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15.07.2020 | Künstliche Intelligenz | Interview | Online-Artikel

"Unternehmen müssen beginnen, in Sprache zu denken"

verfasst von: Johanna Leitherer

5 Min. Lesedauer

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Interviewt wurde:
Peter Kabel

ist Professor an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg in der Fakultät DMI (Design Medien Information) und verantwortlich für das Fachgebiet Interaction Design/Service Design. 

Conversational User Interfaces sind im Begriff, einen gesellschaftlichen Paradigmenwechsel einzuleiten, ist sich Peter Kabel sicher. Im Interview mit springerprofessional.de erläutert der Springer-Autor, was das für Unternehmen bedeutet.

springerprofessional.de: Herr Kabel, um die Jahrtausendwende herum erlangten Sie als Gesicht der "New Economy" Berühmtheit. Auch in Ihrem Buch "Dialog zwischen Mensch und Maschine" prognostizieren Sie eine Revolution in Wirtschaft und Alltag. Worauf müssen sich Unternehmen einstellen?

Peter Kabel: Sie haben recht, ich beschäftige mich bereits seit Anfang der 90er Jahre mit digitalen Transformationsprozessen – als Designer nicht überraschend – aus der Nutzerperspektive. Conversational User Interfaces sind die nächste Evolutionsstufe in der Art, wie Menschen mit Maschinen interagieren und damit auch, wie sie mit Informationen und Dienstleistungen umgehen. In den 90er Jahren mussten Nutzer kryptische Befehlszeilen mithilfe der Tastatur eingeben, dann erleichterte das Navigieren mit der Maus den Umgang mit Computern erheblich und erschloss die damit verbundenen Möglichkeiten deutlich größeren Benutzerkreise im Berufsleben wie im Privatleben.

Empfehlung der Redaktion

2020 | Buch

Dialog zwischen Mensch und Maschine

Conversational User Interfaces, intelligente Assistenten und Voice-Systeme

Dieses Buch beschreibt, wie sich die Interaktion zwischen Menschen und Maschinen in den nächsten Jahren dramatisch verändern wird und wie Unternehmen sowie Institutionen den größtmöglichen Nutzen aus dieser Entwicklung ziehen können. Conversational User Interfaces (CUI) sind die nächste Evolutionsstufe der Schnittstelle zwischen Menschen und den Inhalten oder Diensten des Internets.

Die nächste Stufe waren die Smartphones und Tablets, die mit der Touch-Bedienung alles so einfach machten, dass wir das Internet sogar in den normalen Alltag mitnehmen konnten. Diese Entwicklung setzt sich nun dadurch fort, indem wir in natürlicher Sprache – gesprochen, oder getippt – und im Fluss unserer Gedanken mit Maschinen und den dadurch erreichbaren Informationen und Diensten umgehen können. Wie das stationäre Internet und später das mobile Internet bestehende Unternehmen und Geschäftsmodelle herausforderte und ganz neue Wettbewerber und Marktkonstellationen mit sich brachte, so wird auch die Zeit der Conversational User Interfaces letztlich in Wirtschaft und Gesellschaft keinen Stein auf dem anderen lassen. 

Welche konkreten Einsatzfelder von Conversational User Interfaces ergeben sich für Unternehmen? 

Tatsächlich sind die Einsatzfelder nahezu unbegrenzt. Durch Voice können wir beispielsweise Tätigkeiten im Auto ausführen, die mit grafischen Nutzeroberflächen nicht möglich sind. Wir können mit unseren Kopfhörern sprechen und komplexe Audioinhalte abrufen oder einem Sprachassistenten einen Befehl erteilen. Natürlichsprachige Interaktion macht das Navigieren auf jeder Unternehmenswebsite leichter, wenn ich nicht lange nach einer Detailinformation suchen muss, sondern diese einfach nachfragen kann. So wie wir uns heute auch an den Komfort gewöhnt haben, Google etwas zu fragen, werden wir künftig nahezu alle Anbieter von Leistungen und Informationen anfragen wollen. 

Daher sind alle Einsatzfelder prädestiniert, die den Kundenkontakt organisieren. Aber auch in Business-to-Business-Umfeldern machen natürlichsprachige Interfaces Sinn: Denken Sie an Ärzte, die heute häufig im Patientengespräch in ihre Computerbildschirme vertieft sind, um Daten einzugeben oder einzusehen. Mit Conversational User Interfaces kann dies gewissermaßen "on-the-fly" im Patientengespräch geschehen und diese dabei unter Umständen sogar aktiv einbinden. Die Steuerung von Maschinen in der Industrie, oder das Auffinden von Informationen in komplexen Enterprise-Resource-Planning-Systemen (ERP) sind ebenfalls B2B-Anwendungsfelder. Am Ende dieser Entwicklung werden die heute gebräuchlichen grafischen Benutzerinterfaces nur noch eine Supportfunktion und Sonderstellung haben.

