt dagegen Large (2013) vor. Er differenziert Produktionsmaterial, Betriebsstoffe, Investitionsgüter, Dienstleistungen und Handelswaren.158 Insofern gelten auch die in der vorliegenden Arbeit anvisierten Logistikdienstleistungen als klassische Beschaffungsobjekte. Neben den Objekten differenziert und spezifiziert die einschlägige Beschaffungsliteratur auch die verschiedenen Managementaufgaben. Koppelmann (2000) unterscheidet beispielhaft zwischen Situationsanalyse, Bedarfsanalyse, Beschaffungsmarktanalyse und -auswahl, Lieferantenanalyse und -auswahl, Lieferantenverhandlung sowie Beschaffungsabwicklung.159 Innerhalb des Beschaffungsmanagements gilt insbesondere die Lieferantenauswahl als erfolgskritisch und wird von nicht wenigen Autoren und Experten als die wichtigste Aktivität der Beschaffung beschrieben. Denn mit geeigneten Lieferanten kann in Zukunft eine erfolgreiche und stabile Lieferanten-Abnehmer-Beziehung aufgebaut, Beschaffungskosten reduziert, und die eigene Produktivität, Produktqualität und -technologie verbessert werden.160 Gleichzeitig kann eine Fehlentscheidung bei der Lieferantenauswahl einen hohen Arbeits- wie auch finanziellen Aufwand im Rahmen der Lieferantensteuerung /-förderung zur Folge haben. Aufgrund ihrer strategischen Relevanz schlägt Large (2013) eine Differenzierung in die zeitlich aufeinander folgenden Ebenen „strategische Lieferantenauswahl“ und „operative Lieferantenauswahl“ vor.161 Hieran ansetzend wird im folgenden Kapitelabschnitt 2.1.2.1 zunächst eine Abgrenzung der beiden Ebenen geliefert, bevor im Anschluss verschiedene Modelle des organisationalen Beschaffungsverhaltens hinsichtlich ihrer Implikationen für das Forschungsinteresse FI 3 und für die Durchführung des Forschungsprojekts analysiert werden. In Kapitelabschnitt 2.1.2.2 werden dann die relevanten Beiträge zur Schnittstelle zwischen organisationaler Beschaffung und B2B-Marken (I ∩ II) hinsichtlich ihrer Implikationen für die Forschungsinteressen FI 1, FI 2 und FI 3 untersucht.
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2.1.2.1 Strategische Lieferantenauswahl und Ansätze des organisationalen Beschaffungsverhaltens
Im Rahmen der strategischen Lieferantenauswahl162 werden Entscheidungen über die Aufnahme von Lieferanten-Abnehmer-Beziehungen mit dem Ziel getroffen, einen neuen Lieferanten für ein Beschaffungsobjekt (probeweise) freizugeben.163 Insofern liegt der strategischen Lieferantenauswahl eine langfristige Orientierung zugrunde.164 Diese Langfristigkeit führt dazu, dass neben anderen Kriterien auch das zukünftige Potenzial und die Entwicklungsmöglichkeiten eines Lieferanten in der Entscheidungsfindung berücksichtigt werden. Der Preis als einziges Entscheidungskriterium ist für diese als strategisch charakterisierte Ebene nicht zweckerfüllend.165 Die strategische Lieferantenauswahl erfordert also die Evaluation mehrerer qualitativer und quantitativer Kriterien166 sowie das Einbeziehen mehrerer interner Stakeholder.167 Bei der operativen Lieferantenauswahl dagegen wird über die Vergabe eines Auftrags an bereits vorselektierte Lieferanten entschieden. Allerdings treten bei Beschaffungsobjekten mit hohen Investitionssummen auch Fälle auf bei denen die beiden Ebenen zeitgleich durchlaufen werden.168 Begutachtet man die einschlägigen Forschungsarbeiten zur „supplier selection“ (Lieferantenauswahl) so wird deutlich, dass überwiegend die von Large (2013) als strategische Lieferantenauswahl deklarierte Ebene untersucht wird. Dies wird sowohl anhand der expliziten Bezeichnung „strategic supplier selection“169 als auch an den Beschreibungen zur Langfristigkeit, dem strategischen Charakter der Entscheidung oder der beabsichtigten Aufnahme einer Lieferanten-Abnehmer Beziehung170 deutlich.
Zur Erklärung der strategischen Lieferantenauswahl können die in der Literatur unter dem Oberbegriff des organisationalen Beschaffungsverhaltens entwickelten Ansätze herangezogen werden.171
Als Ausgangspunkt der vorliegenden Betrachtung des organisationalen Beschaffungsverhaltens wird das Totalmodell von Webster und Wind (1972a) angewendet, da es als eines der umfassendsten Modelle gilt172 und unter anderem die von Wind und Thomas (1980) als Schwerpunkte der organisationalen Beschaffungsverhaltens-Forschung definierten „Buying-Center“, „Beschaffungsprozess“ und „Einflussfaktoren“ berücksichtigt.173 So leiten die Autoren anhand der Charakteristiken der organisationalen Beschaffung174 insgesamt vier Gruppen von Einflussfaktoren ab: 1) Umwelt, 2) Organisation, 3) Buying Center, 4) Individuum.175 Dem Modell zufolge kann die organisationale Beschaffung damit auch als „[…] a decision-making process carried out by individuals, in interaction with other people, in the context of a formal organisation“ verstanden werden.176 Nachfolgend entwickelte Totalmodelle, wie von Sheth (1973) oder Johnston und Lewin (1996), präsentieren ebenfalls eine Reihe unterschiedlicher Einflussfaktoren.177 Insbesondere wird bei Johnston und Lewin (1996) das wahrgenommene Risiko als Erklärungskraft für Unterschiede im organisationalen Beschaffungsverhalten betont.178 Eine umfassende Überprüfung der Totalmodelle ist allerdings aufgrund deren Komplexität, der erschwerten Erfassung einzelner Variablen sowie einzelner Interaktionseffekte unter den Variablen kaum zu leisten.179 Insofern haben sich Forschungsarbeiten bewusst auf die Analyse bestimmter Gruppen oder gar nur einzelner Einflussfaktoren konzentriert.
Die Gruppe der (1) Umweltfaktoren wird bei Webster und Wind (1972a) in die physischen, ökonomischen, legalen, technologischen, politischen und kulturellen Einflüsse untergliedert und vereint damit sämtliche Einflüsse, die das Beschaffungsverhalten extern mitbestimmen.180 Im Rahmen dessen wurden in den letzten Jahren vor allem die Veränderungen der Beschaffungsprozesse und der Buying-Center aufgrund digitaler Technologien und damit einhergehender System- und Plattformunterstützungen analysiert.181 Weiter konnten Studien auch den Einfluss der COVID-19-Pandemie auf das Beschaffungsverhalten aufzeigen. So heben beispielsweise Mora Cortez und Johnston (2020) eine langfristige Beziehungsorientierung bei der Lieferantenauswahl als ersten Schritt zum Verhindern negativer Effekte in der Krise, hervor.182
Hinsichtlich der (2) organisationalen Einflussfaktoren leiten die Autoren vier zentrale Variablensets ab: Beschaffungstechnologie, Organisationsstruktur, Beschaffungsaufgabe und Buying Center. Akzentuiert werden sollen an dieser Stelle die Faktoren, die unter der Beschaffungsaufgabe subsummiert werden und damit aus der Definition der Beschaffungssituation entstehen. In Anlehnung an Robinson et al. (1967) differenzieren Webster und Wind (1972a) fünf Beschaffungsaufgaben und definieren diese als Beschaffungsprozess, wie in Abbildung 2.7 dargestellt.183
Abbildung 2.7
Beschaffungsprozess nach Webster und Wind (1972a)184
Zwar wird der als allgemeingültig einzuschätzende Beschaffungsprozess von Webster und Wind (1972a) auch bis dato noch verwendet, allerdings haben sich auch eine Reihe alternativer Prozesse in der wissenschaftlichen Literatur verbreitet. So weisen diese zum Teil mehr oder weniger Prozessschritte185 auf oder gelten für einen spezifischen Untersuchungskontext.186 Hieraus ergibt sich für die vorliegende Arbeit die Aufgabe zu analysieren, wie die Auswahl von Logistikdienstleistern als Prozessmodell in der Literatur erfasst wird. Diese Auseinandersetzung folgt daher in Kapitelabschnitt 2.1.3.3.1.
Unter den Arbeiten des organisationalen Beschaffungsverhaltens wird häufig das Beschaffungsobjekt als einflussreichster Faktor in der Gruppe der „Beschaffungsaufgaben“ diskutiert.187 Auch stellen Johnston und Lewin (1996) im Rahmen ihrer Literaturanalyse fest, dass das Beschaffungsobjekt eine der häufigsten untersuchten Determinanten organisationalen Beschaffungsverhaltens ist.188 Dies impliziert für die vorliegende Studie, dass die Art der Logistikdienstleistung das Beschaffungsverhalten maßgeblich bestimmen dürfte. Hieraus ergibt sich eine zweite Aufgabe, nämlich herauszuarbeiten, welche Logistikdienstleistungen grundsätzlich unterschieden werden können. Diese Auseinandersetzung folgt in Kapitelabschnitt 2.1.3.1.
Im Rahmen der (3) interpersonellen Einflussfaktoren gilt es insbesondere die Rollen innerhalb eines Buying-Centers, die Interaktionen zwischen den Individuen eines Buying-Centers und das Zusammenspiel der Gruppe als Gesamtkonstrukt zu beachten.189 Als Buying-Center190 wird jener meist nicht institutionell verankerte Zusammenschluss aller an einem Beschaffungsprozess beteiligter Personen verstanden, die gemeinsam interagieren, um eine organisationale Beschaffungsentscheidung zu erwirken.191 Zur Erklärung und Darstellung der Beziehungen der Buying-Center Mitglieder untereinander präsentiert die Forschung zum organisationalen Beschaffungsverhalten verschiedene Rollenkonzepte, unter anderem jenes von Webster und Wind (1972a).192 Dieses umfasst fünf193 verschiedene Rollen: Benutzer, Beeinflusser, Einkäufer, Entscheider und Informationsselektierer. Als Benutzer werden jene Personen bezeichnet, die nach erfolgter Lieferantenauswahl mit dem Beschaffungsobjekt arbeiten müssen. Sie gelten als Erfahrungsträger und Experten hinsichtlich des Beschaffungsobjektes. Die Beeinflusser hingegen nehmen häufig informell auf die Entscheidung Einfluss, indem sie beispielsweise technische Spezifikationen erarbeiten und weiterreichen. Buying-Center Mitglieder, die die formale Autorität besitzen, die Beschaffung bzw. die Lieferantenauswahl zu tätigen, werden der Rolle des Einkäufers zugeordnet.194 Hinsichtlich der Unterscheidung zwischen operativer und strategischer Beschaffung vermerken Backhaus und Voeth (2014), dass Mitarbeiter der operativen Beschaffung eher als Einkäufer, Mitarbeiter der strategischen Beschaffung aufgrund ihrer höheren hierarchischen Stellung in der Organisation eher als Entscheider in Erscheinung treten.195 Als Entscheider werden also diejenigen Personen bezeichnet, die aufgrund ihrer Hierarchie- und Machtposition die Beschaffungsentscheidung letztlich treffen werden. Schließlich werden unter der Bezeichnung der Informationsselektierer diejenigen Mitglieder gefasst, die den Beschaffungsprozess informell durch Steuerung der Informationsweitergabe beeinflussen.196 Wichtig ist festzuhalten, dass sowohl einzelne Personen mehrere Rollen gleichzeitig einnehmen als auch einzelne Rollen von mehreren Personen besetzt sein können, was die Zuordnung der Rollen zu Personen erschwert.197 Da angenommen wird, dass die Zusammensetzung und die Rollenverteilung innerhalb des Buying-Centers unter anderem durch die Beschaffungssituation bestimmt wird,198 ergibt sich für die vorliegende Arbeit eine dritte Aufgabe, nämlich, die Zusammensetzung und die Rollenverteilung des Buying-Centers für die Auswahl von Logistikdienstleistern zu analysieren und konkretisieren. Diese Auseinandersetzung folgt daher in Kapitelabschnitt 2.1.3.3.1.
Des Weiteren gehen Webster und Wind (1972a) davon aus, dass auch die Motivation, das Lernen, die kognitive Strukturen, das Rollenverhalten und die Persönlichkeit der (4) Individuen die Beschaffungsentscheidung maßgeblich beeinflussen.199 So hat sich in den letzten Jahren unter der Bezeichnung des „Behavioral Supply Managements“ ein Forschungsstrom gebildet, der sich primär mit dem individuellen Entscheidungsverhalten von Beschaffungsmanagern unter Berücksichtigung kognitiver Verzerrungen auseinandersetzt.200 Aber auch der Einfluss von Persönlichkeitsmerkmalen und Emotionen auf die Beschaffungsentscheidung wurden bereits in Publikationen untersucht.201 Die Legitimation solcher Studien erwächst unter anderem aus dem in der organisationalen Beschaffungsforschung erarbeiteten Verständnis. Denn die organisationale Beschaffungsentscheidung kann als das Resultat individuellen Informations- und Entscheidungsverhaltens, welche zur Gruppenentscheidung202 unter Berücksichtigung von Einfluss- und Machtstrukturen aggregiert werden, aufgefasst werden.203
Das Prozessmodell von Choffray und Lilien (1978) stellt eben jene beiden Entscheidungsebenen als „Präferenzbildung bei den Mitgliedern des Buying-Centers“ und „Präferenzbildung bei der Gesamtorganisation“ in den Vordergrund. Demnach trifft zunächst jedes Mitglied des Buying-Centers entlang seiner Bewertungskriterien eine eigene Präferenz, welche schließlich dann in eine Gruppenpräferenz übergeht. Auch Webster und Wind (1972a) argumentieren explizit für das Individuum als Ausgangspunkt organisationaler Beschaffungsentscheidungen: „In the final analysis, all organizational buying behaviour is individual behaviour. […] The individual is at the center of the buying process […]“204 In anderen Worten: „To understand organizational buying behavior we need to understand also the behavior of the organizational buyer as an individual.“205 Ferner verweisen die Autoren darauf, dass es für die Implementierung von Marketingaktivitäten sinnvoll sein kann, zunächst zu spezifizieren welche Informationen und welche Kriterien die verschiedenen individuellen Beschaffungsentscheider zur Entscheidungsfindung heranziehen.206 Insofern wird die folgende LTE 9 abgeleitet:
LTE 9:Das Individuum und sein Informations- und Entscheidungsverhalten bilden die Grundlage des organisationalen Beschaffungsverhaltens.
Des Weiteren lässt sich aus den Modellen des organisationalen Beschaffungsverhaltens als auch aus den ausgewählten Forschungsergebnissen, folgende LTE 10 vor dem Hintergrund des Forschungsinteresses FI 3 allgemeingültig formulieren:
LTE 10:Das organisationale Beschaffungsverhalten wird grundsätzlich von unterschiedlichen Faktoren (u. a. individuelle und organisationale Charakteristiken) beeinflusst.
2.1.2.2 Die Rolle von B2B-Marken in der organisationalen Beschaffung (I ∩ II)
An der Schnittstelle zwischen organisationaler Beschaffung und B2B-Marken lassen sich drei Forschungsströme identifizieren. Der erste Forschungsstrom beschäftigt sich primär mit der Fragstellung, ob Marken in der organisationalen Beschaffung als Kriterium berücksichtigt werden und generell bedeutsam sind (engl. „do brands matter?“). Hieraus entwickelte sich dann ein zweiter Forschungsstrom, der darauf abzielt, die Frage zu beantworten, wann Marken berücksichtigt werden (engl. „when do brands matter?“).207 Der dritte Forschungsstrom adressiert schließlich die Fragestellung, warum Marken in der organisationalen Beschaffung berücksichtigt werden (engl. „why do brands matter?“). Diese drei Forschungsströme sind strukturgebend für das vorliegende Kapitel. So soll zunächst die Marke als Selektionskriterium unter Bestimmung der Markenwichtigkeit analysiert werden (Kapitelabschnitt 2.1.2.2.1), bevor im Anschluss das fokale Konstrukt der Untersuchung – die Markensensibilität – abgeleitet und beeinflussende Faktoren und Konsequenzen aufgezeigt werden (Kapitelabschnitt 2.1.2.2.2). Abschließend werden die Markenfunktionen betrachtet (Kapitelabschnitt 2.1.2.2.3).
2.1.2.2.1 Bestimmung der Markenwichtigkeit – B2B-Marken als Selektionskriterium
In den Forschungsarbeiten zur strategischen Lieferantenauswahl wird die Marke als explizites Selektionskriterium nur sehr selten aufgeführt. Hier stehen Kriterien, wie Preis, Qualität, Lieferung, Technologie etc. eher im Fokus.208 Anhaltspunkte zur Bedeutung der Marke als Selektionskriterium liefert dagegen die Marketingforschung.209
So konnten beispielsweise Bendixen et al. (2004) mithilfe einer Conjoint-Analyse zeigen, dass die Marke nach Lieferzeit, Preis und Technologie die viert-höchste relative Wichtigkeit (16 %) aufweist. Unter den Mitgliedern des Buying-Centers, die die Rollen des technischen Spezialisten (24 %), Nutzers (28 %) und Entscheiders (19 %) einnehmen, war die relative Wichtigkeit dagegen etwas höher ausgeprägt als beim Gesamtsample.210 Auch Sinclair und Seward (1988) rechnen dem Markennamen insgesamt eine unterstützende Rolle neben dem Hauptselektionskriterium Preis an.211 Zwar gilt die Arbeit von Mudambi (2002) als richtungsweisend für die Forschung von Marken im Kontext der organisationalen Beschaffung,212 jedoch musste auch sie anerkennen, dass andere Attribute, wie physikalische Produkteigenschaften, Preis, technischer Support oder die Transportservices in ihrem Gesamtsample eine höhere Relevanz bei der Lieferantenauswahl aufweisen als die Markenattribute (Markenbekanntheit, allgemeine Reputation, Markenkauftreue). Innerhalb ihres Gesamtsamples konnte Sie aber mithilfe einer Clusteranalyse eine Gruppe („branding-receptive“) identifizieren, die den Markenattributen eine hohe Bedeutung beimessen.213 Des Weiteren unterstützt auch die Studie von Zablah et al. (2010) die Annahme einer schwachen bis moderaten Wichtigkeit der Marke. Im Ergebnis nimmt die Marke den fünften Platz unter insgesamt sechs Selektionskriterien ein – es überwiegen wiederum die traditionellen Kriterien Logistik/Distribution und Preis.214 Zur Bestimmung der relativen Wichtigkeit der Marke in Abhängigkeit von anderen Selektionskriterien entwickeln sie als Konstantsummenskala operationalisiert die Variable „Markenwichtigkeit“215.216 Ferner decken sich diese Ergebnisse auch mit der Studie von Gomes et al. (2016), wonach die Markenbekanntheit und Markenreputation in der Wichtigkeit deutlich nach den Attributen Preis, Transportservice und Technologie folgen. Die Autoren sprechen daher bei der Marke auch von einem zweitrangigen Kriterium.217
Interessanterweise existieren aber auch Studien, die der Marke eine überragende Bedeutung bei der strategischen Lieferantenauswahl nachweisen. So ist bei Walley et al. (2007) der Markenname (38,95 %) – noch vor Preis und Qualität – das wichtigste Selektionskriterium.218 Bestätigt wird dies ebenfalls durch eine Conjoint-Analyse in der Studie von Alexander et al. (2009). Auch hier weist die Marke die höchste Wichtigkeit (37,55 %) auf und ermöglicht den Anbietern von Industriereifen so einen wesentlichen Preisaufschlag. Hinsichtlich der Rollen im Buying-Center wird deutlich, dass sich vorwiegend die Entscheider (48,07 %) und Nutzer (42,05 %) auf die Marke verlassen.219 Unter diesem Aspekt sind die Ergebnisse durchaus mit der Studie von Bendixen et al. (2004) vergleichbar – auch sie fanden höhere Werte bei den Nutzern und Entscheidern eines Buying-Centers.220 Des Weiteren verzeichnet Hutton (1997) für die organisationalen Nachfragern von Disketten, Fax-, Kopiergeräten und Computern eine hohe Bereitschaft für markierte Produkte einen Preisaufschlag zu zahlen, sowie diese weiterzuempfehlen.221 Ferner berichten Shipley und Howard (1993) als auch Michell et al. (2001), in einer Neuauflage der Befragung von 1993, dass die Industrieunternehmen einen wesentlichen Vorteil durch den Einsatz von Markennamen und einer Markenstrategie wahrnehmen.222 Dies führen sie unter anderem auf die intangiblen Assoziationen mit der Marke zurück.223
Schließlich kann festgehalten werden, dass die analysierten Beiträge der Marke als Selektionskriterium ausnahmslos eine Bedeutung zusprechen. Im Verständnis der Marke als intangibler Faktor merken auch Mudambi et al. (1997) an, dass “[…] intangible factors matter, even in rational and systematic decision-making.”224 Hieran ansetzend lässt sich also folgende LTE 11 vor dem Hintergrund des Forschungsinteresses FI 1 allgemeingültig festhalten:
LTE 11:B2B-Marken besitzen in der organisationalen Beschaffung Relevanz und werden als Selektionskriterium bedacht.
Gleichzeitig konnte allerdings auch beobachtet werden, dass die Studien hinsichtlich der Ausprägungen der Markenwichtigkeit heterogen sind. So misst ein Teil der Studien der Marke eine geringe bis moderate Wichtigkeit,225 ein anderer Teil der Studien eine überragende Wichtigkeit bei.226 Diese Tatsache lässt vermuten, dass die Bedeutung von Marken von Kontextfaktoren wie Beschaffungsobjekt, Beschaffungssituation oder individuellen Charakteristiken der Beschaffungsmanager – ganz im Sinne der Totalmodelle des organisationalen Beschaffungsverhaltens227 – abhängig ist. Demnach wird die Frage aufgeworfen, wann Marken eine Rolle spielen. Der folgende Kapitelabschnitt beschäftigt sich mit dieser für die Forschungsinteressen FI 2 und FI 3 relevanten Fragstellung.
2.1.2.2.2 Bestimmung der Markensensibilität als zentrales Konzept und Analyse von Einflussfaktoren und Konsequenzen
Um analysieren zu können, inwiefern einzelne Kontextfaktoren die Rolle der Marke in der strategischen Lieferantenauswahl beeinflussen, bedarf es eines geeigneten Konzeptes. Die in der Konsumentenforschung häufig betrachteten Markenimage oder Markenbekanntheit schienen aufgrund ihrer konzeptionellen Beschränktheit auf eine einzelne Marke228 zu diesem Zweck ungeeignet,229 weshalb zunächst Hutton (1997), Brown (2007) und dann Zablah et al. (2010) die von Kapferer und Laurent (1988) entwickelte Markensensibilität – ganz im Sinne von LTE 5 – aus der Konsumentenforschung in die Industriegüterforschung transferierten. Sie beschreibt demnach das Ausmaß in dem Markennamen und/oder Markenassoziationen in der organisationalen Beschaffungsentscheidung berücksichtigt werden.230
Auffallend ist, dass die Markensensibilität entweder auf organisationaler oder Buying-Center Ebene erhoben wurde,231 obwohl das Konstrukt ursprünglich auf individueller Ebene konzeptualisiert wird.232 Insofern untersuchen die Studien233 definitorisch eigentlich die organisationale bzw. Buying-Center Markensensibilität, wie beispielsweise bei Sharma und Sengupta (2020) als „organisational brand sensitivity“234 und bei Brown et al. (2012) als „buying-center brand sensitivity“235 explizit hervorgehoben. Hinsichtlich Forschungsinteresse FI 2 lässt sich folgende LTE 12 bestimmen:
LTE 12:Bisherige Forschungsarbeiten zur Schnittstelle zwischen B2B-Marken und organisationaler Beschaffung (I ∩ II) verwenden das Konzept der Markensensibilität, um zu untersuchen, inwiefern verschiedene Faktoren die Berücksichtigung von Marken in der organisationalen Beschaffung beeinflussen. Die Konzeptualisierung erfolgt hierbei auf organisationaler oder Buying-Center-Ebene.
Nach der Bestimmung der Markensensibilität als zentrales Konzept sollen nun deren Einflussfaktoren gemäß der Einteilung von Webster und Wind (1972a)236 analysiert werden:
(2)
Organisation
Auf der organisationalen Ebene lassen sich die Einflussfaktoren in beschaffungssituations- und beschaffungsobjektbezogen untergliedern. Hinsichtlich des Beschaffungsobjekts konnten Studien aufzeigen, dass die Markensensibilität mit dem Grad der Tangibilität ansteigt.237 Diese Ergebnisse sind überraschend, da die Service-Marketing Literatur Erkenntnisse liefert, die Marken insbesondere bei intangiblen Produkten und Dienstleistungen eine bedeutende Rolle zusprechen.238 Darauf bezugnehmend hypothetisiert nämlich auch Brown (2007) einen positiven Einfluss der Intangibilität auf die Markensensibilität.239 Auch Brown et al. (2012) argumentieren, dass “buyers are likely to place less emphasis on brand information when evaluating tangible-dominant offerings.”240 Letztendlich hat sich aber in beiden Arbeiten ein direkter positiver Effekt der Tangibilität auf die Markensensibilität eingestellt.
Hinsichtlich der Beschaffungssituation liefern Gomes et al. (2016) mithilfe des Kaufklassenansatzes241 ein Indiz, dass die Markensensibilität tatsächlich von der Beschaffungssituation abhängig ist. Ihnen zufolge verlassen sich die Mitglieder eines Buying-Centers eher auf die Marke, wenn es sich um einen unmodifizierten Wiederkauf handelt. Sie schlussfolgern daher, dass Marken vorwiegend bei Entscheidungen des Wiederkaufs eine Rolle spielen dürften.242 Ebenfalls konnten signifikante Effekte für die der Beschaffungssituation zugeordneten Faktoren Markenpräsenz, Endkundennachfrage, Beziehungsqualität, Beschaffungskomplexität, -wichtigkeit, -risiko und wahrgenommenes Risiko identifiziert werden.243 Für Markenpräsenz und Endkundennachfrage sind die Ergebnisse eindeutig. Die Markensensibilität steigt mit der Anzahl der am Lieferantenmarkt zur Verfügung stehenden Marken als auch mit der Endkundennachfrage nach Marken.244 Jedoch sind die Einflüsse der anderen aufgezählten Faktoren inkonsistent, weshalb diese nachfolgend im Detail aufgearbeitet werden sollen. Dergestalt konnte Brown (2007) im Rahmen seines dritten Experiments zwar einen positiven Effekt der Beziehungsqualität auf die Markensensibilität aufzeigen, jedoch war dieser weder zuvor bei seiner Hauptstudie signifikant, noch wurde er bei der Modellherleitung positiv hypothetisiert.245
Auch für den Einfluss der Beschaffungswichtigkeit werden widersprüchliche Ergebnisse offenkundig. Lediglich in der Studie von Brown et al. (2012) konnte ein invers U-förmiger Effekt auf die Markensensibilität bestätigt werden. Demnach ist ein Buying-Center vor allem bei einer mittleren Beschaffungswichtigkeit markensensibel. Bei einer geringen Beschaffungswichtigkeit ist das Risiko zu gering, weshalb auf die Risikoreduktionsfunktion der Marke noch nicht zurückgegriffen werden muss. Bei hoher Markenwichtigkeit nimmt der Nutzen der Marken als Informationsquelle ab und gleichzeitig wird der Aufwand zur Informationssuche intensiviert. Diese beiden Effekte sorgen letztlich dafür, dass die Markensensibilität bei geringer und hoher Beschaffungswichtigkeit gering ist.246 Interessanterweise argumentiert Brown (2007) in seiner vorherigen Studie aber noch für einen positiven linearen Zusammenhang zwischen den beiden Variablen, konnte ihn aber empirisch nicht bestätigen.247 Gleichermaßen hat die Beschaffungswichtigkeit – als Kontrollvariable modelliert – bei Brown et al. (2011) weder einen linearen noch quadratischen Effekt auf die Markensensibilität.248 Bei Sharma und Sengupta (2020) konnten ebenfalls keine direkten linearen Wirkungsbeziehungen zwischen der Beschaffungswichtigkeit und die der Markensensibilität konzeptuell zugeordneten Dimensionen „Markeninformationsbeschaffung“, „Markeninformationsverarbeitung“, „Buying-Center Speicher“ festgestellt werden.249 Insgesamt liegen somit für eine invers U-förmige Beziehung zwischen Beschaffungswichtigkeit und Markensensibilität die fundierteren Ergebnisse vor.
Dagegen ergibt sich bei Brown et al. (2011) für die Kontrollvariable Beschaffungskomplexität ein signifikanter positiver linearer Einfluss auf die Markensensibilität.250 Dieselbe Kausalbeziehung musste bei Brown (2007) allerdings verworfen werden – zwar hypothetisiert er einen positiven linearen Effekt, konnte diesen aber weder in seiner Hauptstudie noch in seinem zweiten Experiment empirisch bestätigen.251 Basierend auf informationsverarbeitungstheoretischen Überlegungen gehen Brown et al. (2012) wiederum von einer U-förmigen Beziehung zwischen Beschaffungskomplexität und Markensensibilität aus. Allerdings können sie weder eine lineare noch quadratische Kausalität für ihr Gesamtsample dokumentieren.252 In Folge ihrer Moderationsanalysen scheinen sich für kleinere Abnehmerunternehmen eine positive lineare253, für intangibel-dominante Produkte eine U-förmige, für tangibel-dominante Produkte eine invers U-förmige und für das Vorliegen von vertraglichen Bindungen254 wiederum eine positive lineare Beziehung zwischen Beschaffungskomplexität und Markensensibilität zu ergeben.255 Erneut sind die Ergebnisse also äußerst heterogen. Bei Betrachtung der Beziehung zwischen der Beschaffungskomplexität und der Markensensibilitätsdimensionen nach Sharma und Sengupta (2020) muss auch konstatiert werden, dass die beiden Konzepte weitestgehend unabhängig voneinander sind. Lediglich für die Dimension Buying-Center Speicher konnte ein positiver linearer Effekt verzeichnet werden, d. h. der Buying-Center Speicher steigt mit der Beschaffungskomplexität.256 Da auch Brown et al. (2011) in einer erweiterten Prüfung ihrer Kontrollvariablen keinen quadratischen Effekt aufzeigen konnten,257 liegen insgesamt betrachtet fundiertere Ergebnisse für einen positiven linearen Effekt zwischen Beschaffungskomplexität und Markensensibilität vor.
Für das Beschaffungsrisiko leiten Brown et al. (2011) eine U-förmige Beziehung zur Markensensibilität ab und können diese auch in ihren beiden Studien regressionsanalytisch aufzeigen.258 Insofern ist das Buying-Center bei geringem Beschaffungsrisiko unmotiviert eine ausführliche Informationssuche und -auswertung zu vollziehen und verlässt sich somit auf Markeninformationen. Im Anschluss fällt die Markensensibilität mit steigendem Beschaffungsrisiko, da das Buying-Center seine Bestrebungen in der Informationssuche und -auswertung intensiviert und die Informationsmenge gleichzeitig noch handhabbar ist, bevor bei hohem Risiko die Informationen zu einer kognitiven Überlastung führen und die Marken mit ihrer Risikoreduktionsfunktion wieder berücksichtigt werden.259 Des Weiteren prüfen die Autoren lineare und kubische Effekte für das Beschaffungsrisiko – auch diese sind signifikant.260 Überraschend ist hierbei allerdings, dass der lineare Effekt bei beiden Studien negativ ist, obwohl die Respondenten in den Vorab-Interviews eine positive lineare Beziehung zwischen Beschaffungsrisiko und Markensensibilität erkennen ließen.261 So schlussfolgern Brown et al. (2011) zunächst aus den Interviews: „B2B brands are likely to matter the most in high-risk purchase situations, while the more objective factors (e.g., price) are likely to be more dominant in low-risk situations.“262 Eine vertiefende Analyse des Beschaffungsrisikos über die verschiedenen Risikotypen263 unterstreicht noch einmal die Heterogenität der Wirkungsbeziehung. Auf der einen Seite festigt sich der U-förmige Effekt für das Gesamtrisiko sowohl in Studie 1 als auch in Studie 2,264 auf der anderen Seite sind die Beziehungen zur Markensensibilität für Performancerisiko, finanzielles Risiko und soziales Risiko in Studie 1 positiv-linear ausgeprägt. In Studie 2 hingegen zeigen sich negative lineare als auch U-förmige Beziehungen für Performancerisiko und finanzielles Risiko, während für das soziale Risiko nur der negative lineare Effekt signifikant wird. Die Autoren konkludieren schließlich, dass die einzelnen Risikodimensionen in Abhängigkeit vom Kontext unterschiedlich auf die Markensensibilität einwirken.265 Wiederum suggeriert Hutton (1997) mit seiner Analyse des persönlichen und organisationalen Risikos eine positive lineare Beziehung zur Markensensibilität. Seiner Erhebung zufolge hat das persönliche Risiko mehr Erklärungsgehalt für die Markensensibilität, obwohl die Respondenten in den eingangs geführten persönlichen Interviews angaben, eher durch das organisationale Risiko motiviert zu sein, Marken zu berücksichtigen.266 Ebenfalls Unterstützung erfährt die positive lineare Beziehung zwischen Risiko und Markensensibilität durch die Arbeit von Mudambi (2002). Schließlich beschreibt sie die Beschaffungssituation für ihr „markenempfängliches“ Cluster als riskant, d. h. Organisationen sind markenempfänglich, wenn das Risiko in der Beschaffungssituation hoch ist.267 Des Weiteren führt Brown (2007) das wahrgenommene Risiko als zentrale Determinante der Markensensibilität ein. In seiner Herleitung des Strukturgleichungsmodells (Studie 1) unterstellt er dem wahrgenommenen Risiko nicht nur einen positiven linearen, sondern auch einen mediierenden Effekt für die anderen potenziellen Einflussfaktoren auf die Markensensibilität.268 Die statistische Auswertung konnte aber weder die direkte noch die mediierende Wirkung bestätigen.269 Indessen manifestieren die darauffolgenden Experimente (Studie 2,3) die Annahme einer positiven linearen Beziehung und verdeutlichen noch einmal den Erklärungsgehalt des wahrgenommenen Risikos für die Markensensibilität.270 Demzufolge unterstützen die Studienergebnisse grundsätzlich sowohl eine U-förmige als auch eine positive lineare Beziehung zwischen Beschaffungsrisiko und Markensensibilität.
(3)
Buying-Center
Auf der Buying-Center Ebene wurden die verschiedenen Einflussfaktoren meist nur in jeweils einer einzelnen Studie untersucht, weshalb die vorliegenden Ergebnisse wesentlich widerspruchsfreier sind.271 Nach Sharma und Sengupta (2020) hat die Struktur des Buying-Centers, gemessen über die vertikale und laterale Einbindung272, einen Einfluss auf die der Markensensibilität konzeptuell zugeordneten Dimensionen „Markeninformationsbeschaffung“, „Markeninformationsverarbeitung“ und „Buying-Center Speicher“. In einer erweiterten Betrachtung wurde auch deren mediierende Wirkung für die Faktoren der Beschaffungssituation (Beschaffungswichtigkeit, -komplexität) deutlich.273 Ferner steigt die Markensensibilität mit der hierarchischen Position der Buying-Center Mitglieder. Folglich scheinen überwiegend Top-Manager markensensibel zu sein.274 Dies deckt sich auch mit der Studie von Gomes et al. (2016), wonach neben den Top-Direktoren auch die Informationsselektierer eines Buying-Centers besonders markensensibel sind.275 Schließlich konnten Zablah et al. (2010) im Rahmen ihres Hierarchy-of-effects Modell den positiven Einfluss des Markenbewusstseins und der Markenpräferenz auf die Markensensibilität darlegen. Entsprechend steigt die Markensensibilität mit dem Markenbewusstsein und der Markenpräferenz des Buying-Centers.276
(4)
Individuum
Auf der individuellen Ebene wurde vor allem der Einfluss der individuellen Risikoneigung analysiert. Die Ergebnisse sowohl bei Brown (2007) als auch Brown et al. (2012) deuten auf eine positive lineare Beziehung zwischen der individuellen Risikoneigung und der Markensensibilität hin. Dergestalt neigen risikoaverse Individuen eher dazu Marken in der Lieferantenauswahl zu berücksichtigen und gelten daher als markensensibel.277 Bei Brown et al. (2011) konnte diese Wirkungsbeziehung allerdings nicht bestätigt werden.278
Insgesamt kann somit aus den aufgearbeiteten Studienergebnissen für das Forschungsinteresse FI 3 folgende LTE 13 festgehalten werden:
LTE 13:Verschiedeneorganisationale(Intangibilität, Beziehungsqualität, Markenpräsenz, Endkundennachfrage, Beschaffungswichtigkeit, -komplexität, -risiko, wahrgenommenes Risiko),Buying-Center(laterale Einbindung, vertikale Einbindung, hierarchische Ebene, Markenbewusstsein, -präferenz) als auchindividuelleFaktoren (individuelle Risikoneigung) haben Einfluss auf die Markensensibilität. Die Ergebnisse zu den Einflussfaktoren sind aber weitestgehend widersprüchlich.
