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03.07.2018 | Krisenmanagement | Schwerpunkt | Online-Artikel

Das Mall-Sterben in den USA

verfasst von: Conrad Schiffmann

5 Min. Lesedauer

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In den Vereinigten Staaten haben Einkaufszentren ihren Zenit längst überschritten. Was sind die Ursachen und welche Folgen hat diese Entwicklung für den deutschen Einzelhandel? Antworten von Gastautor Conrad Schiffmann.

Wie an einer Epidemie leidet die USA am so genannten Mall-Sterben. Bereits ein Drittel dieser gigantischen Konsumtempel haben ihre Tore für immer geschlossen. Die Apokalypse des Einzelhandels scheint unaufhaltsam – ausgerechnet in dem Land, das wie kein zweites für Konsum und Kaufkraft steht. Auf den ersten Blick ist der E-Commerce um den Internetgiganten Amazon verantwortlich. Unter Präsident Trump könnte dieses Thema deshalb bald auf der politischen Agenda landen. Doch was genau sind die Gründe für diesen Niedergang und was bedeutet er für den deutschen Einzelhandel und die Immobilienentwicklung?

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Mall-Zahlen im Sinkflug

Die Zahlen sehen nicht gut aus für die Zukunft der Mall. Während zwischen 1956 und 2006 rund 1.500 von ihnen im gesamten US-Gebiet entstanden, ist seit 2006 keine neue hinzugekommen. Ihre Anzahl hat sich in den letzten zehn Jahren um etwa 30 Prozent reduziert, aktuell existieren noch ungefähr 1.000 Einkaufzentren. Diese Entwicklung war in dieser Form nicht absehbar. Eine genaue Analyse von Angebot und Nachfrage des US-Marktes durch die Analysten von Credite Suisse zeichnet diese Entwicklung nach. 

Das Angebot repräsentiert auf Makroebene der Indikator "Verkaufsfläche pro Kopf". Das in den USA ansässige International Council of Shopping Centers misst diese in Quadratfuß pro Kopf (sq ft/K). In Deutschland liegt er bei zwei, in Kanada bei 16. Die USA dominiert diese Statistik mit 24 sq ft/K (2017). Diese Menge an Verkaufsfläche und Konkurrenz sorgen sowohl beim Einzelhandel als auch der Mall-Betreibern für sehr knapp kalkulierte Geschäftsmodelle. Damit bleibt wenig Spielraum, um auf verändertes Konsumverhalten zu reagieren. Ausgangslage des Mall-Sterbens ist also zunächst ein Gesundungsprozess des Marktes.

Struktur- und Standortprobleme von Einkaufszentren

Ein Blick auf die schließenden Einkaufszentren zeigt strukturelle Defizite auf der Mikroebene vor allem im Marketing. Im Allgemein fanden zu wenige Anpassungsprozesse an neue Zielgruppen statt. Viele Malls wirken aus der Zeit gefallen, da ihr Design, ihr Markenauftritt und ihre Ausstattung seit der Fertigstellung kaum verändert wurden. Die heute so wichtige Konzeptualisierung des Kaufraums und die Definition eines USP wurden nicht umgesetzt. Das Ergebnis sind eintönige, altmodische und sich untereinander ähnelnde Malls, mit stets gleichem Aufbau, Läden und Produkten.

In dieser Eintönigkeit verließ sich das Management der Einkaufstempel zu lange auf den reinen Konsum. In ihrer Hochphase repräsentierten Malls die praktische Alternative zur Innenstadt. Kunden fanden alle Produkte innerhalb weniger Quadratmeter an einem klimatisierten Ort. Dieser Vorteil rechtfertigte die Autofahrt in die Umgebung der Stadt. Sind die gesparte Zeit und der Komfort des Einkaufs das einzige Argument der Mall, wird der E-Commerce zum großen Konkurrenten. Es ist die im Real Estate so wichtige Lage, der vielen Malls das Genick bricht. Sie liegen abseits alltäglicher Wege und bieten wenig Anreiz, die weite Strecke zurück zu legen. Gerade in der USA mit ihrer unkonventionellen und anspruchsvollen Kundschaft bedeutete das schnell das Ende.

