Die fortschreitende Digitalisierung gibt Banken die Chance, Kundinnen und Kunden besser zu verstehen und diese individuell und gezielt zu aktivieren. Der Einsatz Künstlicher Intelligenz (KI) ist hierfür maßgeblich, auch wenn die Branche die Regulierung im Blick behalten muss.
Durch ein solides Compliance-Konzept lassen sich nachhaltiger Kundennutzen und technische Innovationen, insbesondere durch KI, miteinander verbinden.
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Kreditinstitute erhalten durch Künstliche Intelligenz ein breites Spektrum zahlreicher neuer Perspektiven zur Weiterentwicklung ihres Bankgeschäftes - von der detaillierten Analyse vorhandener Kundendaten bis hin zur Antizipation zukünftiger Verhaltensweisen. So können Institute beispielsweise frühzeitig passende Finanzierungslösungen anbieten, wenn sie erkennen, wann Kunden voraussichtlich einen höheren Kapitalbedarf haben. Diese und andere Möglichkeiten steigern nicht nur die Zufriedenheit der Kunden, sondern weisen zugleich ein erhebliches Potenzial für zukünftiges Umsatzwachstum aus.
Individuelle Kundenbedürfnisse im Fokus
Zahlreiche Untersuchungen belegen, dass Kunden unterschiedlich auf Finanzprodukte reagieren. So spielen Faktoren wie Alter, Lebensphase, Risikobereitschaft, Finanzbildung und persönliches Konsumverhalten eine wesentliche Rolle bei der Entscheidung für oder gegen bestimmte Bankleistungen.
Eine effiziente Segmentierung, gepaart mit umfassender Datenanalyse, ermöglicht den Instituten, passgenaue Angebote zu erstellen. Dabei können Behavioral-Banking-Ansätze einen Unterschied ausmachen: Durch psychologische Erkenntnisse über menschliche Verhaltensweisen und -muster sowie zielgerichtete Nutzungsimpulse lassen sich Kunden zu einem aktiveren Finanzverhalten im Sinne einer Win-win-Situation motivieren. Und hier weisen KI-gestützte Systeme für Kreditinstitute bisher weitgehend ungenutzte beispiellose Potenziale aus.
Mehrwertstiftende Kundenansprache
KI-gestützte Systeme erlauben es, Verhaltensmuster im Multi-Banking-Kontext zu identifizieren und daraus ganzheitlich Handlungsempfehlungen abzuleiten - beispielsweise in der automatisierten Kreditvergabe, im personalisierten Konto-Management, Cashflow Forecast oder in der Fraud Detection. Interaktionshistorien, Preissensitivitäten, Risikoneigungen und vieles mehr können eingebunden werden - eine der aktuellen Lebenssituation entsprechende, inhaltlich relevante und mehrwertstiftende Ansprache wird möglich.
Wenn im Bankvertrieb Kundenerträge annähernd Pareto-verteilt generiert werden - also 20 Prozent der Kunden = 80 Prozent der Erträge -, kann es nicht verwundern, dass das Gros der Arbeitsleistung im Bankvertrieb sich bisher auf 80 Prozent dieser Ertragsleistung ausrichtet. Die Idee, die 80 Prozent des ungenutzten Kundenpotentials nun endlich zu aktivieren, ist nicht neu.
Kundenaktivierung oft nicht zielgerichtet
Abseits der Tatsache, dass dieses Kundenpotential möglicherweise bei Wettbewerbern zu deren 20 Prozent der ertragsrelevanten Kunden gehört und dort bereits intensiv betreut wird, waren Vorstöße bisher zumeist nicht ausreichend gezielt und bedürfnisorientiert. Kunden, mit denen in der Praxis teils über Jahre kaum Gespräche geführt wurden, lassen sich mittels einfacher Selektionslisten und unpräziser Ansprache nur schwer aktivieren.
Und welcher Eindruck entsteht, wenn diese von einer aus Kundensicht Zweit- oder Drittbankverbindung unwissend und nicht bedürfnisorientiert wiederkehrend kontaktiert werden? Diese zumeist zielwertrelevanten Aktionen sind auch für Mitarbeiter im Bankvertrieb in dieser Form wenig motivierend und entsprechen in der Regel nicht den eigenen Ansprüchen einer professionellen Ansprache.
Mit intelligenten Technologien zu neuen Betreuungskonzepten
Mithilfe von Advanced Analytics, Predictive Modeling und maschinellem Lernen können Banken ihre riesigen Datenmengen zu Zahlungsströmen, Transaktionsverhalten und sozioökonomischen Profilen auswerten. Mit ihnen lässt sich ermitteln, welche Angebote Kunden mit hoher Wahrscheinlichkeit akzeptieren oder wo spezifische Beratung angezeigt ist.
KI erlaubt Prognosen, die weit über klassische Verfahren hinausgehen und so etwa frühzeitig Liquiditätsengpässe aufdecken. Auf dieser Basis können die Institute proaktive Handlungsempfehlungen und Servicekonzepte entwickeln. Eine Kundenansprache erfolgt genau dann, wenn sie für Betroffene am relevantesten ist. So verbessert KI die Personalisierung der Kundenbetreuung durch individuellere Dienstleistungen erheblich.