Weniger umfangreich wurden bislang die Konsequenzen der Markensensibilität erforscht. In Referenz zum Markenhierarchie-Ansatz von Zablah et al. (2010) konnten ebenfalls Casidy et al. (2018) die positive Wirkung der Markensensibilität auf die Markenwichtigkeit aufzeigen.279 Damit kann die Markensensibilität als Intention und die Markenwichtigkeit als ihr nachfolgendes Verhalten interpretiert werden. Denn je umfangreicher Markeninformationen in der Lieferantenauswahl berücksichtigt werden, desto höher dürfte auch die der Marke zugewiesene Wichtigkeit in Relation zu anderen Selektionskriterien ausfallen.280 Dagegen spricht allerdings der ebenfalls von Zablah et al. (2010) identifizierte nicht-lineare Effekt zwischen Markensensibilität und Markenwichtigkeit.281
Des Weiteren gehen Casidy et al. (2018) davon aus, dass sich markensensible Abnehmer auch intensiver zum Lieferanten binden werden. Sie untersuchen daher die Einflüsse des Kundenengagements auf der Wissens- und Einflussebene und konnten diese auch empirisch bestätigen. Insofern führt eine hohe Markensensibilität zu einem verstärkten Feedbackverhalten zum Lieferanten und zu einer gesteigerten positiven Kommunikation über die Lieferantenmarke.282 Für die Konsequenzen lässt sich schließlich folgenden LTE 14 ableiten:
LTE 14:Aus der Markensensibilität folgen nur wenige Konsequenzen. Hierunter zählen die Markenwichtigkeit, als auch das Kundenengagement auf der Wissens- und Einflussebene.
Die empirisch bestätigten Einflussfaktoren und Konsequenzen der Markensensibilität sind in Abbildung 2.8 überblicksstiftend illustriert.
Die gesamtheitliche Auswertung der Markensensibilitätsbeiträge hinlänglich der untersuchten Beschaffungsobjekte offenbart indessen eine Konzentration auf Sachgüter (siehe Tabelle 84).283 Dienstleistungen werden weitestgehend – mit Ausnahme der Arbeit von Casidy et al. (2018) und im weitesten Sinne Gomes et al. (2016)284 – vernachlässigt. Die Untersuchung von Dienstleistungen ist insbesondere auch deshalb interessant, da die Studienergebnisse zum Einfluss der Intangibilität auf die Markensensibilität die jeweils aufgestellten Annahmen widerlegen und damit in sich widersprüchlich sind.285 Für die vorliegende Arbeit soll daher folgende LTE 15 festgehalten werden:
LTE 15:Die Untersuchungen zur Markensensibilität konzentrieren sich vorwiegend auf die Beschaffung von Sachgütern und nicht auf die Beschaffung von Dienstleistungen.
Weiterhin hat die Analyse der Einflussfaktoren gezeigt, dass vorwiegend auf risikobezogene und informationsverarbeitungstheoretische Argumente zur Herleitung der Hypothesen zurückgegriffen wird.286 Dies spiegelt sich auch in der Auswertung der Beiträge hinsichtlich der Theoriefundierung wider (siehe Tabelle 84). Insofern wird zusätzlich folgende LTE 16 abgeleitet:
LTE 16:Das Risiko als auch die Informationsverarbeitungstheorie liefern einen erheblichen Beitrag zur Erklärung, warum und wann Marken in der strategischen Auswahl berücksichtigt werden.
Abbildung 2.8
Einflussfaktoren und Konsequenzen der Markensensibilität287
2.1.2.2.3 Markenfunktionen in der organisationalen Beschaffung
Vor allem im deutschsprachigen Raum hat sich mit der Markenrelevanz ein der Markensensibilität verwandtes Konzept288 zur Untersuchung der Rolle von Marken in der organisationalen Beschaffung etabliert. Auffallend ist aber, dass diese Studien im Gegensatz zu den Markensensibilitätsstudien nicht Kontext- oder Situationsfaktoren, sondern überwiegend Markenfunktionen289 als Determinanten berücksichtigen. Sie adressieren also die Fragestellung, warum Marken in der organisationalen Beschaffung berücksichtigt werden.290
Donnevert (2009) identifiziert insgesamt sechs potenzielle Markenfunktionen als Ergebnis seiner Literatur- und Theorieanalyse: Risikoreduktionsnutzen, Vertrauensnutzen, Prestigenutzen, Informationseffizienznutzen, Konsensfindungsnutzen, Rechtfertigungsnutzen. Allerdings ließen sich nicht alle Markenfunktionen mit ihrem Einfluss auf die Markenrelevanz empirisch bestätigen. Für Informationseffizienznutzen, Konsensfindungsnutzen und Rechtfertigungsnutzen lagen keine signifikanten Effekte vor.291 Überraschend ist dabei insbesondere die Tatsache, dass der Informationseffizienznutzen in der Studie von Donnevert (2009) nicht zu einer gesteigerten Markenrelevanz führt, obwohl Marken aus kognitionspsychologischer Sicht häufig als sogenannte information chunks292 – Verdichtung relevanter Informationen – definiert werden. Zudem konnte der Einfluss der Informationseffizienz in anderen Studien dargelegt werden. Bereits Caspar et al. (2002) bestätigen dem Informationseffizienznutzen den zweitgrößten Effekt nach der Risikoreduktionsfunktion. Derweil konnte der für die Gruppe der Konsumenten überragende Einfluss des Ideellen Nutzens, für die Gruppe der Beschaffungsmanager in dieser Eindeutigkeit nicht repliziert werden.293 Auch Backhaus et al. (2011) konnten auf der einen Seite den deutlichen Einfluss des Risikoreduktions- und Informationseffizienznutzens aufzeigen und mussten auf der anderen Seite den Einfluss des Image-Vorteils auf die Markenrelevanz ablehnen.294 Insofern scheinen die Beschaffungsmanager starke Marken nicht zu wählen, um die eigene Außenwahrnehmung zu verbessern, vielmehr um die Informationssuchkosten und das wahrgenommene Risiko im Entscheidungsprozess zu reduzieren. In Ergänzung zu LTE 16 kann damit nach Analyse der Markenfunktionen in der organisationalen Beschaffung folgende LTE 17 bestimmt werden:
LTE 17:Marken erfüllen in der organisationalen Beschaffung primär eine Risikoreduktions- sowie Informationseffizienzfunktion.
2.1.3 Forschungsfeld III – Logistikdienstleistungen
Mit dem Outsourcing-Trend in den 1980/1990er Jahren,295 begann der Aufschwung zur Entwicklung einer der bedeutendsten Wirtschaftssektoren – der Logistikwirtschaft.296 Während zuvor Industrie- und Handelsunternehmen nahezu ausschließlich Logistikleistungen eigenständig erbrachten,297 übernehmen diese Rolle heutzutage in vielen Fällen Logistikunternehmen – eine „spezielle Form von Dienstleistungsunternehmen“ mit der Aufgabe der „Durchführung von logistischen Handlungen für Dritte“.298 Zum Zwecke der Differenzierung konzipierten und offerierten die Logistikunternehmen ständig neuere und komplexere Logistikdienstleistungen, was letztendlich zu der heute vorzufindenden Vielfalt führte.299 Vor diesem Hintergrund und angesichts der aus den Modellen des organisationalen Beschaffungsverhalten abgeleiteten Aufgabenstellung300 sollen in diesem Kapitelabschnitt zunächst verschiedene Systematisierungsansätze für Logistikdienstleistungen analysiert werden (Kapitelabschnitt 2.1.3.1). Ferner erwuchs aus dem Outsourcing-Trend ein gesteigertes Interesse der wirtschaftswissenschaftlichen Forschung an der Auswahl geeigneter Logistikdienstleister, respektive der Beschaffung von Logistikdienstleistungen.301 In Kapitelabschnitt 2.1.3.2 soll folglich in Ergänzung zur allgemeinen strategischen Lieferantenauswahl nun auch die für die Untersuchung konkretisierte strategische Auswahl von Logistikdienstleistern Gegenstand der Betrachtung sein.
2.1.3.1 Ansätze zur Systematisierung von Logistikdienstleistungen
Nachdem bereits mit der Leitfrage der vorliegenden Arbeit die Auswahl von Logistikdienstleistern bzw. das Beschaffungsobjekt der Logistikdienstleistungen im Allgemeinen festgelegt wurde, gilt es nun, angeregt durch die Ausführungen zum organisationalen Beschaffungsverhalten, herauszuarbeiten, welche Logistikdienstleistungen im Spezifischen unterschieden werden können. Zu diesem Zweck sollen verschiedene Systematisierungsansätze aus Wissenschaft und Gesetzgebung analysiert werden.302
Nach dem Handelsgesetzbuch lassen sich anhand der rechtlichen Normierung exemplarisch drei Handelsgeschäfte, die der Logistik zugeordnet werden können, identifizieren: Frachtgeschäft, Speditionsgeschäft und Lagergeschäft. Aufgrund von technologischen Entwicklungen, gesteigerter strategischer Orientierung und zunehmend individueller Kundenbedürfnisse haben sich allerdings in den letzten Jahrzehnten eine Vielfalt logistischer Leistungen und damit auch Logistikunternehmen ausgebildet,303 die den Umfang der rechtlich normierten Fracht-, Speditions- und Lagergeschäfte übersteigen.304 Insbesondere die nicht eigenständig rechtlich normierten305 Kontraktlogistikleistungen306 – definiert als logistische Leistungsbündel307 – sind hierbei hervorzuheben. Weiterhin kritisiert Large (2012), dass eine eindeutige Kategorisierung von Logistikunternehmen mittels rechtlicher Normierung durch die Anzahl an unterschiedlichen Geschäftsfeldern und komplexen Konzernstrukturen verhindert wird.308 So versuchen vor allem große Logistikunternehmen mehrere logistischen Leistungen abzudecken und stellen ihren Kunden neben Leistungen der Transportausführung, auch Speditions-, Lager- und Kontraktlogistikleistungen zur Verfügung.309
Ferner lassen sich Logistikdienstleistungen über den vom Deutschen Statistischen Bundesamt (2008) definierten Wirtschaftszweig Abschnitt H „Verkehr und Lagerei“ klassifizieren. So kann zwischen „Landverkehr und Transport in Rohrleitungen“, „Schifffahrt“, „Luftfahrt“, „Lagerei“, und „Post-Kurier- und Expressdienste“ unterschieden werden.310 Noch detaillierter untergliedert Klaus (2011) den Markt für Logistikdienstleistungen. Er identifiziert unter Rückgriff auf die drei Dimensionen Zeit, Raum und Objekt insgesamt 13 Submärkte – hierunter beispielhaft Massenguttransporte, integrierte industrielle Kontraktlogistik oder globaler Integrator und Luftfrachtdienste.311 Insgesamt kann an diesen Ansätzen die Anzahl an Ausprägungen und die damit erzeugte Komplexität kritisiert werden. Zudem bleibt unklar ob die Logistikdienstleistungen derart überhaupt vollumfänglich erfasst werden können.
Weniger explizit, dafür generalisierbarer erscheinen dagegen Ansätze, die Logistikdienstleistungen nach der Spezifität, Standardisierung oder Komplexität differenzieren. Beispielsweise leitet Large (2007) aus der Transaktionskostentheorie die beiden Kriterien der Spezifität und Häufigkeit ab und entwickelt mit Bezug zur rechtlichen Normierung ein Entscheidungsraster zur situationsadäquaten Vertragsgestaltung. Wird die Leistung gelegentlich benötigt und handelt es sich um eine wenig spezifische Logistikleistung, so ist beispielsweise ein Frachtvertrag zu wählen. Ist allerdings sowohl die Häufigkeit als auch die Spezifität der benötigten Logistikleistung hoch, sollte auf einen Kontraktlogistikvertrag zurückgegriffen werden.312 Persson und Virum (2001) hingegen bestimmen entlang des Spezifikationsgrades an den Extremen die Basis-Logistikdienstleistungen und die spezialisierten Logistikdienstleistungen.313 Insofern können Logistikdienstleistungen anhand der zur Erbringung der Leistung notwendigen spezifischen Investitionen differenziert werden.314 Mit dem Wissen um die Vermögensspezifität als Voraussetzung zur Erfüllung kundenindividueller Anforderungen,315 werden aber auch Parallelen zum Systematisierungskriterium „Standardisierung“ deutlich.
Denn entlang des Standardisierungsgrades können sowohl die standardisierten, gebündelten als auch die angesprochenen kundenindividuellen Logistikdienstleistungen abgrenzt werden.316 Exemplarisch für standardisierte Logistikdienstleistungen gelten einzelne isolierte Transport- und Lagerleistungen, die für mehrere Kunden in gleicher Art und Weise erbracht werden können.317 Während standardisierte Logistikdienstleistungen vorwiegend ausführender Natur sind, umfassen kundenindividuelle Logistikdienstleistungen sehr häufig Koordinations- und Organisationsaufgaben im Auftrag des Kunden. Die Logistikdienstleistungen sind also spezifisch an die Anforderungen des Kunden ausgerichtet und werden in einigen Fällen sogar durch Finanz- Beratungs- und Produktionsdienstleistungen ergänzt.318 Zwischen den beiden Extremen können die gebündelten Logistikdienstleistungen als eine durch den Kunden beauftragte Zusammenstellung mehrerer standardisierter Einzelleistungen verstanden werden.319
Das Systematisierungsmerkmal „Komplexität“ betreffend präsentieren Andersson und Norrman (2002) mit der Bestimmung der beiden Ausprägungen „Basis-Logistikdienstleistungen“ und „erweiterte Logistikdienstleistungen“320 einen vielfach zitierten Ansatz.321
Abbildung 2.9
Logistikdienstleistungskomplexität nach Andersson und Norrman (2002)322
Wie Abbildung 2.9 zu entnehmen ist, können Basis-Logistikdienstleistungen maßgeblich als auszuführende Einzelleistungen aufgefasst werden. Im Gegensatz zu den erweiterten Logistikdienstleistungen basieren sie auf einer tangiblen und einheitlichen Definition. Die erweiterten Logistikdienstleistungen lassen sich dagegen über den Leistungsumfang als Bündel mehrerer verschiedener Einzelleistungen mit lösungsorientiertem Charakter beschreiben.323 Beispielhaft können die zuvor angesprochenen Kontraktlogistikleistungen als komplexe Logistikdienstleistung eingestuft werden. In seiner Synthese konkludiert Kramer (2016) schließlich, dass die Logistikdienstleistungskomplexität auf der einen Seite durch die Unterschiedlichkeit und Anzahl an Teilleistungen324 und auf der anderen Seite durch die aufzuwendenden Managementleistungen, welche er fortan als Leistungs- und Managementkomplexität bezeichnet, entsteht.325 Hingegen erwächst nach Schmoltzi und Wallenburg (2011) die Logistikdienstleistungskomplexität aus der Art und der geografischen Abdeckung der Logistikdienstleistungen.326
Insgesamt hat sich gezeigt, dass Logistikdienstleistungen auf unterschiedliche Art und Weise systematisiert werden können. Insbesondere scheint hierbei eine Klassifikation entlang des Komplexitätsgrades zweckmäßig. Mit Hilfe dessen können die Vielfalt an Logistikdienstleistungen umfassend und nachvollziehbar erfasst, sowie generalisierbare Aussagen getroffen werden.327 Hinsichtlich der Anwendbarkeit des Komplexitäts-Kriteriums kann außerdem festgehalten werden, dass der Ansatz von Andersson und Norrman (2002) als auch das Merkmal der Komplexität in der wissenschaftlichen Diskussion mehrfach sowohl zur Systematisierung von Logistikdienstleistungen328 als auch zur Beschreibung von Logistikdienstleistungen (e.g. Kontraktlogistikdienstleistungen) herangezogen wurden.329 Auch erkennen Zhu et al. (2017), dass neuere, zu Teilen detailliertere Klassifikationen die Idee von Andersson und Norrman (2002) implizieren.330 Ebenfalls konnten van der Valk und Axelsson (2015) als Ergebnis ihrer systematischen Literaturanalyse zur Klassifikation von Dienstleistungen dem Kriterium der Komplexität eine bedeutende Rolle zusprechen.331 In der Summe der Argumente kann daher mit Bezug zu Andersson und Norrman (2002) und mit dem Wissen um die zentrale Rolle des Beschaffungsobjektes in der Erklärung des organisationalen Beschaffungsverhaltens332 folgende LTE 18 formuliert werden:
LTE 18:Die verschiedenen Logistikdienstleistungen können über den Grad der Komplexität umfassend und nachvollziehbar systematisiert werden. Folglich bestimmt die Logistikdienstleistungskomplexität das organisationale Beschaffungsverhalten.
2.1.3.2 Strategische Auswahl von Logistikdienstleistern (II ∩ III)
In Analogie zu den Ausführungen der Lieferantenauswahl333, kann auch die Auswahl von Logistikdienstleistern anhand der operativen und strategischen Ebene untergliedert werden. Insofern spiegelt die strategische Auswahl von Logistikdienstleistern eine langfristige Orientierung wider334 und umfasst typischerweise das Abschließen von Rahmenverträgen für Basis-Logistikdienstleistungen als auch von Kontraktlogistikverträgen. Häufig wird die strategische Auswahl von Logistikdienstleistern auch als multikriteriale, mehrpersonale, mehrstufige und insgesamt betrachtet als komplexe Entscheidung charakterisiert.335 Zwar zeichnen sich Parallelen hinsichtlich der langfristigen Orientierung der strategischen Lieferantenauswahl und der strategischen Logistikdienstleisterauswahl ab, trotzdem sind die Forschungsergebnisse zwischen den beiden Forschungssträngen nur bedingt übertragbar. Augenscheinlich ist dies daran festzumachen, dass sich die Literatur zur strategischen Lieferantenauswahl stark an der Beschaffung von Sachgütern orientiert und Dienstleistungen vernachlässigt.336 Diesbezüglich weist Aguezzoul (2011) auf deutliche Unterschiede zwischen der Beschaffung von Sachgütern und Dienstleistungen aufgrund deren Charakteristik als Beschaffungsobjekte hin. So können Sachgüter beispielsweise gelagert werden, während Dienstleistungen dann geliefert werden müssen, wenn sie benötigt werden.337 Somit erwächst grundsätzlich der Bedarf nach einer getrennten Analyse der Beschaffung von Dienstleistungen,338 womit die Entstehung des Forschungsstrangs zur Auswahl von Logistikdienstleistern begründet scheint. Schließlich haben die Diskussion um die Rolle der Logistikdienstleister in Supply Chains339 sowie deren ökonomische und wettbewerbsstrategische Bedeutung340 dafür gesorgt, dass das Interesse an der Auswahl geeigneter Logistikdienstleister stetig wächst. Mittlerweile verfügt die empirische Forschung zur strategischen Auswahl von Logistikdienstleistern über einen entsprechend bedeutsamen Umfang an Beiträgen.341 Sinnbildlich hierfür stehen die bereits publizierten Literatur-Reviews.342 Diese Überlegungen können folglich in LTE 19 zusammengefasst werden:
LTE 19:Die Ergebnisse aus den Studien zur strategischen Lieferantenauswahl lassen sich aufgrund divergierender Markt- und Beschaffungsobjekt-Charakteristiken nur eingeschränkt auf die strategische Auswahl von Logistikdienstleistern übertragen. Indessen verfügt die Forschung zur strategischen Auswahl von Logistikdienstleistern (II ∩ III) über einen bedeutsamen Umfang an Beiträgen, ist eigenständig und relevant.
Entsprechend der zuvor abgeleiteten Aufgabenstellungen,343 soll nun der Auswahlprozess spezifiziert und die hierin involvierten Berufsgruppen bestimmt werden (Kapitelabschnitt 2.1.3.3.1), ehe vor dem Hintergrund von Forschungsinteresse FI 1 die Selektionskriterien zur Auswahl von Logistikdienstleistern (Kapitelabschnitt 2.1.3.3.2) Gegenstand der Betrachtung sind.344
2.1.3.2.1 Auswahlprozess und Bestimmung involvierter Berufsgruppen
Mehrere konzeptionelle wie auch qualitative Studien setzten sich in der Vergangenheit mit der Entwicklung von Prozessmodellen zur strategischen Auswahl von Logistikdienstleistern auseinander.345 Eines der ersten und meist-zitierten Prozessmodelle stammt von Sink und Langley (1997). Basierend auf Fallstudien und einer großzahligen Erhebung konnten sie fünf Stufen definieren. Der Prozess setzt bereits bei der Entscheidung zum Outsourcing von Logistikdienstleistungen an. Sobald das Outsourcing als sinnvoll erachtet und das Top-Management seine Zustimmung gegeben hat, können umsetzbare Alternativen mit Hilfe interner sowie externer Expertise entwickelt werden. Anschließend werden verschiedene Logistikdienstleister zunächst anhand mehrerer Kriterien evaluiert, bevor noch in derselben Stufe ein geeigneter Lieferant ausgewählt wird. Mit der vierten Stufe beginnt dann die Erbringung der Logistikdienstleistung gemäß dem Auftrag des Kunden, wobei zunächst ein reibungsloser Übergang durch Einsatz von Trainings und Plänen sichergestellt werden soll. Während der Leistungserbringung bzw. nach Sink und Langley (1997) in der fünften Stufe wird dann die Performance des Lieferanten laufend anhand qualitativer und quantitativer Kriterien evaluiert. Dies kann schließlich den Einsatz von Steuerungsmechanismen oder die Beendigung der Lieferantenbeziehung begründen.346 Im Vergleich dazu beginnen andere Modelle mit der Feststellung des Bedarfs und enden mit der Aufnahme der Beziehung zum Lieferanten – beginnen zeitlich gesehen also später und enden früher. Dafür sind die Teilschritte dazwischen detaillierter untergliedert.347 Sehr ausführlich werden die Phasen nach dem Vertragsabschluss hingegen in den 8-stufigen Prozessmodellen nach Large (2009) oder Bagchi und Virum (1998) thematisiert.348
Zweifelsohne tragen die konzeptionellen Prozessmodelle zum besseren Verständnis der strategischen Auswahl von Logistikdienstleistern bei, jedoch können diese auch missinterpretiert werden. Grundsätzlich sollte nicht davon ausgegangen werden, dass jede strategische Auswahl von Logistikdienstleistern gemäß einer vorgegebenen sequenziellen Rangfolge abläuft.349 Vielmehr ist zu beobachten, dass Unternehmen „[…] cycle and recycle through the phases or even bypass one or more of them.“350 Vor diesem Hintergrund heben auch Andersson und Norrman (2002) Unterschiede im Auswahlprozess für Basis-Logistikdienstleistungen und für erweiterte Logistikdienstleistungen hervor. Beispielsweise ist eine ausführliche Marktanalyse bei der Beschaffung von Basis-Logistikdienstleistungen überflüssig und wird häufig übersprungen, während sie bei der Beschaffung von komplexen Logistikdienstleistungen notwendig ist, um überhaupt geeignete Anbieter am Markt identifizieren zu können.351 Diesen Erkenntnissen folgend scheinen sehr detailreiche, mehrstufige Auswahlprozesse eher der Kritik352 mangelnder Generalisierbarkeit zu unterliegen.353 Ein generalistisches Prozessmodell präsentiert exemplarisch Large (2017). Er unterscheidet lediglich die drei Phasen Definition der Leistungsanforderungen, strategische Auswahl des Logistikunternehmens und Phase nach Vertragsabschluss (siehe Abbildung 2.10).354 Angesichts der hierarchischen Struktur von Entscheidungsprozessen kann das hier vorliegende Prozessmodell von Large (2017) auch als übergeordneter strategischer Auswahlprozess von Logistikdienstleistern, dem weitere Entscheidungsprozesse unterliegen, aufgefasst werden.355
Abbildung 2.10
3-Phasen-Modell zur Auswahl von Logistikdienstleistern nach Large (2017)356
Schlussendlich lässt sich aus der Analyse der verschiedenen Prozessmodelle zur strategischen Auswahl von Logistikdienstleistern folgende LTE 20 ableiten:
LTE 20:Die einschlägige Literatur unterscheidet zwischen verschiedenen organisationalen Phasen bei der strategischen Auswahl von Logistikdienstleistern. Allerdings ist eine klare und detaillierte Abgrenzung dieser Phasen nicht immer beobachtbar bzw. zweckmäßig.
Hinsichtlich der am Auswahlprozess involvierten Abteilungen sprechen Sink und Langley (1997) vor allem der Logistikabteilung eine überragende Rolle zu. Darüber hinaus sind die Geschäftsführung, die Finanz-, Marketing- und Produktionsabteilungen vorwiegend in der Anbahnungsphase des Auswahlprozesses involviert. Mit dem Fortschreiten des Auswahlprozesses sinkt aber deren Beteiligung deutlich.357 Auch Lieb (1992), Lieb et al. (1993), Lieb und Randall (1996), Dapiran et al. (1996) und Millen et al. (1997) konnten für die Finanz-, Marketing-, und Produktionsabteilungen eine Beteiligung dokumentieren.358 Überraschend ist, dass nur eine geringe Mitwirkung der Beschaffungsabteilung bei der Auswahl von Logistikdienstleistern in diesen frühen Studien identifiziert wurde. Zu anderen Resultaten kommen nämlich zunächst Large und Kovács (2001) und später auch Large (2017). Im Detail gelangen Large und Kovács (2001) zu der Erkenntnis, dass die Logistik- und Beschaffungsabteilungen sowohl in Ungarn als auch in Deutschland für die Beschaffung von einfachen Logistikleistungen am häufigsten die finale Entscheidung treffen, während andere Abteilungen lediglich im Auswahlprozess involviert sind (e.g. Marketing oder Qualitätskontrolle).359 Für die Beschaffung von komplexen Logistikdienstleistungen trifft dagegen die Unternehmensführung bei nahezu der Hälfte der untersuchten Fälle die Finalentscheidung. Insbesondere die Entscheidungsgewalt der Logistikabteilung ist bei der Beschaffung komplexer Logistikdienstleistungen deutlich geringer ausgeprägt – der Anteil der Beschaffungsabteilung bleibt aber weitestgehend konstant. Insofern bedingen komplexe Logistikdienstleistungen aufgrund ihrer strategischen Relevanz und der Höhe des Investitionsvolumens den Einbezug der Geschäftsführung als auch der Beschaffungsabteilung.360
Ähnlich wie Sink und Langley (1997) untersucht auch Large (2017) die Beteiligung der verschiedenen Abteilungen entlang der Phasen des Auswahlprozesses. Sowohl bei der Definition der Leistungsanforderungen als auch bei der strategischen Auswahl des Logistikunternehmens treten am häufigsten die Logistik- und Beschaffungsabteilungen auf.361 In Übereinstimmung mit Large und Kovács (2001) konnte ebenfalls eine erhöhte Beteiligung der Geschäftsführung während der Entscheidungsphase festgestellt werden. Nach Vertragsabschluss bleiben die Logistikdienstleister überwiegend mit der Logistikabteilung in Kontakt. Andere Abteilungen sind dann nur noch selten involviert. Eine Auswertung der an der Auswahl beteiligten Berufsgruppen unterstreicht noch einmal die vorherigen Ergebnisse. So agieren exemplarisch der Chief-Purchasing Officer, strategisch und operativ ausgerichtete Logistik- und Beschaffungsmanager aber auch Supply Chain Manager im Auswahlprozess, wobei allen voran der Chief-Logistics Officer am häufigsten die Kommunikation mit den Logistikdienstleistern übernimmt.362
Durch die Literaturanalyse wurde offenkundig, dass sich die Beteiligungen im Zeitverlauf verändert haben. Während die ersten Studien den Abteilungen Logistik, Finanzen, Produktion und Marketing ein starkes Involvement zusprachen, finden aktuellere Studien überwiegend eine Beteiligung für die beiden Logistik- und Beschaffungsabteilungen. Angesichts der Aktualität scheint es daher sinnvoll, sich primär an den Studienergebnissen von Large (2017) zu orientieren. Insofern wird folgende LTE 21 abgeleitet:
LTE 21:Bei der strategischen Auswahl von Logistikdienstleistern sind verschiedene Berufsgruppen involviert, insbesondere aus den Funktionsbereichen Beschaffung und Logistik.
2.1.3.2.2 Selektionskriterien bei der Auswahl von Logistikdienstleistern
Obwohl den traditionellen Attributen, wie Preis oder Qualität in den meisten Auswahlprozessen eine führende Rolle zugesprochen wird,363 sind sie keineswegs als exklusive Kriterien zu verstehen.364 So bestimmt beispielsweise Aguezzoul (2011, 2014) als Ergebnis ihrer Literaturrecherchen 15, bzw. 11 Schlüsselkriterien für die Auswahl von Logistikdienstleistern. In Ergänzung zu den traditionellen Kriterien konnte sie Attribute wie Beziehung, Erfahrung, Zuverlässigkeit, Flexibilität oder Reputation ebenfalls als relevant identifizieren.365 Asian et al. (2019) verwenden sogar insgesamt 24 Kriterien für ihre Untersuchung. Basierend auf der Idee des Kano-Modells kommen sie zu dem Schluss, dass traditionelle Kriterien wie Preis, finanzielle Stabilität oder technologische Innovationen bei der Auswahl von Logistikdienstleistern unverzichtbar sind. Andererseits sind Kriterien wie Kundenservice, Servicequalität und Flexibilität Eigenschaften, die Kunden erwarten bzw. aktiv suchen. Besonders attraktiv sind jedoch Attribute wie Standort, kulturelle Übereinstimmung und die Reputation des Logistikdienstleisters. Diesen Kriterien wird nachgesagt, eine Auswahl zu begünstigen.366 Die Ergebnisse stimmen auch mit den Arbeiten von Stank et al. (2003) und Griffiths et al. (2000) überein, wonach Attribute, wie Performance, Qualität und Technologie oft als selbstverständlich angesehen werden und deshalb bei einem potenziellen Logistikdienstleister gegeben sein müssen, um überhaupt für die Auswahl berücksichtigt zu werden.367 Einen anderen Ansatz verfolgen dagegen Menon et al. (1998). Sie schlagen vor, den Preis erst in der Verhandlungsphase zu thematisieren, wenn Leistungs- und Fähigkeitsattribute bereits umfassend evaluiert wurden, um so mögliche Bewertungsverzerrungen aufgrund des Preises zu reduzieren.368
Anhand ihrer Fallanalyse konnten Andersson und Norrman (2002) zeigen, dass die Berücksichtigung von Auswahlkriterien von der Komplexität der ausgelagerten Leistungen abhängt. Bei einfachen logistischen Dienstleistungen, z. B. bei Inbound-Logistiksystemen überwiegen betriebliche Faktoren wie Kapazität, Ausstattung oder Kosten. Bei komplexeren Logistikdienstleistungen dagegen wird eher auf kulturelle Aspekte, Managementfähigkeiten, IT-Fähigkeiten oder Flexibilität geachtet.369 In den letzten Jahren haben sich dann immer mehr Studien auch auf die soziale und ökologische Nachhaltigkeit von Logistikdienstleister als Auswahlkriterien konzentriert.370 Im Vergleich überwiegt aber weiterhin der Einfluss der ökonomischen Nachhaltigkeit. Die soziale und ökologische Nachhaltigkeit üben einen deutlich geringeren Einfluss auf das Beschaffungsverhalten aus, sind aber dennoch relevant für die Auswahlentscheidung.371
Aus der Menge und Vielfalt an Auswahlkriterien bildeten sich schließlich auch verschiedene Klassifikationen. So unterscheiden Anderson et al. (2011) zwischen ökonomischen Austauschfaktoren, Logistikleistungen, Technologie, Beziehungsattributen, Flexibilität und anderen sozialen Austauschfaktoren.372 Mit Bezug zum Ressource-Based View entwickelten Alkhatib et al. (2015b) ein hybrides Modell tangibler und intangibler Logistikressourcen. Demnach gelten beispielsweise physische (e.g. physische Lagerung, Transport) und IT-basierte (e.g. Tracking und Tracing) Ressourcen und Fähigkeiten als tangible, Humanressourcen (e.g. Wissen), relationale (e.g. Informationsaustausch) oder strukturelle (e.g. Image und Reputation) Ressourcen und Fähigkeiten als intangible Logistikressourcen.373 Dagegen bestimmen Kannan et al. (2011) sieben Klassen (Preis, Kundenservice, Geschäftstätigkeiten, Reputation, Infrastruktur, Ablaufplanung, IT-Orientierung und -kommunikation) für insgesamt 45 Selektionskriterien.374 Mit Hilfe einer ausführlichen Literaturanalyse und mehreren Interviews ordnen schließlich Coltman et al. (2011) 21 Selektionskriterien in fünf Kategorien (interne Faktoren, externe Faktoren, Performance, Kundengebühren, Kontoführung) an.375 Als eine der wenigen Arbeiten führen sie dabei die Marke als Selektionskriterium auf. Ihrem Verständnis nach signalisiert eine Marke „the overall competence that the supplier will deliver.“376
Ferner modellieren Williams et al. (2019) das Selektionskriterium „Marke“ im Rahmen ihrer Conjoint-Studie über die Unternehmensnamen der Logistikdienstleister. Das Ergebnis lässt einen in Relation zu weiteren Kriterien bedeutenden Einfluss der Marke bei der Auswahl von Logistikdienstleistern erahnen.377 Trotz der beiden angeführten Studien von Coltman et al. (2011) und Williams et al. (2019) muss konstatiert werden, dass die Marke als Kriterium für die Auswahl von Logistikdienstleistern in den wissenschaftlichen Abhandlungen bislang weitestgehend ignoriert wurde. Insofern wird als Ergebnis der Literaturanalyse folgende LTE 22 dokumentiert:
LTE 22:Bisherige Forschungsarbeiten zur Schnittstelle zwischen der organisationalen Beschaffung und Logistikdienstleistungen (II ∩ III) vernachlässigen die Marke als Selektionskriterium.
Zudem wurde beobachtet, dass nicht nur traditionelle, tangible Attribute, wie Preis oder Technologie, sondern häufig intangible Attribute, wie Reputation, Flexibilität oder Zuverlässigkeit als Kriterien bei der Auswahl von Logistikdienstleistern berücksichtigt werden. Demzufolge kann LTE 23 wie folgt formuliert werden:
LTE 23:Intangible Selektionskriterien haben einen Einfluss auf die strategische Auswahl von Logistikdienstleistern und werden als Selektionskriterien ausgewiesen.
2.1.4 Synthese – Konkretisierung der Forschungsinteressen, Ableitung eines konzeptionellen Analyserahmens und Zwischenbeurteilung der theoretischen Relevanz
Anhand der gewonnenen Teilerkenntnisse (LTE 1–23) erfolgt nun eine Überführung der Forschungsinteressen FI 1, FI 2, FI 3 in konkrete Forschungsbedarfe (FB), eine methodologische Einordnung dieser Forschungsbedarfe sowie ein Zwischenfazit zur theoretischen Relevanz.
