1 Einleitung
2 Künstliche Intelligenz als andauernder, historischer Prozess
3 Definition: starke und schwache KI
4 Beiträge zwischen Prognose und Theorie
4.1 Auswirkungen auf Beschäftigungsebene
4.2 Auswirkungen auf Tätigkeitsebene
5 Empirische Untersuchungen zur betrieblichen Realität
Studie | Daten & Methodik | Kernergebnisse |
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Bauer et al. (Fraunhofer IAO) (2019): „Künstliche Intelligenz in der Unternehmenspraxis. Studie zu Auswirkungen auf Dienstleistung und Produktion“ | Schriftliche, quantitative Befragung (n = 309) sowie Auswertung der KI nutzenden Unternehmen (n = 50) Kein Branchenfokus Geschäftsführung und Management der Fachbereiche Experteninterviews (n = 18) aus Dienstleistung & Produktion mit ausgewählten Experten aus Wirtschaft und Gesellschaft Fallbeispiele (n = 3) mit KI-nutzenden Unternehmen | 16 % der Unternehmen haben praktische KI Anwendung im Einsatz 59 % der Unternehmen bereiten Einführung vor/informieren sich 25 % der Unternehmen haben sich noch nicht mit KI beschäftigt Vornehmliche Nutzung: Daten- und Informationsextraktion; datenbasierte Prognose; Entscheidungsunterstützung und -automatisierung |
Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) (2018): „Monitoring-Report Wirtschaft DIGITAL 2018. Fokusthema Künstliche Intelligenz“ | Computergestützte und standardisierte Telefoninterviews (n = 1061) 11 Branchen der gewerblichen Wirtschaft „Hochrangige Entscheider“ | 5 % der Unternehmen nutzen gegenwärtig bereits KI Lösungen 25 % der Unternehmen beschäftigen sich mit dem Thema KI Für 75 % der Unternehmen hat KI keine Relevanz Nutzung (aktuell/künftig) vor allem zur: Datenanalyse; Automatisierung von Routineabläufen; Kundenkommunikation |
Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) (2020): „Einsatz von Künstlicher Intelligenz in der Deutschen Wirtschaft. Stand der KI-Nutzung im Jahr 2019“ | Sonderauswertung der Deutschen Innovationserhebung 2019 Computergestützte, mündliche, telefonische Befragung von KI nutzenden Unternehmen (n = 368) Produzierende Industrie und überwiegend unternehmensorientierte Dienstleistungen „Auskunftspersonen die mit dem Bereich Innovation vertraut sind“ | 6 % der Unternehmen nutzen KI Lösungen Rund 0,84 % aller Beschäftigten haben direkten Kontakt zu KI Nutzung KI-Technologien vornehmlich: Maschinelles Lernen/Beweisen; Bild- oder Tonerkennung; wissensbasierte Systeme; Sprach‑/Textverstehen KI Nutzung vornehmlich zur: Integration in Produkte bzw. Dienstleistung; Automatisierung von Prozessen; Kundenkommunikation/-interaktion |
Bundesverband Informationswirtschaft, Telekommunikation und neue Medien (bitkom) (2020): „Künstliche Intelligenz. Einsatz und Forschung in Deutschland“ | Computergestützte, mündliche, telefonische Befragung (n = 603) Alle Wirtschaftszweige ohne Land‑/Forstwirtschaft, Fischerei, Öffentliche Verwaltung, Verteidigung, Sozialversicherung, Erziehung/Unterricht Geschäftsführung und Vorstandsmitglieder | 6 % der Unternehmen nutzen KI Lösungen 22 % der Unternehmen planen den Einsatz von KI Lösungen Für 71 % der Unternehmen ist KI kein Thema Nutzung vornehmlich in: Targeting/personalisierte Werbung; automatische Buchungen von Zahlungsein-/ausgängen; Automatisierte Beantwortung von Anfragen/Reklamationen |
