Künstliche Intelligenz transformiert die Art und Weise wie wir Auto fahren, was wir im Auto tun und wie Autos entstehen. Wie schnell und kostengünstig KI ausgerollt werden kann, hat zuletzt DeepSeek gezeigt.
Die chinesische Sprach-KI DeepSeek versetzt die Tech-Welt in Aufruhr. Die Alternative zu ChatGPT könnte auch die Autobranche aufwirbeln.
metamorworks / Getty Images / iStock
Die Aufregung um die KI-Konkurrenz aus China war groß. Ein neues, kostenloses und quelloffenes Sprachmodell für künstliche Intelligenz (KI) aus China hat die Aktienkurse etablierter US-Tech-Konzerne Ende Januar stark belastet. Die App des KI-Assistenten des erst ein Jahr alten chinesischen Start-ups DeepSeek ist inzwischen in den USA auf Platz 1 der Downloads in Apples Plattform App Store. Den Rivalen ChatGPT des US-Anbieters OpenAI verwies sie damit auf Rang 2. Als eine Reaktion darauf gab es hohe Kursverluste für amerikanische Technologiefirmen.
Hintergrund waren Diskussionen über DeepSeeks neuestes KI-Modell, das zum einen kosteneffizient sein soll – nur 5,6 Millionen Dollar soll das Training des Systems gekostet haben. Zum Vergleich: Bei ChatGPT hat OpenAI über 100 Millionen investiert. Und zum anderen womöglich mit weniger starken KI-Chips auskommt als die großen KI-Modelle der etablierten Anbieter.
Fest steht: Der Erfolg der KI von DeepSeek hat dem US-Chipkonzern Nvidia den größten Tagesverlust in der Geschichte der Wall Street beschert. Fast 600 Milliarden Dollar Börsenwert wurden auf einen Schlag vernichtet. Amerikanische Firmen übertrafen sich zuletzt mit Ankündigungen, wie viel Geld sie in KI-Infrastruktur stecken wollen. So planen der ChatGPT-Entwickler OpenAI und große Technologie-Partner 500 Milliarden Dollar für neue Rechenzentren für KI in die Hand zu nehmen. Zunächst sollen 100 Milliarden Dollar (96 Mrd Euro) in das Gemeinschaftsunternehmen mit dem Namen Stargate investiert werden. Auch der Facebook-Konzern Meta startet eine KI-Offensive: Gründer Mark Zuckerberg stellt für dieses Jahr mehr als 60 Milliarden Dollar für KI-Infrastruktur, vor allem für Rechenzentren, in Aussicht.
Hohe Bewertungen im Tech-Bereich noch angemessen?
Experten wollen die jüngsten Entwicklungen zwar nicht überbewerten. Gleichwohl könnte die Debatte eine Konsolidierung der teils hohen Bewertungen im Tech-Bereich auslösen, so ein Börsianer. So weckt die Debatte bei Investoren Sorgen mit Blick auf die Bewertungen von Tech-Werten wie die KI-Chipspezialisten Nvidia, Broadcom und AMD oder des Software-Konzerns Microsoft.
Nvidias Chips wurden in den vergangenen Jahren zu einer Schlüssel-Technik für die wachsende KI-Industrie. Systeme des Konzerns werden rund um die Welt für das Training von Anwendungen mit KI verwendet. Google oder der Facebook-Konzern Meta füllen ganze Rechenzentren damit, aber auch KI-Start-ups wie OpenAI setzen darauf. Nvidia setzt außerdem verstärkt auf Technologie für selbstfahrende Autos. Autonome Fahrzeuge seien Realität und dürften zu einem Billionen-Geschäft werden, sagte Firmenchef Jensen Huang zuletzt auf der Technik-Messe CES in Las Vegas. Nvidia will dafür unter anderem einen Computer mit dem Namen Thor anbieten, in dem Informationen verschiedener Fahrzeug-Sensoren verarbeitet werden.
Was kann DeepSeek?
Ist DeepSeek nun eine Bedrohung für Nvidia und Co.? Was kann das neue Sprachmodell? Fakt ist: DeepSeek kann komplexe Fragen beantworten und komplizierte Probleme lösen. Und das offenbar ebenso gut wie der US-amerikanische Marktführer OpenAI mit ChatGPT oder Google mit seinem KI-System Gemini. Das chinesische Start-up greift aber nicht nur KI-Chatbots an, die Texte erzeugen oder Programmcode erstellen: DeepSeek kann auch mit KI-Bildgeneratoren wie Dall-E und Stable Diffusion mithalten.
Zu den Innovationen, die DeepSeek in seinem KI-Modell R1 umgesetzt hat, gehört das Konzept, Aufgaben in einzelne Argumentationsschritte herunterzubrechen. Der Algorithmus von DeepSeek arbeitet dabei mit mehreren kleinen KI-Systemen, die nur bei Bedarf aktiviert werden. Das bekommen auch die Anwender zu spüren, weil sich DeepSeek mit diesem mehrstufigen Konzept für die Antworten mehr Zeit lässt als ChatGPT oder Google Gemini.
Proprietäre KI-Modelle versus Open-Source-Ansätze
Die KI-Modelle von DeepSeek seien gut und böten eine gute Leistung, schreiben Experten um Stacy Rasgon von Analysehaus Bernstein Research. Allerdings sei OpenAI garantiert nicht für 5 Millionen US-Dollar nachgebaut worden. Zudem überrasche die Effizienz von DeepSeek-V3 nicht angesichts des verwendeten Modellaufbaus. Diese sogenannte Mixture-of-Expert (MoE)-Architektur sei darauf ausgelegt, die Kosten für Training und Betrieb von KI-Modellen zu reduzieren, da immer nur ein Teil der Modellparameter aktiv sei.