Forschungsinteresse 1
Hinsichtlich Forschungsinteresse 1 liefert die Marketingliteratur zunächst umfassende Evidenz dafür, dass B2B-Marken als Selektionskriterium beachtet werden. Hierzu wird häufig die Wichtigkeit der Marke in Relation zu weiteren Selektionskriterien, die sogenannte Markenwichtigkeit, bestimmt (LTE 11). Allerdings hat sich gezeigt, dass die Studienergebnisse diesbezüglich sehr heterogen sind – ein Teil der Studien misst der Marke eine geringe bis moderate Wichtigkeit, ein anderer Teil der Studien eine überragende Wichtigkeit bei. Ursächlich hierfür scheinen die abweichenden Forschungsdesigns der Studien (e.g. Industrie, Beschaffungsobjekte) zu sein.378 In Anbetracht dessen ist der Aussagegehalt dieser Ergebnisse für den vorliegenden Untersuchungsgegenstand zunächst einmal als gering einzuordnen. Vielmehr noch, da auch die Literaturanalyse eine eingeschränkte Übertragbarkeit der Ergebnisse aus der Forschung zur strategischen Lieferantenauswahl auf die strategische Auswahl von Logistikdienstleistern offenbart hat (LTE 19).379 Demnach bedarf es einer spezifischen Untersuchung der relativen Wichtigkeit von Marken für die Auswahl von Logistikdienstleistern. Interessanterweise aber befassen sich bislang nur sehr wenige Studien zur strategischen Auswahl von Logistikdienstleistern mit der Marke als Selektionskriterium (LTE 22), obwohl den intangiblen und mit der Marke assoziierbaren Attributen (e.g. Reputation) häufig ein Einfluss auf die strategische Auswahlentscheidung eingeräumt wird (LTE 23).380 Lediglich Williams et al. (2019) untersuchen mit Hilfe einer Conjoint-Analyse die Markenwichtigkeit.381 Damit kann generell von einem Forschungsdefizit zur Bestimmung der Markenwichtigkeit bei der strategischen Auswahl von Logistikdienstleistern ausgegangen werden.
FI 1: Inwiefern wird die Marke bei der Auswahl von Logistikdienstleistern als Selektionskriterium beachtet?
LTE 11
B2B-Marken besitzen in der organisationalen Beschaffung Relevanz und werden als Selektionskriterium bedacht.
LTE 19
Die Ergebnisse aus den Studien zur strategischen Lieferantenauswahl lassen sich aufgrund divergierender Markt- und Beschaffungsobjekt-Charakteristiken nur eingeschränkt auf die strategische Auswahl von Logistikdienstleistern übertragen. Indessen verfügt die Forschung zur strategischen Auswahl von Logistikdienstleistern (II ∩ III) über einen bedeutsamen Umfang an Beiträgen, ist eigenständig und relevant.
LTE 22
Bisherige Forschungsarbeiten zur Schnittstelle zwischen der organisationalen Beschaffung und Logistikdienstleistungen (II ∩ III) vernachlässigen die Marke als Selektionskriterium.
LTE 23
Intangible Selektionskriterien haben einen Einfluss auf die strategische Auswahl von Logistikdienstleistern und werden als Selektionskriterien ausgewiesen.
Ferner schlagen beispielsweise Zablah et al. (2010) eine Konstantsummenskala zur expliziten Abfrage der Markenwichtigkeit vor.383 Insofern erwächst der Bedarf, die Ergebnisse von Williams et al. (2019) durch weitere Studien und alternative Methoden zu beleuchten. Aus dieser Argumentation, unter Einbezug von LTE 11, LTE 19, LTE 22, LTE 23 (siehe Tabelle 2.2), lässt sich schließlich folgender FB 1 formulieren:
FB 1:
Bestimmung der relativen Wichtigkeit der Marke als Selektionskriterium bei der strategischen Auswahl von Logistikdienstleistern – Messung der Markenwichtigkeit (Konstantsummenskala)
Zur Bearbeitung des FB 1 soll zunächst die Markenwichtigkeit in Anlehnung an Zablah et al. (2010) als Konstantsummenskala konzeptualisiert und operationalisiert werden.384 Infolgedessen wird es erforderlich sein, alternative Selektionskriterien in Relation zur Marke zu bestimmen und abzufragen. Im Anschluss kann dann eine deskriptive Auswertung der Konstantsummenskala,385 sowie eine Diskussion vor dem Hintergrund einschlägiger Forschungsarbeiten erfolgen.386
Forschungsinteresse 2
Mit der Markensensibilität konnte ein geeignetes Konzept aus der Konsumentenforschung identifiziert werden, um die Berücksichtigung der Marke bei der strategischen Auswahl von Logistikdienstleistern zu erfassen (LTE 12).387 Mit der Feststellung der generellen Übertragbarkeit von Markenverständnissen und -konzepten aus der Konsumentenforschung in den B2B-Kontext, wird die Verwendung der Markensensibilität für den vorliegenden Untersuchungsgegenstand legitimiert (LTE 5).388 Zudem wurde das Konzept bereits von Studien im organisationalen Kontext analysiert. Allerdings erfolgte die Konzeptualisierung der Markensensibilität hierin überwiegend auf Buying-Center bzw. organisationaler Ebene, obwohl die Konsumentenforschung eine Konzeptualisierung auf individueller Ebene vorsieht (LTE 12).389 Demnach besteht in der B2B-Forschung bislang ein Mangel an Studien zur Analyse der Markensensibilität auf der Individualebene.
FI 2: Wie kann die Berücksichtigung der Marke bei der Auswahl von Logistikdienstleistern konzeptionell gefasst werden?
LTE 1
Die Marke wird über Namen, Begriffe, Zeichen, Symbole, Gestaltungsformen oder über eine Kombination aus diesen oder anderen tangiblen, wahrnehmbaren Markenattributen (Markenzeichen, siehe §3 MarkenG) gekennzeichnet, wodurch die Identifikation und Differenzierung von Produkten, Dienstleistungen oder Unternehmen bei den relevanten Nachfragern möglich wird.
LTE 2
Die Marke ist über Emotionen, Bilder, Vorstellungen, Sachinhalte, Eigenschaften, Verwendungszusammenhänge, sowie eine Kombination aus diesen oder anderen intangiblen, nicht-wahrnehmbaren Markenattributen in den Köpfen der Nachfrager verankert.
LTE 3
Die tangiblen und intangiblen Attribute sind in einem semantischen Netzwerk als Markenwissen (operationalisiert über Markenbekanntheit und Markenimage) derart miteinander verknüpft, dass durch die sensorische Wahrnehmung von häufig begegneten Markenzeichen (e.g. Markenname, Markenlogo) weitere im Langzeitgedächtnis zugehörig abgespeicherte tangible und intangible Markenattribute (e.g. Symbole, Emotionen, Sachinhalte, Eigenschaften etc.) abgerufen werden. Dem Nachfrager stehen in Folge eine Vielzahl markenbezogener Informationen im Arbeitsgedächtnis zur Verfügung.
LTE 5
Die in der Konsumentenforschung entwickelten Markenverständnisse und Markenkonzepte/-theorien lassen sich prinzipiell in den B2B-Kontext übertragen. Demzufolge können diese in der Untersuchung der vorliegenden Arbeit berücksichtigt werden.
LTE 9
Das Individuum und sein Informations- und Entscheidungsverhalten bilden die Grundlage des organisationalen Beschaffungsverhaltens.
LTE 12
Bisherige Forschungsarbeiten zur Schnittstelle zwischen B2B-Marken und organisationaler Beschaffung (I ∩ II) verwenden das Konzept der Markensensibilität, um zu untersuchen, inwiefern verschiedene Faktoren die Berücksichtigung von Marken in der organisationalen Beschaffung beeinflussen. Die Konzeptualisierung erfolgt hierbei auf organisationaler oder Buying-Center-Ebene.
LTE 23
Intangible Selektionskriterien haben einen Einfluss auf die strategische Auswahl von Logistikdienstleistern und werden als Selektionskriterien ausgewiesen.
Ferner heben sowohl die Ansätze des organisationalen Beschaffungsverhaltens (LTE 9) als auch aktuelle Forschungsströme, wie das Behavioral Supply Management,391 die Individualebene zur Erklärung der strategischen Auswahlentscheidung hervor.392 Aus dieser Argumentation, unter Einbezug von LTE 5, LTE 9, LTE 12 (siehe Tabelle 2.3), lässt sich schließlich folgender FB 2a formulieren:
FB 2a:
Direkte Messung der Markensensibilität auf Individualebene.
Im Rahmen von FB 2a soll die Markensensibilität zunächst auf individueller Ebene konzeptualisiert393 und in Anlehnung an bestehende Messmodelle operationalisiert werden,394 bevor dann eine Prüfung der Validität und Reliabilität des adjustierten Messmodells,395 sowie eine Diskussion vor dem Hintergrund einschlägiger Forschungsarbeiten erfolgen kann.396
Während die Marke in den Arbeiten zur strategischen Auswahl von Logistikdienstleistern nur selten als Selektionskriterium beachtet wird, konnte dagegen allzu oft ein Einfluss von intangiblen Attributen, wie der Flexibilität oder Reputation, auf die strategische Logistikdienstleisterauswahl aufgezeigt werden (LTE 23).397 Gemäß der erarbeiteten Markendefinition können diese als mit der Marke zu assoziierende Attribute verstanden werden (LTE 1, LTE 2, LTE 3).398 Dieser Logik folgend erscheint es also sinnvoll, wenn die Markensensibilität nicht nur über das Gesamtkonzept Marke, sondern auch über die mit ihr assoziierten Markenattribute abgefragt wird – schließlich liegt für diese bereits ausreichend Evidenz für ihren Einfluss als Selektionskriterien bei der Auswahl von Logistikdienstleistern vor. Zudem könnten dadurch auch mögliche Verzerrungen aufgrund einer direkten Abfrage der Markensensibilität entgegengewirkt werden. Insofern bietet sich eine indirekte Messung der Markensensibilität über die angesprochenen Markenattribute an. Demnach lässt sich aus den erweiterten Überlegung zur Markensensibilität – unter Berücksichtigung von LTE 1, LTE 2, LTE 3, LTE 23 (siehe Tabelle 2.3) – zusätzlich folgender FB 2b ableiten:
FB 2b:
Indirekte Messung der Markensensibilität auf Individualebene anhand von Markenattributen.
Für die indirekte Messung der Markensensibilität anhand von Markenattributen (FB 2b) muss zunächst eine geeignete Operationalisierung entwickelt werden.399 Im Rahmen dessen wird es unter anderem notwendig sein, verschiedene Markenattribute zu identifizieren und abzufragen. Anschließend kann dann eine Prüfung der Validität und Reliabilität des neu-entwickelten Messmodells,400 sowie eine Diskussion vor dem Hintergrund einschlägiger Forschungsarbeiten erfolgen.401 Voraussetzungen für die Bearbeitung für FB1, FB 2a und FB 2b sind die Bestimmung eines Vorgehens zur Messmodellentwicklung und die Offenlegung dessen.402
Forschungsinteresse 3
Mit der Bestimmung der Markensensibilität als fokales Konzept zur Beschreibung der Rolle von Marken in Entscheidungssituationen (LTE 12), konnte folglich auch die für Forschungsinteresse 3 relevante Literatur vollumfänglich gesichtet werden. Diesen Markensensibilitätsstudien zufolge können – ganz im Sinne der Ansätze des organisationalen Beschaffungsverhaltens – verschiedene organisationale, Buying-Center und individuelle Faktoren Einfluss auf die Markensensibilität in einer Lieferantenauswahl nehmen (LTE 10). Hierbei wurden jedoch stark widersprüchliche Ergebnisse ersichtlich (LTE 13).403 Zudem lassen sich diese Ergebnisse, wie bereits dargelegt, nur bedingt auf die strategische Auswahl von Logistikdienstleistern übertragen (LTE 19).404
Auf der anderen Seite deuten die Erkenntnisse der Literaturanalyse zur Schnittstelle zwischen B2B-Marken und Logistikdienstleistungen darauf hin, dass bisher keine Forschungsbestrebungen zur Markensensibilität im spezifischen Kontext der strategischen Auswahl von Logistikdienstleistern unternommen wurden (LTE 6).405 Unter diesen Gesichtspunkten kann im Rahmen von Forschungsinteresse 3 also ein genereller Bedarf an empirischen Untersuchungen zu den Einflussfaktoren und Konsequenzen der Markensensibilität bei der strategischen Auswahl von Logistikdienstleistern ausgemacht werden.
FI 3: Wann wird die Marke bei der Auswahl von Logistikdienstleistern berücksichtigt? d. h. inwiefern wird die Berücksichtigung der Marke bei der Auswahl von Logistikdienstleistern durch verschiedene Faktoren beeinflusst?
LTE 6
Bisherige Forschungsarbeiten zur Schnittstelle zwischen B2B-Marken und Logistikdienstleistungen (I ∩ III) fokussieren überwiegend den Markenwert und damit das Markenmanagement, bzw. -aufbau. Die Untersuchungen erfolgen sowohl aus Anbieter- als auch Nachfrager-Perspektive, jedoch fast ausschließlich auf Unternehmensebene.
LTE 9
Das Individuum und sein Informations- und Entscheidungsverhalten bilden die Grundlage des organisationalen Beschaffungsverhaltens.
LTE 10
Das organisationale Beschaffungsverhalten wird grundsätzlich von unterschiedlichen Faktoren (u. a. individuelle und organisationale Charakteristiken) beeinflusst.
LTE 12
Bisherige Forschungsarbeiten zur Schnittstelle zwischen B2B-Marken und organisationaler Beschaffung (I ∩ II) verwenden das Konzept der Markensensibilität, um zu untersuchen, inwiefern verschiedene Faktoren die Berücksichtigung von Marken in der organisationalen Beschaffung beeinflussen. Die Konzeptualisierung erfolgt hierbei auf organisationaler oder Buying-Center-Ebene.
LTE 13
Verschiedene organisationale (Intangibilität, Beziehungsqualität, Markenpräsenz, Endkundennachfrage, Beschaffungswichtigkeit, -komplexität, -risiko, wahrgenommenes Risiko), Buying-Center (laterale Einbindung, vertikale Einbindung, hierarchische Ebene, Markenbewusstsein, -präferenz) als auch individuelle Faktoren (individuelle Risikoneigung) haben Einfluss auf die Markensensibilität. Die Ergebnisse zu den Einflussfaktoren sind aber weitestgehend widersprüchlich.
LTE 14
Aus der Markensensibilität folgen nur wenige Konsequenzen. Hierunter zählen die Markenwichtigkeit, als auch das Kundenengagement auf der Wissens- und Einflussebene.
LTE 15
Die Untersuchungen zur Markensensibilität konzentrieren sich vorwiegend auf die Beschaffung von Sachgütern und nicht auf die Beschaffung von Dienstleistungen.
LTE 18
Die verschiedenen Logistikdienstleistungen können über den Grad der Komplexität umfassend und nachvollziehbar systematisiert werden. Folglich bestimmt die Logistikdienstleistungskomplexität das organisationale Beschaffungsverhalten.
LTE 19
Die Ergebnisse aus den Studien zur strategischen Lieferantenauswahl lassen sich aufgrund divergierender Markt- und Beschaffungsobjekt-Charakteristiken nur eingeschränkt auf die strategische Auswahl von Logistikdienstleistern übertragen. Indessen verfügt die Forschung zur strategischen Auswahl von Logistikdienstleistern (II ∩ III) über einen bedeutsamen Umfang an Beiträgen, ist eigenständig und relevant.
Auch für die Konkretisierung der Einflussfaktoren liefern die literaturbasierten Teilerkenntnisse (siehe Tabelle 2.4) wesentliche Implikationen. Gemäß LTE 15 wird die Markensensibilität überwiegend bei der Beschaffung von Sachgütern untersucht. Umgekehrt existiert also eine Wissenslücke bei der Beschaffung von Dienstleistungen.407 Insofern dürften Einflussfaktoren, die die Besonderheiten der Dienstleistungen akzentuieren, von besonderem Forschungsinteresse sein. Einen Ansatzpunkt hierfür liefern die für den Logistikkontext spezifischen Beschaffungsobjekte. Aus praktischer Perspektive können mithilfe derer ebenfalls die von den Logistikdienstleistern geäußerten Unsicherheiten adressiert werden.408 So liefert eine Untersuchung der zu beschaffenden Logistikdienstleistungen mit ihrer Einflussnahme auf die Markensensibilität wertvolle Rückschlüsse darüber, bei welchem Dienstleistungsangebot der Aufbau einer Unternehmensmarke für die Logistikdienstleister zweckmäßig ist. Wie im Rahmen von LTE 18 festgehalten, lassen sich die verschiedenen Logistikdienstleistungen umfassend und nachvollziehbar anhand des Komplexitätsgrads systematisieren.409 Insofern wird ein Forschungsbedarf hinsichtlich des Einflusses des kontextspezifischen Phänomens der Logistikdienstleistungskomplexität auf die Markensensibilität (FB 3a) registriert. Es bedarf also einer Analyse, inwiefern sich die Markensensibilität mit den zu beschaffenden Logistikdienstleistungen verändert, wobei zunächst zu klären gilt, wie dieser Zusammenhang überhaupt theoretisch erklärt werden kann:
FB 3a:
Untersuchung des Einflusses der Logistikdienstleistungskomplexität als organisationales Charakteristikum auf die Markensensibilität bei der strategischen Auswahl von Logistikdienstleistern.
Des Weiteren hat sich gezeigt, dass das Individuum eine herausragende Bedeutung im organisationalen Beschaffungsverhalten einnimmt (LTE 9), aber allzu oft in diesen Studien nicht als Einflussfaktor bedacht wird. Hieraus hat sich ein gegenwärtiges Forschungsinteresse innerhalb des Behavioral Supply Management entwickelt, wonach der Einfluss verschiedener Persönlichkeitsmerkmale bzw. individueller Charakteristiken auf die Lieferantenauswahl untersucht werden soll.410 Hieran möchte die vorliegende Arbeit mit Forschungsbedarf 3b ansetzen, da auch innerhalb der Markensensibilitätsliteratur nur wenige individuelle Einflussfaktoren berücksichtigt wurden. Schließlich wird folgender Forschungsbedarf (FB 3b) formuliert:
FB 3b:
Untersuchung des Einflusses von individuellen Charakteristiken auf die Markensensibilität bei der strategischen Auswahl von Logistikdienstleistern.
Ebenfalls war zu beobachten, dass selten Konsequenzen der Markensensibilität analysiert wurden – lediglich die Markenwichtigkeit sowie das Kundenmanagement auf der Wissens- und Einflussebene (LTE 14).411 Hieraus ergibt sich prinzipiell weiterer Forschungsbedarf, der aber außerhalb des Forschungsinteresses der vorliegenden Arbeit liegt. Da jedoch die Markenwichtigkeit als Konsequenz der Markensensibilität zuvor bereits für empirisch gesichert befunden werden konnte und beide Konzepte ohnehin im Rahmen von FB 1 und FB 2a erhoben werden, wird dieser Kausalzusammenhang folglich in die Untersuchung mitaufgenommen und an dieser Stelle im Rahmen der von Zablah et al. (2010) vorgeschlagenen Markenhierarche412 bereits offengelegt.413 Abbildung 2.11 fasst die Überlegungen zu Forschungsbedarf 3 als konzeptionellen Analyserahmen414 zusammen.
Abbildung 2.11
Konzeptioneller Analyserahmen für Forschungsbedarf 3415
Der konzeptionelle Analyserahmen lässt auf ein methodisches Vorgehen im Sinne einer Ursache-Wirkungsanalyse schließen – bei der die Wirkung auf die zeitlich vorgelagerte Ursache folgt. Es ist also ein Vorgehen, das den strukturprüfenden Verfahren und damit zweifelsohne der quantitativen-empirischen Sozialforschung angehört.416 Typischerweise erfordert die quantitativ-empirische Sozialforschung nach der (I.) Definition der Forschungsziele und -bedarfe, das (II.) Entwickeln von Hypothesen aus der Theorie.417 Hypothesen sind also Aussagen, die aus Theorien deduziert oder auf früheren Studienergebnissen aufbauen.418 Mit der Überprüfung der Hypothesen sollen demnach die Aussagensysteme und die Geltung jener Theorien getestet werden, aus denen sie abgeleitet wurden.419 Schließlich ermöglicht die Hypothesenüberprüfung Rückschlüsse auf die soziale Wirklichkeit. In diesem Sinne werden im nächsten Kapitelabschnitt verschiedene Theorien hinsichtlich ihres Erklärungsgehalts für die beiden abgeleiteten Forschungsbedarfe 3a und 3b zunächst geprüft420, um dann die begründet ausgewählten Theorien im Detail zu analysieren.421 Das Ziel dessen ist es sowohl für FB 3a den Zusammenhang zwischen Logistikdienstleistungskomplexität und Markensensibilität zu ergründen als auch für FB 3b relevante individuelle Charakteristiken aus den ausgewählten Theorien abzuleiten.
Schließlich sollen aus den theoretischen Teilerkenntnissen Forschungshypothesen (FH) für die beiden Forschungsbedarfe FB 3a und FB3b aufgestellt werden, wodurch ebenfalls der Analyserahmen konkretisiert wird.422 Die Forschungshypothesen sind als unkonkrete, nicht statistisch zu prüfende Annahmen zu verstehen.423 Im Anschluss daran soll basierend auf den abgeleiteten Forschungshypothesen und unter Rückgriff auf frühere Studien und eben jenen Theorien ein statistisch überprüfbares Hypothesensystem für den vordefinierten Untersuchungskontext entwickelt werden.424 Die hierin formulierten Hypothesen (H) geben die Richtung sowie die positive oder negative Ausprägung des Wirkungszusammenhangs zwischen den abgeleiteten Größen wieder und sollen „logisch formuliert, nachvollziehbar, überprüfbar, kritisierbar und wahr sein“425. Zum Abschluss erfolgt, unter anderem zur Explikation der zeitlichen Abfolge zwischen den Größen, eine integrierte Betrachtung des Hypothesensystems.426 Das Vorgehen der quantitativ-empirischen Studie und insbesondere zur Ableitung der statistischen Hypothesen hinsichtlich Forschungsbedarf 3 ist in Abbildung 2.12 illustriert.
Abbildung 2.12
Vorgehen der quantitativ-empirischen Studie, insbesondere zur Theorie- und Hypothesenbildung427
Neben den aus der Literatur und Theorie abgeleiteten und für den Untersuchungsgegenstand relevant befundenen Determinanten der Markensensibilität, soll das Hypothesensystem um weitere Einflussfaktoren kontrolliert werden. Die Berücksichtigung dieser sogenannten Kontrollvariablen ermöglicht später die verlässlichere Interpretation der Hypothesentests, da infolgedessen alternative Erklärungen ausgeschlossen werden können.428 Die Methodenliteratur empfiehlt den Einfluss der Kontrollvariablen ebenfalls zu begründen und herzuleiten.429 Demzufolge werden Kontrollvariablen bereits bei der Entwicklung des Hypothesensystems eingeführt.430 Nach der Theorie- und Hypothesenbildung fordert das Vorgehen der quantitativ-empirischen Sozialforschung die (III.) Konzeptualisierung und Operationalisierung der in den Hypothesen kausal verknüpften Größen.431 Es wird sich also mit der Frage befasst, wie diese Größen gemessen werden können.432 Danach kann die (IV.) Datenerhebung geplant und durchgeführt werden. Diesbezüglich lieferte die vorangegangene Literaturanalyse einige Implikationen (siehe Tabelle 2.5).
Tabelle 2.5
Literaturbasierte Teilerkenntnisse hinsichtlich der Konzeption der Untersuchung433
Konzeption der Untersuchung
LTE 8
Die Nachfrager von Logistikdienstleistungen beziehen sich in ihrer Entscheidung auf die Unternehmensmarken (Dienstleistungsmarken) der Logistikdienstleister.
LTE 9
Das Individuum und sein Informations- und Entscheidungsverhalten bilden die Grundlage des organisationalen Beschaffungsverhaltens.
LTE 20
Die einschlägige Literatur unterscheidet zwischen verschiedenen organisationalen Phasen bei der strategischen Auswahl von Logistikdienstleistern. Allerdings ist eine klare und detaillierte Abgrenzung dieser Phasen nicht immer beobachtbar bzw. zweckmäßig.
LTE 21
Bei der strategischen Auswahl von Logistikdienstleistern sind verschiedene Berufsgruppen involviert, insbesondere aus den Funktionsbereichen Beschaffung und Logistik
So hat die Analyse zu den Markenerscheinungsformen gezeigt, dass im B2B-Kontext überwiegend Unternehmensmarken untersucht werden (LTE 8).434 Demgemäß sollen sich auch die Respondenten bei der Beantwortung des vorliegenden Fragebogens auf die Unternehmensmarken und nicht auf die Produktmarken der Logistikdienstleister beziehen. Ferner wird dem Buying-Center Ansatz435 gefolgt, wonach nicht nur Personen aus der Beschaffung, sondern Angehörige verschiedenster Funktionsbereiche, sofern sie Erfahrung mit der Auswahl von Logistikdienstleistern haben, als potenzielle Respondenten in Frage kommen436 – dies beinhaltet ebenso Entscheider, wie Nicht-Entscheider (LTE 21).437
Des Weiteren folgt aus der Literaturanalyse sowie aus forschungspraktischen Überlegungen, dass sich die Respondenten nicht auf eine bestimmte Phase der strategischen Logistikdienstleisterauswahl beziehen sollen (LTE 20).438 Vielmehr sollen sie sich gedanklich in eine vergangene strategische Logistikdienstleisterauswahl zurückversetzen und ihre Wahrnehmungen und ihr Verhalten (LTE 9) retrospektiv wiedergeben. Alternativ hätten Szenario-Experimente umgesetzt werden können. Hier hätten sich die Respondenten in vorgegebene Szenarien – bei dem z. B. die wahrgenommene Logistikdienstleistungskomplexität manipuliert wird – hineinversetzen müssen. Die Umsetzung einer Umfrage, wie im vorliegenden Fall, allerdings bedingt die Retrospektion. Eine Zusammenfassung der konzeptionell abgeleiteten Spezifikationen für die Untersuchung liefert Tabelle 2.6.
Tabelle 2.6
Zusammenfassung der konzeptionell abgeleiteten Spezifikationen für die empirische Studie439
Untersuchungsebene
Individualebene – verhaltenswissenschaftlich
Perspektive
Beschaffungsperspektive
Respondenten
Mitglieder des Buying-Centers (Erfahrung mit der strategischen Auswahl von Logistikdienstleistern)
Beschaffungsobjekt
Logistikdienstleistungen
Phasen der Logistikdienstleisterauswahl
Keine Einschränkung auf eine bestimmte Phase
Zeitpunkt der Logistikdienstleisterauswahl
Vergangenheit – retrospektive Abfrage
Marken-Erscheinungsform
Unternehmensmarke
Unter Berücksichtigung der Eigenschaften der erhobenen Daten (e.g. Normalverteilung, Rücklauf) sowie der Operationalisierungen der hypothetischen Konstrukte, kann anschließend (V.) das statistische Datenanalyseverfahren zur Überprüfung der Hypothesen bestimmt werden.440 Das statistische Datenanalyseverfahren überprüft dabei mit Hilfe eines Signifikanztests die Nullhypothese und die Alternativhypothese.441 Die Alternativhypothese wird dann unterstützt, wenn es gelingt die Nullhypothese mit einer bestimmten Irrtumswahrscheinlichkeit abzulehnen.442 Allerdings muss die Alternativhypothese dann verworfen werden, obwohl die Nullhypothese widerlegt wurde, wenn die ermittelten Vorzeichen nicht der Annahme entsprechen.443 Die Prüfung des Hypothesensystems erlaubt im Anschluss einen Rückschluss auf die der Theorie unterliegenden Aussagen. So sollen (VI.) die Ergebnisse des Hypothesentests vor dem Hintergrund einschlägiger Forschungsarbeiten und der für relevant befundenen Theorien abschließend diskutiert und interpretiert werden.444
Theoretische Relevanz
Zuletzt kann mit Hilfe der in der Literaturanalyse gewonnenen Teilerkenntnisse (LTE) und der ermittelten Forschungsbedarfe (FB) eine Zwischenbeurteilung der theoretischen Relevanz erfolgen. Zu Beginn konnte die Leitfrage der Arbeit bereits eindeutig im Schnittpunkt der drei Forschungsfelder B2B-Marken, organisationale Beschaffung und Logistikdienstleistungen positioniert werden. Darüber hinaus hat die Literaturanalyse verdeutlicht, dass eine Übertragbarkeit der Erkenntnisse von Studien aus den Bereichen B2C-Marken und strategischer Lieferantenauswahl nur bedingt möglich ist (LTE 4, LTE 19).445 Insofern kann eine Eigenständigkeit des vorliegenden Untersuchungsgegenstandes und damit die Notwendigkeit zur Analyse von B2B-Marken bei der Auswahl von Logistikdienstleistern grundsätzlich unterstellt werden.
Tabelle 2.7
Literaturbasierte Teilerkenntnisse hinsichtlich der theoretischen Relevanz der Untersuchung446
Theoretische Relevanz und Legitimation der Arbeit
LTE 4
Die Ergebnisse aus den Studien zu B2C-Marken lassen sich aufgrund divergierender Marktbesonderheiten nur eingeschränkt in den B2B-Kontext übertragen. Indessen verfügt die Forschung zu B2B-Marken über einen bedeutsamen Umfang an Beiträgen, ist eigenständig und relevant.
LTE 6
Bisherige Forschungsarbeiten zur Schnittstelle zwischen B2B-Marken und Logistikdienstleistungen (I ∩ III) fokussieren überwiegend den Markenwert und damit das Markenmanagement, bzw. -aufbau. Die Untersuchungen erfolgen sowohl aus Anbieter- als auch Nachfrager-Perspektive, jedoch fast ausschließlich auf Unternehmensebene.
LTE 7
Marken sind für Logistikdienstleister grundsätzlich relevant und wichtig.
LTE 11
B2B-Marken besitzen in der organisationalen Beschaffung Relevanz und werden als Selektionskriterium bedacht.
LTE 15
Die Untersuchungen zur Markensensibilität konzentrieren sich vorwiegend auf die Beschaffung von Sachgütern und nicht auf die Beschaffung von Dienstleistungen.
LTE 19
Die Ergebnisse aus den Studien zur strategischen Lieferantenauswahl lassen sich aufgrund divergierender Markt- und Beschaffungsobjekt-Charakteristiken nur eingeschränkt auf die strategische Auswahl von Logistikdienstleistern übertragen. Indessen verfügt die Forschung zur strategischen Auswahl von Logistikdienstleistern (II ∩ III) über einen bedeutsamen Umfang an Beiträgen, ist eigenständig und relevant.
LTE 22
Bisherige Forschungsarbeiten zur Schnittstelle zwischen der organisationalen Beschaffung und Logistikdienstleistungen (II ∩ III) vernachlässigen die Marke als Selektionskriterium.
Zudem konnten Forschungslücken in der Literatur eindeutig bestimmt werden (LTE 6, LTE 15, LTE 22), worauf aufbauend der spezifische Forschungsbedarf der Arbeit formuliert wurde. Des Weiteren konnte sowohl eine Relevanz der B2B-Marken für die Logistikdienstleister als auch bei Lieferantenauswahlentscheidungen beobachtet werden (LTE, 7, LTE 11).447 Insofern wird den beiden Beurteilungskriterien „Identifikation von Lücken in der bestehenden Literatur“ und „Positionierung der Untersuchung“ der theoretischen Relevanz entsprochen.448 Aufgrund der in Tabelle 2.7 identifizierten LTEs kann demnach in einer Zwischenbeurteilung für die in Tabelle 2.8 dargestellten Forschungsbedarfe festgehalten werden:
Theoretische Relevanz:
Die theoretische Relevanz und damit einhergehend die Legitimation der Arbeit scheinen vorerst gegeben zu sein.
FI1: Inwiefern wird die Marke bei der Auswahl von Logistikdienstleistern als Selektionskriterium beachtet?
FB1: Bestimmung der relativen Wichtigkeit der Marke als Selektionskriterium bei der strategischen Auswahl von Logistikdienstleistern – Messung der Markenwichtigkeit (Konstantsummenskala)
FI2: Wie kann die Berücksichtigung der Marke bei der Auswahl von Logistikdienstleistern konzeptionell gefasst werden?
FB2a: Direkte Messung der Markensensibilität auf Individualebene
FB2b: Indirekte Messung der Markensensibilität auf Individualebene anhand von Markenattributen.
FI3: Wann wird die Marke bei der Auswahl von Logistikdienstleistern berücksichtigt? d. h. inwiefern wird die Berücksichtigung der Marke bei der Auswahl von Logistikdienstleistern durch verschiedene Faktoren beeinflusst?
FB3a: Untersuchung des Einflusses der Logistikdienstleistungskomplexität als organisationales Charakteristikum auf die Markensensibilität bei der strategischen Auswahl von Logistikdienstleistern.
FB3b: Untersuchung des Einflusses von individuellen Charakteristiken auf die Markensensibilität bei der strategischen Auswahl von Logistikdienstleistern.
2.2 Ausgewählte theoretische Ansätze
Wie im Rahmen des methodischen Vorgehens von Forschungsbedarf 3 bereits angerissen wurde, verfolgt das vorliegende Kapitel zwei Ziele: 1) für FB 3a den Zusammenhang zwischen Logistikdienstleistungskomplexität und Markensensibilität ergründen 2) für FB 3b relevante individuelle Charakteristiken ableiten. In einem ersten Schritt sollen daher relevante Theorien ausgewählt werden (Kapitelabschnitt 2.2.1). Hierzu werden unter anderem zentrale LTEs herangezogen. Damit soll der konzeptionellen Strenge, insbesondere dem Kriterium der Berücksichtigung relevanter Konzepte und Theorien (KS 1) entsprochen werden. Nachdem die Theorien bestimmt wurden, werden diese analysiert, wobei sogenannte theoretische Teilerkenntnisse (TTE) vor dem Hintergrund von FB 3a und FB 3b abgeleitet werden (Kapitelabschnitt 2.2.2 & 2.2.3). Das heißt es werden bedeutende Annahmen der Theorien festgehalten, die entweder einen potenziellen Erklärungsgehalt für den Zusammenhang von Logistikdienstleistungskomplexität und Markensensibilität aufweisen oder als individuelle Charakteristiken klassifiziert werden können. Die TTEs werden schließlich in Forschungshypothesen (FH) überführt und damit der konzeptionelle Analyserahmen konkretisiert (Kapitelabschnitt 2.2.4). Abbildung 2.13 fasst die Arbeitsweise innerhalb der theoretischen Grundlagen zusammen.