Neue Mall-Konzepte haben Erfolg

Zudem hat sich die Nachfrage geändert. Zunächst schwindet die Mittelschicht und in vielen ländlichen Regionen sinkt die Kaufkraft. Ausgestorbene Malls verloren zuletzt ihre Ankerstores vor allem zugunsten von Discountern und Outlets. Preisorientierte Kunden bevorzugen aber den noch günstigeren Onlinekauf. Kaufkräftige Kunden hingegen verlangen ein Einkaufserlebnis, das sich vom Internet-Shopping deutlich absetzt. Wo es möglich ist, entwickeln sich Einkaufszentren durch radikales Upgrading von Malls zu Lifestyle-Centern. Sie locken neue Zielgruppen aus dem Premium-Segment mithilfe von Exklusivität und Entertainment. Anderen hilft die Umwandlung von Teilen ihrer Nutzfläche zu Büroräumen oder Arztpraxen. Vor allem gut gelegene Malls schaffen damit die Wende. Noch immer schreiben schätzungsweise 84 Prozent der bestehenden Shoppingcenter in der USA schwarze Zahlen.

Der Vorbote für Europa?

Sind die USA die Quelle eines Negativtrends, der bald nach Europa überschwappt? In Deutschland steigt die Zahl der Einkaufszentren noch an, sie kämpfen aber bereits mit Gewinnrückgängen. Der E-Commerce setzt auch den deutschen Einzelhandel unter Druck. Vor allem "Brick and Mortar"-Einzelhändler ohne Online-Strategie müssen mit ernsthaften Konsequenzen rechnen. Andererseits setzen größere Pureplay-Onlinehändler vermehrt auf In-Store-Lösungen für einen persönlichen Kundenkontakt. Verkaufsfläche wird also auch zukünftig gebraucht, wenn auch nicht in diesem Umfang. Deutsche Einkaufzentren haben den großen Vorteil, wesentlich kleiner und oftmals in guter Innenstadtlage situiert zu sein. Damit sind sie resillienter gegen Veränderungen auf der Nachfrageseite. Gute Erreichbarkeit und Laufkundschaft sichern einigen von ihnen das Überleben. Trotzdem ist schon jetzt ein Umdenken nötig. Als Lehre aus den USA sollte dabei das Flächennutzungskonzept überdacht und Shopping als Erlebnisfaktor neu interpretiert werden.

Gute Konjunktur verwischt Arbeitsmarktzahlen

Dass das Thema in der USA noch keine Chefsache für den Immobilienmogul und Präsidenten Trump ist, liegt wohl an den insgesamt guten Zahlen des Einzelhandels. Zwar verlagert sich das Geschäft ins Internet, aber es wächst dort weiter. Die gute Konjunktur verwischt zudem die Zahlen des Arbeitsmarktes. In Deutschland tun Baudezernenten gut daran, Einkaufspassagen nicht mehr als Jobgarant in der Stadt anzusehen. Vielmehr könnten diese bald zu kostenintensiven Bauruinen werden, die das Stadtbild negativ beeinflussen. Stadtentwicklung orientiert sich weltweit wieder am europäischen Modell. Dieses sieht Mischflächen mit Quartierzentren in Laufweite und einen nutzerfreundlich interpretierten öffentlichen Raum vor.

Fazit: Transformation zur Mall 4.0

Der E-Commerce-Boom ist der Auslöser für die Mall-Pleiten, er allein begründet sie aber nicht. Die gestorbenen Shoppingcenter weisen vielmehr eine Kombination aus Defiziten auf: das Konzepte der klassischen Suburb-Mall und eines schlechten Marketing angesichts der sich wandelnde Nachfrage. Ein Mall-Sterben ist nicht in Sicht. Vielmehr findet ein einschneidender Gesundungs- und Transformationsprozess des Marktes statt. Und die USA wären nicht die USA, wenn das morbide Erbe der Mall nicht der Anfang neuer Nutzungskonzepte wäre. Abgelegene Hallen werden beispielsweise für den hydroponischen Pflanzenanbau und sogar als Gefängnis genutzt. Stadtnahe Immobilien wurden zu Krankenhäusern oder einfach zu Wohnkomplexen umstrukturiert.

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