Skip to main content

03.08.2015 | Krisenkommunikation | Schwerpunkt | Online-Artikel

Wenn peinliche Pannen das Netz beflügeln

verfasst von: Michaela Paefgen-Laß

5 Min. Lesedauer

Aktivieren Sie unsere intelligente Suche, um passende Fachinhalte oder Patente zu finden.

search-config
loading …

Porno statt Ketchup und bizarre Flirt-Tipps: Von kleineren Netzpannen geht die Welt zwar nicht gleich unter, aber Nutzern wird ein weiterer Anlass zum Spott geboten. Von der Online- zur Offline-Aufmerksamkeit ist es dann nur noch ein kleiner Schritt.

Große Katastrophen, die einen ganzen Stab an Krisenmanagern beschäftigen mussten, waren es nicht, die in diesem Sommer kurz hintereinander erst den US Ketchup-Riesen Heinz und dann das deutsche Teenieblatt Bravo trafen. Aber das Web 2.0 befeuert auch kleine Brandherde mitunter recht leidenschaftlich. Heinz hatte schlichtweg versäumt, sich die zu einer Kundenaktion gehörende Webdomain über einen angemessen Zeitraum hinweg zu sichern. Bravo kassierte für seine Flirtratschläge einen Shitstorm, die nach Zeiten klangen, in denen Teenager noch Backfische hießen. Zwei Beispiele dafür, wie auch kleine Fettnäpfchen nach angemessener Krisenintervention verlangen können.

Über die Ketchup-Flasche zur Pornoseite

Weitere Artikel zum Thema

Eine laue verspätete Entschuldigung und eine individualisierte Ketchup-Flasche – mehr hatte Heinz nicht parat, nachdem ihn ein Kunde via Facebook auf folgenden Fauxpas aufmerksam machte: Im Mai war Daniel Korell mit dem Smartphone dem QR-Code auf einer älteren Ketchup-Flasche gefolgt, weil er sich über die Aktion "Sag's mit Heinz" ein personalisiertes Flaschenetikett gestalten wollte. Doch die Aktion war inzwischen abgelaufen und der Code brachte den verdutzen Kunden nun geradewegs auf die Pornoseite Fundorado. Am 23. Mai teilte er seine Entdeckung nebst Fotobeweis auf der deutschen Facebook-Fanpage von Heinz augenzwinkernd mit. Schadenfreudig überschlugen sich die Nutzer unter dem weder gelöschten noch schlagfertig moderierten Post. Was Heinz an Tempo und Originalität vermissen lies, machte ihm der Betreiber der Pornoseite vor. Er versprach Korell eine gratis Jahresmitgliedschaft, bedankte sich bei Heinz für die unverhoffte Werbung und spendete auf Korells Wunsch den Betrag für die ausgeschlagene Mitgliedschaft an die Hamburger Tafel.

Was Jungs an "süßen Girls" mögen

Bravo, Musik- und Aufklärungsorgan ganzer Teenagergenerationen foulte Anfang Juli mit "100 Tipps für eine Hammer-Ausstrahlung". Im Netz und im Print hagelte es für die grotesk altertümlichen Anmachratschläge à la "Sprich ein wenig tiefer wenn dein Schwarm in der Nähe ist. Das wirkt sexy und reifer" haufenweise Empörung und Häme. Bravo vermittle ein Frauenbild, das sich "seit der Gründung des Magazins 1956 offensichtlich wenig weiterentwickelt hat", schrieb der Tagesspiegel. Auf Twitter boomte der Hashtag #flirtennachbravo. Doch das Magazin reagierte schnell. Schon einen Tag später nahm es den Artikel aus dem Netz, entschuldigte sich in einer Stellungnahme für die mangelnde Qualität des Beitrags und versprach den "offenen Dialog" mit Kritikern und Fachleuten.

Anarchie und Radikalität im Netz begegnen

"Besonders in Krisensituationen wirken die Kommunikationsgesetze im Netz anarchistisch und radikal", schreibt Springer-Autor Thorsten Hofmann in "Krise 2.0: erfolgreiches Reputationsmanagement mit Social Media" (Seite 345). Shitstorms und harsche Diskussionen, heute im Netz entfacht, zündeln morgen in den Offline-Medien weiter. Schnell reagieren ist also das erste Gebot der Stunde. Doch das setzt ein stringentes Social-Media-Monitoring voraus.