Abbildung 2.13
Arbeitsweise innerhalb der theoretischen Grundlagen450
2.2.1 Begründung und Einordnung der Theoriewahl
Die Wissenschaft ist seit Jahren in einem anhaltenden Diskurs451 darüber, was eine Theorie charakterisiert,452 und wann auf eine gute Theorie geschlossen werden kann.453 Im Allgemeinen kann eine Theorie als ein System widerspruchsfreier Aussagen über ein reales Phänomen definiert werden.454 Theorien tragen also dazu bei, die Wirklichkeit zu erklären bzw. zu prognostizieren und Ursachen aufzudecken.455 Die wissenschaftliche Literatur unterscheidet Theorien beispielsweise nach ihren Analyseebenen456, oder nach ihrem Abstraktionsgrad457.458 In Anlehnung an Flynn et al. (2022) lassen sich drei Theorietypen abgrenzen: „grand theories“, „middle-range theories“ und „local theories“. Während „grand theories“ sehr generalisierte Aussagen zulassen und daher in vielen Forschungsdisziplinen angewendet werden können, stellen „local theories“ Annahmen über sehr spezifische Sachverhalte auf. Sie werden in den meisten Fällen von Wissenschaftlern aufgrund eigener Forschungserkenntnisse für ein spezifisches Phänomen entwickelt. Die „middle-range theories“ haben dagegen meistens Anpassungen an einen Untersuchungskontext aufgrund dessen besonderer Charakteristiken erfahren459, weshalb sie zwischen den „grand theories“ und „local theories“ eingeordnet werden.460 Obwohl immer wieder die Entwicklung und der Einsatz von kontextspezifischen Theorien gefordert wird461, heben Spina et al. (2016) die Bedeutung von „grand theories“ für die Weiterentwicklung einzelner Forschungsdisziplinen, wie der Beschaffungsforschung, hervor.462
In der Betriebswirtschaftslehre hat sich über die vergangenen Jahrzehnte eine wahre Theorievielfalt eingestellt. Hierzu beigetragen haben unter anderem die Profilierungssucht als auch der sehr heterogene disziplinäre Hintergrund der Wissenschaftler, wodurch Theorien aus anderen Disziplinen, wie der Psychologie oder der Soziologie, ihren Einzug in die Betriebswirtschaftslehre gefunden haben.463 Ähnliches ist auch in den betriebswirtschaftlichen Forschungsdisziplinen Beschaffung, Logistik und Marketing zu beobachten. So identifizieren beispielsweise Clifford Defee et al. (2010) in der Logistikforschung insgesamt 181 Theorien angeordnet in 12 Kategorien – von Systemtheorien bis hin zu psychologischen Theorien des Individuums.464 Allerdings hat sich herausgestellt, dass Forscher überwiegend auf die bekannten „grand theories“, wie Transaktionskostentheorie oder soziale Austauschtheorie, setzen. Zu derselben Erkenntnis kommen auch systematische Literaturanalysen in der Beschaffungsforschung.465 Insofern ist es wenig verwunderlich, dass trotz der Theorienvielfalt weder eine spezifische Theorie der Markensensibilität noch eine spezifische Theorie der strategischen Auswahl von Logistikdienstleistern im Rahmen der Literaturanalyse identifiziert werden konnten. In Anbetracht der Absenz einer auf den vorliegenden Untersuchungsgegenstand spezifizierten „local theory“, scheint es zweckmäßig auf bestehende „grand theories“ aus verwandten Forschungsdisziplinen zurückzugreifen.466 Dementsprechend stellt sich nun die Frage, welche „grand theories“ für die vorliegende Studie inhaltlich angemessen sind.
Gemäß der in der Konzeption der Untersuchung festgehaltenen Analyseebene (Individualebene) und mit Verweis auf LTE 9 sollte die Theorie im Großen und Ganzen das individuelle Verhalten von Beschaffungsmanagern erklären können.467 Insofern sind vor allem Theorien an der Schnittstelle zwischen Psychologie und Ökonomie relevant. Beispielsweise liefert Wiswede (2021) hierfür ein Spektrum wirtschaftspsychologischer Theorien. Er unterscheidet zwischen den Bereichen Motivation (e.g. Bedürfnistheorien, Lerntheorien etc.), Kognition (e.g. Konsistenztheorien, Information Processing etc.) und Interaktion (e.g. Austauschtheorien, Gerechtigkeitstheorien etc.), welche alle für die vorliegende Untersuchung als relevant einzustufen sind.468
Konkretere Informationen zur Theoriewahl liefern hingegen LTE 3 und LTE 17 (siehe Tabelle 2.9). Zum einen erfüllen Marken neben der Funktion der Risikoreduktion auch die Funktion der Informationseffizienz.469 Zum anderen konnte bereits im Rahmen der kognitionspsychologischen Grundlagen mit der Verarbeitung markenbezogener Informationen ein klarer Bezug zur Informationsverarbeitungstheorie und der begrenzten kognitiven Kapazität von Individuen hergestellt werden.470 Demzufolge kann in einem ersten Schritt die Informationsverarbeitungstheorie als zweckmäßig eingestuft werden.
Tabelle 2.9
Literaturbasierte Teilerkenntnisse hinsichtlich der Theorienwahl471
Theoriewahl
LTE 3
Die tangiblen und intangiblen Attribute sind in einem semantischen Netzwerk als Markenwissen (operationalisiert über Markenbekanntheit und Markenimage) derart miteinander verknüpft, dass durch die sensorische Wahrnehmung von häufig begegneten Markenzeichen (e.g. Markenname, Markenlogo) weitere im Langzeitgedächtnis zugehörig abgespeicherte tangible und intangible Markenattribute (e.g. Symbole, Emotionen, Sachinhalte, Eigenschaften etc.) abgerufen werden. Dem Nachfrager stehen in Folge eine Vielzahl markenbezogener Informationen im Arbeitsgedächtnis zur Verfügung.
LTE 9
Das Individuum und sein Informations- und Entscheidungsverhalten bilden die Grundlage des organisationalen Beschaffungsverhaltens.
LTE 16
Das Risiko als auch die Informationsverarbeitungstheorie liefern einen erheblichen Beitrag zur Erklärung, warum und wann Marken in der strategischen Auswahl berücksichtigt werden.
LTE 17
Marken erfüllen in der organisationalen Beschaffung primär eine Risikoreduktions- sowie Informationseffizienzfunktion.
Zur Erklärung der Risikoreduktionsfunktion von Marken – in anderen Worten, die Funktion der Marke zur Reduktion des wahrgenommenen Risikos – soll die kognitive Dissonanztheorie herangezogen werden. Argumentative Substanz hierfür liefert die Literatur zum wahrgenommenen Risiko. Diese nämlich legt dem wahrgenommenen Risiko eine Analogie mit der kognitiven Dissonanz nahe.472
Insbesondere LTE 16 bestätigt noch einmal die Bedeutung des Risikos und der Informationsverarbeitungstheorie zur Erklärung, wann Marken berücksichtigt werden. Demzufolge kann die Annahme getroffen werden, dass beide Theorien auch einen Erklärungsgehalt für den Zusammenhang zwischen Logistikdienstleistungskomplexität und Markensensibilität prinzipiell aufweisen. Zusammenfassend also lässt sich festhalten, dass es sich bei den ausgewählten Theorien um „grand theories“ handelt und diese als wirtschaftspsychologische Theorien im Bereich der Kognition473 zur Erklärung des individuellen Verhaltens dienen – sie erfüllen also beide die vorher abgeleiteten Anforderungen an eine potenziell relevante Theorie.
Anstatt sich auf eine der beiden Theorien festzulegen, liefern die Anhänger des Theoriepluralismus Argumente für die parallele Berücksichtigung mehrerer Theorien. Diesen zufolge wird es erst durch eine multitheoretische Fundierung möglich einen Untersuchungsgegenstand gesamtheitlich zu verstehen, da verschiedene Betrachtungsperspektiven eingenommen werden können.474 So führt Burr (2012) grundlegend an, dass „Methoden- und Theoriepluralismus und die Vielfalt der Wege zur Erkenntnisgewinnung in der Betriebswirtschaftslehre allgemein akzeptiert“ sind.475 Präziser schlussfolgert Wolf (2020): „[…] einzelne Forschungsprojekte [sollten] immer von einer oder wenigen Theorie(n) getragen sein.“476 Vor dem Hintergrund des Theoriepluralismus können daher für die theoretische Fundierung der Untersuchung nachfolgende zwei Theorien bestimmt werden:
Theoretische Fundierung:
Informationsverarbeitungstheorie Kognitive Dissonanztheorie und wahrgenommenes Risiko
Eine gemeinsame Verwendung der beiden Theorien wäre des Weiteren dadurch legitimiert, wenn sie sich in ihrer Erklärung des individuellen Verhaltes ergänzen würden. Dies soll im Folgenden durch einen Exkurs in die Entscheidungstheorie näher ergründet werden.
Entscheidungstheoretische Studien lassen sich grundsätzlich anhand ihres Forschungsziels der präskriptiven (normativen) und der deskriptiven Entscheidungstheorie zuordnen. Durch diese Unterscheidung soll zum einen der beschreibende, der Entscheidungsverhalten erklärende Charakter der deskriptiven Entscheidungstheorie und zum anderen der vorschreibende, der Entscheidungsverhalten vordefinierende Charakter der präskriptiven Entscheidungstheorie zum Ausdruck gebracht werden.477 Kirsch (1977) hingegen verwendet für eine inhaltlich vergleichbare Differenzierung die Termini „offene Modelle des Entscheidungsverhaltens“ und „geschlossene Modelle des Entscheidungsverhaltens“. Als Prototyp der geschlossenen Modelle gilt demnach der Homo Oeconomicus mit der Annahme vollständiger Rationalität. Bei den offenen Modellen steht die durch die kognitiven Limitationen bedingte beschränkte Rationalität im Vordergrund. Unter chronologischen Gesichtspunkten kann angeführt werden, dass die traditionell vorherrschende Rationalitätsannahme mit den wachsenden Forschungsbestrebungen in anderen Fachbereichen zunehmend zugunsten einer Untersuchung individueller kognitiver Prozesse aufgegeben wurde.478 Hieran ansetzend präzisiert Kirsch (1977) schließlich, dass die Entscheidungstheorie im Kontext der Entwicklung offener Modelle versucht „[…] auf andere verhaltenswissenschaftliche Theorien insbesondere auf die psychologischen und sozialpsychologischen Theorien des Lernens, der Wahrnehmung und des Denkens Bezug zu nehmen.“479 Hierunter zählen auch die Informationsverarbeitungs- und kognitive Dissonanztheorie, sowie die Gedächtnismodelle aus Kapitelabschnitt 2.1.1.1.2. Abbildung 2.14 veranschaulicht den Zusammenhang zwischen den Theorien schematisch.
Abbildung 2.14
Zusammenhang der ausgewählten verhaltenswissenschaftlichen Theorien480
Ein Entscheidungsprozess wird ausgelöst, wenn ein externer Stimulus einen Konflikt hervorruft (1). Der Konflikt initiiert dann ein Informationssuchverhalten (2) – nach (3) außen (Umwelt) oder nach (4) innen (Gedächtnis). Die Informationssuche wiederum wird maßgeblich durch die individuelle Informationsverarbeitungskapazität beeinflusst (5) – hier setzt die Informationsverarbeitungstheorie an. Erfüllt die Informationssuche die notwendigen Ansprüche und löst den anfänglichen Konflikt (6), so erfolgt ein Entschluss (7) und damit eine Reaktion an die Umwelt als Antwort auf den ursprünglichen Stimulus (8). Mit dem Entschluss kann schließlich eine kognitive Dissonanz ausgelöst werden (9a), was zu einem Suchverhalten nach der Entscheidung führt (10). Führt dieses Suchverhalten zu einer Reduktion der Dissonanz mündet es in einer Konsonanz (11a) – hier setzt die kognitive Dissonanztheorie an. Erfolgt eine solche Dissonanzreduktion allerdings nicht, wird ein neuer Konflikt (11b) und damit ein neuer Entscheidungsprozess angeregt.481 Allerdings kann nicht nur nach dem Entschluss eine Dissonanz entstehen, sondern auch schon während dem Suchverhalten (9b).482
Mit der Beschreibung des Schemas wurden die verschiedenen Phasen eines Entscheidungsprozesses bereits implizit adressiert. Daher soll dieser im Folgenden noch einmal systematisch aufgearbeitet werden (siehe Abbildung 2.15).
Abbildung 2.15
Individueller Entscheidungsprozess nach Kirsch (1977)483
Der Entscheidungsprozess beginnt mit der Phase des Informationssuchverhaltens vor der Entscheidung. Darauf folgt der Entschluss bzw. die tatsächliche Auswahlentscheidung. Die dritte Phase nach dem Entschluss bildet erneut das Informationssuchverhalten. In Anbetracht komplexer Entscheidungssituationen ist es notwendig auf eine hierarchische Struktur des Entscheidungsprozesses hinzuweisen. Sollten die beiden Phasen des Suchverhaltens jeweils nicht routinemäßig erfolgen können, so kann der Teilprozess selbst als Entscheidungsprozess aufgefasst werden. In einem solchen Fall spricht man auch von einem Entscheidungsprozess niederer Ordnung. Rein theoretisch ließe sich der Entscheidungsprozess höchster Ordnung also in mehrere Hierarchiestufen strukturieren, da für jeden Teilprozess auf jeder Hierarchiestufe jeweils ein Entscheidungsprozess unterstellt werden kann.484
In Schlussfolgerung des Exkurses werden die beiden Theorien im Rahmen der deskriptiven Entscheidungstheorie (nach Kirsch (1977): offene Modelle des Entscheidungsverhaltens) als sich ergänzende Erklärungsmuster verstanden.485 Sie zeigen eine eindeutige Überschneidung hinsichtlich der Informationssuche, liefern aber jeweils eigenständige Annahmen durch Fokussierung der Dissonanz/Konsonanz einerseits und der Informationsverarbeitung andererseits (siehe Abbildung 2.14). Darüber hinaus kann das individuelle Entscheidungsverhalten, wie veranschaulicht, über einen dreistufigen Entscheidungsprozesses approximiert werden.
2.2.2 Informationsverarbeitungstheorie
Im Rahmen der Theoriewahl wurde die Informationsverarbeitungstheorie unter anderem aufgrund ihres Erklärungsgehalts für die Informationseffizienz der Marke als zweckmäßig für die vorliegende Untersuchung eingestuft.486 Die Informationsverarbeitungstheorie erfährt in der betriebswirtschaftlichen Forschung auf verschiedenen Ebenen Berücksichtigung. Allen voran Tushman und Nadler (1978) und Galbraith (1974) verstehen Organisationen als Informationsverarbeitungssysteme, wonach die Struktur der Organisation deren Informationsverarbeitungskapazität bestimmt.487 Folgerichtig wird hierbei auch vereinzelt von der organisationalen Informationsverarbeitungstheorie gesprochen.488 Gemäß der Konzeption der Untersuchung soll für die vorliegende Untersuchung allerdings die (kognitive) Informationsverarbeitung von Individuen489 im Vordergrund stehen, weshalb hier maßgeblich auf Arbeiten aus der Psychologie sowie aus der Konsumentenforschung Bezug genommen wird.490 Bereits in Kapitelabschnitt 2.1.1.1.2 wurden mit den Gedächtnismodellen die Grundlagen zur Informationsverarbeitungstheorie gelegt. Das Ziel dieses Kapitelabschnittes ist es daher darauf aufbauend einzelne Aspekte der Informationsverarbeitungstheorie zu vertiefen. Dies betrifft zum einen die begrenzte Informationsverarbeitungskapazität und die Informationsüberflutung (Kapitelabschnitt 2.2.2.1) sowie die Dual-Processing Modelle mit der Cognitive-Experiential Self-Theory (Kapitelabschnitt 2.2.2.2). Hierin sollen die für die Forschungsbedarfe FB 3a und FB 3b relevanten Teilerkenntnisse abgeleitet werden.
2.2.2.1 Begrenzte Informationsverarbeitungskapazität und Informationsüberflutung
Innerhalb der Gedächtnismodelle wird dem Arbeitsgedächtnis, als Schnittstelle zwischen sensorischem Register und Langzeitgedächtnis, primär die Aufgabe der Informationsverarbeitung zugesprochen – es unterstützt demnach die individuellen Denkprozesse. Dem Arbeitsgedächtnis wird, unter anderem aufgrund der Arbeit von Miller (1956), eine begrenzte kognitive Kapazität unterstellt. Individuen können im Arbeitsgedächtnis also per Definition nur eine limitierte Anzahl an Informationen verarbeiten und zeitlich speichern.491 Werden Personen mit einer Informationsmenge konfrontiert, die deren Informationsverarbeitungskapazität übersteigt, entsteht somit ein Zustand der Informationsüberflutung.492 Formal ausgedrückt: Informationsmenge > Informationsverarbeitungskapazität.493 Eppler und Mengis (2004) entwickeln, basierend auf einer interdisziplinären Literaturrecherche, ein Framework zur Informationsüberflutung. Diesem zufolge führen verschiedene Ursachen zu Symptomen bzw. Auswirkungen der Informationsüberflutung, welche durch Gegenmaßnahmen reduziert oder vermieden werden können. Die Gegenmaßnahmen wiederum können schließlich erneut Ursachen der Informationsüberflutung hervorrufen. Entlang dieses Frameworks (siehe Abbildung 2.16) soll die Informationsüberflutung nun im Detail aufgearbeitet werden:
Nach Bawden et al. (1999) müssen Informationen zunächst zwei grundlegende Bedingungen erfüllen, damit eine Informationsüberflutung entsteht. Informationen müssen sowohl für die Entscheidungssituation bedeutend als auch für das Individuum prinzipiell zugänglich sein.495 Überwiegend wird die Informationsüberflutung in der Suchphase vor dem Entschluss verortet,496 jedoch kann diese prinzipiell genauso in der Suchphase nach dem Entschluss auftreten. Neben der beschränkten kognitiven Informationsverarbeitungskapazität als offensichtliche Ursache werden in der wissenschaftlichen Literatur weitere, spezifischere Faktoren diskutiert, die eine Informationsüberflutung hervorrufen bzw. begünstigen. So bestimmen Eppler und Mengis (2004) fünf Kategorien von Ursachen: Informationen (e.g. Neuigkeit, Komplexität der Information), Personen (e.g. Motivation, Persönlichkeitsmerkmale), Aufgaben oder Prozesse (e.g. Aufgabenkomplexität, Zeitdruck), organisationales Design (e.g. Gruppenheterogenität), und Informationstechnologie (e.g. verschiedene Distributionskanäle).497 Eine vergleichbare Struktur legen auch Jackson und Farzaneh (2012) ihrer Analyse zugrunde, wobei sie ihre Kategorien noch einmal in Eigen- und Fremdfaktoren zusammenfassen.498 Aufgrund neuerer Entwicklungen in der Forschung zur Informationsüberflutung hebt Roetzel (2019) zudem die „sozialen Netzwerke“ als Gruppe von Einflussfaktoren hervor.499 Meistens treten diese Ursachen jedoch nicht alleinstehend sondern gemeinsam auf.500 Schlussendlich wird aus der Literaturanalyse deutlich, dass unter den diversen Ursachen die Komplexität in seinen verschiedenen Facetten, wie Komplexität der Aufgabe oder Komplexität der Informationen, eine entscheidende Rolle bei der Informationsüberflutung einnimmt.501 Beispielhaft verstehen Volnhals und Hirsch (2008) die Komplexität der Informationen, neben der Anzahl der Informationen und der notwendigen Zeit, als eine von drei zentralen Determinanten der Informationsüberflutung.502 Ebenso halten Bawden und Robinson (2020) fest: „The more diverse and complex a collection of information is, and the more alternatives it offers or appears to offer, the more likely it is to cause overload.“503 Demnach lässt sich vor dem Hintergrund von FB 3a folgende TTE 1 formulieren:
TTE 1:Die Komplexität (in seinen verschiedenen Facetten) bestimmt die Informationsüberflutung.
(2)
Symptome/Auswirkungen
Der Informationsüberflutung konnten in einer Reihe von Studien diverse, teils sehr konkrete Auswirkungen nachgewiesen werden.504 Im Folgenden sollen zwei Aspekte im Detail betrachtet werden – die psychologischen Auswirkungen sowie die Auswirkungen auf die Entscheidungsqualität/-performance. Auf psychologischer Ebene wird der Informationsüberflutung ein Gefühl der Überwältigung bzw. kognitiven Überlastung, der Verwirrung und des Kontrollverlusts attestiert.505 Es kann darüber hinaus Stress und Unruhe auslösen.506 In der wissenschaftlichen Literatur wird hierfür auch der Begriff der „information anxiety“ verwendet. Dieser beschreibt den Stress, den eine Person aufgrund seiner Bedenken, Informationen nicht vollständig erfassen zu können, erfährt.507 Außerdem führt die Informationsüberflutung zu einer stärkeren Emotionalisierung, was letztendlich die Rationalität der Entscheidung beeinträchtigt.508
Trotz widersprüchlicher Ergebnisse ist sich die wissenschaftliche Forschung mittlerweile über den Grundsatz einig, dass Informationsüberflutung eine schlechtere Entscheidungsperformance bedingt.509 Beispielsweise neigen Personen, wenn sie eine Informationsüberflutung erfahren, einerseits dazu Informationen selektiv auszuwählen und andererseits dazu Informationen bewusst zu ignorieren.510 Dies ist unter anderem der Tatsache geschuldet, dass Individuen Probleme haben die relevanten Informationen zu identifizieren.511 Ferner gehen Hendrick et al. (1968) davon aus, dass sie in ihrer Entscheidungsfindung impulsiver agieren dürften.512
(3)
Gegenmaßnahmen
Bawden und Robinson (2020) identifizieren ansetzend an den Konsequenzen drei „coping strategies“:513 Vermeidung und Rückzug, Filterung und Satisficing.514 Im Rahmen der Informationsvermeidung („information avoidance“) ignorieren Individuen potenziell nützliche Informationen aufgrund der Überlastung und dem erfahrenen Stress. Sie beruht also auf einer strikten Verweigerung der Informationssuche.515 Der Informationsrückruf („information withdrawl“) stellt im Vergleich zur Informationsvermeidung eine Abmilderung dar. Hierbei werden immerhin ein Minimum an Informationen noch berücksichtigt.516 Bei der Informationsfilterung („information filtering“) werden systematisch relevante Informationen fokussiert, andere, unwichtige Informationen dagegen ausgeschlossen.517 Verfolgen Individuen den Ansatz des Satisficing werden sie nur so viele Informationen aufnehmen und in ihrer Entscheidungssituation berücksichtigen, wie sie zum Treffen der Entscheidung benötigen.518 Die selektierten Informationen erfüllen demnach den angestrebten Zweck, stellen aber selten die besten Informationen dar. Eine bedeutende Rolle nehmen hierbei Heuristiken, Chunks und Schlüsselinformationen ein.519
Schlussfolgerung: Aus der Informationsverarbeitungstheorie, im Speziellen aus der begrenzten Informationsverarbeitungskapazität, soll eine für die vorliegende Studie relevante theoretische Teilerkenntnis (TTE) entnommen werden. Dem hierin als relevant befundenen Konzept der Informationsüberflutung folgen verschiedene Konsequenzen, wobei sich diese in den meisten Fällen auf das individuelle Informationssuchverhalten ausrichten. Auch die Gegenmaßnahmen zur Auflösung der Informationsüberflutung adressieren häufig die Suche und Auswahl von Informationen. Insofern lässt sich mit Bezug zu FB 3a folgende TTE 2 festhalten:
TTE 2:Die Informationsüberflutung bestimmt das Informationssuchverhalten von Individuen.
2.2.2.2 Dual-Processing Modelle und die Cognitive-Experiential Self-Theory
Dual-Processing Modelle haben innerhalb der Psychologie eine lange Historie, wobei ihr Ursprung auf die 1970/80er Jahre datiert wird.520 Seitdem haben sich mehrere Modelle in den verschiedensten Teildisziplinen der Psychologie entwickelt. Beispielsweise im Bereich des Lernens, der sozialen Kognition, der Urteilsbildung und der Entscheidungsforschung, sowie des Denkens.521 Im Kern treffen die verschiedenen Modelle dieselbe Aussage, nämlich, dass der Mensch zwei parallele kognitive Systeme besitzt.522 Hierfür verwenden sie, je nach Teildisziplin, unterschiedliche Bezeichnungen. Von „heuristisch und analytisch“,523 „assoziativ und regelbasiert“,524 „heuristisch und systematisch“,525 „extensiv und intuitiv“,526 bis hin zu „holistisch und analytisch“527.528 In seiner Rekapitulation der Dual-Processing Studien, führt Stanovich (1999) schließlich die relativ neutrale und bis heute populäre Bezeichnung „System 1 und System 2“ ein.529
Für die vorliegende Untersuchung ist insbesondere die Cognitive-Experiential Self-Theory (CEST) nach Epstein (1973) und Epstein (1994) interessant, da diese, im Vergleich zu anderen Ansätzen, explizit auf die Erklärung der Informationsverarbeitung abzielt. CEST zufolge nutzen Individuen zwei Informationsverarbeitungssysteme – auf der einen Seite das überwiegend unbewusste, erfahrungsbasierte System und auf der anderen Seite das überwiegend bewusste, rationale System. Die Theorie knüpft damit an die Arbeit von Freud (1900) an und kann als globale Persönlichkeitstheorie klassifiziert werden.530 Die CEST unterstellt dabei, dass die beiden Systeme, ähnlich wie in anderen Dual-Procssing Modellen, unabhängig voneinander, parallel und interaktiv agieren, sowie auf das Verhalten von Individuen Einfluss nehmen.531
Das erfahrungsbasierte System erwächst, wie die Bezeichnung schon suggeriert, aus der gesammelten Erfahrung einer Person. Dieses System ist es auch, dass bei hoch-entwickelten Tieren eine Anpassung an die Umgebung ermöglicht.532 Zur Verarbeitung der Informationen wird wenig kognitive Anstrengung verlangt und erfolgt daher weitestgehend automatisch. Im Detail werden Events oder Emotionen über die assoziativen Verbindungen (Schemata533), die im Langzeitgedächtnis angelegt sind, abgerufen.534 Aufgrund der emotionalen Komponente wird das unbewusste System der CEST, im Gegensatz zu anderen Ansätzen – bspw. im Vergleich zur Freudschen (1900) Theorie – auch als emotional und irrational beschrieben.535
Andererseits handelt es sich beim rationalen System um ein Schlussfolgerungssystem, das auf der Grundlage der Argumentation und Beweisführung funktioniert.536 Es erfordert hohe kognitive Anstrengung und ist daher für die Verarbeitung alltäglicher Events eher ungeeignet.537 Das rationale System wird als einzigartig für die menschliche Spezies angesehen und entspringt einer vergleichsweise kurzen evolutionären Historie.538 Einen detaillierten Vergleich der beiden Systeme bietet Abbildung 2.17.
Abbildung 2.17
Vergleich des erfahrungsbasierten und rationalen Systems539
Ansetzend an den beiden Systemen der CEST, stellten Epstein et al. (1996) schließlich die Überlegung an: „Assuming that two information processing modes exist, it would be of interest to demonstrate reliable individual differences in their relative usage […].“540 Zu diesem Zweck werden das erfahrungsbasierte und rationale System in die Persönlichkeitsvariablen Faith in Intuition und Need for Cognition überführt, wobei sich das erfahrungsbasierte System in Faith in Intuition und das rationale System in Need for Cognition wiederfindet. Faith in Intuition bezeichnet demzufolge die Tendenz sich auf seine erfahrungsbasierte, automatische Form der Informationsverarbeitung zu verlassen, wohingegen Need for Cognititon als Tendenz zur Nutzung einer rationalen, kognitiven Form der Informationsverarbeitung verstanden werden kann.541 In Anlehnung an die CEST werden die beiden Persönlichkeitsvariablen auch als Rational-Experiential-Inventory (REI) zusammengefasst.542 Die Untersuchungen des REI zeigen insgesamt mit der CEST konsistente Ergebnisse auf. Insbesondere verdeutlichen die Studien, dass die beiden Persönlichkeitsvariablen – wie auch die beiden Systeme – unabhängig voneinander sind.543
Schlussfolgerung: Aus der Informationsverarbeitungstheorie, im Speziellen aus der Cognitive-Experiential Self-Theorie, wird eine für die vorliegende Studie bedeutende theoretische Teilerkenntnis (TTE) entnommen. Es hat sich gezeigt, dass sich Personen in ihrer Tendenz zur Nutzung verschiedener Formen der Informationsverarbeitung (erfahrungsbasiert und rational) maßgeblich unterscheiden. Wissenschaftliche Abhandlungen bezeichnen diese Persönlichkeitsmerkmale als Faith in Intuition und Need for Cognition und werden im sogenannten Rational Experiential Inventory (REI) zusammengefasst. Es ist davon auszugehen, dass diese aus der Informationsverarbeitungstheorie abgeleiteten Persönlichkeitsmerkmale Einfluss auf das Informationssuchverhalten von Individuen nehmen. Aufgrund dessen wird vor dem Hintergrund von FB 3b nachfolgende TTE 3 bestimmt:
TTE 3:Faith in Intuition und Need for Cognition bestimmen das Informationssuchverhalten von Individuen.
2.2.3 Kognitive Dissonanztheorie und wahrgenommenes Risiko
Im Rahmen der Theoriewahl wurde die kognitive Dissonanztheorie unter anderem aufgrund ihres Erklärungsgehalts für die Risikoreduktionfunktion der Marke als zweckmäßig für die vorliegende Untersuchung eingestuft.544 Daher soll die kognitive Dissonanztheorie zunächst in einem ersten Schritt generell vorgestellt werden (Kapitelabschnitt 2.2.3.1), bevor die Analogie zwischen kognitiver Dissonanz und wahrgenommenen Risiko in einem zweiten Schritt näher ergründet wird und schließlich für die Forschungsbedarfe FB 3a und FB 3b relevante Teilerkenntnisse abgeleitet werden (Kapitelabschnitt 2.2.3.2).
2.2.3.1 Die kognitive Dissonanztheorie – Grundlagen und Forschungsüberblick
Als Konsistenztheorie, oder auch Theorie des kognitiven Gleichgewichts, hat die kognitive Dissonanztheorie ihren Ursprung in der Sozialpsychologie und ist inzwischen eine der häufigst-zitierten Theorien in der betriebswirtschaftlichen Forschung.545 Konsistenztheorien versuchen generell das Streben von Individuen nach Widerspruchsfreiheit zu erklären. Menschen nehmen Widersprüche oder Spannungen als unangenehm wahr und verspüren einen natürlichen Drang diese Spannungen abzubauen.546 Die kognitive Dissonanztheorie nach Festinger (1957) widmet sich, wie der Name der Theorie schon suggeriert, vornehmlich den Widersprüchen zwischen Kognitionen. Unter Kognition versteht Festinger (2020) dabei „irgendeine Kenntnis, Meinung oder Überzeugung von der Umwelt, von sich selbst oder von dem eigenen Verhalten.“547 Schließlich beschreibt die Dissonanz den negativen Gefühlszustand, der durch kognitive Widersprüche bzw. Inkonsistenzen, also durch das Erleben mindestens zweier inkonsistenter oder widersprüchlicher Kognitionen, entsteht.548 Nach Hinojosa et al. (2017) entwickelt eine Person nach dem Empfinden der Dissonanz eine Motivation diese zu reduzieren. Am Ende des Prozesses sollte dann der kognitive Widerspruch gelöst sein und erneut ein positiver Gefühlzustand (Konsonanz) eingenommen werden können (siehe Abbildung 2.18).549 Entlang dieses Prozesses soll die Theorie nun im Detail aufgearbeitet werden:
Abbildung 2.18
Prozess zur Entstehung und Reduktion von Dissonanz550
(1)
Kognitiver Widerspruch
In der Literatur zur kognitiven Dissonanztheorie lassen sich zwei verschiedene Definitionsansätze identifizieren. Auf der einen Seite umfasst die Dissonanz neben dem Gefühlszustand auch den kognitiven Widerspruch551 – der Terminus „Dissonanz“ wird also mehrdeutig eingesetzt. Auf der anderen Seite wird eine klare Abgrenzung zwischen den beiden Begriffen postuliert, wie exemplarisch bei Hinojosa et al. (2017). Demnach sind die kognitiven Widersprüche dem Gefühlszustand der Dissonanz vorgelagert.552 Diesem Definitionsansatz soll hier ebenfalls gefolgt werden, d. h. es wird klar zwischen kognitivem Widerspruch (Diskrepanzen) und Dissonanz als Gefühlszustand differenziert.
Zur Entstehung eines kognitiven Widerspruchs ist es also zunächst erforderlich, dass die kognitiven Elemente relevant füreinander sind. Präziser formuliert stehen Kognitionen dann in einer widersprüchlichen, inkonsistenten Beziehung zueinander, wenn „das Gegenteil des einen Elements aus dem anderen folgt“.553 Stünde das Verhalten einer Person in Diskrepanz zu seiner verhaltensbezogenen Einstellung, so würde zwischen diesen beiden kognitiven Elementen, unter Ausschluss anderer Elemente, eine widersprüchliche Beziehung bestehen. Die kognitive Dissonanzforschung fasst derartige Beispiele unter dem Begriff „counterattitudinal behavior“ zusammen.554 Ferner können sich solche widersprüchlichen Beziehungen aus dem Erlernten, Erlebten, oder den Erwartungen einer Person entwickeln. So stehen bei Kaufentscheidungen oftmals die erlebten Konsequenzen dieser Entscheidung (bspw. die erste Nutzung des neuen Produktes) in Widerspruch mit den zuvor gebildeten Erwartungen.555
Anhand dieses Beispiels wird bereits deutlich, in welcher Phase des Entscheidungsprozesses solche kognitiven Diskrepanzen primär auftreten können – nämlich nach dem Entschluss. Mit der Untersuchung der kognitiven Dissonanz als Folge von Entscheidungen hat sich die Marketingliteratur schon seit Jahren beschäftigt. Ihr Ziel ist es Implikationen zu geben, wie Dissonanzen bei Konsumenten in der Nachkaufphase reduziert werden können.556 Freilich können kognitive Widersprüche aber auch in der Suchphase vor dem Entschluss entstehen – dann, wenn eine neue, einem kognitiven Element widersprüchliche Information (Ereignis) aufgenommen (auftritt) wird.557 Beispielsweise, wenn zu einem bisher präferierten Lieferanten, schlechte Qualitätsberichte auftreten und von der Person wahrgenommen werden.558
(2)
Dissonanz
Mit dem kognitiven Widerspruch ist die grundlegendste Bedingung zur Entstehung von Dissonanz bereits beleuchtet worden. Freilich führt aber nicht jeder kognitive Widerspruch gleichermaßen zu kognitiver Dissonanz, d. h. zu einem negativen Gefühlszustand.559 Die Entstehung sowie die Stärke der Dissonanz hängen von mehreren Faktoren ab.