Dass die aktuellen Entwicklungen Investoren dennoch nervös machten, basiert laut Rasgon und Kollegen auf einem Missverständnis mit Blick auf die Kosten für das jüngste DeepSeek-Modell. Weitere Gründe seien, dass DeepSeek kleinere Modelle aus größeren extrahiere sowie die niedrigen Preise, die es für die Nutzung seiner Programme aufrufe.
Der erste Sorgenfaktor erscheine grundsätzlich falsch, da das Unternehmen keine revolutionären oder unbekannten Technologien verwendet habe, so die Experten. Der zweite Punkt sei schon interessanter, aber auch nichts Neues, wenngleich die Berechtigung des Ansatzes untermauert worden sei. Die Investorensorgen angesichts der Preise, die DeepSeek verlangt, seien allerdings nicht von der Hand zu weisen. Zwar sei die Wirtschaftlichkeit des Unternehmens unklar, aber die Sache werfe Fragen über die Rolle und Lebensfähigkeit von proprietären KI-Modellen im Vergleich zu Open-Source-Ansätzen auf.
Kein Grund zur Panik
Grund zur Panik sei all das aber dennoch nicht, denn angesichts der rasant steigenden Kosten für den weltweiten KI-Ausbau seien Innovationen wie die von DeepSeek notwendig. Diese Innovationen gingen zudem wohl kaum über das hinaus, was Top-KI-Entwickler nicht auch wüssten. Und: Im Techsektor sorgten Effizienzzuwächse normalerweise für ein Nachfragewachstum.
Fakt ist aber dennoch: Die etablierten Unternehmen müssen in Zukunft mit einem verschärften Wettbewerb und zunehmendem Druck rechnen, ihre Rolle im KI-Sektor zu verteidigen. Denn DeepSeek macht insbesondere eines deutlich: Es ist möglich, kostengünstige KI-Modelle schneller zu entwickeln.
Energieeffizienz großes Thema
Für Peter Liggesmeyer, Leiter des Fraunhofer-Instituts für Experimentelles Software Engineering (IESE) in Kaiserslautern, hat die Entwicklung aus China das Potenzial, die Forschungslandschaft zu verändern. "Das Sprachmodell von DeepSeek scheint tatsächlich einige neue Wege einzuschlagen, um hohe Leistungsfähigkeit mit moderatem Einsatz von Ressourcen zu erreichen."
Forschungsergebnisse zu energieeffizienter KI würden in Zukunft wichtig werden, um große Sprachmodelle praktisch nutzen zu können, sagte Liggesmeyer. Die bisher übliche Lösung, große Sprachmodelle mit stets wachsender Leistungsfähigkeit der Hardware zu realisieren, sei das genaue Gegenteil von "Green IT" und stehe im Widerspruch zu mehr Nachhaltigkeit.
Für Liggesmeyer war das Erscheinen des Sprachmodells von DeepSeek durchaus überraschend. Paul Lukowicz, Wissenschaftlicher Direktor und Leiter des Forschungsbereichs Eingebettete Intelligenz am Deutschen Forschungszentrums für Künstliche Intelligenz (DFKI), sagte, China habe sich wohl angesehen, welche Instrumente wie das US-amerikanische ChatGPT derzeit auf dem Markt seien. "Und da haben sie mit DeepSeek nicht nur aufgeholt, sondern auch leicht überholt." Eine "Hysterie" um das neue KI-Modell wäre aber übertrieben. "Es ist ja nicht etwas von einem anderen Planeten. China hat schlicht aufgeholt und ist jetzt vorne dabei."
DeepSeek rüttelt auch den Automobilsektor wach
Das ist auch ein Zeichen für die Automobilbranche. Denn KI wird in der Automobilindustrie in unterschiedlichen Bereichen eingesetzt, wie Springer-Autorin Birgit Günther im Buchkapitel Künstliche Intelligenz in der Automobilindustrie: Von den ersten Visionen bis zu selbst denkenden Autos erläutert. "Angefangen von der Optimierung der Supply Chain über eine intelligente Produktion und KI im Kundenservice bis hin zu künstlicher Intelligenz im Auto in Form von Fahrassistenz oder auch autonomem Fahren", schreibt Günther.
Daher ist es nicht verwunderlich, dass DeepSeek nicht nur die KI-Welt so aufrüttelt, sondern perspektivisch auch die Autobranche. Zum einen handelt sich um ein Open-Source-KI-Modell, was bedeutet, dass der Quelltext für jeden zugänglich ist. Die großen US-Player wie OpenAI, Google, Microsoft oder Anthropic behandeln ihren KI-Code dagegen als streng gehütetes Betriebsgeheimnis. Unter den großen US-Tech-Unternehmen hat nur der Facebook-Konzern Meta sein KI-Modell Llama als Open Source veröffentlicht. Entwickler können das Modell frei nutzen, modifizieren und in ihre Anwendungen integrieren. Daher ist es im Prinzip auch einfacher für Autobauer, das Modell zu übernehmen, um etwa die Sprachbedienung von Fahrzeugen zu optimieren.
Zum anderen muss die Autobranche nun auch chinesische Technologieanbieter auf dem Schirm haben, da es jetzt offenbar einen Wettbewerb um die Dominanz im Bereich der KI zwischen den USA und China gibt. Auch wenn noch nicht ganz klar ist, wie leistungsfähig DeepSeek letztendlich ist. Es scheint sich für die Branche ein neues Tech-Wettrennen anzubahnen. Kommt nun zum Wettlauf um Elektrofahrzeuge, zum Wettlauf um Batterien und jetzt auch der Wettlauf um KI dazu? Wenn ja, ist noch unklar, wer hier das Rennen macht.