Digitales Innovationszentrum (DIZ) (2018): „Stimmungsbild Künstliche Intelligenz @BW (Baden-Württemberg). Blitzlicht 2018“ | Quantitative Onlineerhebung (n = 100) Insgesamt 16 Branchen Geschäftsführung, Führungskräfte, Mitarbeiter | 12 % der Unternehmen geben an, KI Lösungen zu nutzen 38 % der Unternehmen planen eine KI Nutzung 37 % der Befragten geben an, keine KI Lösungen zu nutzen Nutzung wäre vornehmlich interessant zur: Datenanalyse; Optimierung von Geschäftsprozessen; Optimierung von Produktionsprozessen; Text- und Bildanalyse; Spracherkennung |
„Perspektiven der Künstlichen Intelligenz für den Einzelhandel in Deutschland“ | Qualitative Experteninterviews zum Thema KI im Einzelhandel (n = 15) Quantitative Erhebung (n = 116) mit 76 Experten aus Einzelhandel sowie 40 Anbieter von KI-Lösungen | 11 % der Unternehmen nutzen KI Lösungen 14 % der Unternehmen planen es 19 % der Unternehmen nutzen keine KI Lösungen 36 % finden KI Lösungen interessant Chancen durch KI: genauere Entscheidungen; Steigerung Effektivität und Effizienz; Befreiung von Routinen; Begegnung des Fachkräftemangel |
Lundborg und Märkel (Wissenschaftliches Institut für Infrastruktur und Kommunikationsdienste) (2019): „Künstliche Intelligenz im Mittelstand. Relevanz, Anwendungen, Transfer“ | Schriftliche, quantitative Befragung (n = 40) Experten aus Transferbereich zwischen Wissenschaft und Implementierung in der Praxis Weiterführende Experteninterviews mit einigen Teilnehmern zur tiefergehenden Analyse | 3 % der Experten ordnen gegenwärtig der aktiven/passiven KI Nutzung eine hohe/sehr hohe Bedeutung für den Mittelstand zu; Tendenz steigend KI Implementierung möglich in: Logistik; Produktion; Einkauf Nutzung möglich zur: Optimierung der Distribution; Steigerung Prozesseffizienz; zielgenaue Werbung und Promotion |
„Potenziale der Künstlichen Intelligenz im Produzierenden Gewerbe in Deutschland“ | Quantitative Onlineerhebung (n = 230) Verarbeitendes Gewerbe Anwender, Anbieter von KI-Technologien, Vertreter aus Wissenschaft | 25 % der Großunternehmen nutzen KI Lösungen 15 % der KMU nutzen KI Lösungen Nutzung insgesamt vornehmlich in: Forschung und Entwicklung; Logistik (bei Großunternehmen); Service/Kundendienst; Marketing/Vertrieb; Planung |
Verein Deutscher Ingenieure (VDI) (2018): „KI. VDI-Statusreport Oktober 2018“ | Quantitative Onlineerhebung (n = 880) Anlagen/Maschinenbau, Fahrzeugbau, Elektroindustrie, ITK Primär Fach- und Führungskräfte, Experten in Forschung, Lehre und Wissenschaft, Studierende | 7 % der KMU nutzen KI Lösungen 13 % der Großunternehmen nutzen KI Lösungen Nutzung vornehmlich: Datenanalyse; Assistenzsysteme; Vorrausschauende Instandhaltung |
6 Zusammenfassung und Ableitungen
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In Bezug auf Beschäftigung finden sich zahlreiche ökonomische Beiträge die meist Arbeitsplatzverluste durch KI-Technologien vermuten. Demgegenüber finden sich jedoch auch Beiträge, die diese Substitutionen durchaus in Frage stellen, da viele nicht-technische, soziale und arbeitspolitische Faktoren im Zusammenhang mit der Verbreitung, Einführung und Nutzung von KI nicht ausreichend berücksichtigt werden. Die reine Orientierung an technischer Machbarkeit erscheint dabei wenig hilfreich und unterschätzt einmal mehr arbeitsorganisatorische und strukturelle Begebenheiten von Betrieben und Branchen (Sträter und Bengler 2019).