Nach Festinger (2020) bestimmen die Wichtigkeit der Entscheidung, die Attraktivität der nichtgewählten Alternative, sowie der Grad der kognitiven Überlappungen mit den Alternativen maßgeblich die Dissonanzstärke. Je wichtiger also die Entscheidung, je größer die Attraktivität der nicht-gewählten Alternative und je geringer die kognitive Überlappung mit den Alternativen, desto größer die erlebte kognitive Dissonanz.560 Sweeney et al. (2000) stellt vergleichbare drei Bedingungen als zentral für das Entstehen von Dissonanz heraus:561 Zunächst muss auch ihnen zufolge die Entscheidung für das Individuum wichtig sein. In anderen Worten muss die Person entweder psychologisch oder monetär in die Entscheidung investiert sein.562 Des Weiteren soll die Entscheidung freiwillig getroffen worden sein, damit Dissonanz entsteht. Ansonsten neigt die Person dazu, sein soziales Umfeld für die Entscheidung verantwortlich zu machen.563 Zuletzt muss die Entscheidung irreversibel sein. Demnach sind es insbesondere langfristige Konsequenzen, die eine kognitive Dissonanz auslösen.564 Nach Kroeber-Riel und Gröppel-Klein (2019) können weitere drei Faktoren ergänzt werden. Ihnen zufolge hängt die Dissonanzstärke davon ab, wie stark das individuelle Selbstwertgefühl durch den kognitiven Widerspruch adressiert wird und wie aktiv nach neuen Informationen gesucht wird. Ferner machen sie die Dissonanzstärke auch an der Persönlichkeit der Individuen fest. Je nachdem wie tolerant eine Person gegenüber den kognitiven Widersprüchen ist, wird sich die Dissonanz folglich schwächer oder stärker ausbilden.565 Formal hingegen definieren Harmon-Jones und Mills (2019) die Dissonanzstärke – auch genannt „dissonance ratio“ – als Quotient aus der Anzahl inkonsistenter Kognitionen und der Anzahl konsistenter Kognitionen addiert mit der Anzahl inkonsistenter Kognitionen. Die Dissonanzstärke hängt also von der Wichtigkeit und Anzahl inkonsistenter Widersprüche ab.566
Wie eingangs eröffnet, wird die Dissonanz allgemein als negativer Gefühlszustand beschrieben. Nach Sweeney et al. (2000) erfüllt die kognitive Dissonanz die Merkmale eines Oxymorons. Es verknüpft emotionale Inhalte mit Kognitionen. Ersichtlich wird dies mit einem Blick auf verschiedene Definitionsansätze. So wird die kognitive Dissonanz nicht nur als „psychological discomfort“, oder „psychological uncomfortable state“ bezeichnet, sondern auch mit Angst, Unsicherheit oder Zweifel in Verbindung gebracht und des Weiteren als Synonym für Bedauern, Gewissensbisse und kontrafaktische Gedanken benutzt.567 Zur Messung der Dissonanz greifen die Autoren entsprechend auf mehrere kognitions- und emotionsbezogene Indikatoren zurück.568 Schließlich ergibt sich eine dreidimensionale Messung der kognitiven Dissonanz („emotional“, „wisdom of purchase“ und „concern over deal“).569 Andere Studien messen die Dissonanz auch als „state of negative effect“, indem sie verschiedene negative Gefühlszustände, wie miserabel, beunruhigt, unglücklich oder unzufrieden, abfragen.570 Allerdings wird in vielen Studien zur kognitiven Dissonanz allzu oft nicht der tatsächliche Gefühlszustand, sondern der kognitive Widerspruch gemessen.571
Der Forschung zur kognitiven Dissonanz mangelt es an Replikationsstudien, da mehrere Forschungsprojekte, bei dem Versuch vorherige Ergebnisse zu replizieren, scheiterten. Schließlich stellt sich die Frage, weshalb ähnliche oder sogar gleich designte Untersuchungen nicht die erwarteten, replizierenden Ergebnisse lieferten. Einen Grund, den die Forscher als relevant erachten, ist die Persönlichkeit der Probanden.572 Es kann davon ausgegangen werden, dass sich Individuen in ihrem Umgang mit Inkonsistenzen und Dissonanz maßgeblich unterscheiden. Tatsächlich führten bereits Kelman und Cohler (1959) und später Cox (1967c) mit „Need for Cognitive Clarity“ ein Konstrukt ein, um auszudrücken inwiefern eine Person die Fähigkeit besitzt, Ambiguität zu tolerieren.573 Ein vergleichbares Verständnis unterliegt auch dem Konstrukt „Preference for Consistency“ nach Cialdini et al. (1995). Demzufolge haben Individuen einen unterschiedlichen Drang, Konsistenz herzustellen oder anders ausgedrückt Dissonanz zu reduzieren und Reduktionsstrategien zu initiieren.574
(3)
Motivation
Aus dem negativen Gefühlszustand erwächst schließlich die Motivation diesen zu reduzieren, um final wieder eine kognitive Konsistenz herstellen zu können.575 So stellt Festinger (2020) die These auf, dass „Dissonanz […] ein eigenständiger, motivierender Faktor ist.“576 Aufgrund der motivierenden Eigenschaft der Dissonanz wird die Theorie von Festinger (1957) teilweise auch als Motivationstheorie gelistet.577
Eine zentrale Rolle nimmt die Motivation auch in dem New Look Paradigma von Cooper und Fazio (1984), das als Reformulierung oder Weiterentwicklung von Festingers (1957) kognitiver Dissonanztheorie gilt, ein. In ihrem Prozess folgt auf die Phase der „dissonance arousal“, die „dissonance motivation“578 – definiert als „the psychological discomfort that motivates or „drives“ the attitude change process“.579 Während die erste Phase ausgiebig untersucht wurde, erhielt die zweite Phase vergleichsweise wenig empirische Unterstützung.580 Jedoch konnten diesen Nachweis spätestens Elliot und Devine (1994) mit Hilfe ihrer experimentellen Untersuchung liefern.581 Studienergebnisse legen außerdem nahe, dass die Motivation zur Dissonanzreduktion durch die Dissonanzstärke beeinflusst wird. Liegt demnach eine hohe Dissonanz vor, wird auch die Motivation diese zu reduzieren hoch ausfallen. Folglich dürfte auch die Art und Weise, wie die Dissonanz reduziert wird von der Dissonanzstärke abhängen. So dürften Personen eher aufwändige Reduktionsstrategien wählen, wenn ihre Dissonanz stark ausgeprägt ist.582
(4)
Widerspruchsreduktion
Individuen können ihre kognitiven Widersprüche und damit den Gefühlzustand der Dissonanz ganz allgemein durch Finden neuer oder Veränderung bestehender Kognitionen reduzieren oder ausschalten.583 Nach Festinger (1957) stehen einem Individuum bei der Veränderung der Kognitionen zwei Möglichkeiten zur Verfügung – entweder die Änderung des kognitiven Elements des Verhaltens oder die Änderung des kognitiven Elements der Umwelt.584 Bei Ersteren werden folglich die Elemente des Verhaltens, wie die Handlung oder das Gefühl, verändert, sodass diese wieder mit der Umwelt konsonant sind. Bei Letzteren wird hingegen die Situation geändert, auf die sich das kognitive Element der Umwelt bezieht. Angesichts einer mangelnden Kontrolle über die Umwelt, scheint diese Möglichkeit jedoch bedeutend schwieriger zu realisieren zu sein.585 Auf der anderen Seite durchlaufen Individuen beim Finden neuer Kognitionen die Phase des Suchverhaltens erneut. Hierin werden dann bewusst konsonante Informationen gesucht und inkonsistente Informationen gemieden.586 Hinojosa et al. (2017) bezeichnet diese Möglichkeit daher auch als „selective information processing“.587 Zudem identifizieren sie als Ergebnis ihrer Literaturanalyse zwei588 weitere Formen der Diskrepanzreduktion: „Escalation of Commitment“ und „Trivialization“. Während das eskalierendes Commitment den bereits geleisteten Einsatz rechtfertigen soll, wird im Rahmen der Trivialisierung589 die Bedeutung der ursprünglichen Handlung herabgesetzt.590 Des Weiteren können noch die Reduktionsstrategien Ablenkung und Vergessen, Ablehnung von Verantwortung, sowie Rationalisierung der Handlung ergänzt werden.591
Schlussfolgerung: Aus der kognitiven Dissonanztheorie lassen sich insgesamt zwei bedeutende theoretische Teilerkenntnisse (TTE) für die vorliegende Studie entnehmen. Das zentrale Konzept der Theorie bildet eindeutig der negative Gefühlszustand der kognitiven Dissonanz. Tritt ein solcher Gefühlszustand auf, wird eine Person motiviert sein, diesen mittels verschiedener Reduktionsstrategien zu mindern. Eine populäre Reduktionsstrategie bildet hierbei die selektive Informationssuche. Insofern lassen sich die Erkenntnisse aus der kognitiven Dissonanztheorie in folgender TTE 4 zusammenfassen:
TTE 4:Die kognitive Dissonanz bestimmt das Informationssuchverhalten von Individuen.
Ferner hat sich bei der Analyse der kognitiven Dissonanztheorie herausgestellt, dass sich Personen in ihrem Umgang mit kognitiver Dissonanz maßgeblich unterscheiden. Wissenschaftliche Abhandlungen bezeichnen dieses Persönlichkeitsmerkmal als Präferenz für Konsistenz. Es ist davon auszugehen, dass nicht nur der Gefühlszustand der kognitiven Dissonanz, sondern auch ein hiervon abgeleitetes Persönlichkeitsmerkmal Einfluss auf das Informationssuchverhalten von Individuen nimmt. Basierend auf dieser Argumentation wird schließlich nachfolgende TTE 5 formuliert:
TTE 5:Die Präferenz für Konsistenz bestimmt das Informationssuchverhalten von Individuen.
2.2.3.2 Analogie zwischen kognitiver Dissonanz und wahrgenommenen Risiko
Analogien sind ein essenzieller Bestandteil betriebswirtschaftlicher Theorien.592 Sie dienen dazu neue Ideen zu kreieren, Erklärungen zu liefern und allen voran Einblicke in komplexe Sachverhalte zu ermöglichen.593 Im vorliegenden Fall bildet die kognitive Dissonanztheorie die Quelle und das wahrgenommene Risiko das Ziel der Analogie. Insofern wird das Wissen um die kognitive Dissonanz genutzt, um Implikationen für das wahrgenommene Risiko generieren zu können.594 Zunächst soll aufgezeigt werden, dass eine Analogie zwischen kognitiver Dissonanz und wahrgenommenen Risiko in der Literatur prinzipiell unterstützt wird, bevor darauffolgend ein Analogieschluss für die vorliegende Arbeit gezogen wird.
Laut Gemünden (1985a) kann das wahrgenommene Risiko einer Person wie folgt interpretiert werden: „perceived risk represents a state of cognitive dissonance“.595 Auch Soutar und Sweeney (2003) halten fest: „Both perceived risk and cognitive dissonance share many of the same characteristics.“596 Allerdings schlussfolgern sie daraufhin, dass das wahrgenommene Risiko wahrscheinlich eine Antezedent der kognitiven Dissonanz bildet. Dies liegt ihnen zufolge darin begründet, dass die kognitive Dissonanz eher nach der Kaufentscheidung und das wahrgenommene Risiko eher vor der Entscheidung entsteht.597 In Darlegung der kognitiven Dissonanztheorie konnte aber bereits herausgearbeitet werden, dass Dissonanz nicht ausschließlich nach dem Entschluss, sondern auch während der Informationssuche entsteht. Ebenfalls verweist Bauer (1960) in seiner grundlegenden Arbeit auf die Theorie von Festinger (1957) und unterstellt dieser im Kontext des wahrgenommenen Risikos einen hohen Erklärungsgehalt.598 Damit liegen erste Indizien für eine Analogie vor. Im Folgenden soll die Analogie entlang des Prozesses der kognitiven Dissonanz (siehe Abbildung 2.18) weiter vertieft werden.
(1)
Kognitiver Widerspruch
Nach Kroeber-Riel und Gröppel-Klein (2019) kann das wahrgenommene Risiko tatsächlich als kognitive Inkonsistenz bzw. Konflikt verstanden werden. Ihnen zufolge können exemplarisch der eigene Standard des Individuums, wie die Erfolgserwartung, mit den antizipierten Konsequenzen seiner Entscheidung im Widerspruch zueinanderstehen, wodurch schließlich Risiko wahrgenommen wird.599 Ansonsten wird in der Risikoforschung aber eher selten ein kognitiver Widerspruch als Ausgangpunkt des wahrgenommenen Risikos explizit adressiert.600 Vielmehr werden verschiedene kontextuelle oder persönliche Merkmale als Antezedenten des wahrgenommenen Risikos untersucht.
(2)
Wahrgenommenes Risiko
Die beiden Konzepte der kognitiven Dissonanz und des wahrgenommenen Risikos, wie bei Soutar und Sweeney (2003) bereits angedeutet, weisen für zentrale Merkmale Analogien auf. Wie auch die kognitive Dissonanz wird das wahrgenommene Risiko von verschiedenen Faktoren hervorgerufen. Beispielswiese wird das Entstehen sowie die Höhe des wahrgenommenen Risikos durch die Wichtigkeit der Entscheidung, dem Mangel an Produktinformationen oder der fehlenden Vertrautheit mit dem Produkt beeinflusst.601 Darüber hinaus wird den Kosten, sowohl ökonomischer, zeitlicher, physischer oder psychologischer Natur, ein Einfluss auf die Höhe des wahrgenommenen Risikos unterstellt.602 Dowling und Staelin (1994) bestimmen in ihrem Prozessmodell für Konsumentscheidungen die Kaufziele, den beabsichtigten Nutzen, das vorherige Wissen und das Involvement als zentrale Determinanten des wahrgenommenen Risikos.603 Sitkin und Pablo (1992) hingegen leiten in ihrem Modell die Einflussfaktoren „Problem Framing“, „Top Management Team Homogeneity“, „Social Influene“, „Problem Domain Familiarity“ und „Organizational Control Systems“ ab.604 Zusätzlich unterstellen sie der individuellen Risikoneigung als Persönlichkeitsvariable einen Einfluss auf das wahrgenommene Risiko. Demnach dürften zu Risiko neigende Individuen weniger Risiko wahrnehmen als risikoscheue Individuen.605 Letztlich kann die Analogie zur kognitiven Dissonanz im Speziellen anhand der Faktoren Kosten, Wichtigkeit, Involvement, sowie anhand der Persönlichkeit der Individuen festgemacht werden. Andererseits wird beispielsweise der Komplexität im Kontext des wahrgenommenen Risikos im Vergleich zur kognitiven Dissonanz ein bedeutsamerer Einfluss unterstellt. So weist die Komplexität in der Studie von Holak und Lehmann (1990) unter fünf Einflussfaktoren den stärksten Effekt auf das wahrgenommene Risiko auf.606 Auch Gemünden stellt in seiner Metaanalyse zum wahrgenommenen Risiko fest: „complex decisions have a higher risk potential […].“607 Insofern wird vor dem Hintergrund von FB 3a folgende TTE 6 bestimmt:
TTE 6:Die Komplexität (in seinen verschiedenen Facetten) bestimmt das wahrgenommene Risiko.
Definiert wird das wahrgenommene Risikos unter anderem über zwei Komponenten, die damit ebenfalls die Höhe des wahrgenommenen Risikos bestimmen – nämlich das Ausmaß der Konsequenzen und die Unsicherheit dieser Konsequenzen.608 Hierbei sind die Konsequenzen, zumindest in der Konsumentenforschung, meist negativ konnotiert.609 Ferner wird das wahrgenommene Risiko mit Angst und Stress assoziiert und als unangenehmer Gefühlszustand bzw. Spannungszustand beschrieben.610 Nicht zuletzt wird auch anhand dieser Beschreibung eine Analogie zwischen den beiden Konzepten „kognitive Dissonanz“ und „wahrgenommenes Risiko“ offenkundig.
(3)
Motivation
Die motivierende Funktion des wahrgenommenen Risikos heben nur wenige Abhandlungen ausdrücklich hervor. Vielmehr leiten die meisten Arbeiten vom wahrgenommenen Risiko direkt zu den Reduktionsstrategien über.611 Lediglich Kroeber-Riel und Gröppel-Klein (2019) stellen die Analogie zur kognitiven Dissonanztheorie heraus, in dem sie formulieren: „Es [Anm. d. Autors: das wahrgenommene Risiko] motiviert wie jede andere Inkonsistenz das Individuum, Aktivitäten zur Herstellung des „inneren Gleichgewichts“ auszuführen.“612 Ebenfalls bescheinigt Gemünden (1985a) dem wahrgenommenen Risiko eine motivierende Eigenschaft, die zur Aufnahme von Reduktionsstrategien führt.613 Dabei kann angenommen werden: Je höher das wahrgenommene Risiko, desto höher ist der Antrieb das Risiko, beispielsweise durch Informationssuche, zu reduzieren.614
(4)
Widerspruchsreduktion
Ansetzend an der Zwei-Komponenten Definition des wahrgenommenen Risikos können auch zwei grundlegende Reduktionstrategien formuliert werden. Erstens kann die Unsicherheit durch Informationsbeschaffung und -bearbeitung reduziert werden. Zweitens kann das Ausmaß der Konsequenzen verringert werden, indem die Kosten der Entscheidung reduziert werden oder die Entscheidung hinausgeschoben wird.615 Sheth und Venkatesan (1968) adressieren in der Konsumentenforschung mit ihren drei Maßnahmen hingegen ausschließlich die Unsicherheitskomponente: 1) Informationssuche und -beschaffung von informellen, persönlichen und einkaufsbezogenen Quellen, 2) ausführliche Überlegungen vor der Entscheidung, um alternative Marken abzuwägen und seine Kognitionen zu strukturieren, 3) Vertrauen auf das Markenimage, oder allgemein auf frühere Kauferfahrungen.616 Bestätigt werden kann die risikoreduzierende Wirkung von starkem Markenimage und Markenloyalität durch die Arbeit von Roselius (1971). Unter elf verschiedenen Risikoreduktionsstrategien zeigten diese den stärksten Effekt.617 Insgesamt wird die Unsicherheitsreduktion deutlich stärker präferiert618 – hierin wird neben dem Markenimage und -treue,619 vor allem die Informationssuche hervorgehoben,620 wobei die Marke selbst auch als Schlüsselinformation aufgefasst werden kann. Das wahrgenommene Risiko bestimmt also aufgrund des subjektiven Reduktionszwanges maßgeblich das Informationssuchverhalten von Individuen. Es gilt allerdings zu beachten, dass eine übermäßige und nicht-selektive Informationsbeschaffung umgekehrt auch zu einem gesteigerten wahrgenommenen Risiko führen kann.621 Schließlich wird auch bei der Widerspruchsreduktion die Analogie zwischen kognitiver Dissonanztheorie und wahrgenommenen Risiko offenkundig.
Analogieschluss: Abschließend kann festgehalten werden, dass die Literatur eine Analogie zwischen kognitiver Dissonanztheorie und wahrgenommenen Risiko unterstützt und diese sogar, wie exemplarisch bei Gemünden (1985a), explizit hervorhebt. Die Analogie zur kognitiven Dissonanz lässt sich demnach wie folgt zusammenfasen: Individuen nehmen Risiken aufgrund von Abweichungen zwischen ihren eigenen Standards und den antizipierten Konsequenzen ihrer Entscheidung wahr. Demnach herrscht eine Form kognitiver Inkonsistenz vor.622 Motiviert durch den negativen Gefühlszustand des wahrgenommenen Risikos versuchen Individuen dann dieses durch verschiedene Strategien, wie die bewusste Selektion von Informationen oder Markenimage/ -treue zu reduzieren, bzw. die Inkonsistenzen aufzulösen.623 Die Person wird also besonders auf jene Informationen zurückgreifen, die die Fähigkeit besitzen das wahrgenommene Risiko zu reduzieren624 – in Analogie zu den konsistenten Informationen bei der kognitiven Dissonanztheorie.625 Schließlich soll mit der Reduktion des wahrgenommenen Risikos erneut eine psychologische Balance, bzw. kognitive Konsistenz hergestellt werden.626
Des Weiteren folgt aus der Analogie zwischen kognitiver Dissonanz und wahrgenommenen Risiko eine Umformulierung der beiden theoretischen Teilerkenntnisse TTE 4 und TTE 5. Hinsichtlich FB 3a kann also folgende TTE 4 festgehalten werden:
TTE 4:Das wahrgenommene Risiko bestimmt das Informationssuchverhalten von Individuen.
In Analogie zum Persönlichkeitsmerkmal „Präferenz für Konsistenz“ bietet die Risikoforschung mehrere potenziell-relevante Konzepte.627 An dieser Stelle soll die Bezeichnung „individuelle Risikoneigung“ aus der Literatur entnommen werden, um auszudrücken, dass sich Personen in ihrer Tendenz, Risiken einzugehen, unterscheiden.628 Demnach kann für FB 3b folgende TTE 5 bestimmt werden:
TTE 5:Die individuelle Risikoneigung bestimmt das Informationssuchverhalten von Individuen.
2.2.4 Synthese – Konkretisierung des konzeptionellen Analyserahmens
Aus den beiden ausgewählten Theorieansätzen konnten mehrere Implikationen (TTE) für die Forschungsbedarfe FB 3a und FB 3b abgeleitet werden. Diese Erkenntnisse sollen nun in Forschungshypothesen (FH) überführt und in den konzeptionellen Analyserahmen aus Kapitelabschnitt 2.1.4 eingebettet werden, wodurch eine Konkretisierung dessen erzielt werden soll.
Forschungsbedarf 3a
Hinsichtlich FB 3a und damit zur Erklärung des Einflusses der Logistikdienstleistungskomplexität auf die Markensensibilität (siehe Tabelle 2.10) kann auf die aus der Informationsverarbeitungstheorie und der Analogie von kognitiver Dissonanztheorie und wahrgenommenen Risiko entnommenen beiden Konzepte der Informationsüberflutung und des wahrgenommenen Risikos zurückgegriffen werden. Wie festgestellt werden konnte, werden die beiden Konzepte maßgeblich durch die Komplexität beeinflusst (TTE 1, TTE 6) und bestimmen auf der anderen Seite selbst das Informationssuchverhalten von Individuen (TTE 2, TTE 4).
FB3a: Untersuchung des Einflusses der Logistikdienstleistungskomplexität als organisationales Charakteristikum auf die Markensensibilität bei der strategischen Auswahl von Logistikdienstleistern.
TTE 1
Die Komplexität (in seinen verschiedenen Facetten) bestimmt die Informationsüberflutung.
TTE 2
Die Informationsüberflutung bestimmt das Informationssuchverhalten von Individuen.
TTE 4
Das wahrgenommene Risiko bestimmt das Informationssuchverhalten von Individuen.
TTE 6
Die Komplexität (in seinen verschiedenen Facetten) bestimmt das wahrgenommene Risiko.
Vor dem Hintergrund des vorliegenden Forschungsbedarfs kann die Logistikdienstleistungskomplexität als Ausprägung der Komplexität und die Markensensibilität als Ausprägung des Informationssuchverhaltens aufgefasst werden. Insofern ist folgende Interpretation als erste Forschungshypothese (FH 1) nach dem Muster von Roetzel (2019): „Mental processes and states are interpreted as mediators between a stimuli and a behavior“630 zulässig:
FH 1:
Die Informationsüberflutung und das wahrgenommene Risiko wirken als Bindeglied – im statistischen Sprachgebrauch als Mediator – zwischen Logistikdienstleitungskomplexität und Markensensibilität.
Damit werden die organisationalen Charakteristiken im konzeptionellen Analyserahmen um die beiden Faktoren der Informationsüberflutung und des wahrgenommenen Risikos ergänzt (siehe Abbildung 2.19).
Forschungsbedarf 3b
Hinsichtlich FB 3b konnten aus der Informationsverarbeitungstheorie, im Spezifischen aus der Cognitive-Experiential Self-Theory, und aus der Analogie von kognitiver Dissonanztheorie und wahrgenommenen Risiko die drei Konzepte Faith in Intuition, Need for Cognition und individuelle Risikoneigung abgeleitet werden (siehe Tabelle 2.11).
FB3b: Untersuchung des Einflusses von individuellen Charakteristiken auf die Markensensibilität bei der strategischen Auswahl von Logistikdienstleistern.
TTE 3
Faith in Intuition und Need for Cognition bestimmen das Informationssuchverhalten von Individuen.
TTE 5
Die individuelle Risikoneigung bestimmt das Informationssuchverhalten von Individuen.
Ihnen wird allesamt ein Einfluss auf das Informationssuchverhalten von Individuen unterstellt (TTE 3, TTE 5). Gemäß der Auffassung, dass die Markensensibilität eine Ausprägung des Informationssuchverhaltens darstellt, lässt sich somit folgende zweite Forschungshypothese (FH 2) formulieren:
FH 2:
Die individuelle Risikoneigung, Faith in Intuition und Need for Cognition bestimmen die Markensensibilität.
Damit können die individuellen Charakteristiken im konzeptionellen Analyserahmen um die drei Faktoren individuelle Risikoneigung, Faith in Intuition und Need for Cognition konkretisiert werden. Abbildung 2.19 illustriert die beiden Forschungshypothesen FH 1 und FH 2 im Rahmen von Forschungsbedarf FB 3 als konzeptionell-theoretischen Analyserahmen632.
Abbildung 2.19
Konzeptionell-theoretischer Analyserahmen für Forschungsbedarf 3633
Hingegen fasst Tabelle 2.12 die Formulierungen der Forschungshypothesen in Referenz zu den Forschungsbedarfen FB 3a und FB 3b noch einmal überblicksstiftend zusammen.
Tabelle 2.12
Zusammenfassung der Forschungshypothesen für Forschungsbedarf 3634
FI3: Wann wird die Marke bei der Auswahl von Logistikdienstleistern berücksichtigt? d. h. inwiefern wird die Berücksichtigung der Marke bei der Auswahl von Logistikdienstleistern durch verschiedene Faktoren beeinflusst?
FB3a: Untersuchung des Einflusses der Logistikdienstleistungskomplexität als organisationales Charakteristikum auf die Markensensibilität bei der strategischen Auswahl von Logistikdienstleistern.
FH 1
Die Informationsüberflutung und das wahrgenommene Risiko wirken als Bindeglied – im statistischen Sprachgebrauch als Mediator – zwischen Logistikdienstleitungskomplexität und Markensensibilität.
FB3b: Untersuchung des Einflusses von individuellen Charakteristiken auf die Markensensibilität bei der strategischen Auswahl von Logistikdienstleistern.
FH 2
Die individuelle Risikoneigung, Faith in Intuition und Need for Cognition bestimmen die Markensensibilität.
2.3 Entwicklung eines vorläufigen Hypothesensystem – der Einfluss von organisationalen und individuellen Charakteristiken auf die Markensensibilität
Entsprechend den beiden Forschungshypothesen (FH 1, FH 2) und gemäß dem erarbeiteten methodischen Vorgehen sollen nun, unter Rückgriff auf die theoretischen Annahmen als auch mit Hilfe vergleichbarer empirischer Studien, statistisch überprüfbare Hypothesen aufgestellt werden.635 In Anlehnung an FH 1 wird in Kapitelabschnitt 2.3.1 der Einfluss der wahrgenommenen Logistikdienstleistungskomplexität mit ihren Mediatoren wahrgenommene Informationsüberflutung und wahrgenommenes Risiko auf die Markensensibilität ergründet und in statistische Hypothesen überführt. Insofern sind die organisationalen Charakteristiken als Einflussfaktoren Gegenstand der Betrachtung. In Anlehnung an FH 2 wird in Kapitelabschnitt 2.3.2 der Einfluss der individuellen Charakteristiken Faith in Intuition, Need for Cognition und individuelle Risikoneigung auf die Markensensibilität als statistische Hypothesen erfasst. Schließlich wird auch die bereits offengelegte Kausalität zwischen Markensensibilität und Markenwichtigkeit, fortan als Markenhierarchie deklariert, in eine statistische Hypothese überführt (siehe Kapitelabschnitt 2.3.3). Gemäß dem methodischen Vorgehen sollen auch alternative Einflussfaktoren identifiziert und das Hypothesensystem auf deren Einfluss kontrolliert werden. Dies wird in Kapitelabschnitt 2.3.4 adressiert, bevor zum Abschluss das vorläufige Hypothesensystem zusammengefasst präsentiert wird (siehe Kapitelabschnitt 2.3.5). Abbildung 2.20 illustriert den Aufbau des Kapitelabschnittes mit Hilfe des zuvor abgeleiteten konzeptionell-theoretischen Analyserahmens. Insgesamt soll der Kapitelabschnitt 2.3 im Sinne der konzeptionellen Strenge (KS 1, KS 2, KS 3, KS 4) gestaltet werden.
2.3.1 Organisationale Charakteristiken – wahrgenommene Logistikdienstleistungskomplexität, Informationsüberflutung und Risiko als Einflussfaktoren
Im Folgenden werden nun gemäß FH 1 die beiden indirekten Effekte der Logistikdienstleistungskomplexität über die Informationsüberflutung und über das wahrgenommene Risiko auf die Markensensibilität hergleitet. An dieser Stelle sollen die Logistikdienstleistungskomplexität und die Informationsüberflutung als durch Beschaffungsmanager subjektiv wahrgenommene Größen verstanden werden, weshalb beiden, wie schon dem wahrgenommenen Risiko, der Ausdruck „wahrgenommen“ vorangestellt wird. Diese Subjektivität spiegelt sich später auch in den Konzeptualisierungen und Operationalisierungen637 der im Hypothesensystem in Beziehung gesetzten Größen wider, soll aber bereits hier offengelegt werden. Gegenstand des vorliegenden Kapitelabschnitts sind also die wahrgenommene Logistikdienstleistungskomplexität, die wahrgenommene Informationsüberflutung, das wahrgenommene Risiko und die Markensensibilität.
Ferner wird zum Hypothetisieren der angesprochenen indirekten bzw. mediierenden Effekte im Nachgang dem Segmentierungsansatz von Rungtusanatham et al. (2014) gefolgt. So werden in einem ersten Schritt die exogenen und endogenen Beziehungen des Mediators hypothetisiert (bspw. wahrgenommene Logistikdienstleistungskomplexität → wahrgenommenes Risiko; wahrgenommenes Risiko → Markensensibilität), bevor dann in einem zweiten Schritt auf die Mediation geschlossen wird.638
Wahrgenommene Informationsüberflutung
Aus den Abhandlungen zur Informationsverarbeitungstheorie lässt sich der Einfluss der wahrgenommenen Logistikdienstleistungskomplexität auf die wahrgenommene Informationsüberflutung argumentieren.639 Zwar sind häufig die Aufgabenkomplexität oder die Informationskomplexität und selten die für die vorliegende Studie interessante Logistikdienstleistungskomplexität Gegenstand der Betrachtung, jedoch können sie erste Implikationen für die Ausgestaltung der Wirkungsbeziehung zwischen wahrgenommener Logistikdienstleistungskomplexität und wahrgenommener Informationsüberflutung liefern. So wird hierin argumentiert, dass mit einer steigenden Komplexität der Entscheidungssituation und gleichzeitig geringer Anzahl wiederkehrender Routinen, die Informationsbelastung umso höher ausgeprägt ist und eine Informationsüberflutung umso wahrscheinlicher wird.640 Bawden und Robinson (2020) halten die positive Wirkungsbeziehung für die Informationskomplexität wie folgt fest: „The more diverse and complex a collection of information is, and the more alternatives it offers or appears to offer, the more likely it is to cause overload“641 Grundsätzlich suggeriert die Literatur zur Informationsüberflutung also eine positive Beziehung zwischen wahrgenommener Logistikdienstleistungskomplexität und wahrgenommener Informationsüberflutung.
Aus der Logistikforschung sollen ergänzend die der Logistikdienstleistungskomplexität unterliegenden Aspekte zur argumentativen Fundierung des positiven Einflusses herangezogen werden. Die übergreifende Komplexität der Logistikdienstleistung erwächst unter anderem aus der Kombination mehrerer, verschiedener Logistikdienstleistungen (Anzahl, Varietät), aus der Intangibilität, aus den kundenspezifischen Anpassungen, als auch aus der Komplexität der Einzelservices per se.642 Entlang dieser konstitutiven Merkmale definiert beispielsweise Klaus (2007) Kontraktlogistikdienstleistungen.643 Jene der Logistikdienstleistungskomplexität unterliegenden Aspekte dürften eine große zu verarbeitende Informationsmenge bedingen, damit die Logistikdienstleistung in der Auswahlentscheidung adäquat beurteilt und bewertet werden kann. Valide Indizien für die Informationsmenge, die in solchen Beschaffungsentscheidungen verarbeitet werden müssen, liefern Ausschreibungstexte oder Verträge. Large et al. (2011) zufolge umfassen die meisten Ausschreibungstexte komplexer, kundenspezifischer Logistikdienstleistungen mehr als 50 Seiten plus ausgiebigen Anhang mit Layouts und Abbildungen.644 Auch aus den Erkenntnissen von Frings (2007) zu den Inhalten von Kontraktlogistikverträgen, lässt sich eine hohe Informationsmenge schlussfolgern. So umfassen diese beispielsweise detaillierte Leistungsvereinbarungen, Leistungsmessindikatoren, Qualitätsanforderungen, Vergütungssysteme, Verbesserungsprozesse etc.,645 wohingegen Fracht- oder Lagerverträge, beispielsweise für einfache Logistikleistungen, relativ standardisiert, weniger relational geprägt und weniger umfangreich sind. Dahingehend dokumentieren auch Andersson und Norrman (2002): „The contracts for purchasing of more complex logistics system do contain more details due to the scope of services […].“646 Zudem sind solche komplexen Logistikdienstleistungen oftmals sowohl für den Dienstleister als auch den Abnehmer neu.647 Das bedeutet, dass das Verständnis für die Logistikleistung erst erarbeitet werden muss. In Summe der Argumente ist es wahrscheinlich, dass aufgrund der natürlich begrenzten Informationsverarbeitungskapazität, die Menge an verfügbaren Informationen, die die Beschaffung einer komplexen Logistikdienstleistung bedingt, nicht mehr erfasst werden kann und das Individuum infolgedessen überwältigt wird und eine Informationsüberflutung wahrnimmt.648 Auf der anderen Seite bedingt die Beschaffung einfacher Logistikdienstleistungen, wie zum Beispiel der reine Transport, vergleichsweise weniger Informationen, weshalb eine Informationsüberflutung seltener hervorgerufen wird. In diesem Sinne suggeriert die Logistikliteratur, dass die Beschaffung einfacher Logistikleistungen routinierter abläuft, die Logistikleistungen einfacher zu definieren sind, und häufig durch klassische Verträge mit geringer Spezifität abgewickelt werden.649 So nimmt die Phase der Leitungsdefinition/-spezifikation bei der Beschaffung einfacher Logistikleistungen gemäß Andersson und Norrman (2002) auch nur eine untergeordnete Rolle ein.650 Die vorliegende Studie geht also davon aus, dass mit zunehmender wahrgenommener Logistikdienstleistungskomplexität, der Grad der wahrgenommenen Informationsüberflutung steigt. Vor diesem Hintergrund wird nachfolgende erste Hypothese (H1) formuliert:
H1:
Die wahrgenommene Logistikdienstleistungskomplexität hat einen positiven Einfluss auf die wahrgenommene Informationsüberflutung in einer strategischen Logistikdienstleisterauswahl.
Für die Herleitung der Wirkungsbeziehung zwischen wahrgenommener Informationsüberflutung und Markensensibilität wird auf die Gegenmaßnahmen der Informationsüberflutung referenziert und hieraus die Argumentation aufgebaut. Bekanntermaßen unterscheidet die wissenschaftliche Literatur zwischen verschiedenen Strategien, um die wahrgenommene Informationsüberflutung zu reduzieren. Hierunter zählen beispielsweise die Informationsfilterung und das Satisficing. Es werden also nur bestimmte Informationen fokussiert651 oder nur die Menge an Informationen verarbeitet, die für eine Entscheidungsfindung ausreichen.652 Demzufolge ist anzunehmen, dass Informationen präferiert werden, die mehrere Inhalte verknüpfen und damit einen höheren Informationsgehalt bieten. Eine solche Informationseffizienzfunktion wird unter anderem auch Marken zugesprochen.653 Denn mit der Wahrnehmung des Markennamens werden weitere, assoziativ-verknüpfte Informationen aus dem Markenwissen abgerufen. Dem Entscheider stehen also insgesamt mehr Informationen zur Verfügung als nur der Markenname selbst.654 Sie qualifizieren sich folglich als Bezugsobjekt bei Informationsüberflutung. In Anbetracht der Strategien Informationsfilterung und Satisficing werden Marken in Entscheidungssituationen also umso mehr als Informationen berücksichtigt, je stärker die Informationsüberflutung wahrgenommen wird und der Zwang entsteht, diese zu reduzieren. Anders ausgedrückt: „Without trusted brands as touchstones, buyers would be overwhelmed by an overload of information no matter what they are looking for.“655 Demzufolge ist von einer positiven Wirkung der wahrgenommenen Informationsüberflutung auf die Markensensibilität auszugehen. Hypothese H2 fasst diese Überlegungen für die strategische Logistikdienstleisterauswahl zusammen:
H2:
Die wahrgenommene Informationsüberflutung in einer strategischen Logistikdienstleisterauswahl hat einen positiven Einfluss auf die Markensensibilität.
In Zusammenführung von H1 und H2 und mit dem aus der Informationsverarbeitungstheorie entwickelten Vorverständnis, welches in FH 1 gebündelt wurde, wird angenommen, dass die wahrgenommene Informationsüberflutung den Effekt zwischen wahrgenommener Logistikdienstleistungskomplexität und Markensensibilität mediiert. Konkludierend wird folgende Hypothese H3Med formuliert:
H3Med:
Die wahrgenommene Informationsüberflutung in einer strategischen Logistikdienstleisterauswahl mediiert die Beziehung zwischen wahrgenommener Logistikdienstleistungskomplexität und Markensensibilität.
Wahrgenommenes Risiko
Aus den Abhandlungen zur kognitiven Dissonanztheorie bzw. zur Analogie des wahrgenommenen Risikos lässt sich der Einfluss der wahrgenommenen Logistikdienstleistungskomplexität auf das wahrgenommene Risiko argumentieren.656 Generell gehen wissenschaftliche Abhandlungen von einer engen Beziehung zwischen Komplexität und Risiko aus:657 „Existing concomitantly with decision-making complexity are the associated risks.“658 Überdies wurde der positive Einfluss der in einer Entscheidung inhärenten Komplexität auf das wahrgenommene Risiko in empirischen Untersuchungen bereits bestätigt,659 weshalb die positive Beziehung zwischen den beiden Konzepten als empirisch evident eingestuft werden kann. Freilich impliziert dies auch eine positive Wirkung der wahrgenommenen Logistikdienstleistungskomplexität auf das wahrgenommene Risiko.