Kenne deine Kundschaft

"Wer nicht aufmerksam dem Online-Gezwitscher zuhört, verspielt die Chance, Kritik oder Falschmeldungen im Web sehr frühzeitig entgegen zu treten, bevor sie sich tausendfach verbreitet", meint Hofmann (Seite 350). Um Reaktionen der Stakeholder antizipieren zu können, werde das Beobachten der "digitalen Mund-zu-Mund-Propaganda" immer wichtiger, so der Autor. Fragen, die sich Unternehmen zum Erfassen ihrer Netzreputation stellen sollten sind (Seite 250/251):

  • Wer diskutiert mit welcher Meinungstendenz und mit welchen Argumenten zu meiner Organisation, Produkten und Services?
  • Wo diskutieren User im Web 2.0 und wer sind sie genau (Profil)?
  • Welchen Einfluss hat ihre Meinung auf andere Social Media–Quellen (Verlinkungsgrad)?
  • Wer ist mit Wem vernetzt?
  • Welche Quelle wirkt auf welche Web 2.0 Plattform?
  • Wie verläuft der Informationsfluss?
  • Wo kann sich PR/Kommunikation optimal positionieren, um den größtmöglichen  Effekt zu erzielen?

Manchmal hilft auch Schweigen

Ist das Kind allerdings in den Brunnen gefallen, gilt es, angemessen zu reagieren. Jede Empörungswelle und sei sie noch so klein, verdient es ernst genommen zu werden. Allerdings kann auch im Web 2.0 das Schweigen mitunter die beste Reaktion sein. Es gehe darum, Dauernörgler von ersten Kritikern zu unterscheiden, rät Hofmann (Seite 356). "Überlegen Sie, bevor sie in die Tasten hauen". Und wenn dann doch eingegriffen werden muss?

Wie "richtiges" Entschuldigen funktioniert

Springer-Autor Lorenz Steinke rät in "Agieren und Reagieren – Ihre Klaviatur der Möglichkeiten" zur aufrichtigen Entschuldigung, auch wenn die Anlässe auf den ersten Blick nichtig und emotionalisiert seien sowie zu kleinen Geschenken oder Aufmerksamkeiten für enttäuschte Kunden (Seite 215). Denn: "Wo sich Krisen und Schäden nicht umgehen lassen oder Fehler offenkundig sind, sind Entschuldigungen und Bedauern angebracht". Wer dazu nicht die Größe zeige, verärgere grundlos Kunden wie Öffentlichkeit. (Seite 216). Steinke gibt dazu folgende Tipps (Seite 213):

  • Die Bitte um Entschuldigung sollte zeitnah erfolgen.
  •  Die Bitte muss für sich allein stehen, sie darf nicht an Bedingungen geknüpft sein oder über die notwendigen Erklärungen hinaus Rechtfertigungen enthalten, die als Relativierung gedeutet werden könnten.
  •  Geht es um ein erhebliches Verschulden so sind individuelle Gesten und der persönliche Besuch Pflicht.
  •  Sichern Sie sich rechtlich ab, aber kommunizieren Sie niemals über Anwälte, sondern immer direkt.
  •  Warten Sie nicht darauf, dass eine Entschuldigung sich von selbst erledigt.

Fazit: Zeitnah und aufrichtig hat sich die Bravo entschuldigt und die Tipps, die Dank Googles Cache noch auffindbar sind, aus dem Netz geholt. Als schmerzliche Erkenntnis bleibt dennoch dies: Das Netz vergisst nicht. Und Heinz wird so mancher Krisenexperte bescheinigen wollen, eine einmalige Chance für eine originelle Krisenintervention verschenkt zu haben. Dabei hätte die Vorlage, sich selbstironisch über den witzigen QR-Code-Fail zu amüsieren, doch kaum steiler ausfallen können.

Die Hintergründe zu diesem Inhalt