Regulatorische Einbindung durch den EU AI Act
Mit der verabschiedeten EU-Verordnung zur Künstlichen Intelligenz (EU AI Act) aus dem Jahr 2024 wird jedoch klar, dass KI-Systeme, die bei finanziellen Entscheidungen eingesetzt werden, hohen Compliance-Anforderungen genügen müssen. Der europäische Gesetzgeber formuliert die Anforderungen zur Verwirklichung einer vertrauenswürdigen KI anhand einer Liste und konkretisiert seine Intention darin beispielhaft:
- Vorrang menschlichen Handelns und menschliche Aufsicht, zum Beispiel im erweiterten Kontext unserer Grundrechte wie Datenschutz, Nichtdiskriminierung sowie Würde und Freiheit. Hierdurch soll sichergestellt werden, dass bei der Entwicklung und dem Einsatz von KI-Systemen Menschen die Kontrolle und Verantwortung über Entscheidungen behalten.
- Technische Robustheit und Sicherheit, zum Beispiel Widerstandsfähigkeit gegen Angriffe und Sicherheitsverletzungen, Auffangplan und allgemeine Sicherheit, Präzision, Zuverlässigkeit und Reproduzierbarkeit
- Schutz der Privatsphäre und Datenqualitätsmanagement, zum Beispiel Achtung der Privatsphäre, Qualität und Integrität der Daten sowie Datenzugriff
- Transparenz, zum Beispiel Nachverfolgbarkeit, Erklärbarkeit und Kommunikation
- Vielfalt, Nichtdiskriminierung und Fairness, zum Beispiel Vermeidung unfairer Verzerrungen, Zugänglichkeit und universeller Entwurf sowie Beteiligung der Interessenträger
- Gesellschaftliches und ökologisches Wohlergehen, zum Beispiel Nachhaltigkeit und Umweltschutz, soziale Auswirkungen, Gesellschaft und Demokratie
- Rechenschaftspflicht, zum Beispiel Nachprüfbarkeit, Minimierung und Meldung von negativen Auswirkungen, Kompromisse und Rechtsbehelfe.
Der Rechtsrahmen bestimmt für KI-Systeme dabei einen risikobasierten Ansatz mit vier Risikostufen: unannehmbares Risiko (verbotene Praktiken), hohes Risiko (Hochrisiko-KI-Systeme), begrenztes Risiko und minimales oder kein Risiko.
Nutzungsmöglichkeiten nach Risikostufen
Hieraus leiten sich für die einzelnen Risikostufen unterschiedliche Nutzungsmöglichkeiten und Einschränkungen ab. So sind KI-Systeme, die als eindeutige Bedrohung für die Sicherheit, den Lebensunterhalt und die Rechte von Menschen gelten, verboten. Hochrisiko-KI-Systeme umfassen KI-Technologien, die beispielsweise wesentliche private und öffentliche Dienstleistungen einschließen - zum Beispiel Kreditbewertungen, die Menschen die Möglichkeit verwehren, einen Kredit zu erhalten, und unterliegen deshalb strengen Verpflichtungen, bevor sie in den Verkehr gebracht werden können. Die Bundesnetzagentur fungiert hierbei in Deutschland als nationale Marktüberwachungsbehörde.
Zwar stärkt der EU AI Act den Verbraucherschutz und gewährleistet faire Kreditvergabeprozesse, doch bedeutet es für Banken auch einen erheblichen Verwaltungsaufwand. Zusätzlich sind umfassende Dokumentations- und Transparenzpflichten zu erfüllen. Und hiervon gibt es zahlreiche, etwa im Rahmen der DSGVO oder MaRisk. Gerade Hochrisiko-Anwendungen, wie automatisierte Kreditwürdigkeitsprüfungen oder Risikoprämienberechnungen, stehen damit verstärkt im Fokus der Aufsicht.
Balanceakt zwischen Innovation und Regulatorik
Trotz strenger Richtlinien ist es für Kreditinstitute unverzichtbar, das Potenzial von KI zu erschließen. Entsprechende Governance- und Risikomanagement-Strukturen helfen, das Spannungsverhältnis zwischen technologischem Fortschritt und rechtlicher Konformität zu bewältigen. Wer frühzeitig ein solides Compliance-Konzept aufbaut, kann nachhaltigen Kundennutzen und Innovation miteinander verbinden. Damit sichert sich eine Bank nicht nur Wettbewerbsvorteile, sondern fördert und entwickelt auch das Kundenvertrauen. Wenn Kreditinstitute aufgrund des Gestaltungsaufwands und teils erheblicher Regulierungsnotwendigkeiten jetzt indes an der Transformation nicht in ausreichendem Maße teilnehmen, werden die Auswirkungen vermutlich erst zeitversetzt deutlich negativ sichtbar.
Künstliche Intelligenz wird unsere Welt nachhaltig verändern. KI sollte deshalb zwar unbedingt risikoorientiert bedacht, aber unser Handeln chancenorientiert gesteuert und gestaltet werden. Langfristig wird die Fähigkeit, individuelle Lösungen auf Basis einer professionellen KI-Analyse anzubieten und gleichzeitig alle regulatorischen Vorgaben einzuhalten, über den Erfolg der Kreditinstitute im Markt entscheiden.