Dennoch soll nachfolgend der positive Einfluss der Logistikdienstleistungskomplexität auf das wahrgenommene Risiko nochmals im Spezifischen erörtert werden. Aus der steigenden Komplexität der Logistikdienstleistung, d. h. aus der steigenden Intangibilität, der Anzahl und Varietät an Teilleistungen660 sowie der damit einhergehenden Verständnisschwierigkeit661 für die Logistikleistung, folgt eine verstärkte Unberechenbarkeit möglicher Konsequenzen. Ferner dürften die möglichen Konsequenzen bei der Beschaffung komplexer Logistikdienstleistungen bedeutender und umfangreicher sein. Die Annahme bedeutungsvollerer Konsequenzen stützt sich dabei auf die Tatsache, dass die Kosten für komplexe Logistikdienstleistungen, wie Kontraktlogistikdienstleistungen, höher, die vertraglichen Bindungen länger und die Beziehungen enger bzw. Abhängigkeiten höher sind.662 Hinsichtlich des Umfangs an Konsequenzen gilt es nach Frings (2007) zehn verschiedene Punkte zu beachten. Hierunter zum Beispiel der mögliche Qualitätsverlust, Informationsasymmetrien, Know-how-Verlust, ineffiziente Zusammenarbeit durch abweichende Unternehmenskulturen aber auch die Gefährdung des Unternehmensimages.663 Ferner finden sich in der Logistikliteratur noch die möglichen Konsequenzen eines Kontrollverlustes, der mangelnden Reaktions- und Anpassungsfähigkeit des Kontraktlogistikdienstleisters oder des anhaltenden Zeit- und Arbeitsaufwands664 – Risiken, wie sie bei langfristigen Lieferanten-Abnehmer Beziehungen häufiger zu finden sind.665 Schlussendlich sind die zu antizipierenden negativen Konsequenzen und deren Eintrittswahrscheinlichkeit bei einer komplexen Logistikdienstleistung, im Vergleich zu einer einfachen Logistikdienstleistungen, als bedeutender und zahlreicher einzustufen, was sich schließlich im Ausmaß des wahrgenommenen Risikos und im Gefühlszustand (Stress, Angst) des Beschaffungsmanagers widerspiegelt. Zudem suggerieren Andersson und Norrman (2002), dass Beschaffungsmanager bei komplexen Logistikleistungen ein höheres Risiko erwartet, da sie oftmals aufgrund eines Unterangebots an Logistikdienstleistern eine schwache Verhandlungsposition einnehmen. Das Gegenteil gilt für einfache, traditionelle Logistikleistungen.666 So kann die folgende Aussage von Fulconis et al. (2016) als repräsentativ für den Zusammenhang zwischen Komplexität und Risiko bei der Beschaffung von Logistikdienstleistungen angesehen werden: „For example, LSPs can increase both the complexity and the variety of the logistical services they offer. Such an approach fights the ramp effect by demonstrating to the shippers that the supply risk and the impact on profits are high […].“667 Schließlich wird aus der Argumentation folgende vierte Hypothese (H4) abgeleitet:
H4:
Die wahrgenommene Logistikdienstleistungskomplexität hat einen positiven Einfluss auf das wahrgenommene Risiko in einer strategischen Logistikdienstleisterauswahl.
Für die Herleitung der Wirkungsbeziehung zwischen wahrgenommenem Risiko und Markensensibilität wird auf die Reduktionsstrategien der kognitiven Dissonanz bzw. des wahrgenommenen Risikos referenziert und hieraus die Argumentation aufgebaut. Das wahrgenommene Risiko gilt als einer der zentralen Antezedenten menschlichen Verhaltens. Angesichts der vorliegenden theoretischen Erkenntnisse ist dies wenig verwunderlich. Diese legen nahe, dass Individuen eine innere Motivation verspüren das wahrgenommene Risiko und ihren negativen Gefühlszustand – ganz im Sinne der kognitiven Dissonanztheorie – zu reduzieren und hierbei unterschiedliche Strategien anwenden.668 Dazu zählen beispielsweise die Informationssuche anhand informeller oder persönlicher Quellen, das Berücksichtigen von Markenimages oder das Vertrauen in die Marke in der Entscheidungssituation.669 Ein Individuum wird also diejenigen Informationen heranziehen, die eine risikoreduzierende Funktion besitzen. Studien führen das Markenimage nicht nur als potenzielle Risikoreduktionsstrategie auf, sie konnten auch die risikoreduzierende Funktion von Marken empirisch belegen. So erfüllt die Marke im B2B-Kontext, Backhaus et al. (2011) und Caspar et al. (2002) zufolge, an erster Stelle die Funktion der Risikoreduktion.670 Übertragen auf den vorliegenden Sachverhalt impliziert dies eine positive Beziehung zwischen wahrgenommenem Risiko und Markensensibilität. Je stärker das Risiko in der strategischen Logistikdienstleisterauswahl wahrgenommen wird, desto stärker wird ein Individuum das Verlangen verspüren den negativen Gefühlszustand zu reduzieren und umso mehr auf risikoreduzierende Informationen, wie die Marke, zurückgreifen – die Markensensibilität steigt also.
Bestätigt wird der positive Zusammenhang zudem durch die Marksensibilitätsliteratur,671 repräsentativ hierfür Hutton (1997) und Brown (2007).672 Insofern wird auch für den Kontext der strategischen Logistikdienstleisterauswahl ein positiver Zusammenhang zwischen wahrgenommenen Risiko und Markensensibilität vermutet, weshalb nachfolgende fünfte Hypothese (H5) formuliert wird:
H5:
Das wahrgenommene Risiko in einer strategischen Logistikdienstleisterauswahl hat einen positiven Einfluss auf die Markensensibilität.
In Zusammenführung von H4 und H5 und mit dem aus der Analogie von kognitiver Dissonanztheorie und wahrgenommenen Risiko entwickelten Vorverständnis, welches in FH 1 gebündelt wurde, wird angenommen, dass das wahrgenommene Risiko den Effekt zwischen wahrgenommener Logistikdienstleistungskomplexität und Markensensibilität mediiert. Das wahrgenommene (finanzielle, leistungsbezogene) Risiko wurde bereits zuvor in mehreren Studien als Mediator konzeptualisiert und untersucht.673 Besondere Relevanz für den vorliegenden Untersuchungsgegenstand haben dabei die Arbeiten von Holak und Lehmann (1990) sowie Johnston und Lewin (1996). So schlagen Holak und Lehman (1990) eine indirekte Wirkung der Komplexität auf die Kaufabsicht über das wahrgenommene Risiko vor.674 Ferner modellieren Johnston und Lewin (1996) in ihrem Beitrag zum organisationalen Beschaffungsverhalten das wahrgenommene Risiko als Verknüpfung zwischen den organisationalen Charakteristiken und den Informationsmerkmalen oder den individuellen Entscheidungsregeln.675 Auch bei Brown (2007) wird das wahrgenommene Risiko in einem alternativen Modell als Mediator zwischen mehreren unabhängigen Variablen und der Markensensibilität verstanden.676 Mit Referenz zu diesen Studien kann folgende Hypothese H6Med im Kontext der strategischen Logistikdienstleisterauswahl formuliert werden:
H6Med:
Das wahrgenommene Risiko in einer strategischen Logistikdienstleisterauswahl mediiert die Beziehung zwischen wahrgenommener Logistikdienstleistungskomplexität und Markensensibilität.
In Abbildung 2.21 ist die der Einfluss der wahrgenommenen Logistikdienstleistungskomplexität über die wahrgenommene Informationsüberflutung und über das wahrgenommene Risiko auf die Markensensibilität (H1–H6Med) in einem Teilausschnitt des Pfadmodells grafisch veranschaulicht.
Abbildung 2.21
Die wahrgenommene Logistikdienstleistungskomplexität und ihr Einfluss auf die Markensensibilität (FB 3a)677
2.3.2 Individuelle Charakteristiken – Individuelle Risikoneigung, Faith in Intuition und Need for Cognition als Einflussfaktoren
In Anlehnung an FH 2 werden nachfolgend drei statistische Hypothesen für die Effekte der individuellen Risikoneigung, Faith in Intuition und Need for Cognition auf die Markensensibilität hergeleitet.
Individuelle Risikoneigung
Wie aus der Analogie zwischen kognitiver Dissonanztheorie und wahrgenommenen Risiko herausgearbeitet, unterscheiden sich Individuen in ihrer Neigung Risiken einzugehen, d. h. entlang ihrer individuellen Risikoneigung.678 Fortfolgend steht eine hohe Risikoneigung stellvertretend für eine risikofreudige Persönlichkeit, während eine geringe Risikoneigung eine risikoaverse Persönlichkeit ausdrückt.679 Darüber hinaus unterstellen die theoretischen Erkenntnisse der individuellen Risikoneigung einen Einfluss auf das Informationssuchverhalten.680 Zunächst soll aufgezeigt werden, dass das Phänomen der individuellen Risikoneigung prinzipiell auch bei Beschaffungsmanagern auftritt, obwohl Modellierungen risikoneutraler Beschaffungsmanager bis dato überwiegen.681 Im Anschluss wird dann die Kausalität zwischen angesprochener individueller Risikoneigung und Markensensibilität adressiert.
Die organisationale Beschaffungsforschung bestätigt eine Einflussnahme der individuellen Risikoneigung auf das Beschaffungsverhalten im weitetesten Sinne. Die Studienergebnisse diesbezüglich legen dar, dass Beschaffungsmanager, die bereit sind, Risiken einzugehen, mit größerer Wahrscheinlichkeit risikoreiche Entscheidungen treffen bzw. eher Risiken in der Auswahlsituation akzeptieren. Oder in den Worten von Kull et al. (2014): „[…] as risk propensity increases, uncertain suppliers become more attractive […].“682 Ferner bauen risikoaverse Manager, Cannella et al. (2019) zufolge, tendenziell höhere Bestände auf.683 Darüber hinaus dokumentieren Di Mauro et al. (2020), dass risikoaverse Beschaffungsmanager auch dazu neigen größere Mengen zu beschaffen.684 Als Schlussfolgerung kann argumentiert werden, dass das Verhalten von Beschaffungsmanagern, wie auch das der Konsumenten, maßgeblich von der eigenen Risikoneigung geprägt ist oder anders ausgedrückt: „[…] results show that the risk aversion of the buyer matters for purchasing decisions.“685
Trotz vereinzelter Studien gilt die Forschung zur Risikoneigung in der Beschaffungsforschung aber als weitestgehend vernachlässigt.686 Aus diesem Grund wird die Wirkungsbeziehung zwischen individueller Risikoneigung und Markensensibilität nachfolgend primär aus theoretischen Überlegungen hergeleitet. Es kann davon ausgegangen werden, dass risikofreudige Beschaffungsmanager den Zustand des wahrgenommenen Risikos und damit des Unwohlseins in geringem Ausmaß erfahren.687 Daher werden sie, wenn sie mit Risiken konfrontiert sind, auch weniger geneigt sein nach Informationen zu suchen, die das wahrgenommene Risiko reduzieren. Sie erfahren also, mit Bezug zur kognitiven Dissonanztheorie, keine ausgeprägten Inkonsistenzen, weshalb auch keine umfangreichen Reduktionsmaßnahmen umgesetzt werden müssen. Anders verhält es sich bei risikoaversen Beschaffungsmanagern. Sie neigen dazu, riskante Entscheidungen zu vermeiden und suchen eher nach risikoreduzierenden Informationen, um, mit Bezug zur kognitiven Dissonanz, die Inkonsistenzen, bzw. das wahrgenommene Risiko in der Auswahlentscheidung zu reduzieren. Sie sind also eher bestrebt, das eigene Unwohlsein, welches das wahrgenommene Risiko impliziert, zu reduzieren. Wie bereits erwähnt, können Marken diese Funktion der Risikoreduktion erfüllen.688 Demzufolge wird ein risikoaverser Beschaffungsmanager im Vergleich zu einem risikofreudigen Beschaffungsmanager eher Marken in der Entscheidungssituation berücksichtigen und daher markensensibel agieren. Die Theorie suggeriert also einen negativen Zusammenhang zwischen individueller Risikoneigung und Markensensibilität.
Bestätigt wird der negative Zusammenhang zudem durch die Marksensibilitätsliteratur,689 repräsentativ hierfür Brown (2007) und Brown et al. (2012).690 Schließlich wird auch für den Kontext der strategischen Logistikdienstleisterauswahl ein negativer Zusammenhang zwischen individueller Risikoneigung und Markensensibilität erwartet, weshalb folgende siebte Hypothese (H7) formuliert wird:
H7:
Die individuelle Risikoneigung eines Beschaffungsmanagers hat einen negativen Einfluss auf die Markensensibilität.
Rational-Experiential Inventory – Faith in Intuition und Need for Cognition
Die theoretischen Erkenntnisse zur Informationsverarbeitungstheorie, insbesondere zur Cognitive-Experiential Self-Theorie, deuten auf einen Einfluss der Persönlichkeitsmerkmale Faith in Intuition und Need for Cognition auf das Informationssuchverhalten von Individuen hin.691 Zunächst soll ergründet werden, inwiefern die beiden Formen der automatisierten und rationalen Informationsverarbeitung, bzw. die hieraus abgeleiteten Persönlichkeitsmerkmale bei Beschaffungsmanagern grundsätzlich eine Rolle spielen, bevor dann die Kausalitäten zwischen Faith in Intuition/Need for Cognition und Markensensibilität adressiert werden.
Die Beschaffungsforschung referenziert in jüngerer Vergangenheit zunehmend auf die Dual-Processing Modelle und bezieht diese als Erklärungsansätze für das Individual- und Gruppenverhalten bei organisationalen Lieferantenauswahlentscheidungen ein.692 Allen voran Kaufmann et al. (2014) scheiben es sich zu, die Dual-Processing Modelle in die Beschaffungsmanagementforschung eingeführt zu haben.693 Ihre Ergebnisse legen nahe, dass eine erfahrungsbasierte Intuition zu einer höheren Entscheidungseffektivität führen kann und generell eine Kombination aus rationaler und intuitiver Informationsverarbeitung angestrebt werden sollte.694 In einer Folgestudie von Kaufmann et al. (2017) berichtigen sie schließlich ihre Empfehlung eine Kombination von Rationalität und Intuition695 anzustreben dahingehend, dass Intuition eher als Ergänzung gesehen werden sollte. Die Intuition hat alleinstehend nämlich keinen signifikanten positiven Einfluss auf die beiden Performancevariablen; nur gemeinsam mit der Rationalität.696 Dies bestätigt sich auch im Kontext der globalen Beschaffung. Während die Rationalität die finanzielle und nicht-finanzielle Performance positiv beeinflusst, bleiben die antizipierten negativen Effekt für die Intuition nicht signifikant.697 Andererseits kommen Balmer et al. (2020) zu dem Schluss, dass es eher die intuitive Form der Informationsverarbeitung ist, die Einfluss auf die Beschaffungsentscheidung nimmt, da sich Beschaffungsmanager stärker auf das Markenimage als auf die Merkmalswahrnehmung verlassen.698 In Rekapitulation der Studien können zwei zentrale Implikationen festgehalten werden: Erstens kann es als gegeben angesehen werden, dass Beschaffungsmanager die beiden Informationsverarbeitungssysteme in strategischen Lieferantenauswahlentscheidungen nutzen und diese auf die Entscheidung und die Lieferantenperformance einwirken können. In den Worten von Balmer et al. (2020) zusammengefasst: „[…] organizational buyers utilize both System 1 and System 2 processes in the selection of industrial corporate brand partners […].“699 Zweitens handelt es sich bei den aus den Dual-Processing Modellen abgeleiteten Variablen nicht um Persönlichkeitsmerkmale, sondern um situationsabhängige Charakteristiken. Der Einfluss der Faith in Intuition und der Need for Cognition von Beschaffungsmanagern wurde in der wissenschaftlichen Literatur bisher weitestgehend vernachlässigt.
Mit der Relevanz rationaler und intuitiver Informationsverarbeitungssysteme in strategischen Lieferantenauswahlentscheidungen aber können nun die Beziehungen zwischen Faith in Intuition/ Need for Cognition und Markensensibilität für den Kontext der Logistikdienstleisterauswahl hergeleitet werden. Für den Effekt von Faith in Intuition soll zunächst eine Gegenüberstellung der Verständnisse von intuitiver Informationsverarbeitung und Marken erfolgen. Auf der einen Seite werden Personen, die zu einer erfahrungsbasierten, intuitiven Informationsverarbeitung neigen, auf eigene Erfahrungen, Heuristiken oder allgemein auf sogenannte „decision simplifiers“ zurückgreifen, um eine Entscheidung zu treffen.700 Gleichzeitig wird das intuitive Informationsverarbeitungssystem als emotions- und assoziationsbasiert aber auch als unbewusst und automatisch beschrieben.701 Auf der anderen Seite suggerieren die kognitionspsychologischen Grundlagen zu Marken eine Speicherung des Markenwissens in semantischen Netzwerken, woraus einzelne Markenattribute, hierunter auch Emotionen, über assoziative Verbindungen automatisch und überwiegend unbewusst abgerufen werden.702 Aufgrund dessen werden Marken auch als Information Chunks, eine Form von „decision simplifiers“ kategorisiert.703 Dies wird gestützt durch Forschungsarbeiten, die Informationseffizienz und Informationskostenreduktion bekanntermaßen als wesentliche Markenfunktionen bestimmen konnten.704 Zieht man nun ein Resümee dieser Gegenüberstellung, dann kann folgendes festgehalten werden: Marken und ihre kognitive Verarbeitung/Speicherung/Abruf werden anhand ähnlicher Merkmale beschreiben, wie auch die intuitive Form der Informationsverarbeitung – nämlich als einfach und automatisch abrufbar, assoziativ verknüpft, sowie emotions- und erfahrungsbasiert. Daher ist es auch nicht verwunderlich, dass Balmer et al. (2020) die Verarbeitung von Markenimages der intuitiven Form der Informationsverarbeitung unterordnet: „[…] the processing of corporate brand image is a System 1 processing […]“.705 In Verknüpfung der Erkenntnisse zu den Dual-Processing Modellen, den kognitionspsychologischen Grundlagen der Marke und den Markenfunktionen, lässt sich also eine positive Beziehung zwischen dem Persönlichkeitsmerkmal Faith in Intuition und Markensensibilität erahnen. In anderen Worten dürften Beschaffungsmanager, mit zunehmender Faith in Intuition, Marken in einer Entscheidungssituation stärker berücksichtigen, d. h. markensensibler agieren. Schließlich wird dieser Zusammenhang auch für den Kontext der strategischen Logistikdienstleisterauswahl angenommen, weshalb die achte Hypothese (H8) formuliert wird:
H8:
Die Faith in Intuition eines Beschaffungsmanagers hat einen positiven Einfluss auf die Markensensibilität.
Need for Cognition wird hingegen als rationale, deliberative Form der Informationsverarbeitung, bei der das Individuum es genießt sich anzustrengen und zu denken, beschrieben.706 Hieraus folgt der Schluss, dass Personen mit einer hoher Need for Cognition umfassend Informationen suchen und auswerten.707 Beispielsweise dürften Beschaffungsmanager mit starker Tendenz zur rationalen Form der Informationsverarbeitung im vorliegenden Kontext ausgiebig Informationen zu den Logistikdienstleistern und der zu beschaffenden Dienstleistung anfordern und analysieren. Dies suggerieren auch Balmer et al. (2020): „[…] the logistics service attribute evaluation is a System 2 processing.“708 Im Umkehrschluss deutet dies aber auch darauf hin, dass Heuristiken und information chunks, wie Marken, eher selten berücksichtigt werden, und wenn, dann stellen sie nicht die zentrale Information dar, sondern fließen lediglich mit weiteren Informationen in die Entscheidung ein. Naheliegend ist also, dass ein Beschaffungsmanager mit zunehmendem Need for Cognition, in Entscheidungssituationen auf Marken in immer geringerem Umfang zurückgreift bzw. weniger markensensibel agiert. Folglich wird ein negativer Wirkungszusammenhang impliziert. Insofern wird folgende neunte Hypothese (H9) festgesetzt:
H9:
Die Need for Cognition eines Beschaffungsmanagers hat einen negativen Einfluss auf die Markensensibilität.
In Abbildung 2.22 ist der Einfluss der individuellen Charakteristiken (individuelle Risikoneigung, Faith in Intuition, Need for Cognition) auf die Markensensibilität (H7–H9) in einem Teilausschnitt des Pfadmodells grafisch veranschaulicht.
Abbildung 2.22
Individuelle Charakteristiken und deren Einfluss auf die Markensensibilität (FB 3b)709
2.3.3 Markenhierarchie – Markenwichtigkeit als Konsequenz
In Anlehnung an die Arbeit von Zablah et al. (2010) wird für eine positive Wirkungsbeziehung zwischen Markensensibilität und Markenwichtigkeit argumentiert. Dem Hierachy-of-effects Modell, später der sogenannten Markenhierarchie, unterstellen Zablah et al. (2010) grundlegend die folgende Kausalkette: Überzeugungen → Einstellung → Intention → Verhalten.710 Auch Theorien, wie die Theory of Planned Behavior nach Ajzen (1991) oder der Reasoned Action Approach nach Fishbein und Ajzen (2010) postulieren ähnliche Wirkungsbeziehungen.711 Im Transfer des Hierachy-of-effects Modells auf den Markenkontext, setzen Zablah et al. (2010) schließlich die Markensensibilität mit der Intention des Verhaltens und die Markenwichtigkeit mit dem tatsächlichen Verhalten gleich. Hieraus bestimmen sie die Markenwichtigkeit als Konsequenz der Markensensibilität. In anderen Worten ist es wahrscheinlicher, dass die Marke als Selektionskriterium gewählt wird, wenn zuvor die Marke, sowie mit ihr assoziierte Informationen, berücksichtigt wurden.712 Den positiven linearen Zusammenhang zwischen Markensensibilität und Markenwichtigkeit konnten neben Zablah et al. (2010) auch Casidy et al. (2018) festhalten,713 weshalb als zehnte Hypothese (H10) formuliert wird:
H10:
Die Markensensibilität hat einen positiven Einfluss auf die Markenwichtigkeit.
In Abbildung 2.23 ist die Markenhierarchie, d. h. der Einfluss der Markensensibilität auf die Markenwichtigkeit (H10), in einem Teilausschnitt des Pfadmodells grafisch veranschaulicht.
Abbildung 2.23
Markenhierarchie – Markenwichtigkeit als Konsequenz der Markensensibilität714
2.3.4 Kontrolle alternativer Einflussfaktoren
Laut Methodenliteratur sind zur Kontrolle des Hypothesensystems jene Faktoren heranzuziehen, die auch konzeptionell bedeutend sind. Vor allzu vielen und unbedeutenden Kontrollvariablen ist hingegen abzusehen.715 Aus diesem Grund wurde auf der einen Seite die Markensensibilitätsliteratur716 und auf der anderen Seite die Literatur zum Behavioral Supply Management und zur strategischen Lieferantenauswahl717 hinsichtlich geeigneter und häufig verwendeter Kontrollvariablen analysiert. Ein Ziel hierbei war es, das Hypothesensystem für unterschiedliche Typen des Lieferantenauswahlprozesses zu kontrollieren, weshalb Variablen, wie Wichtigkeit und Dauer der Lieferantenauswahl aber auch der Umfang der Wahlmöglichkeiten mitaufgenommen wurden. Im Ergebnis konnten zehn Kontrollvariablen als relevant und geeignet eingestuft werden. Demnach soll das Hypothesensystem, insbesondere die Markensensibilität, im Rahmen der Datenanalyse auf den Einfluss nachfolgender Faktoren kontrolliert werden:
Umfang der Wahlmöglichkeiten
Verfahrenskontrolle
Wichtigkeit der strategischen Lieferantenauswahl
Selbst-wahrgenommenes Involvement
Lieferantenerfahrung
Erfahrung mit der Logistikdienstleistung
Buying Center Größe
Dauer der strategischen Lieferantenauswahl
Gesamtumsatz
Mitarbeiterzahl
Gemäß den Empfehlungen von Becker et al. (2016) und nach dem Beispiel von Wright und Bonett (2007)718 wird angenommen, dass unter Berücksichtigung der Kontrollvariablen die Hypothesen H1 bis H10 weiterhin gültig sind.
2.3.5 Vorläufiges Hypothesensystem
Die in den vorangegangenen vier Kapitelabschnitten hergeleiteten statistischen Hypothesen werden in Abbildung 2.24 als vorläufiges Hypothesensystem grafisch illustriert. Sie fügt die zuvor präsentierten Teilausschnitte des Pfadmodells an der Markensensibilität, der zentralen Variable der Studie, zusammen.
Ferner können der Tabelle 2.13 noch einmal die Formulierungen der vorläufigen statistischen Hypothesen entnommen werden. Sie bietet einen Überblick über Forschungsinteresse 3, und seine hierarchische Strukturierung in Forschungsbedarfe FB 3a und FB 3b, Forschungshypothesen FH 1 und FH 2 und statistische Hypothesen H1–H9.
Tabelle 2.13
Zusammenfassung und Hierarchie von Forschungsinteresse 3, Forschungsbedarf 3, Forschungshypothesen und statistische Hypothesen des vorläufigen Hypothesensystems720
FI3: Wann wird die Marke bei der Auswahl von Logistikdienstleistern berücksichtigt? d. h. inwiefern wird die Berücksichtigung der Marke bei der Auswahl von Logistikdienstleistern durch verschiedene Faktoren beeinflusst?
FB3a: Untersuchung des Einflusses der Logistikdienstleistungskomplexität als organisationales Charakteristikum auf die Markensensibilität bei der strategischen Auswahl von Logistikdienstleistern.
FH1: Die Informationsüberflutung und das wahrgenommene Risiko wirken als Bindeglied – im statistischen Sprachgebrauch als Mediator – zwischen Logistikdienstleitungskomplexität und Markensensibilität.
H1
Die wahrgenommene Logistikdienstleistungskomplexität hat einen positiven Einfluss auf die wahrgenommene Informationsüberflutung in einer strategischen Logistikdienstleisterauswahl.
H2
Die wahrgenommene Informationsüberflutung in einer strategischen Logistikdienstleisterauswahl hat einen positiven Einfluss auf die Markensensibilität.
H3med
Die wahrgenommene Informationsüberflutung in einer strategischen Logistikdienstleisterauswahl mediiert die Beziehung zwischen wahrgenommener Logistikdienstleistungskomplexität und Markensensibilität.
H4
Die wahrgenommene Logistikdienstleistungskomplexität hat einen positiven Einfluss auf das wahrgenommene Risiko in einer strategischen Logistikdienstleisterauswahl.
H5
Das wahrgenommene Risiko in einer strategischen Logistikdienstleisterauswahl hat einen positiven Einfluss auf die Markensensibilität.
H6med
Das wahrgenommene Risiko in einer strategischen Logistikdienstleisterauswahl mediiert die Beziehung zwischen wahrgenommener Logistikdienstleistungskomplexität und Markensensibilität.
FB3b: Untersuchung des Einflusses von individuellen Charakteristiken auf die Markensensibilität bei der strategischen Auswahl von Logistikdienstleistern.
FH2: Die individuelle Risikoneigung, Faith in Intuition und Need for Cognition bestimmen die Markensensibilität.
H7
Die individuelle Risikoneigung eines Beschaffungsmanagers hat einen negativen Einfluss auf die Markensensibilität.
H8
Die Faith in Intuition eines Beschaffungsmanagers hat einen positiven Einfluss auf die Markensensibilität.
H9
Die Need for Cognition eines Beschaffungsmanagers hat einen negativen Einfluss auf die Markensensibilität.
Markenhierarche – Konsequenzen der Markensensibilität
H10
Die Markensensibilität hat einen positiven Einfluss auf die Markenwichtigkeit.
Bevor das vorliegende Hypothesensystem jedoch final überprüft werden kann, müssen zunächst Vorarbeiten (siehe Kapitelabschnitt 3), wie beispielsweise Vorstudien, geleistet werden, wodurch sich noch Änderungen am vorläufigen Hypothesensystem ergeben können.
2.4 Synthese – eine integrierte Betrachtung des vorläufigen Hypothesensystems
Zum Abschluss wird das vorläufige Hypothesensystem vor dem Hintergrund der konzeptionellen Grundlagen betrachtet. Vor allem können die beiden in Kapitelabschnitt 2.1.4 konzeptionell abgeleiteten Spezifikationen „Keine Einschränkung auf eine bestimmte Phase“ und „Mitglieder des Buying-Centers“ mithilfe dessen noch einmal verdeutlicht und bestätigt werden. Insofern soll dem Beurteilungskriterium zur Genauigkeit und Klarheit konzeptioneller Definitionen (KS 2) entsprochen werden. Abbildung 2.25 illustriert die folgenden Gedankengänge.
Phasen der Logistikdienstleisterauswahl
Die organisationalen Charakteristiken unterliegen qua Definition einer Abhängigkeit zur Auswahlsituation bzw. zur Entscheidungssituation.721 Insofern soll im Folgenden der Versuch einer Einordnung der vier organisationalen Charakteristiken, sowie der Markensensibilität und Markenwichtigkeit in das 3 Phasen Modell nach Large (2017)722, den strategischen Auswahlprozess nach Webster und Wind (1972a)723 und den individuellen Entscheidungsprozess nach Kirsch (1977)724 unternommen werden (1). Die individuellen Charakteristiken (individuelle Risikoneigung, Faith in Intuition, Need for Cognition) sind hingegen als Persönlichkeitsmerkmale qua Definition weitestgehend stabil und vom Auswahlprozess bzw. Entscheidungsprozess losgelöst (2).725
Die Logistikdienstleistungskomplexität wird überwiegend zu Beginn einer Lieferantenauswahl, d. h. während der Phasen „Definition der Leistungsanforderungen“726 oder nach Webster und Wind (1972b) während der Phasen „Bedarfserstellung“ und „Definition der Ziele und Spezifikationen“ wahrgenommen. In diesen Phasen sind das Bedarfsproblem sowie das Beschaffungsobjekt Gegenstand der Betrachtung.727 Hingegen agieren Beschaffungsmanager überwiegend dann markensensibel, wenn Kaufalternativen identifiziert und bewertet werden müssen – nach Large (2017) in der Phase der strategischen Auswahl des Logistikunternehmens. Zu diesem Zeitpunkt wird eine Marktanalyse durchgeführt und der Fokus auf die verschiedenen, potenziell zur Auswahl stehenden Logistikdienstleister gerichtet,728 weshalb auch erst in diesen Phasen die Logistikmarken wahrgenommen und berücksichtigt werden dürften. Die Markenwichtigkeit als Konsequenz der Markensensibilität und Ausdruck des Verhaltens lässt sich darüber hinaus in die Phase der Lieferantenauswahl einordnen.729 Während sich diese Größen den Phasen einer Lieferantenauswahl eindeutig zuordnen lassen, ist dies für die wahrgenommene Informationsüberflutung und das wahrgenommene Risiko nicht zweifellos möglich. Prinzipiell können Informationsüberflutung und Risiko direkt zu Beginn des Lieferantenauswahlprozesses, währenddessen, oder am Ende des Lieferantenauswahlprozesses wahrgenommen werden. So können die Beschaffungsmanager exemplarisch in den ersten Phasen durch die Informationen des Beschaffungsobjekts, später durch die Informationen hinsichtlich der Auswahlalternativen überwältigt werden. Daher können sie nach Large (2017) den Phasen 1–2 und nach Webster und Wind (1972a) den Phasen 1–4 zugeteilt werden. Innerhalb des individuellen Entscheidungsprozess höchster Ebene nach Kirsch (1977), lassen sich die vier organisationalen Charakteristiken wie auch die Markensensibilität in die Phase „Suchverhalten vor der Entscheidung“ verorten. Lediglich die Markenwichtigkeit kann als Ausdruck des Verhaltens dem Entschluss zugeteilt werden.730 Die Phasen nach dem Entschluss werden mit dem aufgestellten Kausalmodell nicht adressiert.
Es bestätigt sich also, dass für den vorliegenden Untersuchungsgegenstand eine Einschränkung auf eine bestimmte Phase der Logistikdienstleisterauswahl wenig zweckmäßig und auch nur bedingt umsetzbar ist. Darüber hinaus konnte die einer Kausalität unterstellte zeitliche Abfolge der im Hypothesensystem in Beziehung gesetzten Größen noch einmal hervorgehoben werden.
Respondenten
Mit dem Buying Center Konzept wird unterstellt, dass mehrere unterschiedliche Rollen an einem organisationalen Auswahlprozess beteiligt sind (3).731 Maßgeblich für den organisationalen Entschluss verantwortlich ist der Entscheider.732 Das heißt die Markensensibilität des Entscheiders bestimmt den organisationalen Entschluss. Die weiteren Rollen des Buying-Centers, im Folgenden als Nicht-Entscheider deklariert, sind ebenso aufgrund der gegenseitigen Beeinflussung (4) – insbesondere anhand der Rolle des Beeinflussers festzumachen733 – für den organisationalen Entschluss relevant. Diese Annahme wird auch durch das Prozessmodell von Choffray und Lilien (1978) unterstützt. Sie gehen davon aus, dass zunächst alle Mitglieder des Buying-Centers individuelle Präferenzen bilden, aus diesen dann eine organisationale Präferenz abgeleitet und schließlich hierauf der organisationale Entschluss gefasst wird.734 Demnach sollte auch die Markensensibilität von Nicht-Entscheidern im Rahmen der individuellen Präferenzbildung Einfluss auf die organisationale Präferenz und damit auf den organisationalen Entschluss nehmen. Eine Betrachtung des Einflussnahmegrades oder der Interaktionen zwischen den Mitgliedern des Buying Centers wird in den Forschungsinteressen der vorliegenden Arbeit nicht aufgegriffen, weshalb vereinfacht von einer Einflussnahme ausgegangen wird.
Insgesamt bestätigt sich also, dass für den vorliegenden Untersuchungsgegenstand eine Einschränkung auf eine bestimmte Rolle des Buying Centers (e.g. Entscheider) nicht erbracht werden muss. Für die Studie sind also sowohl Entscheider als auch Nicht-Entscheider, und damit die verschiedenen Rollen des Buying-Centers, als Respondenten relevant und aussagefähig.735
Abbildung 2.25
Integrierte Betrachtung des Hypothesensystems
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Beispielsweise wurde bewusst auf den Einsatz einer systematischen Literaturrecherche verzichtet. Diese erschien aufgrund der umfassenden Thematik mit Schnittpunkten zur Logistik-, Marketing- als auch zur Beschaffungsforschung, ungeeignet.
Vgl. Herbst et al. (2012), S. 9 f. Vergleichbare Kategorisierungen sind auch bei Leek und Christodoulides (2011), S. 835 („b2b brand concept, decision making process, brand architecture, internal brand communica-tion, brand relationships, brand equity“) und Seyedghorban et al. (2016), S. 2671 („industrial brand equity, power of brand, resource based-view, managing brand equity, commodity product, intangible attribute, buyer attitude, industrial buyer perception, brand-naming industrial product, relative market share) zu finden.
Vgl. Baumgarth (2014), S. 1; Bruhn (2004), S. 5; Kemper (2000), S. 3; Chernatony und Riley (1998), S. 417. Oder wie es Kapferer (2012) passend ausdrückt: „Curiously, one of the hottest points of disagreement between experts is the definition of a brand.“ [Kapferer (2012), S. 7].
Vgl. Baumgarth (2014), S. 1; Kapferer (2012), S. 11; Bruhn (2004), S. 5; Chernatony und Riley (1998), S. 418. Hinsichtlich der unterschiedlichen Evolutionsstufen und Schwerpunktsetzungen der Markenforschung im zeitlichen Verlauf sei auf die schematische Abbildung von Bruhn (2004), S. 7 f. verwiesen.
Siehe hierzu bespielhaft Baumgarth (2014), S. 3 ff.; Chernatony (2010), S. 32 ff.; Bruhn (2004), S. 9; Chernatony und Riley (1998), S. 418 ff.; Berekoven (1978), S. 39 ff.