Für Marken könnte das neue Ökosystem große Veränderungen mit sich bringen. Wie müssen sich Werbung, Marketing und Vertrieb im Kampf um ihre Zielgruppe umstellen?

Nutzer und Verbraucher gewöhnen sich verblüffend schnell an neue Komfort-Niveaus. Wer heute kein Mobile-Angebot hat, gehört nicht mehr zum relevant Set bei der Verbraucherentscheidung. Das betrifft natürlich auch dieses neue Angebot: "Sage mir einfach, was Du möchtest und ich verstehe diesen Wunsch und liefere eine Lösung." Wer künftig dahinter zurückfällt, wird es schwer haben. Es sind Szenarien denkbar, in denen Werbung überhaupt nicht mehr die Zielperson erreicht, weil dazwischen ein Sprachassistent ist, der teilautonom Angebote filtert und für den Nutzer aufbereitet. 

Das sind gewaltige Herausforderungen: Technologisch – die gesamte Leistungsstruktur muss modular aufgebaut und viele Schnittstellen (APIs) aktiv gemanaged werden – ein wenig wie SEO auf Highspeed. Auch die Beschreibung und letztlich das ganze Denken über die eigene Leistungsstruktur muss sich ändern. Unternehmen müssen beginnen, in Sprache – also semantisch – zu denken. Und letztlich geht es um eine Service-Haltung, die vielen Unternehmen heute noch immer fehlt. 

Wie läuft eine erfolgreiche Planung, Entwicklung und Implementierung von Conversational User Interfaces ab? 

Wie angerissen handelt es sich einerseits um ein komplexes technisches Projekt, bei dem Sprache intelligent verarbeitet und dann in Geschäftsprozesse integriert und angestoßen werden muss. Es gibt vielfältige denkbare Software-Komponenten und Konstellationen. Das geeignete Tech-Stack muss jeder für sich definieren und auch die Frage wo, welche Daten erhoben und verarbeitet werden. Je mehr Daten ich zur Verfügung habe, um so besser kann meine Sprachfähigkeit werden und um so besser kann ich Kontext-sensitiv mit Nutzern "sprechen" und interagieren. Es ist aber, wie häufig in der digitalen Transformation, nicht nur ein technisches Problem, sondern auch eine Frage der Kultur und Identität. Das ist in diesem Feld sogar ganz besonders der Fall, da ein Unternehmen buchstäblich zu einer Persona wird, mit der wir sprechen. 

Und wo stehen wir heute, auch im internationalen Vergleich?

Wir stehen ganz am Anfang. So wie das Internet im Jahr 1995. Alles ist langsam und unhandlich und wird den ins Kraut schießenden Ansprüchen in keiner Weise gerecht. 1995 haben die Anbieter PDFs ihrer Drucksachen ins Netz gestellt. Wir befinden uns in der Phase der ersten Smartphones, als alle Welt staunte, dass darin eine Wasserwagen-App verfügbar war. Dies wird sich im Fall von Conversational User Interfaces aber sehr schnell verändern. Die Fähigkeit, Sprache zu verarbeiten, nimmt täglich zu und die Hürde ist heute eher die Integration in die Geschäftsprozesse als die eigentlichen sprachlichen Fähigkeiten. 

International sind große Sprachen (zum Beispiel Englisch) natürlich im Vorteil, sowie eingeschränkte Wissensdomänen, also Themen. Englisches Banking ist schon sehr weit entwickelt. Finnische Nischenthemen dagegen noch überhaupt nicht. In Asien sind Conversational User Interfaces wesentlich weiter entwickelt als im Westen. Das liegt an dem für kleine Mobile-Bildschirme ungeeigneten Alphabet dieser Sprachen. Das liegt aber auch daran, dass in vielen asiatischen Geografien die Nutzer ihre ersten Erfahrungen mit dem Internet nicht mit Desktop-PC gemacht haben, sondern ihre Sozialisation mit Mobile Phones gestartet hat und dabei das Sprechen und Messaging der natürlichere Zugang sind. 

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