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Die Gefahr bei der Fokussierung auf solche Prognosen besteht darin, dass der Eindruck entstehen könnte, die Zukunft und die mit ihr verbundene Unsicherheit könnte wissenschaftlich und exakt vorherbestimmt werden, obgleich dies nie der Fall sein kann. Sinn solcher Prognosen ist somit mehr ihre Orientierung bietende und handlungsbemächtigende Wirkung auf wirtschaftliche Akteure, als ihre tatsächliche Fähigkeit zur präzisen Vorhersage (Beckert 2016; Beckert und Bronk 2018). Dabei sollte nicht in Vergessenheit geraten, dass diese Zukunft weiterhin konkret gestaltbar bleibt (Wajcman 2017).
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Auf Tätigkeitsebene wird vor allem die Ersetzung von routinehaften Tätigkeiten diskutiert. Es finden sich jedoch auch übergreifende Argumentationen bezüglich der Wertigkeit und des Ansehens bestimmter Tätigkeits- und Berufsfelder (Kunst, Kultur, Soziales). Grenzen von KI werden vor allem in kreativen, logischen und sozialen Tätigkeiten vermutet, zudem wird die Rolle von Erfahrungswissen bei bestimmten Tätigkeiten betont.
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Empirisch zeigen sich Forschungslücken vor allem hinsichtlich umfänglicher sowohl qualitativer als auch quantitativer repräsentativer Studien, die die Auswirkungen von KI auf Arbeitsqualität, Tätigkeiten und die Betriebe in Deutschland tatsächlich untersuchen. Die Beschäftigtenperspektive wird hierbei zudem nicht adäquat berücksichtigt. Dabei wäre diese von Nöten, um die vielfältigen theoretischen Annahmen im Arbeitsalltag zu prüfen. Denn auch wenn das Verhältnis von Beschäftigten und ihren Tätigkeiten in Bezug auf Digitalisierung oftmals fälschlicherweise eher als passives diskutiert wird, sind es die Beschäftigten, die mit diesen Technologien alltäglich konfrontiert sein werden und die Auswirkungen auf Arbeit hängen in hohem Maße von ihrer Mitarbeit ab. Dabei scheinen Beschäftigte bereits stellenweise über gewisse Kompetenzen im Umgang mit KI zu verfügen (Pfeiffer 2020).
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Der Einsatz von KI in deutschen Betrieben scheint insgesamt noch sehr gering ausgeprägt (zwischen fünf und 16 % der befragten Unternehmen). Teils ist KI für rund 75 % der Unternehmen noch kein relevantes Thema.
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Mit Blick auf den Einsatz der KI-Technologien zeigt sich, dass diese tatsächlich nur für begrenzte Bereiche und vor allem für Tätigkeiten der Automatisierung, sowie der Analyse und der Auswertung genutzt werden. Autonome Systeme sind fast nicht vorzufinden. Zudem bestätigen die wenigen verfügbaren empirischen Studien die theoretischen Ausführungen hinsichtlich Routinetätigkeiten stellenweise: es deutet sich an, dass zunächst vor allem einfache, repetitive Tätigkeiten ersetzt werden (könnten). Dies bewirke jedoch vornehmlich, dass die Mitarbeiter mehr Zeit für andere Tätigkeiten haben, in denen nach wie vor ihr Vorteil gegenüber Technologie liegt. Diese Tätigkeiten beinhalten unter anderem Kreativität, Flexibilität und soziale Intelligenz.