Vgl. Popper (1945), S. 15: „If we defined our terms to start with, we could have far more profitable discussions.“, und Crossman (1937), S. 71: „[…] if we do not know precisely the meanings of the words we use, we cannot discuss anything profitably.“
Gem. §3 Abs. 1 und 2 MarkenG und Bruhn (2004) ist ein Zeichen dann markenfähig, wenn es selbstständig, einheitlich und grafisch darstellbar ist [vgl. Bruhn (2004), S. 13; Fezer (2004), S. 2459 ff.]. Mit Hilfe dieser Definition werden noch einmal Wahrnehmbarkeit und Tangibilität der Markenzeichen deutlich. Vergleichend hierzu spricht beispielsweise Kapferer (1992) auch von Manifestationen der Marke [vgl. Kapferer (1992), S. 21].
Vgl. American Marketing Association (1960). Diese Aspekte werden auch in den Definitionen von Doyle (2016), S. 52 f.; Riedel (1996), S. 6 f.; Aaker (1992), S. 22; Kotler (1991), S. 442 aufgegriffen.
Vor der Einführung des Markengesetztes (MarkenG) 1995 galt das Warenzeichengesetz (WZG) in Deutschland. Im Warenzeichengesetz wurde eine Unterscheidung zwischen Produkten und Dienstleistungen vorgenommen. So wurde für Produkte der Begriff Warenzeichen verwendet, für Dienstleistungen der Begriff Marke (§1 Abs. 1 und 2 WZG). Mit der Aufhebung des Warenzeichengesetzes verschwand auch diese Unterscheidung. Nach dem heutigen Markengesetz können Waren und Dienstleistungen (§3 MarkenG), Unternehmenskennzeichen und Werktitel (§5 Abs. MarkenG), sowie Herkunftszeichen (§126 MarkenG) geschützt werden [vgl. Bruhn (2004), S. 12 f.; Kraft (1978), S. 89 f.; Fezer (2004), S. 2451 ff.].
Gem. §4 MarkenG kann der Markenschutz durch die Eintragung als Zeichen beim Patentamt, durch Benutzung des Zeichens, oder durch die notorische Bekanntheit der Marke entstehen [vgl. Bruhn (2004), S. 13; Fezer (2004), S. 2455].
Vgl. Doyle (2016), S. 52 f.; Bruhn (2004), S. 21; Bruhn und GEM (2002), S. 17 f.; Riedel (1996), S. 6 f.; Aaker (1992), S. 22; Kotler (1991), S. 442; American Marketing Association (1960).
Gerade in den Anfängen der deutschsprachigen Markenforschung werden diese beiden Begriffe „Marke“ und „Markenartikel“ synonym verwendet [vgl. Kemper (2000), S. 6; Meffert (1979), S. 14; Berekoven (1978), S. 45]. Eine andere Auffassung hierzu vertritt Köhler (2004). Ihm zufolge passt der Ausdruck lediglich für kurzlebige Verbrauchsgüter. Unpassend dagegen ist der Begriff für Investitionsgüter, Dienstleistungen oder Unternehmen [vgl. Köhler (2004), S. 2769 und 2771]. Eine weitere Argumentationsgrundlage zur Abgrenzung zwischen Marke und Markenartikel liefern Meffert et al. (2002). Sie unterscheiden zwischen der Marke als markiertem Produkt und als „eigentliche“ Marke und damit auf inhaltlicher Ebene. Insofern lässt sich der Begriff „Markenartikel“ dem ersten Verständnis zuordnen [vgl. Meffert et al. (2002), S. 6]. Wie aus der später abgeleiteten Definition deutlich wird, strebt dieses Forschungsprojekt eine Definition der Marke nach dem zweiten Verständnis an (als „eigentliche“ Marke). Da also weder kurzlebige Verbrauchsgüter noch generell die markierten Leistungen im Vordergrund dieser Arbeit stehen, wird hier allein die Terminologie „Marke“ verwendet; von der der Begriff Markenartikel – mit dem Verständnis eines markierten Verbrauchsgutes – aufgrund seiner Beschränktheit abzugrenzen ist. Siehe zur Erweiterung der Markenartikel-Definition als „markierte Leistungen“ die Arbeit von Bruhn und GEM (2002) [vgl. Bruhn und GEM (2002), S. 17].
Als Kombination aus anbieter-, nachfrageorientiertem und rechtlichem Ansatz wird häufig die Definition (hier Kurzfassung) von Bruhn, die er 2004 im Auftrag der GEM verfasst hat, angeführt: „Als Marke werden Leistungen bezeichnet, die neben einer unterscheidungsfähigen Markierung durch ein systematisches Absatzkonzept im Markt ein Qualitätsversprechen geben, das eine dauerhaft werthaltige. nutzenstiftende Wirkung erzielt und bei der relevanten Zielgruppe in der Erfüllung der Kundenerwartungen einen nachhaltigen Erfolg im Markt realisiert bzw. realisieren kann.“ [Bruhn und GEM (2002), S. 18]. Aufgrund des Einbezugs der anbieterorientierten Perspektive („[…] systematisches Absatzkonzept im Markt ein Qualitätsversprechen geben […]“) erwies sich eine Adoption der Definition hinsichtlich der Konformität mit dem Untersuchungsgegenstand jedoch als wenig zielführend.
Eine ähnliche Definition kann auch der englischsprachigen Literatur entnommen werden. So beschreibt Ogilvy (1951) die Marke schon sehr früh als „consumer’s idea of a product“ [Ogilvy (1951)].
Unter den Anspruchsgruppen können neben den Nachfragern durchaus auch Mitarbeiter, Lieferanten, und weitere Stakeholder verstanden werden, die von der Wirkung der Marke betroffen werden.
Vgl. Esch (2014), S. 22, ähnlich Meffert und Burmann (1998), S. 81, sowie bereits in frühen Jahren im Kontext der Markentechnik Domizlaff (1939), S. 76.
Vgl. Doyle (2016), S. 52; Esch (2014), S. 22 f.; Kotler und Pfoertsch (2006), S. 5. Eine synonyme Verwendung der Begriffe Marke und Markenname wird mit der Erweiterung der Marken-Definition um die intangiblen Attribute für die vorliegende Arbeit folglich abgelehnt. Markennamen sind demnach Markenzeichen, die lediglich einen Teil der Marke darstellen. Siehe hierzu auch die weiteren Ausführungen in Kapitelabschnitt 2.1.1.1.2.
Eigene Darstellung in Anlehnung an die Ausführungen von Doyle (2016), S. 52; Esch (2014), S. 22 f.; Kotler und Pfoertsch (2006), S. 5 Bruhn (2004), S. 21; Bruhn und GEM (2002), S. 17 f.; Riedel (1996), S. 6 f.; Aaker (1992), S. 22; Kotler (1991), S. 442; American Marketing Association (1960).
Eigene Darstellung in Anlehnung an Buchner und Brandt (2017), S. 403; Atkinson und Shiffrin (1968), S. 93; Anderson (2020), S. 175; Becker-Carus und Wendt (2017), S. 366. Während in den Arbeiten von Buchner und Brandt (2017) und Kroeber-Riel und Gröppel-Klein (2019) das sensorische Register mit einer Verbindung zum Langzeitgedächtnis modelliert wird [vgl. Buchner und Brandt (2017), S. 403; Kroeber-Riel und Gröppel-Klein (2019), S. 261], findet sich in der Arbeit von Becker-Carus und Wendt (2017) eine Verbindung zwischen den sensorischen Speichern und dem Arbeitsgedächtnis (nach Baddeley und Hitch (1974)). Ihnen zufolge werden „Im Arbeitsgedächtnis […] die aus dem sensorischen Gedächtnis aufgenommene Information einerseits akustisch, visuell oder semantisch encodiert und durch aktives Rehearsal aufrechterhalten, andererseits aber auch kognitiv weiterverarbeitet.“ [Becker-Carus und Wendt (2017), S. 368]. Eine Verknüpfung zwischen sensorischem Gedächtnis und Langzeitgedächtnis ist hier nicht aufzufinden [vgl. Becker-Carus und Wendt (2017), S. 366]. In der Arbeit von Buchner und Brandt (2017) wird indessen keine Begründung für die Schnittstelle zwischen sensorischem Register und Langzeitgedächtnis geliefert, obwohl diese Modellierung vom Kerngedanken von Atkinson und Shiffrin (1968) abweicht. Auch in der Darstellung von Baddeley (2003) wird die Schnittstelle zwischen den Sinnesorganen und dem Arbeitszeitgedächtnis durch den visuellen und auditiven Input auf die beiden Subsysteme des Arbeitsgedächtnisses deutlich [vgl. Baddeley (2003), S. 831]. Der Autor folgt der Argumentation von Becker-Carus und Wendt (2017) sowie Baddeley (2003) wonach das sensorische Gedächtnis mit dem Arbeitsgedächtnis verknüpft ist (siehe Abbildung 2.4).
Vgl. Crowder (1982), S. 307. Dem Modell von Atkinson und Shiffrin (1968) zufolge dürfte ein schlechter Kurzzeitspeicher auch zu einem schlechten langfristigen Lernen führen. Diese Annahme betrifft demnach den Übergang zwischen Kurzzeitgedächtnis und Langzeitgedächtnis. Baddeley und Hitch (1974) allerdings konnten dies mit Hilfe mehrerer Experimente widerlegen. Diese Erkenntnisse ließen Baddeley und Hitch (1974) letztendlich das dreigliedrige System des Arbeitsgedächtnisses entwickeln [vgl. Baddeley (1992), S. 556].
Vgl. Miller (1956), S. 81; Kroeber-Riel und Gröppel-Klein (2019), S. 271; Becker-Carus und Wendt (2017), S. 368. Simon (1974) geht eher von fünf anstatt den von Miller (1956) proklamierten sieben Informationseinheiten aus [vgl. Simon (1974), S. 487].
Im phonologischen Subsystem bestehend aus der „inneren Stimme“ und dem „inneren Ohr“ werden die akustischen und artikulatorischen Informationen verarbeitet. Dabei spielen sowohl der Wortlängeneffekt [vgl. Baddeley et al. (1975), S. 586] als auch der Effekt der phonologischen Ähnlichkeit [vgl. Conrad (1964), S. 77 f.] eine entscheidende Rolle dabei, wie gut Informationen aus dem Arbeitsgedächtnis abgerufen werden können [vgl. Buchner und Brandt (2017), S. 424; Anderson (2020), S. 178 f.; Baddeley (1992), S. 556].
Das visuell-räumliche Subsystem, oder auch als visuelle-räumlicher Notizblock bekannt, verarbeitet alle visuellen Wahrnehmungen und Vorstellungen [vgl. Buchner und Brandt (2017), S. 424; Anderson (2020), S. 178].
Vgl. Baddeley (2003), S. 836; Baddeley (2000), S. 421; Tobinski (2017), S. 41. Während Baddeley (2003) die Verbindung zwischen Arbeits- und Langzeitgedächtnis über die Subsysteme herstellt [vgl. Baddeley (2003), S. 835; Baddeley (2010), S. 138], weisen andere Autoren die zentrale Exekutive als Schnittstelle zwischen Arbeits- und Langzeitgedächtnis aus [vgl. Myers (2014), S. 331; Kroeber-Riel und Gröppel-Klein (2019), S. 272].
Vgl. Kroeber-Riel und Gröppel-Klein (2019), S. 271 f. Diese Implikationen gehen unter anderem auf den Wortlängeneffekt und den Effekt der phonologischen Ähnlichkeit zurück.
Vgl. Buchner und Brandt (2017), S. 402; Myers (2014), S. 338; Becker-Carus und Wendt (2017), S. 365; Hawkins und Mothersbaugh (2013), S. 315; Solomon (2015), S. 250.
Vgl. Becker-Carus und Wendt (2017), S. 379; Alba und Chattopadhyay (1985), S. 341; Lynch und Srull (1982), S. 20; Tulving und Psotka (1971), S. 7; Tulving und Thomson (1973), S. 354. Je größer die Zahl der Abrufhilfen, desto wahrscheinlicher ist es, dass die Erinnerung im semantischen Netzwerk gefunden wird [vgl. Myers (2014), S. 345].
Vgl. Möll (2007), S. 20 f. Aus dieser Unterscheidung ergeben sich unterschiedliche Herangehensweisen für die Marketingforschung. Während die explizite Markenwirkung, bzw. das explizite Markenwissen über die üblichen sozialwissenschaftlichen Methoden zu untersuchen sind, erfordert die Untersuchung der impliziten Markenwirkung bzw. des impliziten Markenwissens alternative Methoden. So kann zur Messung der impliziten Markenwirkung das Neuromarketing unter Einsatz neurowissenschaftlicher Methoden (e.g. funktionelle Magnetresonanztomographen – fMRT [siehe hierzu beispielhaft die Studien von Plassmann (2006); Deppe et al. (2005); Ambler et al. (2004)]) eingesetzt werden [vgl. Lee et al. (2007), S. 200; Kenning und Plassmann (2005), S. 345]. Des Weiteren lassen besondere Experimente beispielsweise zur Messung der unterbewussten Markenassoziation (Implicit Association Test [siehe hierzu beispielhaft die Studien Greenwald et al. (2009); Brunel et al. (2004)]) die Untersuchung des impliziten Markenwissens zu [vgl. Harvard University (2021); Greenwald et al. (1998)].
Vgl. Keller (2013), S. 150 f.; Möll (2007), S. 30; Esch und Langner (2005), S. 605; Janiszewski und van Osselaer (2000), S. 331; Puligadda et al. (2012), S. 117; Tomczak und Kernstock (2004), S. 173. Das Marketing versucht durch geeignete Instrumente die Gestaltung dieser semantischen Netzwerke bei den Konsumenten aktiv zu beeinflussen. So sollen möglichst viele, direkte und starke Verknüpfungen zwischen den Elementen des eigenen Markennetzwerks als auch weiterer angrenzender Netzwerke aufgebaut werden [vgl. Hawkins und Mothersbaugh (2013), S. 317].
Eigene Darstellung nach Esch (1993), S. 59. Während Esch (1993) acht Dimensionen des Markenimages berücksichtigt, verweist Keller (1993) lediglich auf die vier Dimensionen „Typen von Markenassoziationen“, „Günstigkeit der Markenassoziationen“, „Stärke der Markenassoziationen“, „Einzigartigkeit der Markenassoziationen“ [vgl. Keller (1993), S. 7].
Vgl. Keller (2013), S. 77; Keller (1993), S. 2. Das Markenimage ist des Weiteren auch von der Markenidentität zu differenzieren. Dieses Konzept steht für die Assoziationen, die die Marke hervorrufen soll. Damit repräsentiert die Markenidentität das Selbstbild einer Marke aus Sicht der Marketingmanager [vgl. Baumgarth (2014), S. 63 f.; Esch (2018), S. 79].
Keller (1993), S. 8. Während Keller (1993) das Markenwissen als zentral für die Markenwert-Definition ansieht [vgl. Keller (1993), S. 8], bestimmt Aaker (1992) fünf Kategorien auf denen der Markenwert fußt. Diese sind 1) Markentreue, 2) Bekanntheit des Namens, 3) angenommene Qualität, 4) weitere Markenassoziationen und 5) andere Markenvorzüge [vgl. Aaker (1992), S. 31]. Zur Kritik an der Einteilung von Aaker (1992) siehe Esch (2018), S. 58.
Vgl. Zablah et al. (2010), S. 250; Banerjee et al. (2020), S. 535; Kemp et al. (2020), S. 1611. Siehe hierzu vertiefend die Ausführungen in Kapitelabschnitt 2.1.2.1.
Aufgrund der Lesbarkeit wird darauf verzichtet Marken in der vorliegenden Arbeit stets als B2B-Marken auszuweisen. Auch deshalb, da sich die Definitionen zwischen Marken und B2B-Marken, wie soeben aufgezeigt werden konnte, nicht gravierend unterscheiden.
Unterscheiden lassen sich Marken nach 1) der institutionellen Stellung des Markenträgers, 2) der geografischen Reichweite der Marke, 3) der vertikalen Reichweite der Marke im Warenweg, 4) der Anzahl der Markeneigner, 5) der Zahl der markierten Güter, 6) den bearbeiteten Marktsegmenten, 7) der Verwendung wahrnehmungsbezogener Markierungsmittel, 8) der Art der Markierung, 9) dem Herstellerbekenntnis [vgl. Bruhn (2004), S. 34 ff.].
Vgl. Becker (2005a), S. 385; Becker (2019), S. 195 f. Unternehmen verfolgen selten eine reine Form der Markenstrategie, sondern kombinieren beispielsweise eine Unternehmensmarke mit mehreren Einzelmarken. Esch (2018) differenziert hier zwischen der vertikalen und horizontalen Kombination von Markenstrategien [vgl. Esch (2018), S. 413].
Vgl. Becker (2005a), S. 386. Reine Produktmarktstrategien werden zunehmend hinterfragt. Allzu häufig verfolgen Unternehmen eine Kombination aus Produktmarken und Dachmarke [vgl. Esch (2018), S. 403]. In einem solchen Fall generieren die Kunden demnach sowohl produkt- als auch unternehmensbezogene Assoziationen.
Vgl. Urde (2003), S. 1029; Becker (2005a), S. 390; Tomczak und Kernstock (2004), S. 165; Becker (2019), S. 197. Zur weiteren Differenzierung zwischen Produkt- und Unternehmensmarken sei auf Yu Xie und Boggs (2006), S. 351 verwiesen.
Vgl. Becker (2005a), S. 391. Für eine detaillierte Übersicht der Vor- und Nachteile der jeweiligen Markenstrategie sei auf Becker (2005a), S. 386 ff.; Becker (2019), S. 196 ff. verwiesen.
Vgl. Balmer und Gray (2003), S. 979. Auch Berry (2000) vertritt diese Auffassung indem er formuliert: „In packaged goods, the product is the primary brand. However, with services, the company is the primary brand.“ [Berry (2000), S. 128].
Vgl. Golicic et al. (2012), S. 26. In ihrer Arbeit verstehen sie den Markenwert als Second-Order-Konstrukt mit den Dimensionen Markenbekanntheit und Markenimage als Konstrukte erster Ordnung. Allerdings werden nicht nur die beiden Dimensionen über manifeste Indikatoren operationalisiert, sondern auch der Markenwert selbst. Zugleich werden die beiden Konstrukte erster Ordnung auch in das Strukturmodell eingebunden [vgl. Golicic et al. (2012), S. 21,29].
Konträre Ergebnisse liefern dagegen Świtała et al. (2018). Sie weisen einen höheren Pfadkoeffizienten für die Markenbekanntheit aus und führen dies auf den kulturellen Hintergrund der Respondenten und die Unternehmensgrößen zurück [vgl. Świtała et al. (2018), S. 111].
Nach der Modellanpassung befinden sich die beiden Pfadkoeffizienten für die Dimensionen des Markenwerts allerdings auf vergleichbarem Niveau. Mit der Modellanpassung wird aber auch deutlich, dass die Markenbekanntheit das Markenimage beeinflusst, obwohl dieser Zusammenhang in der ursprünglichen Konzeptualisierung von Keller (1993) nicht vorgesehen war [vgl. Juntunen et al. (2011), S. 306 ff.].
Ebenfalls auf Individualebene, jedoch aus Konsumentensicht untersuchen Oflaç et al. (2012) die Rolle von Erwartungen und kritischen Kaufsituationen auf die Markenwahrnehmung bei fehlgeschlagener Servicebereitstellung der Logistikdienstleister [vgl. Oflaç et al. (2012), S. 51]. Damit ist die Studie für die vorliegende Arbeit aber als nicht-relevant zu deklarieren.
Ebenso lassen sich aus den aktuellen Marktbedingungen des Logistikmarktes Argumente für eine gesteigerte Markenrelevanz ableiten. Nach Schwemmer und Klaus (2021) wird der europäische Markt für Logistikdienstleistungen in den letzten Jahren von den folgenden Herausforderungen bestimmt: Digitalisierung, Volatilität, Nachhaltigkeit, Talent- und Fachkräftemangel, Mangel an Frachtraum, E-Commerce [vgl. Schwemmer und Klaus (2021), S. 9; diese sind vergleichbar mit den in der amerikanischen 26th Annual Third-Party Logistics Study identifizierten Herausforderungen, vgl. Langley Jr. und NTT DATA (2022), S. 12]. Im Bereich des Talent- und Fachkräftemangel könnte die Gestaltung einer sogenannten Employer Brand dabei helfen geeignete Mitarbeiter zu akquirieren und insbesondere auch zu halten. Schließlich können sich Logistikdienstleister mit einer starken Employer Brand auf dem Arbeitsmarkt von ihren Konkurrenten abheben und sich als attraktiven Arbeitgeber präsentieren. Da nicht nur Logistikdienstleister mit den Trends „Digitalisierung“ und „Nachhaltigkeit“, sondern auch ihre Nachfrager konfrontiert sind, kann der Aufbau eines hierauf ausgerichteten Markenimages die Attraktivität und Wahrnehmung bei den Kunden steigern. Logistikdienstleister könnten sich so als nachhaltiges und/oder technologisch orientiertes Unternehmen positionieren und sich von ihren Wettbewerbern proaktiv differenzieren. Neben diesen beiden Herausforderungen können auch der E-Commerce und der Mangel an Frachtraum zu einer höheren Komplexität und Unsicherheit bei Auswahlentscheidungen von Logistikdienstleistern führen. Dies wiederum dürfte die Bedeutung von Information Chunks, wie Marken, erhöhen.
Hinsichtlich der geografischen Ausdehnung von Marken stellen Carbone und Stone (2005) fest, dass viele Kontraktlogistikdienstleister sowohl nationale als auch europäische Marken verwenden. Vor allem wenn sich die Unternehmen bereits des Öfteren mittels Joint Ventures, Akquisitionen und Fusionen ausgedehnt haben, präferieren sie weiterhin das Aufrechterhalten ihrer nationalen Marken [vgl. Carbone und Stone (2005), S. 507].
Vgl. Davis et al. (2008), S. 221; Davis et al. (2009), S. 203; Golicic et al. (2012), S. 24; Grant et al. (2014), S. 215; Wetzel und Hofmann (2020), S. 87; Rahman et al. (2017), S. 8007.
Da diese aber weder einfach zu memorieren noch unverwechselbar sind, kann der Aufbau und Abruf von Markenassoziationen erschwert sein [vgl. Davis et al. (2008), S. 221]. Die Autoren empfehlen daher den Logistikdienstleistern zu einem Namenswechsel, wenn der eigene Unternehmensname dem eines Konkurrenten ähnelt [vgl. Davis et al. (2008), S. 226].
Davis et al. (2008), S. 221. Siehe auch Golicic et al. (2012): „For many transportation providers, the company name is the brand.“ [Golicic et al. (2012), S. 24].
Ferner lässt sich generell festhalten: Während Produktmarken vorrangig für Konsumgüter anzutreffen sind, haben sich Unternehmensmarken eher bei Industriegütern etabliert [vgl. Becker (2019), S. 197; Esch (2018), S. 403]. Zudem sehen Yu Xie und Boggs (2006) eine Entwicklung zum verstärkten Aufbau von Unternehmensmarken in einer zunehmenden Marktkomplexität sowie in schnelleren Produktimitationen begründet [vgl. Yu Xie und Boggs (2006), S. 349]. Analog hierzu ist zu beobachten, dass auch zahlreiche Forschungsarbeiten zum generellen Forschungsgebiet B2B-Marken eine Spezifizierung auf Unternehmensmarken vornehmen [vgl. Balmer et al. (2020), S. 852; Bendixen et al. (2004), S. 372; Blombäck und Axelsson (2007), S. 419; Davis et al. (2008), S. 221; Gomes et al. (2016), S. 194; Grant et al. (2014), S. 214 f.; Marquardt (2013), S. 1388; Zhang et al. (2016), S. 86; Gordon et al. (1993), S. 7]. Gründe für das überwiegende Auftreten von Unternehmensmarken bei Industriegütern sind vielfältig. Zum einen bedienen die Unternehmen im Industriegüter- und Dienstleistungsbereich Marktsegmente mit geringerer Größe als im Konsumgüterbereich, was Produktmarken im Ergebnis kostenintensiver erscheinen lässt [vgl. Walley et al. (2007), S. 385]. Zum anderen ist die Unternehmensmarke in der Kommunikation generell stärker und nachhaltiger [vgl. Yu Xie und Boggs (2006), S. 350]. Da auch Beschaffungsmanager den unternehmensbezogenen Attributen in der Entscheidungsfindung wesentlich mehr Aufmerksamkeit widmen, scheinen Investitionen in den Aufbau von Produktmarken für Unternehmen im B2B-Sektor wenig vorteilhaft [vgl. Aspara und Tikkanen (2008b), S. 46 f.; Bendixen et al. (2004), S. 372]. Daher fördert das Markenmanagement von B2B-Unternehmen in erster Linie die Unternehmensmarke und den sie repräsentierenden Unternehmensnamen [vgl. Gomes et al. (2016), S. 194]. Dies gilt insbesondere für Anbieter von intangiblen Produkten oder Dienstleistungen, die mit Hilfe der Unternehmensmarke Vertrauen schaffen und einen Identifikationsanker etablieren wollen [vgl. Tomczak und Kernstock (2004), S. 166; Kircher (2005), S. 597; Juntunen et al. (2011), S. 301].
Vgl. Ghodsypour und O’Brien (2001), S. 15; Wetzstein et al. (2016), S. 305; Kaufmann et al. (2010), S. 813; Large (2013), S. 162 f.; Golmohammadi und Mellat-Parast (2012), S. 191; Willis et al. (1993), S. 1; González et al. (2004), S. 502; Luo et al. (2009), S. 249; Boer et al. (2001), S. 75.
Für eine Übersicht zu den Forschungsströmen innerhalb der Lieferantenauswahl-Forschung siehe Wetzstein et al. (2016), S. 308; Wetzstein et al. (2019), S. 9 ff.
Für Übersichten zu den verschiedenen Selektionskriterien bei der Lieferantenauswahl siehe exemplarisch Weber et al. (1991), S. 12; Ho et al. (2010), S. 21. Die Selektionskriterien bei der Lieferantenauswahl werden bewusst nicht im Detail behandelt, sondern nur beiläufig in den Arbeiten zur relativen Wichtigkeit der Marke aufgegriffen (siehe Kapitelabschnitt 2.1.2.2.1). Ferner erscheint es vor dem Hintergrund von FI 1zielorientierter jene Arbeiten im Detail zu analysieren, die sich speziell mit den Selektionskriterien bei der Auswahl von Logistikdienstleistern beschäftigen (siehe Kapitelabschnitt 2.1.3.3.2).
Vgl. Webster und Wind (1972a), S. 14; Webster und Wind (1972b), S. 40 ff.; Backhaus und Voeth (2014), S. 90. Im Modell von Sheth (1973) werden diese als situative Faktoren bezeichnet [vgl. Sheth (1973), S. 55 f.; Johnston und Lewin (1996), S. 2].
Vgl. Boer et al. (2001), S. 77; Johnston und Lewin (1996), S. 2; Dempsey (1978), S. 257; Choffray und Lilien (1978), S. 22; Bellizzi (1979), S. 215; Lilien und Wong (1984), S. 3
Vgl. O’Farrell und Moffat (1991), S. 212; Gallouj (1997), S. 48; Wind (1978); Day und Barksdale (1994), S. 46; Selviaridis et al. (2011), S. 74. Auf der einen Seite merken Autoren an, dass der Inhalt der Beschaffungsprozesse trotz kontextspezifischer Formulierungen und abweichender Anzahl an Prozessschritte häufig ziemlich ähnlich ist [vgl. Johnston und Lewin (1996), S. 2]. Auf der anderen Seite aber wird für die Notwendigkeit kontextspezifischer Anpassungen aufgrund der Komplexität des Beschaffungsprozesses argumentiert [vgl. Wind und Thomas (1980), S. 242].
Vgl. Bellizzi (1979), S. 218; Lewin und Donthu (2005), S. 1382; Johnston und Bonoma (1981), S. 152; Lilien und Wong (1984), S. 9 f.; Moschuris (2008), S. 149 f.
Vgl. Backhaus und Voeth (2014), S. 52. Weitere bekannte Konzepte sind das Promotoren-/Opponenten-Modell nach Witte (1976) sowie das Gatekeeper-Konzept.
Erweitert wird dieses Konzept bei Bonoma (1982) um die Rolle des „Initiators“. Als Initiator werden diejenigen Mitglieder bezeichnet, die einen Beschaffungsprozess bewusst startet [vgl. Bonoma (1982), S. 113 ff.].
Vgl. Lau et al. (1999), S. 577; Wind und Thomas (1980), S. 242; Lilien und Wong (1984), S. 2; Hammann und Lohrberg (1986), S. 38. So argumentieren Backhaus und Voeth (2014) hinsichtlich der Zusammensetzung, dass eine Beschaffungsentscheidung für ein CAD-System die Partizipation der Konstruktionsabteilung und eine Beschaffungsentscheidung zum Zwecke der Qualitätsverbesserung die Partizipation der Qualitätssicherungsabteilung im Buying-Center erfordert [vgl. Backhaus und Voeth (2014), S. 47]. Geider (1990) dagegen argumentiert hinsichtlich der Rollenverteilung, dass bei Routinekäufen eher die Beschaffungsabteilung, bei langfristigen Lieferverträgen eher die Unternehmensführung als Entscheider auftreten [vgl. Geider (1990), S. 69].
Vgl. Carter et al. (2007), S. 634; Kaufmann et al. (2012b), S. 79; Kaufmann et al. (2010), S. 792; Kaufmann et al. (2012a), S. 412; Kaufmann et al. (2014), S. 111; Kaufmann et al. (2017), S. 82.
So kann die organisationale Beschaffung aufgrund des Gruppenentscheids als rationaler angesehen werden, obwohl Konflikte und Gruppendynamiken entstehen können [vgl. Sheth (1973), S. 55].
Webster und Wind (1972b), S. 88. Oder auch bei Backhaus und Voeth (2014): „Das Ergebnis der Buying Center-Entscheidung ist immer die Folge individuellen Informations- und Entscheidungsverhaltens und von dessen Aggregation zu einer Gruppenentscheidung unter Beachtung der Einflussstruktur im Buying Center.“ [Backhaus und Voeth (2014), S. 60].
Zur Herleitung und Abgrenzung einer für die Arbeit gültigen Definition siehe die Konstrukt-Konzeptualisierung der Markenwichtigkeit in Kapitelabschnitt 3.1.3.
Vgl. Zablah et al. (2010), S. 251. An dieser Stelle soll das Verständnis der Markensensibilität allgemein offengelegt werden. Aufgrund konzeptioneller Anpassungen [siehe Kapitelabschnitt 2.1.4] wurde aber ein abgewandeltes Verständnis der Markensensibilität für die vorliegende Untersuchung erarbeitetet. Zur Herleitung und Abgrenzung der in der vorliegenden Arbeit gültigen Markensensibilitäts-Definition siehe daher die Konstrukt-Konzeptualisierung in Kapitelabschnitt 3.1.2.
Vgl. Brown (2007), S. 125; Brown et al. (2012), S. 510; Brown et al. (2011), S. 203; Casidy et al. (2018), S. 32; Sharma und Sengupta (2020), S. 56; Zablah et al. (2010), S. 258.
Vgl. Brown (2007), S. 62. Zwar bestätigt Brown (2007) mit Hilfe einer Strukturgleichungsmodellierung seine Hypothese, dass die Intangibilität die Markensensibilität positiv beeinflusst, jedoch fällt bei einer Analyse seines Messmodells der Intangibilität auf, dass damit faktisch die Tangibilität und nicht die Intangibilität gemessen wurde. Die einzelnen Indikatoren der Variable Intangibilität suggerieren nämlich bei hohen Werten eine hohe Ausprägung der Tangibilität. Hierzu beispielhaft Indikator 5: „This item was very tangible“ oder der explizit als revers-kodierte Indikator 10: „This was a difficult item to think about (r)“ bei einer Zustimmungsskala von 1 (stimme entschieden nicht zu) bis 7 (stimme stark zu) [Brown (2007), S. 117]. Da die Indikatoren der Markensensibilität bei hohen Ausprägungen auch eine hohe Markensensibilität andeuten, muss der positive Einfluss der Variable Intangibilität auf die Markensensibilität dahingehend neu interpretiert werden, dass eigentlich die Tangibilität einen positiven Einfluss auf die Markensensibilität hat. In seinen folgenden Studien bezeichnet Brown dasselbe Messmodell dann auch korrekt als Produkttangibilität [vgl. Brown et al. (2011), S. 203; Brown et al. (2012), S. 518].
Dieser geht zurück auf Robinson et al. (1967) und unterscheidet zwischen einer neuen Beschaffungsaufgabe, einem modifizierten Wiederkauf und einem unmodifizierten Wiederkauf [vgl. Robinson et al. (1967), S. 14]. Theoretisch lassen sich aus diesen Kaufklassen Schlussfolgerungen für die Beschaffungswichtigkeit, -komplexität, und -risiko ableiten, jedoch musste auch festgestellt werden, dass der Kaufklassenansatz nicht alleine das organisationale Beschaffungsverhalten umfassend erklären kann [vgl. Backhaus und Voeth (2014), S. 82].
Vgl. Gomes et al. (2016), S. 201. Sie verwenden nicht die Markensensibilität als abhängige Variable, sondern drei die Markenrelevanz beschreibende Dimensionen (Markenbekanntheit, Häufigkeit vorheriger Beschaffungen, Markenreputation) [vgl. Gomes et al. (2016), S. 198]. Zur Abgrenzung zwischen Markensensibilität und Markenrelevanz siehe Kapitelabschnitt 3.1.2.
Keine Effekte konnten festgestellt werden für Verfahrenskontrolle, Unternehmensgröße und vertragliche Bindungen [vgl. Brown (2007), S. 126 ff.; Brown et al. (2012), S. 513; Gomes et al. (2016), S. 199 f.].
Vgl. Brown (2007), S. 82 f.; 92. Für die Umfrage (Studie 1) trat der Effekt der Beziehungsqualität sowohl als aggregiertes Konstrukt als auch über seine Einzelfaktoren (Vertrauen, Committment und Zufriedenheit) nicht auf [vgl. Brown (2007), S. 83].
Vgl. Brown et al. (2012), S. 510 ff. Ebenfalls ist aber auch der lineare Effekt der Beschaffungswichtigkeit auf die Markensensibilität unter negativem Vorzeichen signifikant. Zudem ist die inverse U-förmige Beziehung zwischen Beschaffungswichtigkeit und Markensensibilität unter hoher Markenpräsenz stärker ausgeprägt [vgl. Brown et al. (2012), S. 514].
Vgl. Brown (2007), S. 58 f.; 126 ff. Auch Mudambi (2002) beschreibt die Beschaffungssituation ihres „markenempfänglichen“ Clusters als sehr wichtig. Demnach sind Organisationen eher markenempfänglich, wenn die Beschaffung für sie wichtig ist [vgl. Mudambi (2002), S. 531].
Für größere Unternehmen ist weder der lineare noch quadratische Effekt zwischen Beschaffungskomplexität und Markensensibilität signifikant [vgl. Brown et al. (2012), S. 515].
Liegen keine vertraglichen Bindungen vor der Lieferantenauswahl vor, so scheinen Beschaffungskomplexität und Markensensibilität unabhängig zu sein [vgl. Brown et al. (2012), S. 516].
Vgl. Brown et al. (2011), S. 195. Beispielsweise: „For a low-risk project, I would assign a heavy weight factor in my decision based on price, convenience – the economic impact to my bottom line – more so than brand. For a moderately risky project, I would do the same, with a slight increase in brand factor influencing my decision. However, for a high-risk project, I will rely heavily on the brand as an influencing factor for all the obvious reasons… High risk projects could mean my life savings, so price sensitivity diminishes and brand significantly influences my decision. (SW, Entrepreneur)“ [Brown et al. (2011), S. 195].
Die Autoren operationalisieren die Variable Beschaffungsrisiko über vier Indikatoren, wovon drei Indikatoren die Risikotypen „Performancerisiko“, „finanzielles Risiko“ und „soziales Risiko“ und ein Indikator das „Gesamtrisiko“ abdecken. Dies erlaubt ihnen sowohl eine Analyse der Variable Beschaffungsrisiko mit allen Indikatoren als auch eine Analyse der einzelnen Indikatoren [vgl. Brown et al. (2011), S. 200].
Letztendlich haben von den sechs hypothetisierten Einflussfaktoren der Markensensibilität auch nur die Verfahrenskontrolle und die Beschaffungskomplexität einen signifikanten positiven Einfluss auf das wahrgenommene Risiko [vgl. Brown (2007), S. 136].
Keine signifikanten Effekte konnten für Abteilungsziele, Beschaffungseinbindung und Kostenorientierung nachgewiesen werden [vgl. Brown (2007), S. 126 ff.; Brown et al. (2012), S. 513].
Die vertikale Einbindung wird über die im Buying-Center vertretenen Hierarchiestufen beschrieben. Dagegen umfasst die laterale Einbindung die verschiedenen Abteilungen, die am Beschaffungsprozess mitwirken [vgl. Johnston und Bonoma (1981), S. 146 f.; Lewin und Donthu (2005), S. 1383].
Vgl. Brown (2007), S. 109; Brown et al. (2012), S. 511; Brown et al. (2011), S. 198; 201; Hutton (1997), S. 434; Sharma und Sengupta (2020), S. 62; Zablah et al. (2010), S. 253.
Vgl. Casidy et al. (2018), S. 31; Gomes et al. (2016), S. 197. Die Arbeit von Gomes et al. (2016) wird deshalb im weitesten Sinne betrachtet, da zwar die Ergebnisse für die Markensensibilität interpretiert werden können, diese aber nicht explizit untersucht wurde.
Eigene Darstellung. Angemerkt werden muss, dass die Kausalketten Beschaffungskomplexität → wahrgenommenes Risiko → Markensensibilität, als auch Verfahrenskontrolle → wahrgenommenes Risiko → Markensensibilität nicht empirisch bestätigt werden konnten (Studie 1). Allerdings trat der Effekt des wahrgenommen Risikos auf die Markensensibilität dann mithilfe eines experimentellem Designs auf (Studie 2,3) [vgl. Brown (2007), S. 128 ff.].
An dieser Stelle sollen ausdrücklich nicht die grundlegenden Markenfunktionen, wie Identifikations- Schutz- oder Differenzierungsfunktion [siehe hierzu Kapitelabschnitt 2.1.1.1.1] analysiert werden, sondern die spezifisch für die organisationale Beschaffung festgestellten Markenfunktionen.
Vgl. Donnevert (2009), S. 206. Für den B2C-Markt konnte er hingegen den Einfluss des funktionalen Nutzens, Informationseffizienznutzens und Risikoreduktionsnutzens empirisch aufzeigen [vgl. Donnevert (2009), S. 201].
Vgl. Caspar et al. (2002), S. 49 Hierin manifestiert sich wiederum der wesentliche Unterschied zwischen den beiden Märkten, was die Annahme von LTE 4 zur mangelnden Übertragbarkeit von Studienergebnissen aus der Konsumentenforschung unterstreicht.
Vgl. Backhaus et al. (2011), S. 1088 f. Die Untersuchung dient auch als Grundlage bei Leischnig und Geigenmüller (2014) zur Entwicklung ihres Modells der Markenrelevanz bei Commodities [vgl. Leischnig und Geigenmüller (2014), S. 114].
Vgl. Sheffi (1990), S. 28; Merminod et al. (2019), S. 169; Fulconis et al. (2016), S. 451; Sink und Langley (1997), S. 168; van Laarhoven et al. (2000), S. 425.
So beläufts sich das Volumen der Logistikwirtschaft im Jahr 2021 in Deutschland auf ca. € 294 Mrd. Zudem arbeiten bis zu 3,36 Mio. Erwerbstätige in der Logistikwirtschaft [vgl. Pflaum und Klaus (2022), S. 4].
Large (2012), S. 15. Tatsächlich gehen Schwemmer und Klaus (2021) davon aus, dass immer noch 50 % des Logistikvolumens in Europa von Industrie- und Handelsunternehmen selbstständig erbracht werden. Demnach werden also nur die Hälfte der Logistikleistungen fremdvergeben [vgl. Schwemmer und Klaus (2021), S. 43].
Vgl. Razzaque und Sheng (1998), S. 89. Siehe hierzu exemplarisch die Arbeiten von Pfohl et al. (1987), S. 2; Sink und Langley (1997), S. 163; Murphy und Poist (2000), S. 121; Lieb und Randall (1996), S. 305; Lieb et al. (1993), S. 40; Hoek (2000), S. 14; Large und Kovács (2001), S. 44; Murphy und Farris (1993), S. 25.
Vgl. Skjoett‐Larsen (2000), S. 112; Hertz und Alfredsson (2003), S. 139. Für weitere spezifische Gründe, die zum Outsourcing-Trend von Kontraktlogistikleistungen geführt haben siehe Berglund et al. (1999), S. 60.
Im Englischen werden für Kontraktlogistik häufig die Begriffe „Third-party logistics“ oder „3PL“ verwendet. Jedoch zeigt sich generell ein sehr heterogenes Begriffsverständnis in wissenschaftlichen Arbeiten [vgl. Lukassen und Wallenburg (2010), S. 25 f.; Marasco (2008), S. 128; Knemeyer und Murphy (2005a), S. 5 f.; Knemeyer und Murphy (2005b), S. 710].
Vgl. Deutsches Statistisches Bundesamt (2008), S. 119 ff. Innerhalb der einzelnen Abteilungen wird noch einmal zwischen Güterbeförderung und Personenbeförderung unterteilt. Die Hauptkriterien zur Abgrenzung der einzelnen Abteilungen sind 1) die Art der produzierten Waren und Dienstleistungen, 2) die Verwendungszwecke der Waren und Dienstleistungen, 3) der Faktoreinsatz, Verfahren und Produktionstechnik [vgl. Deutsches Statistisches Bundesamt (2008), S. 20].
Vgl. Klaus (2011), S. 62. Noch umfassender ist die Auflistung von Logistikfunktionen bei Wallenburg (2009) Er präsentiert insgesamt 17 unterschiedliche Logistikfunktionen – von Verkehrsplanung, Cross-Docking bis hin zu Beratungsleistungen [vgl. Wallenburg (2009), S. 93].
Vgl. Large (2007), S. 126 f.; Large et al. (2011), S. 825 f. Ebenfalls aus transaktionskostentheoretischen Überlegungen entwickelt Skjoett‐Larsen (2000) sein Entscheidungsraster. Im Gegensatz zu Large (2007) verwendet er aber neben der Spezifität die Unsicherheit als zweites Kriterium [vgl. Skjoett‐Larsen (2000), S. 116].
Vgl. Andersson und Norrman (2002), S. 4. Eine vergleichbare Kategorisierung und Bezeichnung der Ausprägungen findet sich bei Persson und Virum (2001), S. 60.
Siehe hierzu auch die Argumentation von Wallenburg (2009) zur Gruppierung seiner 17 erhobenen Logistikfunktionen im Rahmen einer Multigruppenanalyse [vgl. Wallenburg (2009), S. 84].
Demgegenüber steht die Kritik der unscharfen Abgrenzung. So kann beispielsweise nicht klar bestimmt werden, ab welchem Komplexitätsgrad von einer erweiterten Logistikdienstleistung gesprochen wird.
Vgl. Bourlakis und Melewar (2011), S. 302; Large (2007), S. 123; Liu et al. (2015), S. 55; Lukassen und Wallenburg (2010), S. 25; Selviaridis und Spring (2007), S. 133; Saglietto (2013), S. 105; Large et al. (2011), S. 826.
Vgl. Zhu et al. (2017), S. 30. Sie beziehen sich auf die Klassifikationen von Liu et al. (2015), S. 46 und Hsiao et al. (2010), S. 77. In beiden Klassifikationen sind inhaltliche Parallelen zu Andersson und Norrman (2002) ersichtlich. Es wird aber kein expliziter Bezug hergestellt.
Dies wird auch in der Forschung dadurch deutlich, dass Studien zunehmend die Beziehungen zu den Logistikdienstleistern fokussieren [vgl. Sink und Langley (1997), S. 169].
Vgl. Aguezzoul (2011), S. 18; Aguezzoul (2014), S. 70; van Laarhoven et al. (2000), S. 434; Jharkharia und Shankar (2007), S. 274; Large und Kovács (2001), S. 50; Large (2017), S. 8; Merminod et al. (2019), S. 170; Sink und Langley (1997), S. 170.
Siehe hierzu auch nachfolgendes Zitat von van der Valk und Rozemeijer (2009): „This may imply that the purchasing practices for goods cannot directly be applied to services.“ [van der Valk und Rozemeijer (2009), S. 3].
Vgl. Davis-Sramek et al. (2018), S. 87; Fernie (1999), S. 83; Gardas et al. (2019), S. 958 f.; Langley Jr. und NTT DATA (2022), S. 11; Akbari (2018), S. 1548 f.
Vgl. Bienstock (2002), S. 636; Bardi und Tracey (1991), S. 16; Gardas et al. (2019), S. 959; Murphy und Farris (1993), S. 25; Premkumar et al. (2021), S. 553; Marasco (2008), S. 137.
Auch Selviaridis und Spring (2007) identifizieren im Rahmen ihres Literatur-Reviews die beiden Aspekte „Beschaffungs-Framework“ (Auswahlprozesse) und Selektionskriterien als Schwerpunkte innerhalb des Forschungsstrangs „Beschaffung von Logistikdienstleistungen“ [vgl. Selviaridis und Spring (2007), S. 131].
Vgl. Aghazadeh (2003), S. 54 f.; Andersson und Norrman (2002), S. 8; Bagchi und Virum (1998), S. 209; Large (2009), S. 447; Large (2017), S. 9; Sink und Langley (1997), S. 174 ff.; Otto und Kotzab (2007), S. 289; Wildemann (2007), S. 140; Pfohl et al. (1987), S. 22 ff.; Wrobel (2014), S. 198.
Vgl. Large (2009), S. 447; Bagchi und Virum (1998), S. 207 ff. Dies stellen auch Selviaridis und Spring (2007), S. 131 fest. Für eine detaillierte Aufarbeitung der Beendigung kontraktlogistischer Beziehungen siehe Drodofsky (2017), S. 146 ff. und Hofmann (2007), S. 231 ff.
Mit steigender Generalisierbarkeit kann aber gleichermaßen die Spezifikation der Prozessmodelle für die Auswahl von Logistikdiensteistern hinterfragt werden. So treten kaum noch gravierende Unterschiede zu den Prozessmodellen der strategischen Lieferantenauswahl auf. Dies schlussfolgern auch Selviaridis und Spring (2007), S. 131 nach der Analyse dreier Prozessmodelle. Im Ergebnis lässt dies die Eigenständigkeit der Auswahlprozesse für Logistikdienstleister fraglich erscheinen. Auch Large (2009) stellt heraus, dass hauptsächlich ein Unterschied zwischen seinem und den für die allgemeinen Lieferantenauswahl präsentierten Phasenmodell in der Beendigungs- bzw. Verlängerungsphase aufgrund der oftmals vertraglich-geregelten Befristung von Kontaktlogistikgeschäften liegt [vgl. Large (2009), S. 447].
Vgl. Large (2017), S. 10. Vor allem deren Involvement in der ersten Phase ist wenig überraschend, da diese Abteilungen nach Large (2017) das notwendige Wissen und die Fähigkeiten besitzen, um Ausschreibungsdokumente vorzubereiten [vgl. Large (2017), S. 10].
Vgl. Selviaridis und Spring (2007), S. 131; Boyson et al. (1999), S. 84; Akhtar (2023), S. 79; Jung (2017), S. 3; Dapiran et al. (1996), S. 40; Millen et al. (1997), S. 39; Voss et al. (2006), S. 11; Alkhatib et al. (2015a), S. 109. Für Übersichten zu den verschiedenen Auswahlkriterien sei auf Aguezzoul (2014), S. 74 sowie Akhtar (2023), S. 79 verwiesen.
Auch gibt es natürlich Studien, die für die beiden Auswahlkriterien Preis und Qualität keinen überragenden Einfluss finden konnten [vgl. Murphy und Daley, James, M. (1997), S. 32; McGinnis et al. (1995), S. 96].
Vgl. Davis-Sramek et al. (2018), S. 94; Raut et al. (2018), S. 89; Roy et al. (2020), S. 674; Jung (2017), S. 13; Liao et al. (2018), S. 10; Wolf und Seuring (2010), S. 99; Davis-Sramek et al. (2020), S. 4 f.
Vgl. Davis-Sramek et al. (2018), S. 94. Ferner zeigt sich ein Unterschied zwischen der sozialen und ökologischen Nachhaltigkeit. Während die soziale Nachhaltigkeit der Logistikdienstleister für eine kurzzeitige Beziehung in der Auswahlentscheidung durchaus berücksichtigt wird, konnte der Effekt für die ökologische Nachhaltigkeit nicht nachgewiesen werden [vgl. Davis-Sramek et al. (2020), S. 4].
Vgl. Kannan et al. (2011), S. 762 f. Eine vergleichbare Klassifikation findet sich bei Vaidyanathan (2005). Er differenziert zwischen Informationstechnologie, Performance, Kosten, Qualität, Service und intangiblen Faktoren [vgl. Vaidyanathan (2005), S. 93].
Vgl. Carter et al. (2007), S. 634; Kaufmann et al. (2012b), S. 79; Kaufmann et al. (2010), S. 792; Kaufmann et al. (2012a), S. 412; Kaufmann et al. (2014), S. 111; Kaufmann et al. (2017), S. 82.
Vgl. Carter et al. (2007), S. 634; Kaufmann et al. (2012b), S. 79; Kaufmann et al. (2010), S. 792; Kaufmann et al. (2012a), S. 412; Kaufmann et al. (2014), S. 111; Kaufmann et al. (2017), S. 82; Francioni und Clark (2020), S. 2; Large et al. (2021), S. 1.
Nach Wolf (2020) folgen konzeptionelle Bezugsrahmen meistens einem dreiteiligen Aufbau aus Gestaltungsvariablen (Markensensibilität), Kontextvariablen (Organisationale und individuelle Charakteristiken) und Erfolgsvariablen (Markenwichtigkeit) [vgl. Wolf (2020), S. 38].
Eigene Darstellung. Einen ähnlichen Analyserahmen präsentieren Granzin et al. (1986) zur Untersuchung des Einflusses personeller und organisationaler Charakteristiken auf den Informationsverarbeitungsstil im Kontext der Beschaffung von Transportdienstleistungen [vgl. Granzin et al. (1986), S. 54].
Eigene Darstellung. Das hier illustrierte Vorgehen quantitativ-empirischer Studien orientiert sich prinzipiell an Weiber und Sarstedt (2021), S. 94; Döring und Bortz (2016), S. 24 f.
Vgl. Becker (2005b), S. 285; Becker et al. (2016), S. 161. Zwar argumentieren Klarmann und Feurer (2018) gegen den Einbezug von Kontrollvariablen in die Hypothesen, jedoch begründen sie dies mit der Komplexität und dem Umfang, der hierfür benötigt werden würde [vgl. Klarmann und Feurer (2018), S. 35]. Auch Carter und Jennings (2004) lehnen eine Inklusion der Kontrollvariablen in die Hypothesen mit der Begründung, dass „the purpose of the control variable is to minimize random error“ ab [Carter und Jennings (2004), S. 156].
Vgl. Häder (2019), S. 48 f.; Atteslander (2010), S. 46; Schnell et al. (2018), S. 113. Zum detaillierten Vorgehen der Operationalisierung siehe Kapitelabschnitt 3.1.1
Vgl. Harland und Roehrich (2022), S. 68 f.; van Lange et al. (2012), S. 6. So unterscheiden Harland und Roehrich (2022) im Kontext des Beschaffungsmanagements zwischen der 1) Individuellen und Teamebene, 2) Ebene der dyadischen und triadischen Beziehungen, 3) Ebene der externen Supply Chain, 4) Ebene des Beschaffungsnetzwerkes, 5) Ebene des Beschaffungssystems und 6) Ebene des Beschaffungsmarktes [vgl. Harland und Roehrich (2022), S. 68 f.]. van Lange et al. (2012) dagegen unterscheiden die Theorien der sozialen Psychologie in 1) biologische, evolutionäre Ebene, 2) kognitive Ebene, 3) motivationale/affektive Ebene, 4) interpersonelle Ebene und 5) Gruppen- und kulturelle Ebene [vgl. van Lange et al. (2012), S. 6].
Eine weitere Unterscheidung findet sich bei Helfrich (2016). Er differenziert zwischen formalwissenschaftlichen, erklärenden und technologischen Theorien [vgl. Helfrich (2016), S. 50].
Vgl. Flynn et al. (2022), S. 17; Swamidass (1991), S. 800. Hingegen unterscheidet König (1973) zwischen Theorien hoher Komplexität, Theorien mittlerer Reichweite, ad-hoc Theorien und empirische Regelmäßigkeiten [vgl. König (1973), S. 4].
Vgl. Chicksand et al. (2012), S. 463 f.; Giunipero und Eltantawy (2022), S. 49; Glock und Hochrein (2011), S. 154; Johnsen et al. (2017), S. 137; Spina et al. (2013), S. 1209; Spina et al. (2016), S. 22 f.
Vgl. Wiswede (2021), S. 476. Allerdings wird die kognitive Dissonanztheorie beispielsweise bei van Lange et al. (2012) nicht unter dem Bereich Kognition, sondern Motivation geführt [vgl. van Lange et al. (2012), S. vi].
Angepasste Abbildung in Anlehnung an Kirsch (1977), S. 124 f. unter Einfluss von Bettman (1979), S. 17. Die Abbildung basiert grundsätzlich auf dem SOR(Stimulus, Organismus, Response)-Paradigma [vgl. Kirsch (1977), S. 124].
Siehe Kapitelabschnitt 2.2.3. Dissonanz entsteht auch, wenn eine neue Information aufgenommen wird und diese im Widerspruch mit einem bereits vorhandenen kognitiven Element steht [vgl. Kroeber-Riel und Gröppel-Klein (2019), S. 223]. Daher wurde im Vergleich zur ursprünglichen Abbildung bei Kirsch (1977) ein zusätzlicher Pfeil von Informationssuche zu Dissonanz eingefügt. Dem Modell von Kirsch (1977) zufolge entsteht Dissonanz also ausschließlich nach dem Entschluss.
Vgl. Kirsch (1977), S. 74 f. Die hierarchische Struktur von Entscheidungsprozessen wurde bereits in Kapitelabschnitt 2.1.3.3.1 im Rahmen der Dreigliederung des Auswahlprozesses nach Large (2017) angeschnitten.
Vgl. Tushman und Nadler (1978), S. 614; Galbraith (1974), S. 28 f. Auch in der Beschaffungs- und Supply Chain Management-Forschung ist der Informationsverarbeitungsansatz nach Tushman und Nadler (1978) und Galbraith (1974) weit verbreitet. Für eine Übersicht siehe Busse et al. (2017), S. 89.
Insbesondere der von Carter et al. (2007) benannte Forschungszweig des „behavioral supply management“ [vgl. Carter et al. (2007), S. 631] greift auf den psychologischen Ansatz der Informationsverarbeitung zurück. So dient er beispielsweise zur Untersuchung der Konsequenzen einer intuitiven und rationalen Entscheidungsfindung [vgl. Kaufmann et al. (2014), S. 105 f.; Kaufmann et al. (2017), S. 83] oder zum Verständnis individueller Unisicherheitsreduktion bei der Lieferantenauswahl [vgl. Riedl et al. (2013), S. 24].
Bei den Literature Reviews zur Informationsüberflutung wird allerdings nicht immer konsequent zwischen den Ebenen unterschieden, sodass hier sowohl Arbeiten aus der Psychologie als auch aus der organisationalen Managementforschung gemeinsam analysiert werden [vgl. Eppler und Mengis (2004), S. 272].
Vgl. Baddeley (2003), S. 829; Baddeley (2000), S. 418; Baddeley (1992), S. 557; Miller (1956), S. 81; Simon und Newell (1971), S. 149. Allerdings hängt die Informationsverarbeitung von Individuen nicht nur von ihrer begrenzten kognitiven Kapazität, sondern auch von ihrer Motivation, Informationen zu suchen und zu verarbeiten, ab. In vielen Situationen weisen Personen nämlich eine geringe Motivation zur Informationssuche und -verarbeitung auf [vgl. Malhotra et al. (1982), S. 35; Bettman (1979), S. 43 ff.].
Vgl. Eppler und Mengis (2004), S. 278. Zu den verschiedenen Definitionsansätzen, der finalen Konstrukt-Beschreibung sowie zu Operationalisierungen der Informationsüberflutung siehe Kapitelabschnitt 3.1.5
Vgl. Roetzel (2019), S. 494 ff.; Eppler und Mengis (2004), S. 283; Jackson und Farzaneh (2012), S. 525; Schneider (1987), S. 146; Driver und Streufert (1969), S. 274; Payne (1976), S. 384.
Bawden und Robinson (2020), S. 16. Sie fassen die verschiedenen Ursachen unter vier Kategorien zusammen: 1) zu viele Informationen, 2) Diversität, Komplexität und Neuigkeitsgrad der Information, 3) allgegenwärtige und gedrängte Informationen, 4) persönliche Faktoren und individuelle Unterschiede.
Vgl. Bawden et al. (1999), S. 249; Bawden und Robinson (2009), S. 183; Benselin und Ragsdell (2016), S. 285; Jacoby et al. (1974a), S. 41; Roetzel (2019), S. 484; Eppler und Mengis (2004), S. 284; Schneider (1987), S. 148.
Vgl. Bawden und Robinson (2020), S. 28. Sie identifizieren neben den „coping strategies“ noch weitere fünf Lösungsansätze, allerdings sind diese für die vorliegenden Studie uninteressant. Dasselbe gilt auch für die überwiegende Mehrheit der Maßnahmen, die Eppler und Mengis (2004) auflisten [vgl. Eppler und Mengis (2004), S. 287 f.]. Grund hierfür ist der interdisziplinäre Charakter der Studien, demzufolge auch Gegenmaßnahmen auf organisationaler Ebene miteinbezogen werden.
Vgl. Evans und Stanovich (2013), S. 223; Evans (2011), S. 87. Über die vergangenen Jahrzehnte sind die Dual-Processing Modell nicht frei von Kritik geblieben. Eine Diskussion und Stellungnahme zu den häufigsten Kritikpunkten liefern Evans und Stanovich (2013), S. 227 ff.
Vgl. Evans (2011), S. 86 f.; Grayot (2020), S. 105 f. Hingegen klassifiziert Gawronski und Creighton (2014) die Dual Processing Modelle in „domain-specific“ und „integrative“. Die hier im Detail betrachtete CEST lässt sich den integrativen Dual-Processing Modellen zuordnen [vgl. Gawronski und Creighton (2014), S. 282].
Vgl. Stanovich (1999), S. 145; Stanovich und Toplak (2012), S. 4. In einer aktuelleren Abhandlungen argumentieren Stanovich und Toplak (2012) allerdings für die Bezeichnung „Type 1 und Type 2“. Ihnen zufolge suggeriert eine Bezeichnung als „System 1 und System 2“ die Bezugnahme zu tatsächlichen Gedächtnissystemen, was nicht beabsichtigt werden sollte [vgl. Stanovich und Toplak (2012), S. 4]. Allerdings eröffnet Grayot (2020) auch Kritik an der Bezeichnung „Type 1 und Type 2“ [vgl. Grayot (2020), S. 116 ff.].
Vgl. Zimmerman et al. (2011), S. 293. Zu den verschiedenen Definitionsansätzen, der finalen Konstrukt-Beschreibung sowie zu Operationalisierungen von Faith in Intuition und Need for Cognition siehe Kapitelabschnitt 3.1.8.
Vgl. Epstein et al. (1996), S. 390; Epstein (2003), S. 174; Epstein und Pacini (1999), S. 467. Darüber hinaus wurden aus den beiden Systemen der CEST zwei korrespondierende Intelligenzen abgeleitet. Die Intelligenz des rationalen Systems kann über einen gewöhnlichen IQ-Test gemessen werden, wohingegen zur Messung der Intelligenz des erfahrungsbasierten Systems eine eigene Skala, das sogenannte Constructive Thinking Inventory, entwickelt werden musste [vgl. Epstein und Pacini (1999), S. 466 f.; Epstein (2003), S. 173 f.; Epstein und Meier (1989), S. 332].
Vgl. Hinojosa et al. (2017), S. 171; Wiswede (2021), S. 82; Kirsch (1977), S. 119. Weitere Konsistenztheorien gehen auf Heider (1958): Balance-Theorie, Osgood und Tannenbaum (1955): Kongruität-Theorie und Grawe (1998): Konsistenztheorie zurück [vgl. Wiswede (2021), S. 82].
Vgl. Hinojosa et al. (2017), S. 174 f.; Harmon-Jones und Mills (2019), S. 3 f. Nach dem sogenannten New-Look Paradigma, einer Weiterentwicklung der kognitiven Dissonanztheorie nach Festinger (1957), sorgen nicht die kognitiven Widersprüche, sondern eher das Vermeiden von ungewollten Konsequenzen für Dissonanz [vgl. Cooper und Fazio (1984), S. 234; Cooper (2012), S. 381].
Festinger (2020), S. 26. Anmerkung: Hier wurde in Anlehnung an Hinojosa et al. (2017) und Harmon-Jones und Mills (2019) bewusst nicht, wie bei Festinger (2020), der Begriff „dissonante Beziehung“ gewählt.
Vgl. Sweeney et al. (2000), S. 373; Kroeber-Riel und Gröppel-Klein (2019), S. 222. Die kognitive Dissonanztheorie steht demzufolge in einem engen Zusammenhang mit der Regret-Theorie nach Bell (1982) und Loomes und Sugden (1982) [vgl. Kroeber-Riel und Gröppel-Klein (2019), S. 223].
Vgl. Hinojosa et al. (2017), S. 174. Nach Jonas et al. (2001) wäre allerdings der Begriff „Confirmation Bias“ für diesen Sachverhalt treffender, da definitionsgemäß auch eine überwiegende Auswahl inkonsistenter Informationen selektiv wäre [vgl. Jonas et al. (2001), S. 557].
Die Formen „Attitude“ und „Behavior“ von Hinojosa et al. (2017) spiegeln die Kategorie „Änderung des kognitiven Elements des Verhaltens“ nach Festinger (1957) inhaltlich wider.
Vgl. McGrath (2017), S. 4 ff. Die weiteren Reduktionsstrategien „attitude change“, „trivialization and self-affirmation“, „adding consonant cognitions“ und „changing behavior“ wurden bereits mit den vorherigen Arbeiten vorgestellt.
Auch Raab et al. (2010) präsentieren insgesamt sieben Techniken zum Abbau kognitiver Dissonanz. Diese sind: Elimination, Addition, Substitution, Zieländerung, Handlung leugnen, Handlung revidieren. Oftmals findet auch eine Kombination dieser Techniken statt [vgl. Raab et al. (2010), S. 43 f.].
Vgl. Soutar und Sweeney (2003), S. 231. Dowling (1986) schlagen vor, dass das wahrgenommene Risiko in der Phase nach dem Entschluss besser über den Risiko-/Dissonanzreduktionsprozess konzeptualisiert werden sollte [vgl. Dowling (1986), S. 201].
Vgl. Bauer (1960), S. 397. „One body of work deserves our attention, Most of it is reported in Leon Festinger’s book called A Theory of Cognitive Dissonance.“
Im Kontext von Konsumentscheidungen wird der kognitive Widerspruch implizit über die Diskrepanz zwischen den vordefinierten Zielen des Konsums und den zu erwarteten Konsequenzen des Konsums aufgegriffen [vgl. Cox und Rich (1964), S. 33].
Vgl. Kohli (1989), S. 55; Dowling und Staelin (1994), S. 119; Laroche et al. (2004), S. 376; Peter und Ryan (1976), S. 184; Peter und Tarpey (1975), S. 30.
Vgl. Dowling und Staelin (1994), S. 120; Hawes und Barnhouse (1987), S. 287; Richter (2007), S. 61; Taylor (1974), S. 55. Zu den verschiedenen Definitionsansätzen, der finalen Konstrukt-Beschreibung sowie zu Operationalisierungen des wahrgenommenen Risikos siehe Kapitelabschnitt 3.1.6.
Vgl. Kroeber-Riel und Gröppel-Klein (2019), S. 295. Dagegen argumentiert Gemünden (1985a) mit Hilfe von Cox (1967b), dass die Motivation zur Risikoreduktion erst dann entsteht, wenn das wahrgenommene Risiko eine bestimmte Toleranzschwelle erreicht hat [vgl. Gemünden (1985a), S. 79; Cox (1967b), S. 630]. Sie vermuten also keinen strikten linearen Zusammenhang.
Siehe Mitchell (1992), S. 30; Gemünden (1985a), S. 95; Mitchell (1995), S. 124; Newall (1977), S. 169; Garner und Thompson (1985), S. 155; Mitchell et al. (2003), S. 4; Wiswede (2021), S. 348; Copley und Callom (1971), S. 208.
Vgl. Mitchell (1995), S. 124; Newall (1977), S. 169; Garner und Thompson (1985), S. 155; Mitchell et al. (2003), S. 4; Copley und Callom (1971), S. 208.
Vgl. Sitkin und Pablo (1992), S. 12; Sitkin und Weingart (1995), S. 1575; Meertens und Lion (2008), S. 1508; Zhang et al. (2019), S. 153. Zu den verschiedenen Definitionsansätzen, der finalen Konstrukt-Beschreibung sowie zu Operationalisierungen der individuellen Risikoneigung siehe Kapitelabschnitt 3.1.7.
Nach Wolf (2020) folgen konzeptionelle Bezugsrahmen meistens einem dreiteiligen Aufbau aus Gestaltungsvariablen (Markensensibilität), Kontextvariablen (Organisationale und individuelle Charakteristiken) und Erfolgsvariablen (Markenwichtigkeit) [vgl. Wolf (2020), S. 38].
Die behandelten Inhalte waren auch Gegenstand des Konferenzbeitrags von Rapp (2022), unterliegen hier allerdings einer Überarbeitung und Modifikationen.
Vgl. Rungtusanatham et al. (2014), S. 106. Eine Alternative zum Segmentation Approach stellt der Transmittal Approach dar. Hier wird lediglich der mediierende Effekt hypothesiert, die direkten Effekte zwischen der Determinante des Mediators und der Konsequenz des Mediators werden bewusst nicht hergeleitet. Zwar dürfte sich der Transmittal Approach gemäß den Empfehlungen der Autoren für den vorliegenden Fall auch anbieten, da in FH 1 explizit die mediierende Wirkung hervorgehoben wurde und damit der Fokus auf der Mediation und nicht auf den einzelnen direkten Effekt liegt, jedoch ergeben sich in den Multi-Gruppenanalysen interessante Erkenntnisse hinsichtlich der direkten Effekte, weshalb es vorbereitend als sinnvoll erachtet wurde, diese auch in separate Hypothesen gemäß dem Segmentation Approach zu fassen.
Vgl. Andersson und Norrman (2002), S. 4; Large et al. (2011), S. 822 f.; Hertz und Alfredsson (2003), S. 147; Large (2009), S. 446 f. Siehe auch Kapitelabschnitt 3.1.4.
Diese Argumentation entspricht dem Verständnis der Informationsüberflutung, siehe Roetzel (2019), S. 480; Eppler und Mengis (2004), S. 273; Bawden und Robinson (2009), S. 182 f., als auch Kapitelabschnitt 3.1.5.
Vgl. Keller (2013), S. 150 f.; Möll (2007), S. 30; Esch und Langner (2005), S. 605; Janiszewski und van Osselaer (2000), S. 331; Puligadda et al. (2012), S. 117; Tomczak und Kernstock (2004), S. 173, siehe auch Kapitelabschnitt 2.1.1.1.2.
Vgl. Sheth und Venkatesan (1968), S. 307; Roselius (1971), S. 58; Kroeber-Riel und Gröppel-Klein (2019), S. 295. Siehe hierzu auch Kapitelabschnitte 2.2.3.1 & 2.2.3.2.
Ausführlich hierzu die Abhandlungen in Kapitelabschnitt 2.1.2.2.2. Hingegen stellen Brown et al. (2011) einen U-förmigen Effekt für das Beschaffungsrisiko fest [vgl. Brown et al. (2011), S. 200]. Zu beachten gilt, dass die Autoren zur Herleitung des U-förmigen Effekts auf die Informationsverarbeitungstheorie zurückgreifen und so bei geringem Beschaffungsrisiko davon ausgehen, dass Beschaffungsmanager faul sind und nicht alle verfügbaren Informationen berücksichtigen werden und stattdessen verstärkt auf Marken als Information zurückgreifen werden [vgl. Brown et al. (2011), S. 197]. Eine solche Argumentation unterliegt jedoch nicht dem wahrgenommenen Risiko und seiner Analogie mit der kognitiven Dissonanztheorie bzw. deren Reduktionsstrategien. Dennoch soll das Hypothesensystem aufgrund der Arbeit von Brown et al. (2011) auf einen möglichen nicht-linearen Effekt geprüft werden [siehe Kapitelabschnitt 4.3.3.3].
Den negativen Zusammenhang zwischen individueller Risikoneigung und wahrgenommenen Risiko konnten beispielsweise Sitkin und Weingart (1995) darlegen [vgl. Sitkin und Weingart (1995), S. 1582]. Zur Herleitung der Hypothese argumentieren sie auf Basis der Prospect-Theorie, wonach risikoaverse Individuen negative Konsequenzen überbewerten und daher mehr Risiko wahrnehmen. Hingegen bewerten risikofreudige Individuen die positive Konsequenzen stärker und nehmen daher weniger Risiko wahr [vgl. Sitkin und Weingart (1995), S. 1577]. Ein möglicher indirekter Effekt der individuellen Risikoneigung über das wahrgenommene Risiko auf die Markensensibilität wird im Rahmen eines alternativen Strukturmodells in Kapitelabschnitt 4.3.3.6 adressiert.
Vgl. Brown (2007), S. 130 f.; Brown et al. (2012), S. 513. Zwar weisen die Autoren jeweils einen positiven Zusammenhang zwischen den beiden Variablen aus, jedoch zeigt sich in der Operationalisierung, dass hohe Ausprägungen der individuellen Risikoneigung mit einer risikoaversen Persönlichkeit gleichzusetzen sind und nicht wie in der vorliegenden Studie mit einer risikoaffinen Persönlichkeit. Schlussendlich sind Aussage und Argumentation hinsichtlich des Einflusses auf die Markensensibilität aber dieselbe.
Siehe beispielhaft Kaufmann et al. (2014), S. 105; Kaufmann et al. (2017), S. 83; Boffelli et al. (2020), S. 3; Francioni und Clark (2020), S. 2; Balmer et al. (2020), S. 852.
Die Autoren unterscheiden hier konzeptionell zwischen zwei Formen von Intuition – erfahrungsbasierte Informationsverarbeitung und emotionsbasierte Informationsverarbeitung. Bei der erfahrungsbasierten Informationsverarbeitung stellt das Individuum eine Verbindung zwischen aktuellen und vergangenen Events her und ruft langfristig abgespeicherte Informationen ab. Hingegen beschreibt die emotionsbasierte Informationsverarbeitung das Vertrauen auf Bauchgefühle [vgl. Kaufmann et al. (2017), S. 84].
Vgl. Alós-Ferrer und Hügelschäfer (2012), S. 183; Epstein (1994), S. 711; Epstein et al. (1996), S. 390 f., siehe hierzu auch Kapitelabschnitt 2.2.2.2.
Damit steht der Begriff „Beschaffungsmanager“ in der vorliegenden Arbeit repräsentativ für all jene Personen, die für den spezifischen Untersuchungsgegenstand aussagefähig sind. Er soll insbesondere die Beschaffungsperspektive verdeutlichen und weniger die Zugehörigkeit zum Funktionsbereich „Beschaffung“.
Metadaten
Titel
Konzeptionell-theoretische Grundlagen und Ableitung von statistischen Hypothesen