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Vor allem die Ergebnisse zur Nutzung von KI sind allerdings vorsichtig zu bewerten, finden sich teils unscharfe Operationalisierung des Begriffs KI: so wird stellenweise allgemein nach der „Nutzung von Künstlicher Intelligenz“ gefragt (vgl. bitkom 2020). Diskursiv – und somit eventuell auch in den Antworten – findet sich häufig ein überzogenes Verständnis von KI und damit verbunden auch unrealistische Erwartungen und Spekulationen. Die Ergebnisse der Studien sind somit nur bedingt vergleichbar. Sinnvoller wäre es daher KI als schwache KI zu definieren, die konkrete Software-Lösungen für bestimmte Probleme und Einsatzgebiete bereitstellt und mehr als fortschreitende Form einer allgemeinen Automatisierung zu verstehen ist. Auch wenn diese Lösungen zunehmend in der Lage sind zu „lernen“, d. h. anhand vieler Beispiele eigene, komplexe Modelle zum Umgang mit Aufgaben zu entwickeln, bleiben ihre Einsatzgebiete bisher überschaubar. Vielfach dürfte es sich deshalb auch eher um eine implizite Nutzung von schwacher KI handeln, die über entsprechende Algorithmen in technische Systeme integriert ist, die aber für die Beschäftigten nur noch schwer nachvollziehbar ist. Dieses Verständnis von KI als integrierte Technologie in andere digitale Technik wie PCs, steht den häufig vorherrschenden Bildern von starker KI in Form von („menschlichen“) Robotern diametral gegenüber, erscheint jedoch mit Blick auf die Forschung zu KI weitaus realistischer. Somit wäre auch die direkte Abfrage solcher Systeme etwa zur Sprach‑, Text- oder Bilderkennung zielführender.
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Darüber hinaus muss bedacht werden, dass KI nicht im luftleeren Raum eingesetzt wird. KI, besonders in Form von Software oder Algorithmen, ist immer an digitale Technologien (stationäre PCs, Laptops etc.) und somit auch an ihr Vorhandensein in Betrieben geknüpft. Diese digitale Infrastruktur ist nach wie vor äußerst ungleich in Branchen und Betrieben vorhanden. Und selbst in bereits hoch digitalisierten Betrieben ist der Einsatz und die Nutzung von Technik nicht gleich verteilt, was eine weitere Selektion derer bewirkt, die tatsächlich KI nutzen werden und für die sich deshalb Änderungen im Arbeitsalltag ergeben können. Dieser Aspekt wird im Diskurs oftmals vernachlässigt. Pfeiffer (2018, S. 347) betont diese „vergesse Materialität“ der Technik am Arbeitsplatz, denn weder aus der Technik selbst heraus, noch aus dem sozialen Kontext lassen sich Folgen einer Techniknutzung abschätzen. Auch das Konzept der Soziotechnischen Systeme, welches Wechselwirkungen zwischen technologischen, organisatorischen und personellen Teilsystemen hervorhebt (Hirsch-Kreinsen 2018a), könnte einen ersten, konzeptionellen Anknüpfungspunkt darstellen, um KI am Arbeitsplatz fernab von technikdeterministischen Perspektiven zu untersuchen.
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Die Forschung ist daher dazu angehalten genau zu untersuchen, welche Technologie in welcher arbeitsorganisatorischen Kombination zwischen Mensch und Technologie eingesetzt wird und welche Auswirkungen sich hieraus für bestimmte Beschäftigtengruppen in ihrem Berufsalltag ergeben. Informationstechnische Arbeitsmittel (in Form von Hardware oder Software) sind dabei immer eingebettet in soziale, historische und kulturelle Kontexte, die durch ihre spezifische Einbettung und Nutzung bestimmte Folgen haben (Orlikowski und Iacono 2001).
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Detaillierte Aussagen sowie allgemeingültige Handlungsempfehlungen zu einem Einsatz, als auch dem Zusammenspiel von Mensch und KI im konkreten Arbeitsalltag lassen sich aus den bisher zur Verfügung stehenden Studien nicht ziehen.